Bürgerbeteiligung: Vorschläge für neue Straßennamen in Rheinau-Süd gesucht!
Nachdem der Gemeinderat beschlossen hat, die Umbenennung der historisch belasteten Straßennamen im Stadtteil Rheinau-Süd zu veranlassen, geht es nun in eine aktive Phase der Bürgerbeteiligung. Es werden Vorschläge für die Neubenennung der vier Straßen gesucht. Bis zum 15. Mai kann man sich noch beteiligen.
Rückblick: Seit vielen Jahren gibt es Kritik an den Namen von Straßen im Taufbezirk „Forschungsreisende und Personen des transkulturellen Austauschs“ in Rheinau-Süd. Als besonders kritisch werden die Personen Theodor Leutwein, Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal gesehen. Sie gelten als Vertreter deutscher Kolonialverbrechen und fanden ihre Würdigung in den Zeiten der NS-Herrschaft. Sven Hedin hat nochmals eine Sonderrolle. Der schwedische Forscher gilt als Hitler-Verehrer und Verharmloser des NS-Regimes. Die Stadtverwaltung erläutert zum Taufbezirk:
Bei seiner Gründung wurde er durch die Nationalsozialisten als Taufbezirk der Kolonialpioniere definiert und entwickelte sich ab ca. 1950 zum Taufbezirk für Forschungsreisende. Beide Personengruppen haben (im damaligen Verständnis) neue unbekannte entfernte Gebiete/Kulturen erobert oder erforscht. Der dadurch entstandene Austausch zwischen den eroberten/erforschten Gebieten sowie ihren Kulturen und den Kulturen der „Entdecker“ war von Abgrenzung, Konfrontation und insbesondere bei den Kolonialpionieren von Gewalttätigkeit und rassistischen Vorstellungen geprägt.
Es geht nun um die Namesfindung für die Neubenennung der vier belasteten Straßen. Die Stadtverwaltung hat im Rahmen ihrer Bürgerbeteiligung ein mehrstufiges Verfahren gestartet. Am 30. April 2022 begann Stufe 1, bei der Bürger*innen dazu aufgerufen sind, Vorschläge zu machen.
AK Kolonialgeschichte ruft zur Teilnahme auf
Der AK Kolonialgeschichte Mannheim beteiligte sich von Beginn an der Diskussion und ruft zum Mitmachen bei Stufe 1 der Bürgerbeteiligung auf.
Folgende Personen werden vom AK für die Neubenennung der Straßen vorgeschlagen:
May Ayim (1960-1996)
May Ayim war eine deutsche Dichterin, Pädagogin, Wissenschaftlerin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung. Sie wuchs streng erzogen bei Adoptiveltern auf und erfuhr seit ihrer Kindheit Rassismus. Als Poetin und Logopädin erkannte May Ayim die Gewalt, die sich in und über Sprache ausdrückt. Als Pädagogin und politische Aktivistin setzte sie sich mit dieser Dimension von Gewalt aktiv auseinander. 1986 war Ayim Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland (ISD). Sie entwickelte im Austausch mit anderen schwarzen deutschen Frauen die Selbstbenennung „Afrodeutsch“.
Jacobus Morenga (ca. 1875 – 1907)
Jacobus Morenga war ab Oktober 1904 eine zentrale Gestalt des Aufstands der Nama unter Hendrik Witbooi gegen die Unterdrückung durch die Deutschen Kolonialherren in Südwestafrika (heute Namibia). 1905 gelang es ihm und seinen Truppen im Gefecht von Hartebeestmund, die ‘Deutschen Schutztruppen’ in die Flucht zu schlagen. Bis zu seiner Ermordung 1907 kämpfte er mit strategischer Weitsicht, Mut und moralischer Integrität gegen die entmenschlichte deutsche Kolonialpolitik um die Rechte der indigenen Bevölkerung. Jacobus Morenga genießt bis heute im Süden Afrikas hohes Ansehen als erfolgreicher Guerillakämpfer.
Anna Mungunda (ca.1932 – 1959)
Anna Mungunda ist eine Nationalheldin in Namibia. Heute wird an ihrem Todestag in ganz Namibia an sie erinnert. Ende der 1950er Jahre wurden die Anwohner*innen der Old Location in Windhoek gezwungen, in neue nach rassistischen Kriterien getrennte Vororten zu ziehen. Vor allem die Frauen gingen dagegen auf die Straße. Am 10. Dezember 1959 nahm auch Anna Mungunda an einer Demonstration teil. Bei dem später als Old Location Massacre bezeichneten brutalen Vorgehen des südafrikanischen Apartheidregimes wurden zahlreiche Menschen verletzt oder getötet. Als Anna Mungunda über das Auto eines hochrangigen Beamten Benzin goss, wurde sie erschossen.
Rudolf Manga Bell (1873-1914)
Das Oberhaupt der Duala in Kamerun wurde von der deutschen Kolonialmacht hingerichtet. Rudolf Manga Bell wird im heutigen Kamerun als Märtyrer des Widerstands gegen die deutsche Gewaltherrschaft verehrt. Das Volk der Duala hatte in der Mündungslagune der Kamerunflüsse seit langem Handel mit Europäern betrieben. Während der deutschen Kolonialherrschaft wurden die Duala gewaltsam aus dem Handel gedrängt und in den Ruin getrieben. Rudolf Manga Bell, der fünf Jahre lang in Deutschland zur Schule gegangen und grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit den Deutschen bereit war, setzte sich gegen eine Zwangsumsiedlung und den Entzug der Existenzgrundlagen zur Wehr.
Miriam Makeba (1932 – 2008)
Miriam Makeba, südafrikanische Sängerin und Komponistin, wurde in einem Township bei Johannesburg geboren. In vielsprachigen Songs prangerte sie die Apartheid Südafrikas an, die sie am eigenen Leib erfuhr und wurde als Stimme Afrikas gefeiert. Vor den Vereinten Nationen forderte sie den Boykott Südafrikas, woraufhin sie die Staatsbürgerschaft verlor und in die USA emigrierte. Nach der Heirat mit dem Black-Power-Aktivisten Carmichael wurde sie vom FBI überwacht, verließ die USA und lebte fortan in Guinea. Nach 30 Jahren Exil kehrte sie auf Einladung von Nelson Mandela in ihre Heimat zurück. Makeba wurden viele Ehrungen wie der Grammy Award zuteil.
Theodor Wonja Michael (1925 – 2019)
Theodor Wonja Michael wurde in Berlin als Sohn eines Kameruners und einer Deutschen geboren. Als Kind musste er in Menschenzoos im Baströckchen den „typischer Afrikaner“ spielen. Während der NS-Diktatur schlug er sich u.a. als Komparse in rassistischen Kolonialfilmen durch.1943 wurde er in einem Arbeitslager interniert. Nach 1945 gelang es ihm, ein eigenes Leben aufzubauen. Er studierte und entwickelte sich zum Spezialisten für Afrika. Theodor Michael war der erste schwarze Bundesbeamte im höheren Dienst. Er engagierte sich in der Schwarzen Community in Deutschland. 2018 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Wangari Muta Maathai (1940 – 2011)
Die kenianische Biologin erhielt 2004 als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Frieden und Demokratie. Mit dem Preis wurde sie für ihren couragierten Widerstand gegen das frühere kenianische Regime und als Gründerin des seit 1977 aktiven Green Belt Movement geehrt. Die Idee der Grüngürtel – Bewegung resultiert einerseits aus ihrer Erfahrung mit den Folgen der Bodenerosion aufgrund radikaler Abholzung der üppigen kenianischen Wälder seit der Zeit des Kolonialismus und andrerseits aus der Rückbesinnung auf alte kenianische Methoden der Waldnutzung.
Auf der Webseite der Stadt Mannheim zur Bürgerbeteiligung kann man seine Vorschläge abgeben, andere Vorschläge bewerten und kommentieren. Stand 10. Mai sind schon mehr als 100 Vorschläge abgegeben worden, die sich jedoch vielfach überschneiden. Die Kriterien für umsetzbare Vorschläge sind dort ausführlich aufgelistet. Der AK Kolonialgeschichte weist darauf hin, dass besonders wichtig ist, dass die Person zum Taufbezirk passt („Forschungsreisende und Personen des transkulturellen Austauschs“) und dass es mindestens 50% Frauen sein sollen.
Der nächste Schritt im Bürgerbeteiligungsprozess wird die Abstimmung über die geprüften und umsetzbarer Namensvorschläge sein. Ein Termin ist dazu noch nicht bekannt. Der Gemeinderat wird am Ende das letzte Wort haben und aus der Vorauswahl eine Entscheidung treffen.
Zu den Seiten der Bürgerbeteiligung
Seite der Stadt Mannheim zum Bürgerbeteiligngsprozess: https://www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/dialoge/strassennamen-rheinau-sued
Direkt zur Seite der Namensvorschläge: https://www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/namensvorschlaege-rheinau-sued
Seite des AK Kolonialgeschichte Mannheim: https://kolonialgeschichtema.com
(cki)
Der Beitrag wurde am 10.05.2022 aktualisiert.