39. Jahrestag des Pogroms von Maraş – Gedenkveranstaltung bei der Alevitischen Gemeinde
Zum Gedenken an die über 100 während des Pogroms vom 19. – 26.12.1978 ermordeten Aleviten in Maraş (Türkei) und die tausenden von Verletzten und Vertriebenen aus der Stadt, lud die Alevitische Gemeinde Rhein-Neckar in Mannheim zu einer Veranstaltung am 17.12.17 ein. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) mahnte in ihrem Vortag an, dass sich unter uns noch immer Verantwortliche des Pogroms befinden würden, die bis dato nicht juristisch belangt worden sind. Ein Sprecher der Aleviten in Europa berichtete, dass anlässlich eines Treffens in Straßburg (Frankreich) am 16.12. enttäuschender Weise nur 500 Teilnehmer*Innen erschienen seien.
Das Pogrom von Maraş
Maraş (heute die Stadt Kahramanmaraş im Südosten der Türkei) wurde in den Tagen vom 19. – 26.12.78 Schauplatz eines blutigen Pogroms. Aufgrund von Gerüchten, die durch türkische Nationalisten und deren Anhänger (u.a. durch die Grauen Wölfe) gestreut wurden, dass Aleviten eine Moschee angegriffen hätten, wurden in dem Zeitraum über 100 Menschen, zumeist bestialisch, ermordet. Tausende wurden misshandelt und verletzt und wurden schlussendlich in großen Teilen aus der Stadt vertrieben.
Zwei Jahre vor dem Militärputsch in der Türkei 1980 fand auch in Sivas ein Massaker an Aleviten statt, bei dem 37 Menschen ums Leben kamen. Ziel der Täter, von denen nur recht wenige rechtskräftig verurteilt wurden, war es die Türkei 1978 in einen Bürgerkrieg zu stürzen.
Für die alevitischen Mitbürger*Innen von Maraş kam die Hilfe zu spät. Die Personen, die von Militäreinheiten noch gerettet werden konnten, wurden in einer Kaserne interniert und waren später gezwungen, nachdem ihre Existenzgrundlage vernichtet war und sie durch türkische Rechtsextremisten, ähnlich des Vorgehens der Hitlerdiktatur im Umgang mit jüdischen Mitmenschen gebrandmarkt waren, die Stadt zu verlassen.
Gedenken und Mahnung zugleich
Nach der Begrüßung durch eine Sprecherin der Alevitischen Gemeinde wurde eine Schweigeminute für die Opfer des Pogroms 1978 abgehalten, gefolgt von einem kurzen Gebet, welches von einem Vorbeter durchgeführt wurde.
Ein gezeigter Filmbeitrag des alevitischen TV-Senders YOL, der unseren Informationen nach in der Türkei mittlerweile verboten wurde, leitete mit sehr drastischen Szenen über die Tage des Pogroms mit Zeitzeugeninterviews über in den Vortrag von Gökay Akbulut. (Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=nTBO5MsgGmY Hinweis: Enthält drastische Szenen)
Die Bundestagsabgeordnete aus Mannheim resümierte in ihrem Vortrag über die historischen Hintergründe, die zum Pogrom in Maraş führten, berichtete über die aktuelle Lage der Aleviten in der Türkei und über die politische Lage in diesem Land. Mit allem Respekt vor den Opfern machte Gökay Akbulut jedoch auch klar, dass „die Täter des Pogroms immer noch unter uns leben“. Vermutlich auch in Deutschland.
Bemängelt und kritisch angesprochen wurde durch die Gastrednerin, dass dieses Pogrom und andere Massaker in der aktuellen Geschichtsschreibung der Türkei keinen Raum fänden, nur als Ereignisse abgetan würden und die Thematik keinen Eingang z.B. in Schulbücher fände. Bislang, so die Kritik weiter, gäbe es weder eine historische Aufarbeitung der Pogrome an Aleviten in der Türkei, noch irgendeine Gedenkstätte für die Opfer.
In ihrem Schlusswort sagte Gökay Akbulut, „dass die islamistischen Faschisten in der EU und in Deutschland angekommen sind, sehen wir heute. Hunderte Journalisten, Richter, Wissenschaftler und weitere Menschen sitzen wegen der AKP-Diktatur in Gefängnissen.“
Ein Vertreter der Aleviten in Europa berichtete davon, dass bei den zentralen Aktionen in Straßburg am 16. und 17.12. nur etwa 500 Menschen teilgenommen hätten (Das KIM berichtete: Erster HDK-A-Kongress im Rhein-Neckar-Raum). Dies wäre enttäuschend gewesen, da man sich mehr Zuspruch erwartet hätte. Die Moderatorin der Veranstaltung, an der rund 80 Personen teilnahmen, lud die Anwesenden zu einer abschließenden Aussprache ein. Von diesem Angebot machten nur wenige Gebrauch, um ans Mikrofon zu treten.
(Christian Ratz)