Auch nach Schönau stellt sich die Frage: Darf man Polizeieinsätze filmen?
Am 23. Dezember 2023 wurde bei einem Polizeieinsatz in Mannheim-Schönau Ertektin Ö. erschossen (KIM berichtete). Das Geschehen fand auf offener Straße, mitten im Wohngebiet statt. Zahlreiche Augenzeug*innen beobachteten und filmten den Polizeieinsatz. Kurze Zeit später machte sich eine öffentliche Empörung breit und Fragen wurden gestellt: Musste Ertektin Ö. sterben? Oder kam es hier zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt? Ohne die Videos, die über die sozialen Medien verbreitet wurden, hätte es die Debatte wahrscheinlich nicht gegeben.
Gegenüber der Zeitung Mannheimer Morgen (MM) berichteten mehrere Augenzeug*innen, dass Polizist*innen nach den tödlichen Schüssen Handys von Passant*innen einsammeln wollten, um Videoaufnahmen zu löschen. Das LKA, das die Ermittlungen übernommen hatte, konnte dies nicht bestätigen und nannte es gegenüber dem MM eine „Fehlinformation“. Denkbar wäre aber auch, dass beteiligte Polizist*innen diesen Vorgang dem LKA verschwiegen hatten.
Wieder einmal stellt sich die Frage: Darf man Polizeieinsätze überhaupt filmen? Und wenn ja, unter welchen Umständen und mit welchen Einschränkungen?
Die Macht der Videos
Das Thema ist nicht neu. KIM hatte 2020 Interviews mit Pfarrerin Ilka Sobottke und Rechtsanwalt Günter Urbancyk geführt, als das Handyvideo der Tötung von George Floyd weltweite Proteste ausgelöst hatte.
Der Tod von George Floyd löste nicht nur in den USA große Bestürzung aus. Ein Polizist hatte den Afroamerikaner solange mit dem Knie den Kopf auf den Boden gedrückt, bis er erstickte. Massive antirassistische Proteste folgten, aber auch Konsequenzen für die Polizeiarbeit und ganz konkret für die beteiligten Polizisten. Sie wurden aus dem Dienst entlassen und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Ohne das Video der 17-jährigen Passantin Darnella Frazier, die fast 10 Minuten die ganze Brutalität filmte, wäre das nie möglich gewesen, so lautete die Einschätzung von Pfarrerin Ilka Sobottke. Die Gewalt zu bezeugen, sei nun mal die einzige Möglichkeit gewesen, etwas zu ändern. Rechtsanwalt Günter Urbancyk vermutete damals, dass es ohne das Video nicht zur Anklage gegen die Polizisten gekommen wäre.
Bildaufnahmen sind grundsätzlich erlaubt
Auch in Mannheim gab es damals Diskussionen um Handyvideos von brutalen Polizeieinsätzen. Schaut man sich die Rechtslage hierzulande an, so muss zwischen Bild- und Tonaufnahme unterschieden werden – auch wenn das bei Handyvideos mit Bild und Ton zunächst unlogisch erscheinen mag. Es ist eine mit der Zeit gewachsene und keine vernünftige Regelung, sagt Rechtsanwalt Urbancyk dazu.
Bildaufnahmen werden im Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) geregelt. Einschränkungen ergeben sich erst mit der Veröffentlichung von Bildern. Das bedeutet, dass die Anfertigung der Bilder zunächst einmal grundsätzlich erlaubt ist.
Einschreiten darf die Polizei also nur, wenn durch das Filmen selbst der Einsatz gestört wird oder es den begründeten Verdacht einer Rechtsverletzung gibt, beispielsweise weil der Fotograf in der Vergangenheit bereits unrechtmäßig Bilder veröffentlicht hat. Ansonsten muss die Polizei die Bildaufnahmen hinnehmen.
Bei der Veröffentlichung ist einiges zu beachten. Grundsätzlich müssen abgebildete Personen zustimmen, es gibt jedoch Ausnahmen. Bilder aus dem Bereich der Zeitgeschichte, von öffentlichen Versammlungen oder im Interesse der Kunst dürfen auch ohne Einwilligung der abgebildeten Personen veröffentlicht werden.
Die Bildaufnahme eines Polizeieinsatzes, über den die Öffentlichkeit diskutiert, dürfte einen solchen zeitgeschichtlichen Kontext haben. Beteiligte Polizist*innen müssen dann die Veröffentlichung von Bildern hinnehmen, auf denen sie zu sehen sind. Hier muss jedoch beachtet werden, dass es zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann und jeder Fall individuell betrachtet werden muss. Wenn in den Zeitungen über das Ereignis berichtet wird, ist dies jedoch ein deutlicher Hinweis auf die zeitgeschichtliche Relevanz.
Tonaufnahmen sind problematisch
Ganz anders ist die rechtliche Lage bei Tonaufnahmen. Hier ist nämlich die besonders geschützte Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Worts zu beachten. Das regelt Paragraf 201 Strafgesetzbuch (StGB). Nicht erst die Veröffentlichung, sondern bereits die Aufnahme kann strafbar sein, warnt Urbancyk.
Im konkreten Fall kann eine Videoaufnahme des Polizeieinsatzes mit Ton bereits problematisch werden. Wenn ein Polizist in der Öffentlichkeit laut ruft „Alle hinter die Absperrung“ ist das sicherlich kein vertraulich gesprochenes Wort. Wenn er sich aber mit einem Kollegen über das weitere Vorgehen bespricht, wäre die Tonaufnahme höchstwahrscheinlich illegal und könnte bestraft werden. Auch die Beschlagnahme des Handys, mit dem gefilmt wurde, wäre zur Strafverfolgung möglich.
Fazit: Filmaufnahmen von Polizeieinsätzen sind grundsätzlich erlaubt
Die Filmaufnahmen, die Passant*innen vom Polizeieinsatz am 23. Dezember angefertigt haben, dürften größtenteils erlaubt gewesen sein. Vor allem diejenigen, die von den Fenstern filmten, werden die nichtöffentlich gesprochenen Worte auf der Straße auf Grund der Entfernung nicht aufgenommen haben.
Auch die Veröffentlichung der Videos in den sozialen Medien dürfte rechtlich nicht zu beanstanden sein, da es sich um ein Ereignis der Zeitgeschichte handelt. Würde über den Vorfall nicht öffentlich diskutiert und in Zeitungen berichtet, wäre das ganze anders zu beurteilen.
Somit bedingt das eine das andere. Erst die Videos der Augenzeug*innen ermöglichten die öffentliche Debatte, die wiederum dazu führte, dass der Polizeieinsatz zu einem Ereignis der Zeitgeschichte wurde. (cki)
Videobeitrag: Polizeieinsätze filmen – darf man das … sollte man das?
Interview mit Pfarrerin Ilka Sobottke und Rechtsanwalt Günter Urbancyk
Hinweis zum Video: Es werden Aufnahmen gewalttätiger Polizeieinsätze gezeigt. Deshalb hat das Video eine Altersbeschränkung und muss direkt bei YouTube angesehen werden. Videobeitrag bei YouTube: https://youtu.be/M5fJmqw555g