Landtag: Mannheim hat gewählt – grüne Welle, schwarzes Loch
Die Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg hat in Mannheim wie im ganzen Land einen weiteren Aufstieg der Grünen erbracht, einen weiteren Abstieg der SPD und eine weitere Talfahrt der CDU. Die AfD, der bundesweite Schreck der Wahl vor 5 Jahren mit dem Direktmandat im Mannheimer einst roten Norden ist auf die Hälfte zusammengekracht. Bei Grünen, SPD und CDU ist das Wahlergebnis die Fortsetzung eines langjährigen Trends. Natürlich hat bei der CDU das Platzen der Löbelschen Seifenblase und seine allzu große „Wirtschaftsnähe“ gerade auch in gutbürgerlichen Kreisen zur strafenden Abwendung geführt – so will man sich dann doch nicht (vertreten) sehen.
Infratest Dimap hat eine Trendlinie von CDU und SPD gemeinsam für die letzten 4 Landtagswahlen landesweit veröffentlicht:
Die Ergebnisse in Mannheim stehen für eine große Universitätsstadt. Ginge es nach den Ergebnissen in Mannheim, wäre eine Grün-rot-rote Landesregierung denkbar, selbst eine knappe Mehrheit aus Grünen und SPD. Auch DIE LINKE wäre im Landtag. Tatsächlich scheint deren Zielerreichung noch in weiter Ferne. Es gibt eben einen starken Unterschied zwischen den Uni-Städten und der Fläche. Die LINKE hat sich in Mannheim von 4,7% (2011) über 4,8% (2016) auf 5,8% bei der jetzigen Wahl gesteigert, immerhin eine Zunahme um 19% (manchmal sollte man sich die tatsächlichen prozentualen Entwicklungen vergegenwärtigen und nicht nur die Prozentpunkte betrachten).
Das rechtpopulistisch-rechtsextreme / faschistische Lager in Mannheim (die Angaben in der folgenden Tabelle beziehen sich auf die Gesamtstadt mit Wahlkreisen 35 und 36) hat eine erfreuliche Höllenfahrt seit der letzten Wahl 2016 hingelegt: Von zusammengerechnet 20,3% (AfD, ALFA, NPD und REP) auf jetzt 9,9%. In absoluten Zahlen liegt der Stimmenschwund der AfD etwa in der Größenordnung des Rückgangs der Zahl der Wählenden in 2021. Auch die Wählerwanderungsberechnung von Infratest (ARD Tagesschau) weist einen großen Strom einstiger AfD-Wählender in das Nichtwähler-Lager aus. Man ist offenbar enttäuscht über „Leistungen“ der AfD im Landtag. Das darf freilich nicht missverstanden werden als Sinken der rechtsradikalen Gefahr. Im Gegenteil könnte diese Entwicklung weitere Täter hervorbringen, die eben mit Taten voranstürmen wollen. Im Übrigen darf man nicht übersehen, dass die AfD in fünf Stadtteilen geschafft hat, was der CDU in keinem einzigen mehr gelungen ist: dort stärkste Kraft zu sein, z.B. in Schönau Nord mit 30,4%.
Bemerkenswert ist, dass die Pandemie nicht zur Stärkung der AfD geführt hat (die sich ja sehr um den Kern der Leugner und Verschwörungsschwurbler bemüht hatte). Auch die beiden Neugründungen aus dieser Szene (W2020 ursprünglich von Schiffmann gegründet, und „die basis“ für den etwas feineren Geschmack und das gebildete Leugner-Publikum) haben zusammen nur 1,3% erhalten.
Unter den Neugründungen gibt es auch dem fortschrittlichen Lager zuzurechnende Parteien: KlimalisteBW und Volt. Die Klimaliste sah sich genötigt, extra darauf hinzuweisen, dass sie nicht die Partei der Fridays for Future sei um sich keiner Partei-Übergriffigkeit auf die Bewegung schuldig zu machen. Volt hat ein dezidiert pro-europäisches Programm mit viel Umweltschutz, technologischer Innovation, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Zusammen kamen sie in Mannheim auf 2,5% – die Grünen konnten es verkraften. Ja, und die PARTEI hat um die Hälfte zugenommen von 1,3 auf 2%. Sie prangert Machismo und Rassismus an, tritt für Menschen- und Bürger*innenrechte ein und hält dem Parlamentarismus bzw. den Volksvertreter*innen in ihren teils üblen Erscheinungsformen den Spiegel vor – am besten selbst aus komfortablen Parlamentssitzen heraus. Sie ist streng mit sich selbst und zwingt sich rigide zu andauernden Satirebemühungen.
Im Gegensatz zu Rheinland-Pfalz haben es die Freien Wähler nicht in den Landtag geschafft. In Mannheim kamen sie auf 2,5%. Die Personen-Wählervereinigung Mannheimer Liste war sich hier nicht einig im Schritt zur landesweiten Parteiwerdung. Sie hat sicherlich einigen CDU-Flüchtlingen Asyl geboten. Die FDP, eine normalerweise dramatische Hoch- und Runter-Partei hat 112 Stimmen hinzugewonnen. Das nennt man stabil.
Was in diesem Beitrag nicht geleistet werden kann, ist der Blick auf einzelne Stadtteil- und einzelne Wahllokal-Ergebnisse, der deutlich werden ließe, wie unterschiedlich und vielfältig die einzelnen Stadtquartiere und die Interessen ihrer Bewohner*innen sind, wie sehr die Wahlbeteiligung schwankt und auch: wie viele Menschen gar nicht an der Wahl teilnehmen dürfen, weil sie zwar einen deutschen Lebensmittelpunkt aber keinen deutschen Pass haben.
Fragt man sich abschließend: Erleichtert das Wahlergebnis die Durchsetzung von Forderungen der sozialen Gerechtigkeit? So wird man keine schnelle Antwort finden. Die Grünen in Mannheim sind nicht unbedingt zu vergleichen mit denen im weiten und breiten Ländle. Die Regierungspartei von Kretschmann hatte fünf Jahre Zeit mit der SPD Vernünftiges zu tun, und heraus kam der Tanz um die schwarze Null und der Verkauf öffentlicher Wohnungen. Mit der CDU zusammen gab es keine signifikanten Fortschritte in Sachen Bildungsgerechtigkeit. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau fand in keiner Weise ausreichend statt. Und auf einen Landesaufnahmeplan für Geflüchtete wenigstens aus den katastrophalen griechischen Insel-Lagern und von den Grenzlagern der „Balkan-Route“ wartet man bis heute vergebens. Vollkommen offen ist der Weg aus der Pandemiekrise hinsichtlich der Lastenverteilung. Gleiches gilt auch für die notwendigen ökologischen Umbaumaßnahmen, Energie- und Verkehrswende. Alles in allem: Nach dem Wahlkampf muss der Kampf weitergehen.
Thomas Trüper