Aufklärung des Störfalls im Mühlauhafen: BASF wirft Nebelkerzen
So, jetzt sind die Fässer aus dem havarierten Container im Mühlauhafen sicher und ohne weitere Zwischenfälle Richtung Absender BASF abtransportiert. Dort wird der nicht mehr reaktive Inhalt in einer Abfallaufbereitungsanlage verarbeitet.
Gute Leistung der Feuerwehren
Dass es für die Bevölkerung in Mannheim und Ludwigshafen keine längere oder immer wieder eintretende Belastung mit dem Reizgas Schwefeldioxid gegeben hat, ist in der Tat der Kompetenz der in solchen Angelegenheiten erfahrenen Mannheimer Berufs- und der BASF-Werkfeuerwehr zu verdanken. Die Strategie, den eingetretenen exothermen (Hitzeenergie abgebenden) Zersetzungsprozess des Natriumdithionits in den knapp 200 Fässern durch Wasserkühlung von außen unter Kontrolle zu bringen und „im Gleichgewicht“ zu halten, hat sich als richtig erwiesen. Anderenfalls hätte sich der Zersetzungsprozess exponentiell gesteigert und wäre unbeherrschbar geworden. Also kühlte man den durch Hitze- und Druckeinwirkung ausgebeulten Container von außen, bis die „Öfen“ im Inneren erschöpft waren – acht Tage lang mit über 10.000 m³ Rheinwasser.
Der Aufwand der an der Beherrschung der akuten Gefahrensituation und schließlichen Bergung der Fässer beteiligten Kräfte war außerordentlilch. Erster Bürgermeister Specht, Sicherheitsdezernent in Mannheim (CDU), fasst in der zwölften und zugleich „Abschlusspressemeldung“ am 2. September zusammen:
„An der Kühlung und Öffnung des Containers sowie der Bergung der Fässer waren neben der Berufsfeuerwehr Mannheim und der Freiwilligen Feuerwehren aus Mannheim auch die Werkfeuerwehr der BASF, die Berufsfeuerwehr Ludwigshafen, das THW Mannheim, die Werkfeuerwehr des Karlsruher Institut für Technologie, die Werkfeuerwehr Essity Mannheim, die Berufsfeuerwehr Heidelberg, mehrere Feuerwehren aus dem Rhein-Neckar-Kreis und Hessen sowie Rettungsdienste beteiligt.“ „Insbesondere bei diesen Partnern möchte ich mich für die geleistete Nachbarschaftshilfe bedanken. Der schnelle und unkomplizierte Einsatz über die Stadtgrenzen hinaus unterstreicht, dass wir in der Metropolregion Rhein-Neckar gut vernetzt sind, uns auf die Unterstützung unserer Partner verlassen und Krisen managen können“, wird Specht zitiert.
Staatsanwaltschaft und LKA aktiv
Zuvor stellt Specht dankbar fest: „Die reibungslose Zusammenarbeit insbesondere mit der Polizei, der BASF, der Hafengesellschaft, dem Terminalbetreiber Contargo, der Staatsanwaltschaft und dem LKA hat zu einem erfolgreichen Abschluss des Einsatzes und der Bergung der Fässer geführt.“
Diese Feststellung wirft doch einige Fragen auf: Seit wann sind Staatsanwaltschaft und LKA an Feuerwehr- und Bergungseinsätzen „zusammenarbeitend“ beteiligt? Haben sie nicht ihr eigene und unabhängige Aufgabe zu erfüllen? Wer muss da mit wem zusammenarbeiten? Sicher: Sie dürfen bei einem akuten Noteinsatz nicht im Wege herumstehen. Aber sonst? Man darf erwarten, dass sich die beteiligten Firmen „kooperativ“ verhalten und auch Einblick in den fraglichen Ablauf des Produktversandes geben, Vernehmungen der Beteiligten ohne Behinderungsversuche ermöglichen etc. Wenn nicht, dann wird sich die Staatsanwaltschaft zu helfen wissen – wenn sie das für notwendig erachtet.
In der „Abschlussmeldung“ erwähnt Specht damit erstmals, dass sich die Ermittlungsbehörden inkl. LKA eingeschaltet haben – eigentlich eine Selbstverständlichkeit bei einem Vorfall dieses Ausmaßes mit vorübergehender gesundheitlicher Gefährdung der Bevölkerung. Nun werden diese Behörden ja nur tätig, wenn ein Anfangsverdacht für irgendein schuldhaftes Verhalten vorliegt – von wem auch immer. Aber dass das mglw. Personen sind, die der BASF oder Contargo zuzurechnen sind, ist nun wirklich nicht auszuschließen.
Specht behandelte den Vorfall in dem gleichen Sinn wie die Pressestelle der BASF: „Ein bedauerlicher Vorfall“ und „wir werden daraus lernen und unsere Verfahren optimieren“.
Dass die BASF oder auch Contargo möglicherweise lernen müssen, schlichte gesetzliche Regelungen und technische Standards einzuhalten, um niemanden zu gefährden, dass also möglicherweise die Vertrer:innen dieser beiden Firmen in den Status von unter Verdacht stehenden Personen rutschen, scheint Specht nicht in den Sinn zu kommen. Oder warum lädt er Frau Linda von dem Bussche, Leiterin Sicherheit und Umwelt der BASF, zu seinen zwei Pressekonferenzen ein? Als ihr Fragen zum Stand der Ermittlungen und über erste gewonnene Erkenntnisse gestellt wurden, beeilte er sich, der fragenden Pressevertreterin mitzuteilen, dass Frau von dem Bussche hierzu nichts sagen könne, weil ja noch die Ermittlungen laufen. Richtig und notwendig war es, die beiden Feuerwehrkommandanten der Stadt Mannheim und der BASF auf die Pressekonferenz mitzubringen. Sie standen für die sichernden und bergenden Tätigkeiten und konnten die Zusammenhänge und Abläufe genau erklären.
Mangelnde Distanz zu möglichen Verursachern
Frau von dem Bussche ist möglicherweise Verantwortungsträgerin für schief Gelaufenes. Sie hielt sich denn auch sehr zurück. Auf die Frage nach ersten Erkenntnissen stellt sie allerdings auf der etwas sehr Bezeichnendes fest:
„Also da kann ich Ihnen im Moment gar nichts zu sagen. Auf der einen Seite fangen ja jetzt erst wirklich die Ursachenforschungen an, wenn der Container dann wirklich geöffnet wird, dann kann man tatsächlich Sachen begutachten. Wir haben eben gehört: Jedes einzelne Fass wird da ganz genau angekuckt, für sich genommen, und das sind dann gutachterliche Tätigkeiten, die ja auch von Neutralen gemacht werden. (…) Aber wie gesagt, die gesamte Ursachenermittlung geht ja jetzt wirklich erst los.“ (Mitschrift der PK)
Da wirft Frau von dem Bussche für die BASF eine echte Nebelkerze: Sicher ist es richtig, die Reste der Reaktion in den Fässern genau zu erfassen. Aber wenn die Ursachenforschung damit „erst richtig losgeht“, dann geht sie mit Sicherheit viel zu spät los und konzentriert sich auf den Befund, dass bei diesem massenhafthaft und routinemäßig versandten Produkt eine Zersetzung stattgefunden hat. Aber warum?
Da ist der gesamte Vorlauf zu untersuchen: von der Herstellung über die Qualitätsanalyse, die Kommissionierung in die Blechfässer, die Auswahl des und die Verpackung in den Container, eine möglicherweise Zwischenlagerung auf dem Werksgelände, die Verbringung des Containers nach Mannheim Mühlauhafen (Contargo ist auch in Ludwigshafen Kaiserwörthhafen vertreten), die Lagerung bei Contargo: wo, wie und wie lange, die Erfassung der Wetterdaten, die Auswahl der Binnenschiffspassage.
Dies ist bei einem temperatursensiblen, zur Selbstentzündung fähigen Stoff wohl unmittelbar naheliegend. Davon redet Frau von dem Bussche nicht. Als dann doch eine Reporterin des SWR nachfragt, ob denn der Container geeignet war, da hat die Sicherheitsverantwortliche der BASF gleich eine abschließende Antwort bereit (als Ergebnis einer umfassenden Untersuchung?): „Es ist eben nicht so, dass Sie irgendeinen Container verwenden dürfen. Da befassen sich wirklich Fachgremien mit (…) Die setzen entsprechend dann auch die Bedingungen, und die werden teilweise auch in nationales Recht umgesetzt. Und selbstverständlich halten wir uns dann an diese Bedingungen.“
Organisationsversagen auszuschließen?
Organisationsversagen weit im Vorfeld der letzten Handlung des letzten Mitarbeiters überhaupt nur zu erwägen – davon soll die Presse auf der Pressekonferenz nach Möglichkeit abgehalten werden. Und das in Zeiten einer langen Hitzephase und eines weltweiten Lieferketten-Chaos, von dem täglich die Rede ist, von Containermangel, Überlastung der Häfen, der mangelhaften Verfügbarkeit von Transportkapazitäten!
Leider muss man feststellen: Darin hat die BASF große Routine: Am 17.10.2016 kam es beispielsweise im Rahmen von Wartungsarbeiten im Rohrleitungsverbindungsgraben zwischen dem BASF-Werk Ludwigshafen und dem werkseigenen Hafen zu einer verheerenden Explosion. Am Ende waren 5 Menschen tot und standen 20% des Werkes still, weil die Staatsanwaltschaft den gesamten Rohrleitungsgraben stilllegen ließ, um die Ursache für die dortige Explosion vornehmen zu können. Für die Wartungsarbeiten (flexen und schweißen) wurden nicht einmal die unmittelbar benachbarten Leitungen stillgelegt. Am Ende war nach Auffassung des Gerichts der Handwerker schuld, das Ende der Verantwortungskette. Über alle gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungs- und Sicherungsmaßnahmen, deren dokumentierte Einhaltung oder eben Nichteinhaltung hörte man wenig bis gar nichts in dem Verfahren. Es reichte nur für ein paar mahnende Worte des Gerichts an die BASF.
Dies ist neben allen Ablenkungs- und Verschleierungskünsten möglicherweise auch eine Frage der Kompetenz von Staatsanwaltschaften (und LKA) in der Beurteilung von industriellen Arbeitsabläufen. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat beispielsweise eine spezielle Zuständigkeit und wie man erwarten darf Kompetenz in Fragen der Wirtschaftskriminalität: Bilanzen, Bankenwesen, Geldwäsche etc. Aber in dem hier fraglichen Themenbereich?
Es geht immer auch um die Ökonomie
Am Ende kann es Berührungspunkte zur Wirtschaftskriminalität geben. Aber nur am Ende, z.B. wenn sich erweist, dass die in der BASF viel geschulten Arbeitssicherheitsregeln für die Beschäftigten in Produktion, Laboren und Werkstätten höheren Orts einem ökonomischen Prinzip weichen müssen: Einer Abwägung zwischen den erhöhten Zeit- und damit Geldkosten sicherer Verfahren und der Höhe und dem möglichen Umfang eines in Kauf genommenen Sicherheitsrisikos. 2019 hatte man sich da gewaltig verpokert.
Bei der Pressekonferenz von EBM Specht erfuhr man, dass „Staatsanwaltschaft und LKA“ involviert seien. Nur diejenigen von Mannheim und Baden-Württemberg? Weil die Containerhavarie dort stattfand? Contargo verspricht wie die BASF höchste Kompetenz: „Wir kennen uns mit allen Containertypen aus und lagern auch Gefahrgutcontainer verschiedener Klassen oder temperaturgeführte Ware.“ (Internetaufritt Contargo Rhein-Neckar).
Specht versprach der Presse, sie zu gegebener Zeit über das Ergebnis der Untersuchungen zu unterrichten. Man darf gespannt sein!
Eines aber ist schon jetzt sicher: Mit der großen „Wir-Familie“, die bei solchen Vorkommnissen laut Specht zusammenarbeitet, liegt er auf jeden Fall falsch: Rettungskräfte und Fachkräfte zur Eindämmung und Behebung der Schäden sind das Eine, Verantwortliche für möglicherweise schuldhaftes Handeln das Andere.
Es geht um die Sicherheit vor Störfällen
Die Bewohner:innen einer Doppelstadt mit dem weltweit größten Chemiestandort und lt. Störfallbroschüren Mannheim und Ludwigshafen 39 weiteren „Störfall-Betrieben“ (Betriebe, die mit Gefahrstoffen in relevanten Mengen umgehen) haben Anspruch auf eine gesunde Distanz in Sicherheitsfragen. Distanzlosigkeit führt zum Unter-den-Teppich-Kehren und zu fortgesetzter Straffreiheit der Verantwortlichen, selbst wenn sie Sicherheitsstandards sträflich vernachlässigen. Dem ökonomischen Kalkül muss der Respekt vor der Justiz, den Kommunen und der Öffentlichkeit gegenübertreten.
Thomas Trüper