Was täten die Leiharbeitsfirmen ohne sanktionsbewehrten Arbeitskräftezutrieb von den JobCentern?
Ein paar Zahlen aus dem JobCenter Mannheim über die Qualität der „Integrationen“
Das JobCenter Mannheim hat im Jahr 2015 insgesamt 5.554 „Integrationen“ durchgeführt, will heißen: 5.554 mal hat das JobCenter Mannheim Arbeitslosen, die nach SGB II leistungsberechtigt und erwerbsfähig waren, einen Job vermittelt. In einem Viertel der Fälle handelte es sich um Jobs bei Leiharbeitsfirmen.
Dies geht aus der Beantwortung einer Anfrage der Linken im Mannheimer Gemeinderat hervor. Die Linke hatte Bezug genommen auf die jährlich veröffentlichten Berichte des JobCenters Mannheim über die Erfüllung seiner Zielvereinbarungen (zuletzt V179/2016). Darin wird die Zahl der „Integrationen“ in den Arbeitsmarkt mit 5.347 Personen angegeben (nebenbei eine statistische Differenz von 207 Personen). Man erfährt aber nicht, in welche Art von Arbeitsverhältnis und zu welchen Konditionen und vor allem wie nachhaltig die Vermittlung erfolgte. Diese rein quantitative Berichterstattung rügt die Linke schon seit Jahren. Deshalb verlangte sie nun per Anfrage eine qualifizierte Auskunft und erhielt mit der Vorlage V409/2016 ein paar detailliertere Angaben.
Von den 5.554 Integrationen erfolgten demnach „in der Wirtschaftsgruppe 782+783 ( Befristete Überlassung von Arbeitskräften, sonstige Überlassung von Arbeitskräften)“ 1.425 Integrationen. Derartige „Integrationen“ entsprechen sicherlich nicht den Wünschen und Zielvorstellungen von Erwerbslosen, die von ihrer Arbeit leben können müssen und die vor allem eine einigermaßen sichere Planungsgrundlage für ihr weiteres Leben brauchen. Sie können sich aber aufgrund der Sanktionsdrohungen des JobCenters i.d.R. solchen „Arbeitsangeboten“ kaum widersetzen: Das SGB II besagt:
„§ 10 Zumutbarkeit – (1) Einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ist jede Arbeit zumutbar (…) , (2) Eine Arbeit ist nicht allein deshalb unzumutbar, weil (…) 4. die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person,
§ 31 Pflichtverletzungen – (1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis (…) 2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern (…)“.
In der Statistik der Bundesagentur für Arbeit werden nur „Integrationen“ gezählt. Es wird nicht festgehalten, wie lange eine solchermaßen integrierte Person an dem zugewiesenen Arbeitsplatz beschäftigt wird. Berüchtigt sind die „Drehtüreffekte“: Arbeitslos – Vermittlung – wieder arbeitslos – wieder vermittelt (am Ende u.U. wieder bei einer Zeitarbeitsfirma).
Lediglich die Kategorie „nachhaltige Integrationen in den vergangenen 12 Monaten“ wird von der Statistik der Bundesagentur geführt und dazu erläutert: „Eine nachhaltige Integration gemäß § 48a SGB II liegt vor, wenn eine Person eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt und zwölf Monate später ebenfalls sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Das ursprüngliche Beschäftigungsverhältnis muss nicht mit dem zwölf Monate später beobachteten identisch sein.“ Somit gibt diese Zahl keine Auskunft darüber, ob die jeweilige Person überhaupt durchgängig beschäftigt war, geschweige denn bei einem einzigen Arbeitgeber. In diesem fast unsinnigen Sinne „nachhaltig“ beschäftigt waren 2015 also 2.632 Personen, die aber durchaus auch mehrmals in den 12 Monaten „integriert“ werden konnten.
Indirekt geht aus den Zahlen hervor, wie durchgängig begründete Befristungen, vor allem aber Befristungen ohne Sachgrund das Arbeitsplatzangebot bestimmen. Denn wenn von den rund 5.500 „Integrationen“ schon nur weniger als die Hälfte als „nachhaltig“ bezeichnet sind, muss die andere Hälfte auf jeden Fall befristet gewesen sein. Und die „nachhaltigen“ Integrationen werden mehrheitlich ebenfalls durch Fristverträge zustande gekommen sein. Auf jeden Fall hält es die Bundesagentur nicht für nötig, über befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse differenziert Auskunft zu geben.
Fazit: Bei den Arbeitsvermittlungen des JobCenter dreht es sich in einem Viertel der Fälle um Vermittlungen in Leihfirmen und insgesamt ganz überwiegend um Vermittlung in befristete Arbeitsverhältnisse. Der Begriff „Vermittlung“ ist geschönt. Aufgrund der über allen schwebenden Sanktionsdrohung muss man von „Verpflichtung“ sprechen. Es steht fest: Ein „freier“ Arbeitsmarkt würde gegenwärtig die Arbeitgeber zwingen, attraktivere Arbeitsbedingungen, nämlich unbefristete Arbeitsverhältnisse in der Stammbelegschaft, anzubieten. Nur durch das Zwangsregime der fast uneingeschränkten „Zumutbarkeit“ und der Sanktionen boomt das Befristungs- und Leiharbeitsgeschäft.
JumpPlus: Viele arbeitslose Jugendliche nicht in der Statistik, aber eben auch nicht in Arbeit
Das SGB II hat für erwerbslose aber erwerbsfähige Personen unter 25 Jahren besondere Bedingungen festgelegt. In Mannheim gilt das System „JumpPlus“. Der Personenkreis wird in der Statistik deshalb auch eigens ausgewiesen. Demnach gab es bei unter 25-Jährigen 931 „Integrationen“, 178 davon bei Zeitarbeitsfirmen. „Nachhaltig“ im obigen Sinne waren lediglich 272.
Von besonderem politischem Interesse ist immer die Jugendarbeitslosigkeitsquote. In Mannheim sind OB und fast der gesamte Gemeinderat stets sehr stolz auf diese Quote: 0,3% im Jahr 2015. Ein Wunder? Ja – zumindest ein statistisches Wunder. Denn nicht jeder junge erwerbslose Mensch, der nicht in dieser Quote als arbeitslos erscheint, ist in einem auskömmlichen Job, in Ausbildung oder auf einer Schule.
Aus den Datensätzen der Bundesagentur ist der Aufenthalt der jugendlichen Leistungsberechtigten nicht ablesbar. Trotzdem bemüht man sich um Antwort: „Aus den internen Erhebungen des Jobcenters Junges Mannheim ergibt sich, dass 47 % der Schüler/innen aus den Abschlussklassen eine weiterführende Schule besuchen und somit Arbeitslosigkeit durch schulische Bildung entgegengewirkt wird. Im Jahr 2015 waren 735 Schüler/innen in Abschlussklassen. 38 % haben unmittelbar nach der Schule mit einer Ausbildung, einem Studium, einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder eine Maßnahme der Berufsvorbereitung begonnen oder eine Arbeit aufgenommen. 12 % mündeten in das Fördersystem JumpPlus ein.“ Sollte es vor Schul- oder Ausbildungsbeginn zu Wartezeiten kommen, „wird JumpPlus aber auch genutzt, um auf den Schulbesuch vorzubereiten. Bei einem Wechsel aus JumpPlus in eine betriebliche Ausbildung ist der Sachverhalt ähnlich. Auch hier kommt es bis zum Ausbildungsbeginn zu Wartezeiten, die entweder in JumpPlus oder mit betrieblichen Praktika überbrückt werden.“ Ob diese Maßnahmen zur Motivation der jungen Menschen beitragen oder eher das Gegenteil bewirken, ist doch sehr fraglich.
Das System „JumPlus“ befördert die jugendlichen Arbeitslosen im Wesentlichen in sog. „Fördermaßnahmen“ und damit aus der Statistik. Immer wieder hören wir Klagen über sinnlose „Maßnahmenschleifen“. Deswegen fragte die Linke nach der Verweildauer der JumpPlus-Betrofenen in solchen Maßnahmen. Antwort:
„Im »System« JumpPlus waren im Jahr 2015 durchschnittlich 500 junge Menschen in der Förderung.
Die durchschnittliche Verweildauer in Jump Plus lag bei 3,2 Monaten. Im Jahr 2015 sind 1.044 Teilnehmer/innen aus Jump Plus ausgeschieden (Ausbildungs-, oder Arbeitsaufnahme, weiterführende Schule, Beendigung der Hilfebedürftigkeit).
Die Förderdauer im System betrug dabei:
- weniger als 3 Monate 497
3 bis 6 Monate 442
6 bis 12 Monate 104
länger als 12 Monate 1“
Keine genauen Auskünfte gibt es zu der Frage, wie viele Leistungsberechtigte mehrmals an identischen Maßnahme (z.B. die berüchtigten „Bewerbungstrainings“) teilnehmen müssen. Das seien nur Ausnahmen, wenn eine „wenn das erlernte Wissen aktualisiert werden muss oder eine gezielte Vorbereitung auf eine Arbeitsstelle erfolgt. Das betrifft aber generell nur sehr wenige Einzelfälle.“ Das bedürfte der Überprüfung durch Betroffene selbst. Aber selbst „Abwechslung“ ist sinnlos, wenn die einzelnen Maßnahmen z.B. weit unter dem Schulniveau der Betroffenen sind. Auch hierüber gibt es immer wieder Klagen, und das JobCenter widerlegt sie nicht. Letztlich beantwortet das JobCenter die gestellte Frage äußerst unbestimmt. Über die Qualität der einzelnen Maßnahmen gibt es in der ganzen Berichterstattung keinerlei Aussagen. Man überlässt das im Wesentlichen den Maßnahmenträgern. Diese werden nach Anzahl der Fälle bezahlt und entwickeln daher einen großen ökonomischen Hunger nach Betreuungsfällen. Für das Personal der Träger bedeutet dies ebenfalls sehr häufig unstete Arbeitsverhältnisse mit Befristung von Maßnahmen zu Maßnahme. Auch dies ein untragbarer Zustand.
Thomas Trüper