No risk – no Spargel (Kommentar)
Wir haben inzwischen einiges über die Systemrelevanz von Spargel als identitätsstiftendes Gemüse gehört. Ich will auch niemanden langweilen, für mich persönlich bleibt das Zeug eh im Regal liegen, es ist Luxus. Was mich aber wurmt ist die Tatsache, dass man es mit Luftbrücken schafft, in nur wenigen Wochen 200.000 Urlauber und geplant 80.000 Erntehelfer aus Osteuropa, unter Anwendung von sehr geringen bürokratischen Hürden, ins Land zu schaffen.
Mehr als eine Viertelmillion.
Darf man die Ernte von Deutschlands wertvollstem Gemüse und das Vergessen von Menschen in lebensbedrohlichen Lagen, wie in Moria und anderswo in Europa, zu vergleichen? Ich finde, dass der Vergleich anhand der Umstände, unter denen das alles passiert und der Umstände unter denen ganz andere Sachen eben nicht passieren, nicht hinkt. Oder anders gesagt: wir können es uns nicht mehr leisten das nicht zu vergleichen. Nicht in einer Zeit in der die Regierung die gleichen „Absaufen!“ Rufe aussendet wie Pegida das im vorletzten Sommer tat. Dass die Regierung das nur schriftlich den NGOs zustellt macht es nicht besser – im Gegenteil.
In Sachen Spargel wurde viel gelobt, da war viel Tatkraft, es ging ja auch um was. Stellen wir uns mal für einen Moment vor man würde über Menschen in Not so sprechen wie man über die Ernte von Spargel spricht, was hätten wir dann erreicht?
Als ich am Karlsruher Flughafen die Ankunft der rumänischen Erntehelfer dokumentieren wollte, kam es anders. Von den 8 geplanten Sonderflügen kam keiner an.
Als ich die vor dem Terminal versammelten Abholer, also Landwirte, und Busfahrer nach Kosten, Unterbringung und dieser Quarantäne befragen wollte stieß ich auf Ablehnung und eine Wand des Schweigens. Die Landwirtin murmelt auf meine Begrüßung und den Ansatz einer Frage nur etwas Unverständliches in ihren Mundschutz und wendet sich ab, fängt an auf ihrem Smartphone zu tippen und versucht unsichtbar zu sein. Andere auch. Ganz schön scheu dachte ich.
Nur einer der Busfahrer spricht mich harsch von hinten aus (zu) kurzer Entfernung an „hauen Sie ab. Wir wollen mit Ihnen nix mit zu tun haben“
Hat er so gesagt. Mit mir oder mit der Sache? denke ich noch. Ich bin sauer, Geld verdienen wollen sie aber alle.
Die Dame vom Infopoint im Airport sagt mir, man weiß nur von fehlenden Genehmigungen, die Maschinen seien noch nicht in der Luft. Als sie sich über meine Gegenwart zu wundern scheint schiebt sie nach: „gestern war doch der Pressetermin…“
Ja, einer dieser Termine, bei dem alle erleichtert und zufrieden in Kameras lächeln, wo man von dem heute hier nichts sieht. Aber das ist das enttäuschende am Produkt Spargel.
Ich denke an die Ernte, wie das abläuft, Quarantäne, Distanz halten. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man einigermaßen sicher Abstand halten kann, wenn man in Sammelunterkünften untergebracht ist. Von der Arbeit selbst ganz zu schweigen, ich sehe da immer an jedem Feld diese Dixi Toiletten stehen, die in der Sonne vor sich hin köcheln.
Später am Abend berichtet der BR warum die Flieger nicht kamen. „Sie wurden gestoppt. Es seien wegen Behördenversagens auf dem Flughafen Cluj (Klausenburg) vor dem Abflug von rund 1.800 Erntehelfern am Donnerstag jegliche Regeln zum Schutz vor der Ausbreitung der Corona-Infektion missachtet worden“ Das waren völlig chaotische Zustände, die Staatsanwaltschaft dort ermittelt jetzt.
Und das ist die Sache die ich schon ganz am Anfang nicht verstanden hab: die hocken da mit 200 Leuten in einer Röhre, auf Sitzen die 60cm voneinander entfernt sind während die Luft über 3 Stunden permanent umgewälzt wird.
Ich denke dabei auch an Ischgl als Covid-19 Superspreader, vor allem an die Motivation und Interessen der Verantwortlichen das ganze so spreaden zu lassen. Hoffen wir, dass die Spargelernte 2020 unter einen besseren Stern steht. Das heute war, schräg und irgendwie sehr enttäuschend, weil ich finde das im Produkt viel Risiko steckt. Vielleicht trifft ein Boykott doch nicht immer die falschen.
(Text und Bilder: Daniel Kubirski)