Interview mit Markus Sprengler – Stadtentwicklung in der Neckarstadt-West
Fortführung der Auseinandersetzung um die Stadtentwicklung in der Neckarstadt-West
Interview mit Markus Sprengler – Stadtrat der GRÜNEN in Mannheim
Markus Sprengler ist seit 2019 Stadtrat der GRÜNEN. Er ist Fachpolitischer Sprecher für Migration/Integration/Flucht | Musikkultur/Kreativwirtschaft | Städtepartnerschaften/Internationales | Eine Welt. Außerdem ist er Mitglied in den Aufsichtsräten von Popakademie Baden-Württemberg, Start Up Mannheimer Gründungszentren, m:con CC Rosengarten, Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg. (Bild: privat)
Die schriftlichen Fragen stellte Roland Schuster.
Kommunalinfo:
Du hast dich bei mir beschwert über meinen Artikel im Kommunalinfo „Neckarstadt-West Quo vadis”. Hier geht es um das Projekt “Westwind”, das von Dir, von Herrn Hauptenbuchner von H&H, von Herrn Fischer vom Gewerbeverein Jungbusch/Neckarstadt-West und von Maik Rügemer vom Netzwerk Wohnumfeld Neckarstadt/West verantwortet wird.
Im Artikel wird der Inhalt von Westwind m.E. ausführlich dargestellt. Am Schluss werden einige kritische Anmerkungen von mir getätigt. Wo liegt das Problem?
Markus Sprengler:
Es gibt kein Problem. Die Forderungen der Initiative Westwind wurden im ersten Abschnitt von dir neutral dargestellt und beschrieben. Da du beim 2. Online -meeting mitdiskutiert hattest, gab es an der Stelle auch Information aus erster Hand. Die kritischen Anmerkungen beziehen sich auf mein angebliches Schweigen und die Interpretation, ein grüner Stadtrat kann sich an so einer Initiative nicht beteiligen. Ich schweige zu den verschiedenen Positionen nicht und komme mit jedem, soweit es konstruktiv bleibt, ins Gespräch. Hassreden und persönliche Beleidigungen, bis hin zu Drohanrufen, die ich seit letzter Woche vermehrt erhalte, seit ich diese Initiative unterstütze, werden von mir zur Anzeige gebracht. Da möchte ich als hier im Stadtteil wohnender und arbeitender Kommunalpolitiker dann auch nicht mehr diskutieren. Wir als Initiative sehen das Papier als Prozess, der Themen abbildet, aufgreift, ergänzt und mit den Menschen im Viertel an einer guten und möglichst nachhaltigen Umsetzung arbeitet.
Kommunalinfo:
Einzelne Maßnahmen, z.B. was die Verkehrsberuhigung, der Ausbau von Fahrradstraßen und die Reaktivierung des S-Bahnhofs angeht, kann ich durchaus zustimmen. Das habe ich ja auch in dem Artikel geschrieben. Was mich an Westwind stört, ist aber vor allem das, über das nicht gesprochen wird. Angesichts unvermindert steigender Mieten – nicht nur für Wohnungsmieter sondern auch für Gewerbetreibende – und steigender Bodenpreise, muss das Problem steigender Mieten zumindest angesprochen werden. Das ist aber in dem Westwind-Papier eben gerade nicht passiert. Warum eigentlich?
Markus Sprengler:
Bezahlbarer Wohnraum und ein Bildungsangebot, das die Bedürfnisse der Menschen hier im Viertel mitnimmt, sind mir ein Anliegen, seit ich als Bezirksbeirat und jetzt als Stadtrat politisch aktiv bin. Das hat sich auch durch die Initiative Westwind nicht geändert. Die im Papier beschriebenen Handlungsfelder waren die erste Sammlung von Themen, die durch 2 Konferenzen, an denen u.a. die Stadträt*innen Cademartori, Hornung und Beisel teilnahmen, mit erweiterten Handlungsfeldern im Bereich Wohnen und Bildung ergänzt wurden. Die von uns geforderten Maßnahmen sind, wie du richtig sagst, nicht alle neu, aber sie wurden leider auch an vielen Stellen nicht weiter gedacht oder in Umsetzungsprozesse gebracht. Dies wollen wir durch diese überparteiliche Initiative ändern.
Kommunalinfo:
Im Westwind-Papier gibt es einige Formulierungen, die zum Widerspruch reizen. Im Kapitel “Gastro & Einzelhandel” ist von “kontrollierter Entfesselung” und “Ausweitung der Sperrstunde” die Rede. In der Neckarstadt-West werden nun Zustände wie teilweise im Jungbusch befürchtet – Stichwort: Feiermeile – zu Recht?
Markus Sprengler:
Wer die Entwicklung des Stadtbezirks Neckarstadt-West in den letzten Jahren verfolgt hat, der bemerkt 2 Dinge. Zum einen die guten Bemühungen und Umsetzung von Maßnahmen der Stadtverwaltung und der Lokalen Stadterneuerung (LOS), die in der Neckarstadt-West mit Stadtakupunktur und gezielten Maßnahmen Missstände im öffentlichen Raum beseitigt und neue Aufenthaltsqualität schafft. Hierzu werden zivilgesellschaftliche Netzwerke aufgebaut und genutzt, wie sie auch bei der Initiative Westwind zu finden sind. Zum anderen sind die gewerblichen Flächen, zu einem Großteil nach wie vor durch Wettbüros, Spielhallen oder Gastronomien geprägt, die eher einen in sich geschlossenen Kreis bilden, wo Drogenkriminalität oder unerlaubte Prostitution stattfindet. Diese Kreise aufzubrechen um einen Einzelhandel oder Gastronomie anzusiedeln, die sich der Stadtgesellschaft öffnen, halte ich für eine gute Idee. Und die Ausweitung der Sperrstunde, gerade in Zeiten von Corona, hilft der schwer getroffenen Gastronomiebranche, ihr Geschäft wieder zügig aufnehmen zu können.
Zwei Animationen aus der Broschüre von Westwind
Kommunalinfo:
Das Westwind-Papier ist ja mit vielen Bildern garniert. Mit vielen feiernden jungen Leuten – vom Typus her eher Menschen aus der gehobenen Mittelschicht. Nichts gegen solche Menschen. Aber die Menschen, die jetzt in diesem Viertel wohnen, sind doch größtenteils aus einem anderen Milieu. Sollen diese Menschen raus aus der Neckarstadt?
Markus Sprengler:
Deine Frage impliziert ja anscheinend schon die Antwort. Nein eben nicht. Die Darstellung von jungen Leuten in einem sich entwickelnden Stadtviertel kann ja nicht per se schlecht sein. Ich halte mich da gerne immer wieder an unser Leitbild 2030, Mannheim bietet eine vorbildliche urbane Lebensqualität, mit hoher Sicherheit, als Grundlage für ein gesundes, glückliches Leben für Menschen jeden Alters und gewinnt damit mehr Menschen für sich.
Kommunalinfo:
Das böse Wort der Gentrifizierung macht auch in der Neckarstadt-West die Runde. Meines Erachtens vollkomen zu recht. Ist der Vorwurf berechtigt, dass Westwind der Gentrifizierung Vorschub leistet?
Markus Sprengler:
Das siehst du offensichtlich falsch. Die Energie, die aus einem Stadtbezirk wie der Neckarstadt -West erwächst, zieht sie doch auch und richtigerweise aus den Kontrasten und der Balance zwischen sozialem Gefüge, auch bezahlbarem Wohnraum und einer attraktiven Aufenthaltsqualität , die die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen berücksichtigt. Westwind macht hier Angebote, die einen Stadtbezirk mit einem starken Charakter zu besserer Aufenthalts- und Lebensqualität führen, wie z.B. Verkehrsberuhigung, Fahrradstraßen oder wirksame ÖPNV Schnittstellen, wie z.B. die genannte Aufwertung der S-Bahnhaltestelle. Was die Frage der Gentrifizierung betrifft, bin ich der Überzeugung, dass Politik und Stadtverwaltung hier gut steuern. Die Einbindung von Investoren in städtische Prozesse, macht mehr Sinn, als die Ausgrenzung. Der Dialog mit städtischen Gesellschaften, wie der GBG und der MWSP zur Schaffung und Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum ist genauso wichtig. Deshalb kann ich auch bewusst in einer Initiative mitwirken, bei der Menschen aus dem Viertel oder zivilgesellschaftliche Gruppen mitwirken. Oder Immobilieninvestoren und ein Netzwerk Wohnumfeld. Es scheint mir oft so zu sein, dass Gentrifizierungsgegner städtisch koordinierte Stadtentwicklung und notwendige Modernisierung von Wohnraum ablehnen. Warum ist das so? Wer definiert was gute und was schlechte Läden oder Gewerbe sind? Ich halte es für dringend notwendig, politische Rahmenbedingungen zu schaffen für bezahlbaren Wohnraum, aber eben auch für eine zielgerichtete Stadtentwicklung.
Kommunalinfo:
Mit verschiedenen Hebeln wie z. B. mit dem Mittel der Lokalen Stadterneuerung LOS, Campus Neckarstadt, Neckarstadt-Kids versuchen die Stadt, aber auch zivilgesellschaftliche Gruppen diesen Prozess zu beeinflussen und zu gestalten. Dies halten wir legitim und meistens auch für sinnvoll. Dies gilt ja auch für einen Teil der Vorschläge des Westwinds. Als paradox erscheint jedoch, dass jede Verbesserung der Lebenssituation in der Neckarstadt-West zu steigenden Mietpreisen und damit zu Verdrängungsprozessen führt. Siehst du dieses Problem
auch?
Markus Sprengler:
Als Gründungsmitglied von Neckarstadt Kids, als ein gutes Beispiel, wird doch das stadtgesellschaftliche Engagement mehr als deutlich. Das gleiche gilt für ALTER oder andere Angebote im Viertel, wie z.B. AUFWIND oder die gute Arbeit von AMALIE. Ich kann leider das Paradox mal wieder nicht erkennen.
Wie ja oben schon beschrieben, ist eine Aufwertung nicht gleichzusetzen mit Verdrängung. Es muss uns allen Akteuren gelingen, die gerne konstruktiv und kontrovers diskutieren, eine gemeinsame Linie zu finden um die Neckarstadt-West als lebenswertes Viertel für alle Schichten zu erhalten.
Kommunalinfo:
In einem Artikel des Kommunalinfo von “Fairmieten”: “Neckarstadt-West – Vernichtung von Wohnraum zugunsten bevortzugter Gastronomie” wird der Vorwurf der Zweckentfremdung erhoben. Was sagst Du zu den im Artikel dargelegten Zusammenhängen?
In der Frage, wie eine soziale Wohnungspolitik bei gleichzeitiger Verbesserung des Wohnumfeldes aussehen kann, gehen die Meinungen zum Teil sehr auseinander. Wie ist deine Meinung?
Markus Sprengler:
Nun. Ein Vorwurf ist ja erst mal keine gute Gelegenheit um Dinge zu besprechen. Da wäre Dialog angebrachter. Eine Verbesserung des Wohnumfeldes ist ja durch viele Aktivitäten zu erreichen. Je mehr Menschen öffentliche und bisher unattraktive Plätze nutzen und bevölkern, umso sicherer werden diese.
Dies geschieht durch Aufwertung von Flächen, wie es z.B. im Moment am Neumarkt geschieht. Oder durch Umwidmung von bestehenden Gewerbeflächen, wie es z.B. sehr sinnvoll beim Improtheater in der Mittelstrasse umgesetzt wurde. Bei der Wiedervergabe von Gewerbeflächen, bspw. an Lokalitäten mit Glücksspiel oder Wettbüros, hat die Stadtverwaltung, soweit sie in Kenntnis war, nicht immer glücklich agiert. Die Initiative Startraum, die Leerstandsflächen auch in der Neckarstadt West kulturellen Aktivitäten zuführen soll, steht im Moment auf dem Prüfstand. Eine soziale Wohnungspolitik muss durch soziale Wohnraumförderung , Wohngeld und das Bereithalten von bezahlbarem Wohnraum gewährleistet werden. Der Neckarstadt-West bieten Programme wie Soziale Stadt oder die Ausrufung eines Sanierungsgebietes die Möglichkeit, regulierend in den Wohnungsmarkt einzugreifen, was die GBG ja auch hier im Viertel tut.
Ich bin für eine enge Abstimmung aller Player hier im Viertel. Und ich bin gegen eine Ausgrenzung in jede Richtung.
Kommunalinfo:
Wir halten es für sinnvoll, dass alle wesentlichen Akteuren der Neckarstadt-West zu einem Meinungsaustausch auf Augenhöhe, zu einem Runden Tisch zusammenkommen. Es wird vielleicht zu viel übereinander geredet, es muss mehr miteinader geredet werden. Hältst du einen solchen Runden Tisch für sinnvoll?
Markus Sprengler:
Miteinander reden ist immer besser als übereinander. Als zuständiger Stadtrat für die Neckarstadt-West der grünen Fraktion im Mannheimer Gemeinderat stehe ich grundsätzlich immer zu Gesprächen bereit und führe sie auch schon lange mit den Menschen hier im Viertel. Als Bewohner und beruflich Aktiver hier in der Neckarstadt-West ist ein regelmäßiger Meinungsaustausch mit den Akteuren jetzt wichtiger denn je. Deshalb halte ich ein Format, wie einen Runden Tisch o.ä. für sinnvoll.
Abschließend möchte ich noch einmal dringend dafür werben, nicht in den Extremen Ghetto oder Gentrifizierung zu denken. Es geht um eine behutsame Stadterneuerung. Um die Frage von öffentlicher Verantwortung und privatem Gewinnstreben. Und vielleicht auch statt Verdrängung um ein Zusammenrücken. Ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement von Bewohner*innen, im Quartiermanagement oder der Lokalpolitik, bringen Interessen zusammen und sorgen für eine soziale und politische Positionierung, die hoffentlich am Ende eine gute soziale Mischung und Lebendigkeit ins Viertel bringt.
Markus Sprengler ist Stadtrat der Grünen; dort Fachpolitischer Sprecher für Migration/Integration/Flucht | Musikkultur/Kreativwirtschaft | Städtepartnerschaften/Internationales |-Eine Welt. Er ist Mitglied in den Aufsichtsräten von Popakademie Baden-Württemberg, Start Up Mannheimer Gründungszentren, m:con CC Rosengarten, Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg