Covid-19-Amtshilfe der Bundeswehr – Löbel begrüßt „uniformierten Einsatz“
Keine Frage: Die Nachverfolgung von Infektionslinien bei positiv auf Covid-19 getesteten Personen ist ein Kernstück der Corona-Bekämpfung. Und keine Frage: Das Gesundheitsamt ist damit seit Wochen an der Grenze des Leistbaren und braucht externe Hilfe. Diese wurde zunächst durch teil- und zeitweise Versetzungen aus anderen städtischen Ämtern bereitgestellt, und dann auch durch freiwillige vorwiegend studentische Helfer*innen. Es gibt viele Meldungen auch aus dem Bereich der Rentner*innen, teilweise mit Fachbezug. Deren Eingliederung stellt sich als schwierig dar, weil die angebotenen Zeitkontingente für eine sichere und einigermaßen kontinuierliche Einplanung oft nicht ausreichen.
Ein Thema für das Militär oder für Katastrophenschutz?
All diese Verstärkungen sind jedoch nicht genug, und so ergibt sich die Notwendigkeit, temporär auf Personal des Bundes zurückzugreifen. Verfügt der Bund über einen stehenden Katastrophenschutz mit ausreichend vielseitig qualifiziertem Personal für den Einsatz in Natur- oder sonstigen Katastrophen (das auch bei humanitären Einsätzen im Ausland hilfreich sein könnte)? Nein! Es gibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das den Zivilschutz sicherzustellen hat. Hierbei ist der Schutz der Zivilbevölkerung „im Verteidigungsfall“ gemeint und untersteht dem Innenministerium. Der „friedensmäßige Katastrophenschutz“ ist Ländersache – er hat aber kein eigenes Einsatzpersonal. Gleiches gilt für das Technische Hilfswerk, das zwar vom Bundesinnenministerium als Bundesanstalt gesteuert wird, aber außer dem Leitungs- und Verwaltungskader auf ehrenamtliches Personal der Hilfsorganisationen angewiesen ist. Also: Ziviles hauptamtliches Einsatzpersonal – Fehlanzeige. Dafür leistet sich der Bund bekanntlich die Bundeswehr, einst als territoriale Verteidigungskraft auf Basis der allgemeinen Wehrpflicht gegründet (bei wohlwollender Betrachtung), inzwischen ein hochspezialisierter Apparat für Auslandsinterventionen, faktische Konfliktverschärfung und militärische Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.
Bundeswehr im Inneren?
In der Bundeswehr also steht Personal zur Amtshilfe bereit gemäß der Vorgabe des Grundgesetzes Art. 35 (1): „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.“ Die Kommunen gelten als Teil der Länder. Diese Amtshilfe ist kein „Einsatz der Bundeswehr“, sondern eben „Amtshilfe“ – Zurverfügungstellung von Personal und evtl. Ausrüstung. „Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte“ dürfen nur im Falle einer länderübergreifenden „Naturkatastrophe oder Unglücksfall“ eingesetzt werden. (Art 35 Abs. 3 GG). Weitere Regelungen des Art 91 betreffen den Einsatz der Bundeswehr bei Überforderung der Länder- oder Bundespolizei bzw. des Bundesgrenzschutzes bei innerem Notstand, Gefahr für die FdgO oder in der Aufstandsbekämpfung.
All diese Regelungen sind Bestandteil gewesen der hart umkämpften Notstandsgesetze von 1968 (erste Große Koalition, schwarz-rot). Der Widerstand war groß, weil das Thema des Streikräfteeinsatzes im Inneren in Deutschland eine ganz fatale Geschichte hat. Dazu die (sicher unverdächtige) Bundeszentrale für politische Bildung:
„Der Grund dafür liegt in der deutschen Geschichte – und dabei nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus. Schon in Preußen und im Deutschen Kaiserreich wurde das Militär immer wieder dazu genutzt, im Inland staatliche Gewalt durchzusetzen – auch und gerade gegen politische Demonstrationen. ‚Gegen Demokraten helfen nur Soldaten‘, schrieb der preußische König Friedrich Wilhelm IV. 1849.[1] In der Weimarer Republik ließ der SPD-Politiker Gustav Noske als Reichswehrminister den Einsatz der Truppe gegen lokale Aufstände und zur Niederschlagung des Spartakusaufstandes 1919 zu. Berühmt wurde der Satz, den er dazu in seinen Memoiren zitierte: ‚Einer muss den Bluthund machen.‘”
Das Kaiserreich und der Nationalsozialismus waren Militärdiktaturen, in denen das Militär (bzw. paramilitärische Organisationen) in der Gesellschaft allgegenwärtig waren. Militärparaden ohne Ende, Hochzeit in Uniform als Höhepunkt des Lebens, Heldenkult. Die Bundeswehr – von Wehrmacht-Generälen aufgebaut – hatte immer große Schwierigkeiten, sich in der Traditionspflege von der deutschen Militärgeschichte zu distanzieren. Kasernennamen nach kaiserlichen und Wehrmachtgenerälen stehen hierfür ebenso wie der „Große Zapfenstreich“. Nazi-Nester in der Bundeswehr und archaische Riten verwundern schon gar nicht mehr. Öffentliche Gelöbnisse sollen immer wieder die Bundeswehr in das gesellschaftliche Leben rücken. Das Tragen von Bundeswehr-Uniformen auch außerhalb des Dienstes wurde schon immer unterstützt, ist allerdings seit Abschaffung der Wehrpflicht 2011 sehr in den Hintergrund getreten. Wie sehr die Bundeswehrführung dieser gesellschaftlichen Marginalisierung entgegentreten möchte, beweist der neueste Erlass zur BW-Kleiderordnung zum Thema Tragen der Uniform im Zivilleben:
Bundeswehr-Kleiderordnung: Geht’s auch zivil?
„110: Das Tragen des Feldanzuges, Tarndruck, allgemein bzw. Bord- und Gefechtsanzuges ist gestattet:
• auf dem Weg vom und zum Dienst (Dienstort/Wohnort/Wochenendheimfahrt),
• auf dem Weg zwischen militärischen Liegenschaften im Standortbereich, (…)
• bei privaten Fahrten mit der Bahn im Rahmen des Projekts ‚Kostenfreies Bahnfahren in Uniform‘”.
Letzteres Köder-„Projekt“ datiert vom 1.10.2019.
Bei ihrer „Amtshilfe“ in den Gesundheitsämtern tragen die abkommandierten Soldat*innen den Feldanzug. Dies ist eindeutig als Maßnahme zur militärischen Imagepflege zu werten. Die Personalnotlage in den Gesundheitsämtern wird instrumentalisiert. Die Kleiderordnung der Bundeswehr, die alles Denkbare und Undenkbare regelt, hat den Fall „Amtshilfe“ in der Kommunalverwaltung bisher nicht vorgesehen. Corona ist eben auch hier eine Herausforderung. Aber wir lesen doch Anhaltspunkte, die das Arbeiten in Zivil ermöglichen würden, wenn man nur wollte:
„112. Die bzw. der Disziplinarvorgesetzte kann für bestimmte Gelegenheiten oder Orte das Tragen der Uniform oder einer bestimmten Anzugart verbieten, z.B. aufgrund einer entsprechenden Sicherheitslage.“ Man könnte neuerdings ergänzen: „… oder in zivilen Amtsstuben nach Art. 35 (1) GG.“
„113. Zivilkleidung darf im Dienst nur mit Genehmigung der bzw. des Disziplinarvorgesetzten getragen werden. Auf Antrag einer schwangeren Soldatin ist das Tragen von Zivilkleidung von der bzw. dem nächsten Disziplinarvorgesetzten zu genehmigen.“ Also: Es darf Zivil getragen werden, wenn es befohlen wird.
Es bleibt das Geheimnis der Bundeswehrführung, warum Soldat*innen in der kommunalen Verwaltung ihre ungewohnte sensible Arbeit mit Zivilist*innen besser im Feldanzug erledigen können sollten als in Zivil. Image-Werbung ist eben wichtiger.
Nikolas Löbels zivile Gesellschaft
Für Nikolas Löbel MdB, Obmann seiner CDU-Fraktion im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, ist dies kein Problem. Auf die Frage im Gemeinderats-Hauptausschuss vom 20.10.20 aus der LI.PAR.Tie-Fraktion, ob die Soldat*innen, die am 22.10. im Gesundheitsamt ihren Dienst aufnehmen würden, uniformiert antreten mitten zwischen zivilen Mitarbeiter*innen, und ob das nicht ein Problem sei, polterte das alter ego von Löbel (oder militärisch: sein Adjutant), Thomas Hornung: Diese Frage sei „lächerlich und sinnbefreit“.
Auf facebook fand dann Löbel nach seinen anstrengenden Wochen vor der Nominierung als Bundestagsdirektkandidat wieder zur Realsatire zurück: Er postete zur Amtshilfe der Bundeswehr eine Presseerklärung, die hier ausnahmsweise länger zitiert wird:
Staatsbürger in Uniform?
Löbel:
„Das ist eine wertvolle Hilfe bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, und dafür sage ich ganz ausdrücklich: Danke, Bundeswehr.
Löbel fordert die Linksfraktion LieParTie im Gemeinderat dazu auf, sich von der bundesweiten Kampagne der Linken zu distanzieren, die den Einsatz der Bundeswehr in den Gesundheitsämtern zu verhindern versucht bzw. darauf zielt, dass die Soldaten sich nur in Zivil in den städtischen Räumlichkeiten zeigen dürfen. ‚Das ist völliger Quatsch. Denn die Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Dienst. Sie sind Staatsbürger in Uniform, und diese Uniform müssen die Soldaten wegen der Linkspartei bestimmt nicht ausziehen. Wenn die Linke, wie kürzlich im Hauptausschuss des Mannheimer Gemeinderates, angesichts stark steigender Infektionszahlen nichts Besseres zu tun hat, als das Tragen der Uniform der zu Hilfe eilenden Bundeswehrsoldaten zu verurteilen, zeigt die Linke mangelnde Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Corona-Pandemie und ein unmögliches Staatsverständnis‘, so Nikolas Löbel.“
Sein Staatsverständnis offenbart Löbel gleich im Anschluss:
„Als Staatsbürger in Uniform kommen die Bundeswehrsoldaten aus der Mitte der Gesellschaft, und wenn sie nun im Gesundheitsamt ihren wertvollen Dienst verrichten, dann tun sie dies in der Mitte der Gesellschaft. Es gibt überhaupt keinen Grund, sich zu verstecken. Soll Zivilkleidung etwa der neue Tarnanzug der Bundeswehr sein?“
Die Bundeswehr tut ihren Dienst also in der „Mitte der Gesellschaft“. Schöne Aussichten: Es herrscht ja auch Pflegekräftemangel. Und Lehrermangel. Auch ein paar Ingenieure könnte die Stadt noch brauchen. Spötter haben schon die Hoffnung geäußert, das Militär werde sich so zivilisieren und endlich pazifistisch. Dabei handelt es sich um einen schlecht getarnten Versuch, die Gesellschaft ein bisschen zu militarisieren.
A propos „Staatsbürger in Uniform“ – ein Leitbild aus der Zeit des Kalten Krieges, in dem nicht im Ernst an militärische Einsätze der Bundeswehr geglaubt wurde: Lassen wir einen Praktiker sprechen, den Militärhistoriker und Reserveoffizier (aktiv 1990-1994) Erwin Starke, der dem Tagesspiegel und ARD fact in einem Dossier auf die Frage nach dem heutigen Stand des „Staatsbürgers in Uniform“ antwortet:
„Mittlerweile habe ich den Eindruck, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform ist zu einem gleichsam religiösen Dogma geworden. Von Seiten der Bundeswehr wendet man einiges an Mühe auf, um das Prinzip aufrecht zu erhalten. Man will um jeden Preis vermeiden, zuzugeben, dass dem Soldatenberuf eben doch ein besonderes Ethos inne wohnt. Im Grunde wollen wir in Deutschland noch immer keine Soldaten und kein Militär, sondern irgendwie nette Jungs und Mädels, die Sandsäcke schleppen, Brunnen bohren, aber keinesfalls jemanden umbringen, um außenpolitische Interessen durchzusetzen. (…) Dass sich nun die Identität des Soldaten wieder mehr an militärischen Tugenden, zum Beispiel Effektivität, Auftragserfüllung, Tapferkeit undsoweiter orientiert, ist tatsächlich eine Folge des Krieges in Afghanistan. Wenn Sie täglich Ihr Leben riskieren, beschossen werden oder Kameraden verlieren, beziehungsweise selbst töten, dann brauchen Sie einen Sinnhorizont dafür. Und der klassische Begründungssatz aller Soldaten zu allen Zeiten ist eben: Ich mache das, weil es meine Aufgabe, mein Auftrag ist. Weil es befohlen wurde.“
Aber Fragen sind ja für Nikolas Löbel MdB „lächerlich“…
Thomas Trüper