Interview mit Monika-Margret Steger – Die Folgen der Corona-Pandemie für Schauspieler*innen und Theater*schaffende
Das Interview wurde am 08.12.2020 in schriftlicher Form geführt. Für das Kommunalinfo stellte Roland Schuster die Fragen.
KIM: Auf Deiner Website heißt es: Das „Theater geht weiter“. Ironisch gemeint?
Monika-Margret Steger: Nein, das ist keinesfalls ironisch gemeint. Das war und ist mein erklärter Plan seit meiner Selbständigkeit.

(Foto: Nina Urban) Monika-Margret Steger lebt seit dem letzten Jahrtausend in Mannheim. Kommt ursprünglich aus dem Bayrischen Wald. 1988: Studium der Germanistik, Philosophie, Völkerkunde in Marburg an der Lahn Anschließend Schauspielausbildung am Mozarteum Salzburg Seit 1995 unterschiedliche Eigenproduktionen bzw. Soloprogramme 1996 bis 2000 Schauspielerin im Ensemble des Nationaltheaters Mannheim Seit 2001 freischaffend unter anderem am Schauspielhaus Wien, Schauspiel Frankfurt, bei Circularte Basel, Schnawwl Mannheim, Staatstheater Karlsruhe, Stadttheater Heidelberg Im Rahmen von Kultur - Rhein - Neckar e. V. bei Kulturprogrammen in der Region engagiert und seit 25 Jahren beim deutsch-russischen Austauschprogramm QUATTROLOGE Unterrichtet seit 2005 an Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen als Theaterworkshopleiterin Seit 2007 Mitglied der freien Theaterformation Neues EnsemblE (NEE). Ab 2012 Theaterproduktionen mit dem COMMUNITYArtCENTERMannheim Mitorganisatorin bei BUNTE VIELFALT GEGEN VÖLKISCHE EINFALT Inszeniert und spielt unter anderem am Zimmertheater Speyer. Macht seit 2017 Musik mit den MONIMATES.
Ich habe die Mehrdeutigkeit des Wortes „weitergehen“ gemeint … über sich hinausgehen, auch mit anderen Kunstsparten kooperieren, auch Theater-Workshops zu machen und da in ganz andere Bereiche zu gehen (Kindergärten, Schulen, Erwachsenenbildung), weitergehen innerhalb der Theaterstückerarbeitung, auch mal die Seiten zu wechseln – in meinem Falle: Regie zu machen, Texte zu recherchieren (dramaturgische Arbeit), Musik zu machen und das mit meiner Theaterarbeit zu kombinieren, weitergehen auch bei meinen Soloprojekten … an ganz andere Orte zu gehen … auf dem Dachboden, im Kirchturm, im Keller zu spielen … und immer wieder: in der Beschäftigung mit neuen Themen, über sich selbst rauswachsen … weitergehen auch in der Aneignung neuer Meinungen, politischer Ideen, in meiner Diskussionskultur, …
… und als Freiberuflerin, muss man an die Möglichkeit des Weitergehens sowieso glauben, sonst würde man ja völlig verzweifeln, wenn mal zu wenig Leute kommen, sich Vorstellungen schlecht verkaufen oder ein Anschlussengagement gerade nicht in Sicht ist …
Jetzt gerade ist es eine Überlebensstrategie für mich, daran zu glauben, dass es weiterhin Theater geben wird, im Sinne von, dass es weitergehen wird … nach wie vor bin ich überzeugt von der Macht unmittelbarer Begegnung.
An meinem Badezimmerspiegel hängt ein Spruch „Morgens Zirkus – Abends Theater“ das ist schon eher ironisch gemeint – aber trotzdem sehr wahr.
KIM: In Folge der Corona-Pandemie sind viele Maßnahmen, die das künstlerische Gewerbe stark betroffen haben. Welche Konsequenzen hat das für dich?
Monika-Margret Steger: Mannigfaltige Folgen. Mittlerweile habe ich den Eindruck, allmählich wird es auch langweilig für die Leute, das immer wieder zu hören … ja, alle meine Vorstellungen bis Juli 2020 wurden abgesagt.
Wir konnten die Stücke, zum Beispiel am Zimmertheater Speyer, nicht mehr spielen. Eines davon hatte gerade frisch Premiere und wäre fast an jedem Wochenende auf dem Spielplan gestanden.
Alle Ideen, wie „Wir spielen im Sommer bei den Heppenheimer Festspielen!“ waren nicht zu verwirklichen.
Als es dann im September wieder losging, kamen zur ersten Premiere in Mannheim am Felina-Theater kaum Leute. Das war extrem bitter.
Meine Workshop-Arbeit an einer Heidelberger Schule fiel flach und damit die ursprünglich geplante Premiere im Dezember.
Unsere Proben für ein Stück des CommunityArtCentersMannheim, welche wir im März abbrechen mussten, wurden auf Oktober verlegt. Wir haben im Oktober alles „coronakonform“ geprobt und völlig neu erarbeitet … und dann fiel die Premiere dem zweiten Lockdown zum Opfer … daraufhin haben wir uns fürs Internet entscheiden, dort kann man jetzt unsere Arbeit zu diesem Stück unter >> laborarbeit-4-0.de/ anschauen.
Mich persönlich befriedigt aber die Arbeit in diesem Medium bei weitem nicht so sehr, wie das eigentliche Theaterspielen.
Ich sitze oft genug vorm Computer und gehe lieber irgendwohin und spreche Leute gerne persönlich, nachdem sie gespielt haben.
Und umgekehrt höre ich mir auch lieber Kommentare live an, als sie zu lesen oder Likes zu kontrollieren.
Auch in der Workshop-Arbeit habe ich versucht mit Meetings via Internet zu arbeiten – aber ich finde das extrem unbefriedigend. Ich bin ein sehr körperlicher Mensch und mir fehlt der Körperkontakt sehr.
Unsere Eigenproduktion „Superspreading Love“ konnten wir gerade noch vor dem Lockdown einmal spielen … mit Schnelltest vor der Aufführung, da mein Kollege (Björn Klumpp) Trompete spielt und wir kein Risiko eingehen wollten … bis fünf Stunden vor der Aufführung, wusste ich nicht, ob wir nun auf die Bühne können oder nicht.
Aber ich möchte auch nicht die positiven Aspekte außen vor lassen:
Die Situation der Ungewissheit, der Um- und Neuorientierung betrifft viele Menschen und ich habe eigentlich großes Glück:
Ich lebe in einem sozialen Umfeld, das von Anfang an hilfsbereit, nachfragend, solidarisch agiert hat.
Wir haben einander bei den Anträgen geholfen, Infomails weitergeleitet, miteinander telefoniert und einander unterstützt.
Außerdem habe ich angefangen, viel mehr Musik zu machen als vorher und das hat mein Leben sehr bereichert.

Monika-Margret Steger in schauspielerischer Aktion (Foto: Hans Jörg Michel)
Wir fanden Zeit, auch im Garten eines Pflegeheims zu spielen und konnten bei Kundgebungen mitmachen. Das war ein großer Gewinn.
Ich habe auch Solidarität seitens künstlerischer Institutionen erfahren (im Zimmertheater Speyer, im Felina-Areal und selbst seitens der Schulleitung an der Schule, an der ich Theaterworkshops gebe).
Dass es dieses soziale Netzwerk gibt, hängt unmittelbar mit meiner künstlerischen Arbeit zusammen – und das macht mich sehr glücklich und bestätigt mich, diesen Weg trotzdem weiter zu gehen.
Eben: Das Theater geht weiter!
Gerade künstlerische Freiberuflichkeit wurde in den letzten Jahrzehnten mitunter als Vorbild missbraucht, um neoliberale Arbeitswelten zu fördern. Ich finde, das ist eine große Gefahr. Nicht jeder Mensch kommt mit Projektarbeit, unsicheren Arbeits- und Lohnverhältnissen und mit partiellen Auszeiten klar.
Aber ich fände toll, wenn dieses soziale Netzwerk und die Solidarität Vorbildfunktion für andere Berufe hätte!
KIM: Und welche Konsequenzen haben diese Maßnahmen für die Kulturbranche im Allgemeinen? Kann man das überhaupt verallgemeinern?
Monika-Margret Steger: Zuerst zur zweiten Frage, ob man das verallgemeinern kann. Ja und Nein.
Nein, weil es grundsätzlich unterschiedliche Erfahrungen gibt: Manche von uns haben extremen Stress erlebt, weil sie während des Lockdowns wie verrückt nach neuen Möglichkeiten gesucht haben, z.B. um ein Theater zu erhalten, Streams zu erarbeiten, neue Arbeitsmöglichkeiten zu finden – andere haben tatsächlich ein „Rauskatapultiertsein“ erfahren, das sie völlig entschleunigt hat und zu durchaus angenehmen neuen Erfahrungen geführt hat.
Da sind die daraus entstandenen Konsequenzen zum Teil natürlich völlig entgegen gesetzt.
Ansonsten:
Meine große Sorge ist, wie es insgesamt weitergehen wird und was alles wegbrechen wird. Das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen und da kriechen bei mir – trotz einer grundsätzlich positiven Lebenseinstellung – schon Ängste hoch.
Ich denke auch an KünstlerInnen, die sich jahrelang über Wasser gehalten haben nur durch Auftritte – ja, die gibt es tatsächlich! – … wenn die nicht mehr spielen können, dann gibt es nicht unbedingt immer die Möglichkeit Soforthilfe zu beantragen. Viel KünstlerInnen haben keine SteuerberaterIn zur Hand, die zum Beispiel die Hilfe ab Sommer 2020 für sie abrufen hätte können.
Aber das Finanzielle ist nicht das einzige. Die Verlagerung des Theaterlebens ins Internet ist auf die Dauer keine Alternative und manche können sich diese technische Möglichkeit leisten und manche eben nicht – da geht auch eine ganze Menge an künstlerischer Arbeit einfach verloren.
Mir kommt das immer wie so eine Art Artensterben vor, das über lange Zeit niemand so richtig ernst nimmt … was macht es schon aus, ob 100 Blumenarten plötzlich nicht mehr da sind, ob bestimmte Insekten aussterben, es gibt doch soooo viele … aber es macht eben doch etwas aus: Vielfalt, Unterschiedlichkeit ist eine unglaublich wichtige Komponente in der kulturellen Arbeit.
Und auch wenn manche Kunst nur von wenigen wahrgenommen wird, macht das die Kunst nicht weniger wertvoll.
KIM: Die Kulturschaffenden fühlen sich, so ist der Eindruck, oft von der Politik im Stich gelassen werden. Während manche andere Branchen als „systemrelevant“ eingeordnet werden, gehörst du einer Branche an, die offiziell „der Unterhaltung“ dient, und damit auch wieder von den neuerlichen Lockdown-Maßnahmen betroffen ist. Ist das gerecht und nachvollziehbar?
Monika-Margret Steger: Klar sage ich jetzt: das ist ungerecht und nicht nachvollziehbar.
Aber dazu muss man mehr erklären.
Grundsätzlich ist es logisch, dass es in einer Gesellschaft „Branchen“ gibt, die zunächst einmal wichtiger erscheinen … natürlich wollen wir, dass wir zuerst zu essen und zu trinken haben und dass unsere gesundheitliche Grundversorgung sicher gestellt ist.
Aber klar ist auch, dass mit dem Begriff „Gesellschaft“ immer mehr einhergeht, deshalb nervt mich dieses Attribut „systemrelevant“, weil es oft verwendet wird, ohne darüber zu diskutieren von welchem „System“ wir denn gerade sprechen.
Sprechen wir von der „Wirtschaftsform“ oder sprechen wir von einem „Gesellschaftssystem“ und meinen damit soziale und / oder politische Verhältnisse.
Wenn sich der Diskurs nur innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform bewegt, werden andere Teile der Gesellschaft als „systemrelevant“ benannt werden, als bei einem Diskurs, der Gesellschaft nicht nur als Ergebnis einer bestimmten Wirtschaftsform definiert.
Kapitalistisch gesehen geht es auch bei der Kunst in erster Linie um Rentabilität.
Bezogen auf das soziale Miteinander oder auf einen demokratischen Diskurs kann „Rentabilität“ nicht als Parameter dienen, um zu beurteilen, was relevant bzw. nicht relevant ist.
Wenn ich durch Kunst zum Beispiel politisiert werde, ist das finanziell nicht unbedingt rentabel, aber für das soziale Gemeinwesen rentiert sich meine Politisierung, gerade weil ich vielleicht nicht mehr nur Profit orientiert agiere, sondern nach anderen Lebensformen suche.
Dass es die Idee zu einem Lockdown gibt, kann ich nachvollziehen. Gut, lasst uns das mal machen und alle atmen durch und bleiben mal zu Hause, schlafen viel und tun was für ihre Immunabwehr.
Aber darum scheint es nicht zu gehen, sondern mein Eindruck ist, die Schließung der Theater und sonstigen Kulturinstitutionen sollte so etwas wie ein Symbol sein … „Achtung, man muss vorsichtig sein!“ … und von der Seite der Kunst- und Kulturszene war am wenigsten Widerstand zu erwarten … und dort, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist, wird der Schnitt gemacht.
Dabei habe ich nirgends so einen konsequenten Umgang mit Corona-Bestimmungen erlebt wie an den Theatern.
Nach wie vor bin ich überzeugt: im (z.B.) Bekleidungsladen TK Maxx kann man sich schneller anstecken, als in den ganzen Theatern, in denen ich nach dem ersten Lockdown war.
Das tatsächlich notwendige Innehalten findet in Wahrheit nicht statt – das Weihnachtsgeschäft soll laufen, wegen „der Arbeit“ darf man auch immer irgendwohin fahren, Ausgangssperren nicht berücksichtigen und mehr Leute treffen, als es gerade vielleicht gut ist … das ist geradezu absurd. Und die Kunstschaffenden, die sich vielleicht auch unter anderem darüber kritisch einen Kopf machen und Anstöße zum Innehalten geben, sind zum Stillhalten gezwungen. Das ärgert mich sehr.
KIM: Es gab und gibt ja auch Hilfen für Kulturschaffende, Soloselbständige usw. – was gibt es da, was kommt da an?
Monika-Margret Steger: Zunächst möchte ich anmerken, dass Angestellte in Firmen einfach Kurzarbeitergeld erhielten. Punkt. Da musste kein Antrag gestellt werden. Das war selbstverständlich.
Die erste Soforthilfe im März / April hat in meinen Kreisen, die ich kenne, gut gegriffen. Wir haben auch Beratung via Infomails seitens des LaFT BW (Landesverband freier Tanz- und Theaterschaffender Ba-Wü) erhalten und unsere Anträge zum Teil gegenseitig Korrektur gelesen.
Die zweite Hilfe war schon schwieriger, man brauchte eine / einen Steuerberater / Steuerberaterin für den Antrag und nicht alle freischaffenden KünstlerInnen geben ihre Steuererklärung über ein Steuerbüro ab.
Außerdem waren die Referenzmonate so gewählt, dass man schnell durchfallen konnte. Ich hatte im Monat März und April zum Beispiel zu viele Einnahmen aufgrund der Bezahlung eines Auftrags aus Januar und Februar. März und April waren aber die Referenzmonate. Gleichzeitig hatte ich dann aber im Mai, Juni, August und September keinerlei Einnahmen und die Spieltermine im März und April fielen alle weg. Aber das wurde nicht berücksichtigt. Ich konnte also die zweite Hilfe nicht beantragen.
Ich verstehe nicht, warum man bei den Soloselbständigen nicht von Anfang an als Referenz den Jahresverdienst genommen hat. Das hat für mich auch mit Ignoranz zu tun und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass hier Hilfe absichtlich schwer gemacht werden soll.
Zum Glück gab es seitens der Kulturstiftung des Bundes eine Ausschreibung „Reload – Kunst nach Corona“, in der wir uns zusammen mit SpielerInnen des Zimmertheaters Speyer für ein Stipendium beworben haben. Das hat geklappt und dadurch haben wir alle Geld bekommen.
Allerdings ist der Haken an der Sache, dass wir uns jetzt kaum mehr treffen können und auch nicht recht wissen, wohin wir mit unseren Ideen … und das ist eigentlich symptomatisch für diese Situation: Es geht nicht nur ums Geld!
Wir würden gerne proben, spielen, aufführen, das ist das, warum wir das machen und es ist nicht abzusehen, wann das wieder möglich ist. Das macht auf die Dauer ganz schön mürbe.
Zu den sonstigen Fördermaßnahmen, Unterstützungsprogrammen usw. möchte ich noch anmerken, dass auch KollegInnen von mir moniert haben, wie schwer es war und ist, sich im Dschungel zurecht zu finden. Manchmal wirkt es ein bisschen so, als würden sich die Förderungen absichtlich verstecken, um nur ja nicht zu schnell gefunden zu werden.
KIM: Wie ist die Situation für die Künstler*innen in Mannheim? Gibt es ein interessiertes und offenes Ohr seitens der Verwaltung?
Monika-Margret Steger: Dazu kann ich im Moment nichts aus persönlicher Erfahrung sagen. ich habe in Mannheim in diesem Jahr keinen Antrag gestellt und somit auch im Moment keinen Kontakt zur Verwaltung.
Generell denke ich aber, dass man in den Kommunen in den kommenden Jahren ganz neu über Fördermittelvergaben nachdenken muss.
Grundsätzlich ist ja eine Kulturszene gerne gesehen, die „nach außen“ leuchtet, die Städte oder gar eine Metropolregion nach außen hin attraktiv macht, die „vielversprechende“ KünstlerInnen an sich bindet, die freie Kunst auf hohem Niveau unterstützt, innovativ ist usw.
Aber gerade jetzt – so glaube ich – brauchen wir auch eine Art „Kulturerhaltung“.
Es muss sicher gestellt sein, dass die Spielstätten überhaupt überleben können, die ja im Moment keinen normalen Spielbetrieb mehr aufrecht erhalten können, die teilweise nur Plätze für 15 Leute anbieten können, usw.
Viele von uns treten bei den unterschiedlichsten Formaten auf, die jetzt alle wegfallen (z.B. Kultur am Neckar, Nachtwandel, Lichtmeile) … welche Alternativen wird es da geben?
Eine lebendige Kulturszene lebt von Nischen, Untergrundformaten, Abseitigem, das darf nicht verschwinden und ich hoffe, dass es da Förderformate geben wird, die auch auffindbar sind.
KIM: Kannst du einschätzen, ob und wieviel der Künstler*innen auf Grund der Corona-Pandemie und der Maßnahmen, ökonomisch gesehen letztlich auf der Strecke bleiben, oder wird sich die Branche erholen?
Monika-Margret Steger: Als Mitglied der Fachjury „Theater und Tanz“ am Kulturamt Stuttgart hatte ich den Eindruck, als mache sich auch in den Förderanträgen, zum Teil die Sorge bemerkbar, dass man gar nicht einschätzen kann, wie überhaupt alles weitergehen wird. Konzeptionsanträge (Anträge auf längerfristige Förderung eines Projekts) wurden zum Beispiel nur zwei vorgelegt – als würden sich längerfristige Planungen gerade unangebracht anfühlen.
Die Ablehnung „kleinerer Projekte“ kam mir in diesem Jahr viel schlimmer vor, da ich mich bei allen AntragstellerInnen immer gefragt habe, von was diese leben werden, wenn sie diese Fördermittel jetzt nicht erhalten.
Werden sie künstlerisch überhaupt überleben?
Ansonsten kann ich noch meine Ängste und Hoffnungen benennen:
Angst habe ich, dass viele von uns sich jetzt erst mal nicht trauen, große Projekte zu planen.
Die Erfahrung der Verschiebungen, des immer neuen Anlaufversuchs, der geplatzten Pläne, des zögerlichen Publikums, das ständige Mitbedenken neuester Corona-Maßnahmen – all das steckt ganz schön in den Knochen.
Ich persönlich stelle bei allen kreativen Gedanken meinerseits eine ständige Bremse im Kopf fest.
Und natürlich habe ich auch Sorge vor einer wirtschaftlichen Krise, die sich letztlich in gekürzten Fördermitteln etc. bemerkbar machen könnte.
Andrerseits habe ich viele neue Sachen in der Zeit des ersten Lockdowns gemacht und ich hatte noch nie so einen verhältnismäßig ruhigen Dezember wie in diesem Jahr … das ist auch eine ganz wichtige Erfahrung, die ich nicht missen möchte.
Ich denke viel darüber nach, inwiefern auch ich selbst in dem „schneller-höher-weiter“ Credo gefangen bin.
Vielleicht muss ich gar nicht so viel produzieren … das wäre eine tolle Vision, dass sich „die Branche“ erholt, indem sie ganz gechillt wird und voller Zuversicht in die Zukunft schaut.
Und alles was passiert, als Möglichkeit begreift, sich neu zu orientieren – wenn nötig auch mir der nötigen Langsamkeit und Behutsamkeit.
Sich das zu trauen, ist in dem Moment schwer, in dem ich mich einem „System“ gegenüber stehen sehe, dass mir vermittelt, wenn ich nicht schnell und laut genug schreie, bin ich auch ganz schnell weg vom Fenster.
Manchmal traue ich mich gar nicht zu sagen, dass es mir im Moment gut geht, weil ich Angst habe, dass das Ergebnis sein könnte, dass Mittel gekürzt werden.
KIM: Wird sich die Branche durch Corona verändern?
Monika-Margret Steger: Die Branche wird sich genau so verändern – nehme ich an – wie sich die gesamte Gesellschaft verändern wird.
Ich hoffe, dass es weiterhin Nischen geben wird.
Dass wir wieder rauskommen aus allen Streams, Webseiten und Zooms und dass Körperarbeit, direkter Kontakt und Begegnung in Gruppen wieder möglich ist.
Meine Vorstellung von dieser Situation ist dann immer, dass ich sehr dankbar wäre – wie nach einer langen Krankheit, wenn man das erste Mal wieder spazieren gehen kann.
Wenn ich ein Theaterstück erarbeite, beginnt alles immer mit der Vorstellung, mit einer Idee, mit Assoziationen, die ich in mir bewege, die ich aufschreibe, formuliere … vielleicht müssen wir unsere Wünsche und Assoziationen sehr ernst nehmen, damit sie sich verwirklichen können.
Ich würde mir wünschen, dass die kritische Selbstbefragung, die ich als ganz wesentlichen künstlerischen Vorgang erachte, viral um sich greift und diese gesamte Gesellschaft befällt.
Gerne beteilige ich mich dann in „meiner Branche“ an der Erarbeitung von Utopien, wie eine gesündere Welt von morgen aussehen könnte.
KIM: In Mannheim gibt es das „Bündnis Kulturschaffender Mannheims“, die auch einen eigenen Facebook-Auftritt haben und verschiedene Protestaktionen organisiert haben. Wichtig für dich?
Monika-Margret Steger: Ich war im Juli bei der ersten Demo dabei. Im Oktober hatten meine Tochter und mein Freund am Tag der Demo im Pfalzbau in Ludwigshafen Premiere, deshalb war ich nicht auf der Demo.
Klar find ich den Zusammenschluss wichtig.
Was mich im Juli übrigens bewegt hat auf die Demo zu gehen war, dass ich bevor ich mich 1991 entschloss, Schauspiel zu studieren ein halbes Jahr fast täglich nachts tanzen war … deshalb ist der Ausdruck „Ein DJ hat mein Leben gerettet“ – das war ein Plakat auf der Demo – für mich durchaus zutreffend.
Die Tatsache, dass diese Orte wegbrechen, eingehen, untergehen ist für die ganze sonstige künstlerische Arbeit verheerend.
„Freizeitverhalten“ in Form von Festivals, Tanz, Kunst, Theater, Ausgelassenheit ist mehr als nur „Freizeitkultur“ – es ist auch eine Art der Subkultur, die nicht verloren gehen darf, weil sie Nährboden für alle weitere Kultur ist.