Jahrestag des Massakers am 7. Oktober – eine Gedenkveranstaltung und ein Versammlungsverbot
Mannheim. Mit den Worten „Ich bringe eine gute Nachricht mit“ begrüßte der Mannheimer Oberbürgermeister Christian Specht die rund 300 Menschen, die sich zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober 2023 in Israel am Paradeplatz versammelt hatten. Gerade habe der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass es keine Versammlung einer propalästinensischen Organisation am selben Tag geben darf, berichtete Specht.
Es folgte großer Jubel der Menge, darunter Mitglieder der jüdischen Gemeinde und Politiker von CDU, SPD, Grüne, FDP und AfD. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Rhein-Neckar/Mannheim (DIG) hatte am ersten Jahrestag des Massakers an der israelischen Bevölkerung zur Gedenkveranstaltung eingeladen. Die islamistische Hamas startete am frühen Morgen des 7. Oktober 2023 einen großangelegten Überraschungsangriff auf die israelische Bevölkerung. Mehr als eintausend Menschen starben, viele tausend wurden verletzt und hunderte Menschen als Geiseln verschleppt. Es folgte ein brutaler Krieg mit zehntausenden Toten im Gaza-Streifen und im Libanon, der sich immer mehr auf die gesamte Nahost-Region ausbreitet.
Breites Bündnis versammelte sich hinter Israel
Auf dem Paradeplatz waren Fotos der Geiseln aufgestellt, beschriftet mit der Forderung „Bring them home now“. Ein Infostand der DIG zeigte die Grausamkeiten des Hamas Überfalls mit Fotos der Ereignisse, umrahmt von Zitaten, die den Vernichtungswillen der Angreifer dokumentieren. „Bringt Vernichtung über die Juden, lähmt sie, zerstört ihr Wesen“ wird beispielsweise ein Hamas-Vertreter zitiert. Deutliche Worte, denen am 7. Oktober 2023 Taten folgten.
Chris Rihm, Vorsitzender der DIG Rhein-Neckar/Mannheim begrüßte und moderierte die Veranstaltung. Rihm war es wichtig, nicht nur auf die israelischen Opfern des 7. Oktobers aufmerksam zu machen. Das Leid aller Betroffenen, des seit einem Jahr andauernden Krieges, müsse gewürdigt werden, auch das der zahlreichen palästinensischen Opfer. Die Verantwortung sieht er klar bei der Hamas. Israel sei von der Terrororganisation zu seinen militärischen Aktionen gezwungen worden.
Versöhnliche Töne und Scharfmacher
Elke Zimmer (Grüne) erinnerte an die historische Verantwortung Deutschlands, Israel zu unterstützen. Sie betonte das Leid der Geiseln und ihrer Angehörigen. Weiteres Leid müsse verhindert werden. „Jedes zivile Opfer ist eines zu viel“ zitierte sie die israelitische Religionsgemeinschaft Baden.
Als ausgesprochener Scharfmacher trat hingegen Boris Weihrauch (SPD) auf. Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten und habe das Recht sich zu verteidigen. Wer das in Frage stelle, stelle sich außerhalb „unseres gesellschaftlichen Grundkonsens“. Weihrauch wies auf eine große Zahl von 4000 gemeldeten antisemitischen Vorfälle in Baden-Württemberg hin. In Richtung der propalästinensischen Demonstrationen forderte er „die ganze Härte des Rechtsstaates“ anzuwenden. Es brauche mutige Menschen, die den rechtlichen Rahmen nutzen. Dabei nannte der Jurist ausdrücklich auch das Aufenthaltsrecht, offenbar in Anlehnung an die Diskussion um Abschiebungen von Menschen auch in Kriegsgebiete wie Syrien und Afghanistan, die auf Initiative der SPD-Politikerin Faeser nach Druck von CDU und AfD wieder stattfinden.
Auch Volker Beisel (FDP) ging in seiner Rede auf die propalästinensischen Demonstrationen ein. Ihnen warf er vor, jeden Samstag in Mannheim dafür zu demonstrieren, dass auf dem gesamten Staatsgebiet von Israel eine Diktatur der Hamas errichtet werde. Sie würden unter dem Deckmantel des deutschen Demonstrationsrechts für einen islamischen Gottesstaat streiten und für die „Ermordung der Jüdinnen und Juden in der Welt“ aufrufen. Es gehe ihnen darum, Israel zu vernichten und „die Menschen, die dort Leben, zu ermorden“ – harte Worte in Richtung der propalästinensischen Demonstrationen.
Deutlich differenzierter und versöhnlicher war die Rede von Oberbürgermeister Christian Specht (CDU). Nach seiner anfänglichen Mitteilung über das Verbot der propalästinensischen „Gegendemonstration“ wies er darauf hin, dass solche Versammlungen an anderen Tagen wieder stattfinden dürfen. Specht drückte seine Solidarität mit dem Staat Israel und insbesondere den immer noch festgehaltenen Geiseln aus. Er betonte die schwierige Lage von Mannheims Partnerstadt Haifa, die dauerhaft von der Hisbollah mit Raketen beschossen wird. Er betonte aber auch, dass es Ausdruck von Menschlichkeit sei, um alle Opfer der Auseinandersetzung zu trauern. Neben einem zunehmendem Antisemitismus müsse er auch beobachten, dass sich viele Muslime einem Generalverdacht ausgesetzt sehen, wenn sie sich mit palästinensischen Opfern solidarisieren.
Die Mannheimer Erklärung sei eine Orientierung für ein respektvolles Zusammenleben der unterschiedlichen Gruppen in unserer Stadt. Die regelmäßigen propalästinensischen Demonstrationen würden von vielen jedoch als Aufrufe zu Ausgrenzung und Hass verstanden werden.
Propalästinensische und proisraelische Filterblasen
Eine propalästinensischen Veranstaltung war von der Organisation Zaytouna Rhein-Neckar am 7. Oktober zur selben Uhrzeit in Mannheim geplant gewesen. Die Versammlungsbehörde hatte diese jedoch verboten, was durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe und den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim bestätigt wurde. Begründet wurde dies mit einer „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“. In der Verbotsbegründung des Verwaltungsgerichts heißt es außerdem, es sei mit der Versammlung eine „Rechtfertigung und Relativierung“ des Terroranschlags vom 7. Oktober beabsichtigt, da dieser vom Veranstalter bereits als „Ausbruch aus dem Gefängnis“ sowie „Kampf gegen Besatzer“ bezeichnet worden sei.
Doch nicht nur propalästinensische Demonstrationen laufen als selbstbezogene Filterblasen durch die Stadt. Auch der Veranstaltung der DIG fehlte es an Diskurs – trotz scheinbar breit aufgestelltem Bündnis und Publikum von Grüne bis AfD, über Kirchen bis zur Stadtverwaltungsspitze.
In der Thematisierung des Nahost-Konflikts gab es Schuldzuweisungen nur in eine Richtung. Mitgefühl und Empathie war reserviert für eine Partei.
Ein Beispiel: Volker Beisel (FDP) berichtete, dass er die israelische Warn-App für Luftalarm auf seinem Handy hat. „Die Sirene heult ununterbrochen seit einem Jahr“ berichtete Beisel. „Allein heute habe ich mehr als 30 Meldungen über Raketenwarnungen erhalten.“ Auch die Mannheimer Partnerstadt Haifa sei wieder betroffen.
Was Beisel aber keiner Erwähnung wert ist, sind die Raketen, die seit einem Jahr dauerhaft im dicht besiedelten Gaza und seit einigen Wochen in ganz Libanon einschlagen. Während in Israel die Menschen durch hochtechnologische Rakatenabwehr und Bunker vergleichsweise gut geschützt sind und es zum Glück bisher nur wenige zivile Opfer des Beschusses gab, ist die Zivilbevölkerung in Gaza und Libanon den israelischen Raketen hilflos ausgeliefert – keine Warn-App, kein „Iron Dome“, keine Bunker und die vielen tausend Todesopfer sind für Beisel keine Erwähnung wert.
Fehlende Perspektiven
Das Problem mit der pauschalen Solidarität mit dem Staat Israel, von der Ampel-Regierung zur „Staatsräson“ erklärt, wurde bei der Veranstaltung deutlich. Krieg, Terror, furchtbares Leid, Ursachen und Verantwortung – all das war Thema. Eine Kritik an der Politik der Regierung Netanjahu war jedoch absolutes Tabu.
Das ist umso fataler, da in der israelischen Gesellschaft wichtige Diskussionen stattfinden und progressive Kräfte das Vorgehen der rechten Regierungskoalition in Frage stellen.
Heruntergebrochen geht es um die Frage, was die langfristige Perspektive für Israel ist. Militärischer Sieg und die Vernichtung aller Feinde Israels ist das von der rechten Regierung formulierte Ziel.
Die Opposition fordert Verhandlungen und pragmatische Kompromisse, um Leben zu retten – das Leben der Geiseln, aber auch das Leben der zahlreichen Todesopfer und „Kollateralschäden“, die der Krieg mit sich bringt.
Auf dem Paradeplatz haben sich alle (bewusst oder unbewusst) hinter dem Staat Israel und damit hinter der rechten Regierung Netanjahu versammelt. Eine positive Bezugnahme auf die israelische Opposition gab es nicht.
Das ist bedauerlich, denn die Menschen in Israel, Palästina, Libanon und den weiteren angrenzenden Ländern brauchen eine Perspektive jenseits von Krieg und Terror. Die Entwicklung der letzten Monate hat gezeigt, dass alle Konfliktparteien weiter auf Eskalation setzen. Keine Kriegspartei ist bereit zu Kompromissen.
Wer die Filterblasen der proisraelischen und propalästinensischen Veranstaltungen in Mannheim besucht, dem wird klar, warum es zur Zeit keine Perspektive auf ein Ende des Nahost-Konflikts gibt.
Und die Sache mit der AfD
Dann war da noch die Sache mit der AfD. Neben Politikern von CDU, SPD, Grüne, FDP (und evtl. weiterer Parteien) war auch Stadtrat Rüdiger Ernst von der AfD Teilnehmer der Kundgebung der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft. Er war zwar kein aktiver Teil und hatte keinen inhaltlichen Einfluss, Zeichen der Abgrenzung gab es aber auch nicht.
Durch die Tolerierung des AfD-Politikers hat die DIG – unfreiwillig – einen kleinen weiteren Schritt zur Normalisierung faschistischer Politik in Deutschland beigetragen. Die AfD ist immerhin eine Partei, aus deren Reihen der Nationalsozialismus als Vogelschiss der Geschichte bezeichnet wurde (Gauland), SS-Mitglieder verharmlost wurden (Krah) und deren führende Ideologen eine rassistische Gesellschaft anstreben (Höcke).
Allerdings muss man insofern relativieren, dass die Normalisierung der faschistischen Partei aktuell kein spezifisches Problem der DIG, sondern ein gesamtgesellschaftliches ist, das alle öffentlichen Bereiche betrifft und viele Organisationen herausfordert.
Zur ganzen Geschichte gehört aber auch, dass AfD Politiker Ernst mit einem Mitglied der DIG freundschaftlich verbunden zu sein scheint und ein gemeinsames Auftreten bei der Kundgebung offenbar nicht als Problem gesehen wurde. (cki)
Redaktioneller Hinweis
Kurz nach erscheinen dieses Beitrags wies ein Sprecher der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft darauf hin, dass die im letzten Absatz erwähnte Person, ein Ordner der Versammlung, aktuell kein Mitglied der DIG sei. Zudem wurde auf die Magdeburger Erklärung der DIG verwiesen, in der es heißt:
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft grenzt sich entschieden von der AfD ab. Die AfD ist in den vergangenen Monaten unaufhaltsam weiter nach rechtsaußen gerückt. Völkische Politik ist prägend geworden. Die Jugendorganisation und »Der Flügel« sind vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erhoben worden und werden systematisch beobachtet. Laut Verfassungsschutz handelt es sich bei beiden um eine rechtsextremistische Bestrebung. »Der Fortbestand eines organisch-einheitlichen Volkes wird vom ›Flügel‹ als höchster Wert angesehen. Der einzelne Deutsche wird nur als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. ›Kulturfremde‹ Nicht-Deutsche gelten als nicht integrierbar. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des ›Flügels‹ ist ein ethnisch homogenes Volk, welches keiner ›Vermischung‹ ausgesetzt sein soll.« Mit der AfD hat sich eine Partei in den Parlamenten etabliert, die offene Antisemiten und Israelfeinde in ihren Reihen hat, Netzwerke bis weit nach ganz rechtsaußen knüpft, die das Schächten verbieten will, die einen Schlussstrich unter die Holocaust-Aufarbeitung fordert, die die Demokratie verachtet und zerstören will, die gegen »Fremde« hetzt und Verschwörungsfantasien verbreitet. Unter denjenigen, die die AfD wählen, stimmt die Hälfte antisemitischen Aussagen zu, die sich auf Israel beziehen – weit mehr als unter den Anhängerinnen und Anhängern der demokratischen Parteien. Die israelische Regierung empfängt AfD-Abgeordnete aus guten Gründen nicht. Die israelische Botschaft erklärt, dass sie trotz verschiedener Anfragen keinen Kontakt zur AfD habe und ihn auch weiterhin vermeiden werde. Die Mitglieder der DIG haben mit ihrem Beitritt die Ziele der DIG anerkannt. Diese sind mit den Zielen der AfD nicht vereinbar. Deswegen unterhält die DIG keinerlei Kontakte zur AfD und der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) und arbeitet nicht mit ihnen zusammen. Die DIG verwahrt sich auch deutlich dagegen, von der AfD als Feigenblatt für deren vorgebliche Israeltreue und ihren Philosemitismus missbraucht zu werden. Wir lassen uns nicht für rassistische Zwecke instrumentalisieren.
Quelle: Magdeburger Erklärung der DIG, Grundsatzbeschluss vom 26./27. Oktober 2019