Warum wir die Geschäftsanweisung zum Gendern im Rathaus verteidigen sollten
Die Mannheimer Liste / Freie Wähler (ML) hat den Antrag gestellt, eine sogenannte „Besondere Geschäftsanweisung“ zum Gendern in der Mannheimer Stadtverwaltung abzuschaffen. Diese Anweisung wurde erst im Juli 2023 vom damaligen noch-OB Peter Kurz mit Zustimmung des Gesamtpersonalrats erteilt und gibt den Mitarbeiter*innen der Verwaltung eine Richtlinie, verschiedene Varianten der geschlechtergerechten Sprache nutzen zu können.
„Der Maßstab unserer Sprache sollte sein, alle Personen in einer geschlechtergerechten Sprache anzusprechen“ heißt es in der Präambel der Geschäftsanweisung. „Es ist eine Orientierung, keine Verpflichtung“, erklärt Rathaussprecher Dirk Schumann gegenüber dem Mannheimer Morgen. Es sei eine Empfehlung mit geschlechtsneutralen Begriffen, Hinweisen zum Vermeiden von Stereotypen, Fallbeispielen für alle möglichen Lebensbereiche sowie schriftliche und mündliche Ansprache.
In der Geschäftsanweisung steht weiter: „Unsere Sprache geschlechtergerechter zu machen, erfordert auch Kreativität und Mut zu Neuem. Scheuen Sie nicht davor zurück, auch wenn Sie befürchten, Fehler zu machen. Haben Sie auch Verständnis für die Fehler anderer.“
Nirgendwo in der Geschäftsanweisung steht etwas von einer Pflichtvorgabe zum Gendern. Die „Besondere Geschäftsanweisung“ ist nicht mehr und nicht weniger als ein Ratgeber zur Orientierung. Wer nun stattdessen mit der Verbotskeule kommt, ist die Mannheimer Liste.
Wer bevormundet hier eigentlich wen?
Der dreiseitige Antrag der ML ist mit einer klaren Forderung überschrieben: „Kein Gendern in der Mannheimer Stadtverwaltung“. Es folgen verschiedene Beispiele und Positionierungen zum Thema (u.a. Landesbehörden Hessen und Rheinland-Pfalz, Kretschmann, Rat für deutsche Rechtschreibung, Gesellschaft für deutsche Sprache) sowie der Verweis auf eine FORSA-Umfrage von 2023, wonach 75% der Deutschen das Gendern ablehnten.
Das einzig sachliche, nicht ideologisch begründete Argument, ist die Verwirrung durch unklare Regeln. Die ML verweist auf die ohnehin komplizierte deutsche Sprache und natürlich haben sie damit Recht. Für deutsch lernende Ausländer*innen sind die verschiedenen Genderformen ohne jeden Zweifel verwirrend. Für Schüler*innen, die Noten auf die richtige Schreibweise bekommen, aber auch für Verwaltungsmitarbeiter*innen, die korrekte Texte verfassen müssen, besteht Unsicherheit.
Genau das hat OB Kurz allerdings mit seiner Anweisung geregelt. Verschiedene Varianten sind demnach zulässig. Die ML fordert in ihrem Antrag, „dass jeder Beschäftigte bei der Stadt Mannheim frei und selbst im Rahmen der geltenden deutschen Rechtschreibregeln und unter Beachtung der vom Rat der deutschen Rechtschreibung am 16. November 2018 intern beschlossenen Kriterien zur geschlechtersensiblen Sprache entscheiden kann, welche Formulierungen er verwendet.“
Die ML betreibt eine Verwirrungstaktik, denn „selbst und frei“ steht im Widerspruch zu „im Rahmen der geltenden deutschen Rechtschreibregeln“, wo es Gendergap und Sternchen bekanntlich nicht gibt. Während OB Kurz mit seiner Geschäftsanweisung den Mitarbeiter*innen die Entscheidung „selbst und frei“ ermöglicht hat, will die ML das Rad wieder zurück drehen und Gendern verbieten. Siehe die Überschrift des ML Antrags, Zitat: „Kein Gendern in der Mannheimer Stadtverwaltung“.
Rechte Bündnisse im Gemeinderat
Das einzig sachliche Argument der Gendergegner*innen ist richtig. Ungewohnte Wortvarianten mit Sternchen, Gap oder Doppelpunkt sorgen bei vielen Menschen für Verwirrung und Unsicherheit. Gewohntes wird in Frage gestellt. Aber sollte es nicht immer Aufgabe der Linken sein, gesellschaftliche Verhältnisse in Frage zu stellen?
Natürlich ist Gendern ein politisches Projekt, „reiner Ausdruck einer politischen Agenda“, wie es die ML zutreffend formuliert. Aber eben nicht nur der Linken, sondern auch der Rechten. Die ML führt in ihrem Antrag drei Parteien auf, die Beschlüsse zum Gendern haben: Die Grünen, die Linkspartei und die AfD. Nach Veröffentlichung ihres Antrags hat die ML nun aber auch einen solchen Beschluss und reiht sich politisch bei der AfD ein.
Wenn man die Sache weiter denkt, werden hier zukünftige rechte Bündnisse vorbereitet. Die Positionen zum Thema Gendern dürften bei ML, CDU und AfD sehr ähnlich sein. Ein gemeinsames Abstimmungsverhalten liegt nahe. Wenn die AfD einen solchen Antrag einbringt, tun sich ML und CDU aufgrund der Stigmatisierung der Rechtsaußenpartei schwer mit einer Unterstützung. Kommen die Anträge von ML oder CDU kann die AfD hingegen problemlos mitstimmen. So funktionieren rechte Bündnisse.
Tradition vs Fortschritt
Am Ende ist das Gender-Thema ein Nebenschauplatz der großen gesellschaftlichen Fragen, die in jeder Partei diskutiert werden: Tradition oder Fortschritt? Konservative rechte oder progressive linke Politik? Dass es auch Mischformen und Querschläger gibt, wissen wir nicht erst seit Sarah Wagenknechts Abkehr von den Linken.
Allen, die mit Umfragen argumentieren („75 Prozent der Deutschen sind gegen das Gendern“) sei gesagt, dass Fortschritt, Gerechtigkeit und insbesondere Minderheitenschutz meist gegen traditionalistisch geprägte gesellschaftliche Mehrheiten erkämpft werden müssen. Sonst gäbe es kein Frauenwahlrecht, Homosexualität wäre noch eine Straftat und der Kaiser unser Staatsoberhaupt.
Die Verteidigung moderner Errungenschaften – und sei es „nur“ die Möglichkeit zum diskriminierungsfreien Gendern – sollte daher Aufgabe aller fortschrittlichen und linken Kräfte sein. Das konkrete Beispiel dürfte auch eine Machtprobe im Mannheimer Gemeinderat sein. Steht die linke Mehrheit stabil oder wackelt sie nach dem OB Wechsel von Kurz zu Specht? Die Kommunalwahlen werfen ihre Schatten voraus.
Und wie machen wir das mit dem Gendern eigentlich im Kommunalinfo Mannheim?
Den Leser*innen wird bereits aufgefallen sein, wie der Autor dieses Beitrags mit dem Thema umgeht – er entscheidet sich für das Sternchen. Es gibt viele weitere Varianten: den Doppelpunkt (Leser:innen), den Unterstrich, auch Gendergap genannt (Leser_innen), das in die Jahre gekommene Binnen-I, das von geschlechtlicher Binarität ausgeht (LeserInnen), das umständliche Ausschreiben (Leserinnen und Leser), das neutrale Umschreiben (Lesende) oder eben die konservative Variante, das Generische Maskulinum, das die nicht-männlichen Personen ignoriert, aber angeblich alle meint (Leser).
Die Redaktion des Kommunalinfo Mannheim hat in den vergangenen Jahren immer wieder dazu diskutiert und sich dagegen entschieden, eine verbindliche Regelung für alle aufzustellen. Stattdessen soll jede*r Autor*in selbst entscheiden, mit welcher Form im Text gegendert wird. Alles andere würde mit unserer Arbeitsweise nicht funktionieren und am Ende ist es auch ganz interessant, die Entwicklungen zu beobachten. Sternchen und Doppelpunkt haben sich in den letzten Jahren bei vielen Autor*innen durchgesetzt. Manch andere hängen dagegen sehr an ihren Traditionen – auch in der Linken. (cki)