TKUMannheim – Ein Dokumentarfilm über jüdisches Leben in der Quadratestadt
Das hebräische Wort Tkuma hat Filmemacherin Isabel Gathof als Wortspiel für ihren Dokumentarfilm “TKUMannheim – Jüdisches Leben² von 1945 bis heute” über die Jüdische Gemeinde in Mannheim gewählt. Es bedeutet übersetzt in etwa „Auferstehung“ oder „Wiedergeburt“ und beschreibt damit den Neuanfang der Jüdischen Gemeinde nach 1945. Der von der Stadt Mannheim geförderte Film ist Teil eines medienpädagogischen Dialogprojekts und feierte am 24. Juli 2023 Premiere im kommunalen Kino Cinema Quadrat.
Ein hoffnungsvoller Blick nach vorne
Der Film blickt selbtsbewusst und voller Motivation in die Zukunft und reduziert die Geschichte der jüdischen Gemeinde ganz bewusst nicht auf die fatale Zeit bis zur beinahe vollständigen Auslöschung in den Jahren vor 1945. Denn „wir sind heute hier und leben in der Gegenwart“, betonte Prof. Dr. Heidrun Kämper, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim, in ihrem Grußwort.
Die Jüdische Gemeinde Mannheim war nicht nur Förderer des Films, viele ihrer Mitglieder sind Protagonist*innen und Interviewpartner*innen für historische und aktuelle Fragen.
Jüdisches Leben in Mannheim vor und nach 1945
Elina Brustinova und Suhail Butt – sie beide bilden die „jüdisch-muslimische Doppelspitze“ im Vorstand des Stadtjugendrings – gehen im Film als Protagonist*innen auf Spurensuche in ihrer Heimatstadt. Jüdische Geschichte reicht bis in die Anfänge der Residenzstadt im 17. Jahrhundert. Stadthistoriker Volker Keller gibt einen Überblick und besucht mit den beiden jungen Menschen den jüdischen Friedhof. Rita Althausen, ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, zeigt ihnen später das Gebäude des alten jüdischen Waisenhauses in R7, das nach 1945 als Gemeindezentrum und Synagoge genutzt wurde. Mit den Augen und Ohren von Elina Brustinova und Suhail Butt erlebt man auf diese Weise eine besondere Geschichtsstunde.
Zeitzeug*innen berichten von den schwierigen Jahren nach 1945, als gerade noch eine Handvoll jüdischer Familien am Leben war und unter großen Anstrengungen Neumitglieder in die Quadratestadt geholt wurden. Es wird aber auch von prägenden Jahren in der Mannheimer Oststadt berichtet – hier war die Synagoge ab 1957 in der Maximilianstraße beheimatet – in der die Nachkriegsgeneration Mannheimer Jüd*innen heranwuchs. Die heutige Synagoge in F3 wurde 1987 eröffnet, „mitten in der Multikulti-Gesellschaft der Stadt“, wie ein junges Mitglied der Gemeinde voller Begeisterung schildert. Das dortige Alltagsleben und insbesondere auch das der Kinder und Jugendlichen, wird vor allem im letzten Drittel des Films beleuchtet.
Ein Dokumentarfilm für die Bildungsarbeit
Regisseurin Isabel Gathof (Feinshmeker Film) arbeitete rund ein Jahr an diesem Film, der das komplexe Thema nicht nur umfassend darstellt, sondern auch einem Bildungsauftrag nachkommt. Der Film ist bei aller Fülle an Informationen dennoch unterhaltsam, emotional und fesselt mit seiner kontinuierlichen Erzählform, vorangetrieben von stimmungsvoller, eigens für den Film komponierter Musik, bis zum Schluss. Der Film soll vor allem auch junge Menschen informieren und bei Schulveranstaltungen eingesetzt werden. Einige Lehrer*innen und Schulvertreter*innen nahmen an der Premierenveranstaltung teil.
Der Film lässt fast ausschließlich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde selbst zu Wort kommen und vermeidet Stellungnahmen, Bewertungen und Kommentare aus dem Off. Für Isabel Gathof ist es nicht die erste Auseinandersetzung mit einem historischen Thema. In anderen Projekten beschäftigte sie sich unter anderem mit dem jüdischen Maler Moritz Daniel Oppenheim oder Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Diesmal war sie froh, „echte Protagonist*innen“ vor der Kamera zu haben und nicht ausschließlich auf Archivmaterial angewiesen zu sein. Mit der Methode Oral-History gelingt ihr die Verbindung historischer Fakten mit persönlichen, oft emotionalen Geschichten – was dem Film sehr zugute kommt.
Ein digitales Begleitheft für die Bildungsarbeit sei noch in Arbeit, denn an einigen Stellen wäre es sinnvoll, Wörter oder Umstände zu erklären. Gerade Begriffe aus der Religion, Ereignisse und manche historische Daten dürften nicht allen (jungen) Zuschauer*innen bekannt sein.
Hier findet sich auch eine Lücke im Film, die in der Bildungsarbeit zum Problem werden könnte. Die Instrumentalisierung des Nahost-Konflikts für antizionistische und antisemitische Agitation wird anhand von zwei Beispielen dargestellt: Palästina-Solidemos in den Jahren 2014 und 2021, die mit judenfeindlichen Provokationen eskalierten. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde berichten von ihren Gefühlen und Einschätzungen. Doch bleiben hier auch Fragen offen, wie sich beispielsweise die Jüdische Gemeinde zum Thema positioniert oder wie im Nachgang der Demos miteinander diskutiert wurde. Dies alles würde den Rahmen des Films zwar sprengen, insofern ist der Regisseurin kein Vorwurf zu machen. Doch das Thema ist mit dem Film in der Welt, es gibt Andeutungen, die nicht zu Ende besprochen werden. Daher könnte es in der Bildungsarbeit für Padagog*innen zur Herausforderung werden. Begleitmaterial wäre gerade hier wichtig.
Grußworte und Diskussion
Für den noch amtierenden Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz war dies vermutlich die letzte Gelegenheit, in dieser Form mit der Jüdischen Gemeinde zusammen zu kommen. „Es ist eine wichtige Geschichte, die erzählt werden muss“, beschrieb er das Filmprojekt, denn „wir leben in einer diversen Stadtgesellschaft“ und da sei die Frage „Was hat das mit mir zu tun?“ enorm wichtig. Damit verwies er auch auf die Projekte des MARCHIVUM, hier vor allem die Ausstellung zur NS-Dokumentation, die mit alltäglichen Geschichten aus der Stadt einen wichtigen Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur leistet.
Nicht weniger emotional bedankten sich Claus Preißler, der als Integrationsbeauftragter das Projekt betreute, und Heidrun Kämper beim Oberbürgermeister für 16 Jahre unermüdlichen Einsatz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in der Stadt. Die Filmpremiere war auch eine Gelegenheit für Abschied. Sie endete mit einem koscheren Imbiss im Foyer des Kinos.
Wer den Film im Rahmen einer Veranstaltung zeigen oder in der Bildungsarbeit einsetzen möchte, kann sich demnächst an das Integrationsbüro der Stadt Mannheim wenden. (cki)
Infos zum Film und zur Filmemacherin