Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe – legal und illegal

Curt Engelhorn ist vor einem Jahr 90-Jährig am 13. Oktober 2016 verstorben, aber sein Tod wirft lange Schatten. Jahrzehnte lang galt die Person von Curt Engelhorn in Mannheim als einer der großen Unternehmenslenker als unangreifbar und war eng mit dem Namen Boehringer verbunden. Tatsächlich hat der Urenkel von Friedrich Engelhorn, einem der Begründer der BASF, das Familienunternehmen Boehringer Mannheim GmbH in Mannheim als geschäftsführender Gesellschafter von 1960 bis zu seinem Verkauf 1997 von einem mittelständischen Pharmaunternehmen zu einem international bedeutenden Konzern geführt. Hieraus resultiert der gute Ruf, den Engelhorn bei der Belegschaft und in der Mannheimer Stadtgesellschaft genoss.

Negative Hinweise, die diesen guten Ruf beschädigen könnten, wollte man lange nicht zur Kenntnis nehmen.

Wir verweisen zunächst auf schon bekannte Informationen, um das Neue, das sich aus den Paradise Papers ergeben könnte, besser einzuordnen.

Steuerschlupflöcher machen es möglich: Steuerersparnis in Milliardenhöhe

1997 wurde Boehringer Mannheim für 19 Mrd. Mark oder 11 Mrd. Dollar an den schweizerischen Pharmakonzern Hoffmann-La Roche, heute Roche AG; verkauft. Es war damals die größte Firmenübernahme in Europa. Allein Curt Engelhorn, mit 42% an Boehringer beteiligt, strich durch den Verkauf, rund 8 Milliarden Mark ein.

Das ganz blieb steuerfrei, da Engelhorn eine Gesetzeslücke ausnutzte. Er ließ den Sitz der Konzernholding rechtzeitig von Mannheim in das Steuerparadies für Superreiche nach Hamilton auf den Bermudas Islands verlegen.

Der Wechsel in das Steuerparadies war von Engelhorn von langer Hand geplant. Schon 1969 erwarb Engelhorn auf den Bermuda eine Insel namens „Five Star Island“ als privaten Wohnsitz. 1985 folgten auch Engelhorns Mitgesellschafter seinem Vorschlag, ihre Anteile der Corange Ltd. in das Steuerparadies Bermuda zu übertragen. Die am deutschen Fiskus vorbei geschleusten Beträge dürften also in der Summe nochmals um einiges höher liegen.

Ohne Verlegung des Wohnsitzes der Gesellschafter und des Stammsitzes der Holding und ohne Steuertricks wäre die gesamte Summe des Erlöses, nämlich 19 Milliarden € Mark, abzüglich von Anschaffungskosten und Freibeträgen, gemäß Einkommensteuergesetz Steuer zu bezahlen. Der Spitzensteuersatz lag im Jahre 1997 bei 53%.

Der an die Stadt abzuführende  Einkommensteueranteil beträgt nach heutigem Recht 15%. Würden die genannten Voraussetzungen alle vorliegen, dann wäre die Steuerschuld auf Basis des Veräußerungsgewinns mehrere Milliarden hoch.

Der im Mannheimer Morgen genannte Betrag von 50 Mio. Mark, der der Stadt entgangen sei, beruht nach eigenen Angaben auf internen Informationen seitens der Stadtverwaltung (Mannheimer Morgen, 07.11.2017). Das Ergebnis geht anscheinend von anderen Voraussetzungen aus und ist nicht nachvollziehbar.

Durch den Verkauf von Boehringer wurde Curt Engelhorn zu einer der reichsten Personen Deutschlands, laut Forbes betrug sein Vermögen 2011 geschätzte 6,6 Mrd. Dollar.

Gegenüber  der  Öffentlichkeit machte Curt Engelhorn bzgl. seiner Steuerflucht keinen Hehl, „Wir neigen zum Geiz“, und „Herr Waigel wird sich ärgern“ (Manager-Magazin, 16.03.2004), feixte er über die Machtlosigkeit des damaligen Finanzministers. Das Manager-Magazin resümiert: „In der Praxis wird diese luftig-schrullige Familienphilosophie durch ganz reale Millionentransfers ermöglicht, die in der Tat die Grenzen der Nationalstaaten nach Kräften ignorieren.“

Mäzenatentum statt Steuer zahlen

Im Gegenzug ließ sich Engelhorn als Mäzen feiern. Die Spenden waren im Vergleich zu den durch Steuertricks eingesparten Beträgen allerdings nur ein kleiner Bruchteil. 20 Millionen €  ließ er 1991 in eine Stiftung einfließen, die die Mannheimer Stadtmuseen unterstützen sollten. Der Gemeinderat erweiterte gehorsam und beflissen den Namen von Reiss-Museum in Reiss-Engelhorn-Museum. Eine Büste des Curt Engelhorn ziert seitdem den Museumseingang. Das „Kommunalinfo-Mannheim“ schrieb damals: „´Reiss-Engelhorn-Museen`? Welches Unrecht täte man auch den Stiftern  Anna und Carl Reiss, die immerhin ihr ganz großes Vermögen der Stadt Mannheim übertrugen – und nicht nur 0,2% von einem Firmenverkauf wie Curt Engelhorn.“

Hinweise auf die Steuerflucht und Steuertricks des Curt Engelhorn hörte man in den bestimmenden Teilen der Mannheimer Stadtgesellschaft bisher nicht gerne, war man doch froh, wenigstens vergleichsweise kleine Almosen erhalten zu haben.

Steuernachzahlung von Roche

Aber auch nach dem Verkauf von Boehringer an Roche beschäftigte das Chemieunternehmen die Finanzbehörden. Die einstigen und teilweise noch immer aktiven Mannheimer Verantwortlichen von Roche mussten im Jahre 2007 600.000 € Geldbuße wegen Steuerhinterziehung zahlen. Mit Verrechnungspreisen wurden Gewinne manipuliert und statt in Mannheim in der Schweiz verbucht. Roche musste für die Zeit seit 1998 Steuern von über 100 Millionen Euro nachzahlen, davon allein an Gewerbesteuer für die Stadt Mannheim 75 Millionen.

Die Wirtschafts-Staatsanwaltschaft Mannheim hat der Stadt empfohlen, eine sofortige Nachzahlung der Schweizer Roche AG, jetzige Eigentümerin der Boehringer Mannheim GmbH, zu akzeptieren und auf jahrelange Prozesse zu verzichten, „auch weil die Schweiz in Sachen Steuern wenig kooperativ sei“, so Staatsanwalt Pfeiffer (Mannheimer Morgen vom 30.5.2007).

Der Mannheimer Morgen resümierte: „Das jetzt beendete Verfahren ist einer der umfangreichsten und komplexesten Fälle von Steuerhinterziehung in der deutschen Wirtschaft.“

Außerordentliche Steuereinnahmen durch Betriebsprüfungen sind ansonsten durchaus nicht ungewöhnlich. Im Entwurf des Doppelhaushaltes der Stadt Mannheim für 2018/2019 (Anhang, Seite 746) ist eine Rückstellung 78,6 Mio. € gemäß §78.2 GemHVO „im Rahmen von Steuerschuldverhältnissen“ gebildet. Dies betrifft – ein offenes Geheimnis – im wesentlichen Roche. Roche hat gegen seine Gewerbesteuernachzahlung Klage eingereicht. Da die Klage noch nicht entschieden ist, musst die Stadt eine Rückstellung für eine mögliche Rückzahlung bilden. „Der Zeitpunkt der Rückzahlung der strittigen Gewerbesteuerzahlungen ist momentan nicht absehbar“, heißt es im Entwurf des Doppelhaushaltes. Dieser Vorgang zeigt, wie komplex Steuerrecht momentan ist, und wie schwierig es für Finanzbehörden und Kommunen ist, da noch durchzusehen.

Schenkung an die Engelhorn-Töchter: Ermittlungen wegen Steuerbetrug

Im Unterschied zu den eingesparten Steuermilliarden aus dem Verkauf von Boehringer Mannheim, die legal zu sein scheinen, ist die Schenkung des oder eines Teils des Vermögens an die Töchter von Curt Engelhorn schon länger ins Zwielicht geraten und riefen die bayerischen Finanzbehörden und die Staatsanwaltschaft Augsburg auf den Plan. Auch hier wurden die Finanzbehörden umgangen. Da die beiden Töchter in oder um München ihren Wohnsitz hatten, hätten Schenkungs- und Kapitalertragssteuer entrichtet werden müssen. Dies nachzuweisen, war aber offensichtlich sehr schwierig, da dieser Vorgang durch ein kompliziertes Finanzgefecht verschleiert wurde. Die beiden Töchter saßen 2013 sogar für ein paar Tage in Haft, wurden aber wieder freigelassen. Nach der Freilassung, die von dem Augsburger leitenden Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz ohne Auflagen veranlasst wurde, flüchteten die Töchter umgehend in  die Schweiz, gaben den deutschen Pass zurück und wechselten die Staatsbürgerschaft. Nach langwierigen Verhandlungen der deutschen Ermittlungsbehörden mit der Familie Engelhorn und ihren Anwälten endete die Sache in einem Vergleich. Danach wurde eine Steuerschuld von 145 Mio. € angenommen und beglichen. Strafrechtlich sind die beiden Töchter mit der Zahlung von jeweils 2,1 Mio. € davon gekommen. „Glimpflich davongekommen“ – immer wieder wird in diesem Zusammenhang Ulli Hoeneß genannt, der für einen vergleichsweise viel geringeren Steuerbetrug von 28,5 Mio. € zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Auch der langjährige Justiziar und Vermögensverwalter der Familie Engelhorn und Steuerrechtsanwalt Reinhard Pöllath war seinerzeit Gegenstand der staatsanwaltlichen Ermittlungen. Im Herbst 2013 saß Pöllath für neun Tage in Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Beihilfe zur Hinterziehung von Schenkungssteuern in Höhe von bis zu 440 Millionen €. Mit der mit der Finanzverwaltung ausgehandelten Steuernachzahlung durch die Familie Engelhorn wurden auch die Ermittlungen gegen Pöllath eingestellt.

Auf die „Reiss-Engelhorn-Museen“ fällt ein Schatten

Die Umstände des auf die Töchter von Curt Engelhorn übertragenen Vermögen und das daraus resultierende Finanzgeflecht wird durch die Veröffentlichung der Paradise Papers möglicherweise erneut die Justiz und die Finanzbehörden auf den Plan rufen, da neue Fakten und Details ans Licht gebracht wurden. Und  hier spielt die Angel Foundation eine wichtige Rolle, eine Stiftung mit Sitz in Monaco, aus deren Geldern sich die Überweisungen an die Reiss-Engelhorn-Museen speisten.

„Mutmaßlich diente die Angel Foundation nicht nur karitativen Zwecken“ (Süddeutsche Zeitung, 06.11.2017), sondern ist ein zentraler Baustein im Finanzgeflecht, der Trusts, Briefkastenfirmen und ausländischen Offshore-Konstrukten. Für die Stadt Mannheim könnte dieser Umstand noch für eine unangenehme Überraschung sorgen. Die Finanzierung der Reiss-Engelhorn-Museen speist sich möglicherweise aus vergiftetem da illegalem Geld.

Es wird der Stadt kaum gelingen die nun entstandene Diskussion abzuwürgen. Auf der Website der Reiss-Engelhorn-Museen heißt es in einer Stellungnahme „aus aktuellem Anlass“: „Die Angel Foundation ist eine Stiftung und untersteht einer Stiftungsaufsicht. Die Vermutung, dass die Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen aus Steuerhinterziehungsmitteln finanziert worden sei, ist eine Falschannahme… Schon die Berichterstattung der vergangenen Jahre zu den Töchtern von Curt Engelhorn hatte uns schwer getroffen, weil uns bereits zugesagte Drittmittel mit Verweis auf diese Situation nicht gewährt wurden“ (Website Reiss-Engelhorn-Museen, 13.11.2017 ). Das Motto „Was nicht sein darf, kann nicht sein“ wird sich hier vermutlich als falsch erweisen.  

Neuerliche Diskussionen über Steuerhinterziehung durch die Paradise Papers: der Schaden ist vermutlich viel höher 

Die Paradise Papers legen offensichtlich den Schluss nahe, dass die Steuerschuld nochmals weitaus höher ist, als in dem Vergleich ausgehandelt.

 „Die Paradise Papers nähren jetzt einen Verdacht, der schon damals im Raum stand, aber nicht zu erhärten war: Dass die Engelhorn-Töchter Elisabeth und Carolin weit mehr hinterzogen haben. Die Steuerfahnder waren auf diverse Trusts und Briefkastenfirmen gestoßen… Doch die Paradise Papers zeigen , dass der Familie Engelhorn Dutzende weitere Trusts und Briefkastenfirmen zuzuordnen sind, von denen die Ermittler bisher nichts wussten.“ (Süddeutsche Zeitung, 06.11.2017).

Durch die Flucht in die Schweiz haben sich die Töchter dem Zugriff der Finanzbehörden möglicherweise erfolgreich entzogen, aber Tochter Elisabeth wird weiterhin als Inhaberin eines großen Gestüts südlich von Augsburg gemeldet. Es spricht viel dafür, ein neues steuerrechtliches Verfahren einzuleiten.

In die Ermittlungen sollten aber nicht nur die Erben von Curt Engelhorn sondern auch die Konstrukteure der Finanzgeflechte einbezogen werden, deren einziges Ziel in der Steuerhinterziehung besteht. Laut Paradise Papers ist das nicht nur der besagte Reinhard Pöllath sondern noch vielmehr die berühmt berüchtigte Kanzlei Appleby, die ebenfalls auf den Bermudas ihren Hauptsitz hat und weltweit eine zentrale Rolle in Sachen Steuerhinterziehung spielt.

Was kann gemacht werden?

  • Auf kommunaler Ebene wird es Zeit, dass die Stadt Mannheim sich aus der vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Curt-Engelhorn-Stiftung Angel Foundation löst und den Museen wieder ihren ursprünglichen Namen gibt.

  • Justiz und die zuständigen Finanzbehörden sollten die Voraussetzungen prüfen, um ein oder mehrere Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen die Engelhorn-Erben einzuleiten. Soweit Rechts- und Steuerrechtskanzleien und Banken Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet haben, wären die Ermittlungen auf diese auszudehnen.

  • Die Politik sollte und kann wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug ergreifen. Verschiedene Experten und DIE LINKE haben hierfür entsprechende Forderungen („Steuer-Paradiese trockenlegen“) erhoben. Was die Verhandlungen der Jamaika-Koalition angeht, muss man diesbezüglich feststellen: Absolut Fehlanzeige und kein Thema!

 

Quellen:

Manager-Magazin, 16.03.2004; Handelsblatt, 26.01.2016; JUVE Verlag für juristische Informationen 26.01.2016; Süddeutsche Zeitung, 06.11.2017; „mannheim konkret – 12/2001, diverse  Kommunal-Info Mannheim und Mannheimer Morgen. 

 

Roland Schuster