Die Grundsteuer ist besser als ihr Ruf, aber die soziale Ausgewogenheit bröckelt. Schluss mit der Abwälzbarkeit!
Gegen eine Erhöhung der Grundsteuer entdecken die Vertreter des privaten Grundeigentums, besonders laut immer der FDP, ihr Herz für die armen Mieter, denen sie sonst jedes Recht auf einen Schutz vor überzogenen Mieten streitig machen. Auch Vertreter*innen der Interessen der Mieter*innen tuten oftmals in das gleiche Horn. Hintergrund ist der Umstand, dass die eigentlich die Eigentümer von Grund und Boden treffende Steuerart, also eine Art von Vermögensbesteuerung, im Falle von Mietwohnungen auf die Nichteigentümer, nämlich die Mieter*innen abgewälzt werden kann. Rechtsgrundlage für diese systemwidrige Abwälzung ist ein Passus in der Betriebskostenverordnung: „Betriebskosten im Sinne von § 1 sind: 1. die laufenden öffentlichen Lasten des Grundstücks, hierzu gehört namentlich die Grundsteuer.“ (§ 2 Ziff. 1 BetrKV). Dieser Passus hält sich zäh u.a. mit der Begründung, bei Abschaffung würden die Eigentümer sofort die Mieten um die nun selbst zu tragende Grundsteuer erhöhen. Sollen sie! Das ist für die Mieter*innen zunächst immer noch kostenneutral. Allerdings ist damit der Spielraum für die „normalen“ Mieterhöhungen im Rahmen der Bindung an die örtliche Vergleichsmiete und den Mietendeckel eingeschränkt. Das wirkt sich dann positiv für die Mieter*innen aus. Außerdem würde in diesem Fall die weiter unten erklärte Dynamik der Grundsteuer aufgrund rasant steigender Bodenpreise bei den Eigentümern aufploppen. Sie profitieren ja auch von der mit den steigenden Bodenpreisen verbundenen Marktwertsteigerung ihrer Immobilien. Wer sich also über die Belastung der Mieter*innen durch die Grundsteuer beklagt, sollte sich schleunigst dafür stark machen, die oben zitierte Ziffer 1 des § 2 der Betriebskostenverordnung endlich ersatzlos zu streichen.
Geiselnahme der Mieter*innen – allen voran durch die AfD
Mit vorgehaltener Betriebskostenverordnung wollen die Eigentümervertreter*innen die Millionen Mieter*innen für ihre ureigensten Zwecke einspannen: Es gibt ja schließlich nicht nur Mietwohnungen, auf denen die Grundsteuerlast liegt, sondern selbst genutztes Wohneigentum von klein bis zur Maxivilla XXL. Und es gibt Gewerbegrundstücke, von einer kleinen Werkstatt bis zum Mercedes-Benz-Werk mit 899.934 m². Dort werden nach neuer Gesetzgebung und mit dem neuen Mannheimer Hebesatz von 365 Prozentpunkten ab 2025 schlappe (tatsächlich schlappe) 597.826,16 EUR pro Jahr fällig.
Die dreistesten Geiselnehmer sitzen in der AfD, die selbsternannten „Vertreter des kleinen (biodeutschen) Mannes“: In ihrem Gemeinderatsantrag zur Umsetzung der neuen Grundsteuer-Gesetzgebung (A231/2024) versäumen sie nicht, ihre und ihrer Partei grundsätzliche Haltung zu verkünden: „Deshalb hat die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag mehrfach beantragt, die Grundsteuer abzuschaffen und einen Rechtsrahmen zu gestalten, der den Kommunen den Einnahmeausfall ersetzt.“
Das wären auf Bundesebene 14,4 Mrd. EUR nicht vereinnahmte Vermögensbesteuerung. Für Mannheim wäre dies ein Ausfall von 75 Mio. EUR, die der Stadt für Kitas, Schulen, Kultur etc. fehlen würden – zum Besten des „kleinen Mannes“?
„Sozial ausgewogen“?
Die Grundsteuer ist die einzige Realsteuer, die den Gemeinden voll umfänglich zugutekommt. Und sie belastet die kleinen Grundstücke / Wohnungen relativ gering, die Immobilien der „starken Schultern“ aber entsprechend sehr viel stärker. Und „kreative“ Ausfluchten wie in der Einkommens- oder Körperschaftssteuer sind nicht möglich. Die Grundsteuer ist wesentlich gerechter als z.B. die Gewerbesteuer, die v.a. von den kleinen bis mittleren Unternehmen gezahlt wird, relativ weniger jedoch von den großen „Steuervermeidern“ wie z.B. der BASF.
Eine 60m²-Wohnung in der Neckarstadt West wird künftig mit 139,50 EUR pro Jahr belastet, die 600m²-Villa mit Garten am Waldpark kostet 1.992,19 EUR Grundsteuer. Der Reiche zahlt viel, der/die nicht Wohlhabende zahlt zwar in unserem Beispiel auch knapp 12 EUR monatlich, die schmerzen können, aber es gibt eine elementare kommunale Gegenleistung.
Was in der Diskussion über die Grundsteuer meistens völlig unter den Tisch fällt, ist die Steuerpflicht auch der Wirtschaft.
Mannheim hat 60,65 km² Siedlungsfläche, darunter 20,61 km² Wohnbau- und 20,40 km² Industrie- und Gewerbefläche. Das schlug sich bisher auch im Grundsteueraufkommen nieder: Nach dem bis Ende dieses Jahres gültigen Recht betrug das Grundsteueraufkommen aus ca. 90.000 „wirtschaftlichen Einheiten“ von Einfamilienhaus bis Wohnung in einem Mehrfamilienhaus 56,1%, aus Gewerbeflächen 40,9%, der Rest aus sonstigen Flächen.
Nach dem neuen Landes-Grundsteuergesetz, welches eine Öffnungsklausel des neuen Bundes-Grundsteuergesetzes für Länderregelungen nutzt, verschiebt sich hier etwas ganz deutlich: Die Grundsteuereinnahmen resultieren jetzt zu 63,5% aus Wohnbau und nur noch zu 28,4% aus Gewerbeflächen – wohlgemerkt bei „Aufkommensneutralität“ in Summe.
Baden-Württemberg „vereinfacht“ die Berechnung – mit Folgen
Was sich da verschiebt, ist die Folge der ausschließlichen Basierung des Grundsteuerwertes auf der Grundstücksgröße und dem Bodenrichtwert, der dann mit mehreren Faktoren den endgültigen Grundsteuerbetrag ergibt. Dieser Bodenrichtwert wird flächendeckend für charakteristisch abgrenzbare Gebiete einer Kommune aus einer Kaufpreissammlung von einem unabhängigen ehrenamtlichen Gutachterausschuss ermittelt. Die Bodenrichtwerte sind im Internet veröffentlicht, auch für vergangene Jahre. Der Bodenrichtwert spiegelt einerseits den Entwicklungsgrad des Grundstücks wider und andererseits das „Marktgeschehen“ vulgo die Grundstücksspekulation.
Nach dem vom Bundesverfassungsgericht 2018 als verfassungswidrig beurteilten Grundsteuergesetz wurde neben dem reinen Bodenwert der Wert des darauf errichteten Hauses / Betriebes sowie die Ertragskraft der Immobilie bewertet. Der Bodenwert war der „Einheitswert“ aus dem Jahr 1964 (alte Bundesländer) bzw. 1935 (neue Bundesländer). Dadurch waren die Grundsteuerwerte sehr statisch. Auf der anderen Seite war die Berücksichtigung der Ertragskraft (z.B. Mieten und Pachten) einer Immobilie näher dran an der Bemessung des wirtschaftlichen Nutzens für die Eigentümer. Das BVG hielt das alte Grundsteuergesetz für wertverzerrend.
Aufregung herrscht nun bei Eigentümern z.B. eines (Einfamilien-) Hauses auf großem Grundstück. Nun zählt einfach die Fläche. Sie zahlen mehr. Bewohner*innen von Wohnungen in höheren Mehrfamilienhäusern haben nur einen Bruchteil der Hausfläche in ihrer Berechnungsbasis, sie zahlen weniger. Die oben gezeigte Belastungsverschiebung Richtung “Wohnen” geht also nicht auf das Konto klassischer Mietwohnungen sondern Häuser mit wenig Wohnungen und viel Grundstück.
Die Tabelle zeigt die sehr unterschiedliche Wirkung der neuen Grundsteuerberechnung. Durch die zusammengelegten Grundstücksarten Einfamilienhaus und Eigentumswohnung geht das Drama bei vielen Einfamilienhäusern in der Darstellung unter. (Quelle: V509/2024)
Die Bodenrichtwerte in Mannheim haben eine große Bandbreite.
Einige Beispiele:
Gartenstadt, Hochstätt, Rheinau, Vogelstang, Neckarstadt West: 420 bis 700, teilweise bis 1.000 EUR/m²;
Neckarstadt-Ost, Käfertal, Franklin, Spinelli, Im Rott, Feudenheim, Neckarau: 600 bis 1.100 EUR/m²;
Lindenhof: 860 bis 1.600 EUR/m², Quadrate und Oststadt 1.200 bis 1.900 EUR/m² – Planken 6.300, Fressgasse, Kunststraße 4.300, Breite Straße 2.900 EUR/m².
Gewerbegebiete bewegen sich zwischen 40 (BASF Friesenheimer Insel) und 370 EUR/m² (ehem. Vögele, Eastsite). Die größten zusammenhängenden Industrieflächen weisen Bodenrichtwerte von 100 (Essety), 120 EUR/m² (Roche und Mercedes-Benz, Unilever und GKM) aus. Ihre Eigentümer fahren schätzungsweise 25 bis 30% günstiger als vor der Reform, daher auch der sinkende Ertragsanteil aus diesen Quellen.
Die Grundsteuer wird dynamisch
Eine wesentliche Neuerung ist die vorzunehmende Wertfortschreibung nach jeweils 7 Jahren. Wenn der Grundsteuerwert (Fläche mal Bodenrichtwert) um mehr als 15.000 EUR nach oben oder unten gegenüber der vorherigen Feststellung abweicht, muss der Grundsteuerwert entsprechend angepasst werden. Vergleicht man die aktuellen Werte mit denen von vor 7 Jahren, stellt man eine Steigerung um 30 bis 50% fest. Da wird die Schonmarke von 15.000 EUR schnell übertroffen und die Steuer wird (aus heutiger Sicht nach oben) an den Bodenrichtwert angepasst. Beispiel: 80m²-Wohnung in Mehrfamilienhaus, Bodenrichtwert 800 statt zuvor 550 EUR/m²: Differenz = 20.000 EUR; die Grundsteuer steigt, selbst bei gleichbleibendem Hebesatz.
Trotz alledem bleibt die Grundsteuer eher eine sozial gerechte Steuerart; eine spätere Hebesatzerhöhung bei Fortdauer der sich ankündigenden Gewerbesteuerflaute wäre kein Teufelsding. Besser noch: Auf Bundesebene wird die Abwälzbarkeit auf die Mieter*innen abgeschafft.
Thomas Trüper