„Sagt ihre Namen!“ – Gedenkkundgebung zwei Jahre nach dem Anschlag von Hanau
Zwei Jahre nach dem Anschlag in der Stadt Hanau, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet wurden, fand am Samstag in Mannheim eine Gedenkkundgebung auf dem Marktplatz statt. An der vom Bündnis Mannheim gegen Rechts organisierten Veranstaltung nahmen etwa 350 Menschen teil.
Bewegende Gedenkveranstaltung auf dem Mannheimer Marktplatz
Sefa Yeter (Mannheim gegen Rechts) und Umut As (DIDF) begrüßten um 17 Uhr und moderierten die Veranstaltung, bei der zahlreiche Redebeiträge gesprochen wurden. Umus As stellte klar, welche Bedrohung von solchen Anschlägen für alle Menschen ausgeht, die ins Täterprofil eines rassistischen Mörders passen. Viele ungeklärte Fragen und die Verbindungen der rechte Szene in die Sicherheitsbehörden verschärften die Bedrohungslage.
Zahra Alibabanezhad Salem, Sprecherin des Migrationsbeirates erinnerte an den Rassismus der 90er Jahre, als ihre Eltern sie aus Angst nicht raus ließen, als CDU Politiker gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mobilisierten und an vielen Orten Flüchtlingsheime angegriffen wurden. Sie appellierte: Diese Jahrzehnte dürfen sich nicht wiederholen! An die Bedeutung der 90er Jahre erinnerte auch Theo Argiantzis vom Stadtjugendring. 1992 hatten auch in Mannheim Bürger*innen eine Flüchtlingsunterkunft angegriffen. Der Vorfall sei aber schon damals verharmlost und heute fast vergessen. „Wir müssen wenigsten mit einer Gedenktafel daran erinnern“, forderte er.
Tanja Hilton von den Omas gegen Rechts berichtete, dass sie zunächst gar nicht wusste, was sie als nicht von Rassismus betroffene Frau überhaupt an solch einem Tag sagen sollte. Als die dann den „Zirkus der Politiker“ in Hanau erlebte, sei ihr klar geworden, was falsch läuft. Bei der offiziellen Gedenkveranstaltung sei die Teilnehmerzahl wegen Corona stark beschränkt gewesen und die Plätze für Politiker reserviert, während Angehören und Freund*innen der Opfer der Zugang zum Friedhof unter Androhung von Platzverweisen verwehrt wurde.
Nicole Amoussou, Aktivistin der Black Lives Matter Bewegung, sagte, dass Rassismus das Grundgesetz in Frage stelle, vor allem, wenn die Taten nicht aufgearbeitet würden. Sie möchte weiter daran glauben, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Weitere Reden gab es von Klaus Dollmann (VVN-BdA Mannheim), Aktivisten der Seebrücke und vom Offenen Antifaschistischen Treffen und von Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei (SPD). Stadträtin Nalan Erol verlas ein Grußwort von Gökay Akbulut (Bundestagsabgeordnete Die Linke), die aus gesundheitlichen Gründen verhindert war.
Die Veranstaltung wurde musikalisch von Ali Ungan begleitet. Rund um die Skulptur auf dem Marktplatz waren Banner und Bilder der Ermordeten aufgehängt, um an ihre Namen und Gesichter zu erinnern. Viele trugen ihre Bilder während der Kundgebung in den Händen.
Die Opfer – say their names!
Gökhan Gültekin arbeitete in der Arena Bar und wurde dort erschossen. Er hatte kurdische Wurzeln. Er wurde 37 Jahre alt.
Sedat Gürbüz war Inhaber der Shisha-Bar Midnight. Dort wurde er erschossen. Er wurde 29 Jahre alt.
Fatih Saraçoğlu hatte eine Firma zu Schädlingsbekämpfung. Er wurde vor der Bar Midnight erschossen. Er wurde 34 Jahre alt.
Said Nesar Hashemi war Maschinen- und Anlagenführer. Seine Familie stammt aus Afghanistan. Er wurde in der Arena Bar erschossen. Er wurde 21 Jahre alt.
Hamza Kurtović wurde in der Arena Bar erschossen. Er arbeitete als Lagerist. Seine Familie kam aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. Er wurde 22 Jahre alt.
Mercedes Kierpacz war eine deutsche Romni. Sie arbeitete in der Arena Bar. Am Tatabend wollte sie dort eigentlich nur Pizza für ihre beiden Kinder abholen und wurde dabei erschossen. Sie wurde 35 Jahre alt.
Ferhat Unvar wurde vor der Arena Bar erschossen. Er war Gas-Wasser-Installateur, schrieb Gedichte und engagierte sich gegen rechts. Er wurde 22 Jahre alt. Seine Mutter gründete nach dem Tod ihres Sohns die „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“.
Kaloyan Velkov war LKW Fahrer und arbeitete in der Bar La Votre. Er hatte einen Sohn. Seine Familie kam aus Bulgarien nach Deutschland. Er starb mit 33 Jahren.
Vili-Viorel Păun bemerkte die Tat, wollte helfen, verfolgte den Täter mit seinem Auto und wählte vergeblich den Notruf. Er wurde schließlich am zweiten Tatort erschossen. Möglicherweise hat er weitere Morde verhindert. Seine Familie kam aus Rumänien. Er wurde 22 Jahre alt.
Der Täter – kein Einzeltäter
Wie kann man eine solch niederträchtige, feige und zutiefst menschenverachtende Tat begehen? Sie macht fassungslos und doch ist es notwendig, sich mit den Motiven des Täters auseinander zu setzen. Nach offiziellen Angaben der Behörden wird der Täter als Einzeltäter eingestuft. Daran gibt es Kritik, da diese Lesart ausblendet, welche Umstände dazu führen, dass sich Menschen derart radikalisieren. Klar ist, niemand radikalisiert sich alleine. Es gehören immer andere dazu, die Hass und Hetze verbreiten, bis es auf fruchtbaren Boden fällt.
Der 43-jährige Täter soll unauffällig bei seinen Eltern in Hanau gelebt haben. Doch Behörden war er wegen rassistischer Äußerungen durchaus bekannt. Er war zum Waffenbesitz berechtigt. Er hörte sich noch kurz vor der Tat Reden der AfD im Internet an, bezeichnete diese Partei aber als nicht radikal genug.
Der Täter hinterließ eine Art Manifest, in dem er seine Tat begründet. Tief sitzender, völkischer Rassismus scheint das wichtigste Motiv gewesen zu sein. Auffällig ist auch ein Verfolgungswahn, der von zahlreichen im Internet verbreiteten Verschwörungstheorien ausgelöst sein dürfte, darunter Mythen zum US-amerikanischen Geheimdienst, Geschichten der QAnon-Anhängerschaft und dem angeblichen „großen Austausch“, einer angeblichen „Umvolkung“, einer Art geplanter biologisch-kultureller Veränderung der Bevölkerung. Auffällig ist zudem ein frauenfeindliches Menschenbild.
Die Kombination Radikalisierung im Internet, Waffenbesitz und psychische Ausnahmesituation dürfte – heruntergebrochen – eine Erklärung der Tat nahe kommen. Das ist erschreckend, denn wir wissen, dass sich sehr viele Menschen im Internet radikalisieren, dass Waffen in der rechte Szene im Umlauf sind und dass seit Beginn der Corona-Pandemie Verschwörungsmythen in Telegram-Kanälen und bei Veranstaltungen der Querdenker-Szene immer mehr Verbreitung finden.
Erinnern heißt verändern
Bereits 2020, kurz nach dem Anschlag, hatte es in Mannheim eine spontane Gedenkkundgebung gegeben. Mannheim gegen Rechts organisierte dann 2021 eine große Veranstaltung zum ersten Jahrestag. Dieses Jahr folgte die Fortsetzung. In mehr als 150 Städten fanden bundesweit Kundgebungen statt. Ob es 2023 wieder dezentrale oder ein großes, gemeinsames Gedenken in Hanau geben wird, hängt auch von der weiteren Pandemieentwicklung ab. In jedem Fall hat sich der 19. Februar als schreckliches Ereignis in das Gedächtnis vor allem der Menschen eingebrannt, die von Rassismus bedroht sind. Wenn wir nächstes Jahr wieder hier stehen, werden wir uns fragen müssen, was wir seitdem verändert haben, sagte Nicola Amoussou in ihrer Rede, denn erinnern heißt verändern.
(Text: cki | Bilder: ak)