Wohnungspolitischer Diskurs (2): Patric Liebscher (Grüne): Entgegnung auf den Beitrag von Isabel Cademartori (SPD)

Isabel Cademartori stellt in ihrem Gastartikel „Schaffung von neuem Wohnraum ist nötig – unter Einhaltung der Klimaziele auch möglich“ vom 30. Juni 2021 die wohnungspolitischen Probleme einseitig dar und verschleiert die Rolle ihrer eigenen Partei dabei. Die Vorwürfe an die GRÜNEN sind dabei wohlfeil und ein Vorgeschmack auf die kommenden Wahlkämpfe. Auch auf den OB-Wahlkampf, für den meine Partei voraussichtlich mit einem eigenen Kandidaten oder einer eigenen Kandidatin antreten wird.

Aber von Anfang an: Eigentlich hatte und hat Mannheim eine gute Ausgangssituation: Die Stadt hat die GBG als kommunale Wohnungsbaugesellschaft nie privatisiert. Die GBG hält in Mannheim fast 20.000 größtenteils günstige Mietwohnungen, die sich auch dämpfend auf den Mietenspiegel auswirken. Gleichzeitig hat Mannheim hohe Sozialausgaben zu leisten. Vor ca. 10 Jahren waren die Mieten in Mannheim auch noch eher moderat. Was lag also näher als Gutverdiener in die Stadt zu locken, um hier das Steuersäckel aufzubessern? Das ist ja auch noch eines der strategischen Ziele der Stadt: Sie für gut qualifizierte Kräfte attraktiv zu machen. Und das ist im Grundsatz auch nicht falsch – wenn man auch an anderen Stellschrauben dreht.

Aber der Reihe nach: Die Stadt favorisierte unter Oberbürgermeister Kurz und Baubürgermeister Quast bei Neubauprojekten zunehmend hochpreisigen Wohnraum. So im Glücksteinquartier, in den Innenstadtquadraten Q6/Q7 und T7 [gemeint ist T4/T5; Re.], im neuen Kepler-Quartier am Hauptbahnhof oder auf den Turley-Konversionsflächen. Außerdem baute jetzt sogar die GBG teure Wohnungen. Kalkül der Stadtspitze war offenbar, dass Gutverdiener*innen verstärkt nach Mannheim gelockt werden sollten und die städtische GBG auch ein Stück vom Kuchen abbekommen sollte. Dazu kamen in diesem Zeitraum noch zwei andere Entwicklungen: Mannheim wurde als Stadt zunehmend attraktiver und interessanter. Die vormals angeblich graue Industriestadt mauserte sich. In Q6/Q7 entstand ein attraktives Einkaufszentrum. Das Nationaltheater wurde überraschend mit einem vergleichsweise geringen Budget Opernhaus des Jahres, der vorher etwas schmuddelige Jungbusch wurde ein hippes Ausgehviertel, auf dem Lindenhof entstand mit dem Glücksteinquartier ein ganz neues, schickes Stadtquartier. Andererseits kam es bereits 2006/2007 zur Finanzkrise. Danach hielt die EZB die Zinsen niedrig, um den Wideraufbau der darniederliegenden Wirtschaft in Südeuropa nicht zu gefährden. Die Anleger*innen flüchteten sich deshalb in Aktien und – Betongold. Internationale Investoren wie Pensionsfonds investierten auch in Deutschland gezielt in Innenstadtimmobilien, um gute Renditen zu erzielen.

All dies führte in Mannheim dazu, dass die Mieten spürbar anzogen. Deshalb beschlossen die fortschrittlichen Parteien in Mannheim 2018 mit ihrer Mehrheit im Gemeinderat das sog. 12-Punkte-Programm zur kommunalen Wohnungspolitik in Mannheim. Kernpunkt ist die 30 %-Quote, die besagt, dass in neuen Baugebieten bei größeren Mietshäusern mindestens 30 % der Wohnungen günstig, also zu einer Kaltmiete von maximal 7,50 €/m² angeboten werden müssen. Das Problem ist, dass ein Großteil der neueren Wohngebiete – vor allem auf den Konversionsflächen – nicht mehr unter die Regelung fällt, weil die entsprechenden Bebauungspläne schon früher beschlossen wurden. Gleichzeitig sind in den letzten 10 Jahren auch in Mannheim über 1.000 Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung gefallen, ohne dass ausreichender Ersatz geschaffen worden wäre.

Die SPD und die von ihr geleiteten Dezernate haben die Probleme auf dem Mannheimer Mietwohnungsmarkt lange geleugnet. Als in Mannheim schon Wohnungsnot herrschte, kam man dort zu dem Ergebnis, dass es in Mannheim keine angespannte Wohnungsmarktsituation gäbe, so dass anfangs auch die Mietpreisbremse nicht griff. 2018 kam eine Voruntersuchung der vom Baudezernat beauftragten SPD-nahen MVV Regioplan zu dem Ergebnis, eine Milieuschutzsatzung für die Neckarstadt-West sei nicht möglich, weil die dort lebende Bevölkerung „nicht schützenswert“ sei. Sie ziehe nämlich zu oft um. Das widersprach schon zu diesem Zeitpunkt der obergerichtlichen Rechtsprechung (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 09. Juli 2014 – 2 E 3/13.N) und ist seit dem Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 26. März 2021 – OVG 2 A 13.19 – überhaupt nicht mehr haltbar. Folge für die Neckarstadt-West: Die Angebots-Mieten sind auf bis 9,- €/m² gestiegen, und das in der angeblichen NoGo-Area Neckarstadt-West. Dennoch stemmten sich der OB und die Seinen bisher mit Macht gegen Milieuschutzsatzungen, die die Grünen mehrfach für von Gentrifizierung betroffenen Stadtteile beantragt haben.

Die Ausführungen von Frau Cademartori lenken von den eigentlichen Problemen in Mannheim ab: Das Land Baden-Württemberg hat inzwischen neue Förderprogramme für sozialen Mietwohnungsbau aufgelegt. In wieweit macht die GBG hiervon Gebrauch? Milieuschutzsatzungen und Zweckentfremdungssatzungen sind Mittel, um gerade in besonders gefragten Stadtteilen den Mietanstieg zu dämpfen. Hierzu hört man von der SPD wenig. Wenigstens scheint sie sich nun endlich zu Zweckentfremdungssatzungen durchringen zu können, nachdem herauskam, dass der inzwischen zurückgetretene CDU-Bundestagsabgeordnete Löbel mit AirBnB-Wohnungen Kasse gemacht hat.  Ansonsten übernimmt Frau Cademartori das konservative Mantra: Bauen, bauen, bauen. Aber wenn wir die letzte Freifläche und die letzte Grünfläche in unserer Stadt zugebaut haben, werden wir merken, dass die Stadt dem Klimawandel nicht entspricht und die Menschen den Hitzewellen nicht mehr standhalten. Tatsache ist: Wir können den Bedarf nicht vollständig durch Neubauten befriedigen, weil wir nur beschränkte Flächen haben und die SPD die wenigen vorhandenen Flächen inzwischen mit teurem Wohnraum hat zubauen lassen. Dafür nun den Grünen als angeblichen Verhinderern die Schuld zuzuschieben, ist – um es mit einem deutschen Wort zu sagen – billig.

An der Otto-Bauder-Anlage haben die SPD und das Baudezernat einfach schlechte Vorarbeiten geleistet und wollten am Ende – auch gegen den Willen des Bezirksbeirats – Grünflächen zubetonieren, obwohl bereits versiegelte Flächen zur Bebauung zur Verfügung standen. Der Pfalzplatz auf dem Lindenhof ist eine der wenigen verbliebenen Freiflächen im am stärksten verdichteten Stadtbezirk Mannheims. Trotzdem hat sich die grüne Stadtratsfraktion hier verhandlungsbereit gezeigt. Frau Cademartori kann sich gern vor Ort ein Bild machen.

Patric Liebscher

Der Autor ist Sprecher der Grünen Lindenhof und Mitglied des Bezirksbeirats Lindenhof. Er hat bei der Kommunalwahl 2019 auf Platz 14 der Liste der Grünen Mannheim kandidiert und u.a. das Thema Wohnungspolitik vertreten. Der Leserbrief stellt seine persönliche Einschätzung dar.