2. Mai-Marktplatz-Prozess: Milde Urteile zeichnen sich ab
Vor dem Mannheimer Landgericht fand am 22. Februar der letzte Verhandlungstag im Prozess wegen Polizeigewalt statt. Zwei Polizeibeamte stehen vor Gericht, weil der 47-jährige Ante P. Am 2. Mai 2022 nach einer versuchten Festnahme auf dem Marktplatz in Mannheim verstorben ist. Er soll erstickt sein. Ante P. befand sich damals in einem psychischen Ausnahmezustand. Der Hauptangeklagte, ein 27-jähriger Polizist, hatte ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und geschlagen.
Nebenklage fordert Freiheitsstrafe
Warum die Eile? Warum diese Ungeduld? Warum die Entscheidung, mit Gewalt gegen den psychisch erkrankten Ante P. vorzugehen? – Das sind einige der Fragen, die die Anwälte der Nebenklage in ihren Plädoyers heute aufwarfen.
Alles hätte doch unter der Überschrift: „Rückführung eines Patienten wegen Eigengefährdung“ gestanden, sagte Rechtsanwalt Thomas Franz. Er vertritt die Mutter von Ante P. Die Polizisten hätten alle notwendigen Informationen, die Ausbildung und auch die Zeit gehabt, um entsprechend zu handeln, führte er aus. Von Ante P. sei keine Gefahr ausgegangen. Warum die Polizei nicht mit mehr Ruhe gehandelt und länger das Gespräch mit ihm gesucht hätte, sei nicht nachvollziehbar.
Auch zum Funkverkehr bei diesem Einsatz blieb für ihn unklar: Warum hatte man nicht schneller einen Rettungswagen an den Marktplatz bestellt, als es dem niedergerungenen, festgenommenen P. schon erkennbar sehr schlecht ging?
Engin Şanlı, Nebenklageanwalt der Schwester, wurde deutlicher: „Wer ernsthaft glaubt, dass eine psychotische, ängstliche Person, die unter akuten wahnhaften Vorstellungen leidet, ausgerechnet mit Pfefferspray dazu bewegt werden kann, geführt zu werden, hat nicht verdient eine Polizeiuniform des Landes Baden-Württemberg zu tragen“. Auch er nannte das Vorgehen der beiden Angeklagten eindeutig ungerechtfertigt. Er erinnerte außerdem daran, dass Ante P. zwar an einer psychischen Erkrankung und akut unter Ängsten litt, deswegen aber gar nicht die Pflicht gehabt hätte, den Beamten zu folgen. Die Gerichtsverhandlung hatte ergeben, dass die beiden Polizisten nach einem nur sehr kurzen Gespräch mit Ante Ps behandelnden Arzt vor der Wache zum Einsatz übergingen. Für eine Unterbringung gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten hätte es aber keine Grundlage gegeben, sagte der Anwalt. Er berief sich dabei auf das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz.
Die Nebenklage geht davon aus, dass der Einsatz der beiden Polizisten der Grund dafür ist, dass Ante P. starb und fordert drei Jahre Haft als Strafe. Laut dem Gutachten der Gerichtsmedizin Heidelberg war Ante P. erstickt, während er auf dem Boden mit Handschellen gefesselt lag. Vor einem solchen Lagebedingten Erstickungstod wird in der Polizeiausbildung seit 1997 ausdrücklich gewarnt. Seitdem in den USA George Floyd auf diese Weise durch rassistische Polizeigewalt starb, hatten sich erneut rechtsmedizinische Studien damit beschäftigt.
Staatsanwaltschaft rudert zurück, Verteidigung fordert Freispruch
Die Staatsanwaltschaft hatte ihr Abschlussplädoyer schon am 9. Februar gehalten. Sie sieht die Verantwortung für den Tod Ante P.s nicht bei den Angeklagten. Die Verteidigung hatte mithilfe der Polizeigewerkschaft GdP weitere rechtsmedizinische Gutachten in Auftrag gegeben, um die These zum lagebedingten Erstickungstod zu entkräften. Die beiden Gutachten legten nahe, dass Ante P. durch Vorerkrankungen am Herzen gestorben sei und niemand hätte das verhindern können – auch die Polizisten nicht.
Staatsanwalt Michael Hager folgte dieser Argumentation: Da solche Zweifel bestehen, müsste das für die Angeklagten sprechen, sagte Hager. Den Pfeffersprayeinsatz und die Schläge gegen den Patienten bewertete er aber unabhängig davon als Körperverletzung im Amt und forderte dafür eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Solche Schläge seien nicht Teil der gelehrten polizeilichen Technik in einer solchen Situation, hielt Staatsanwalt Michael Hager ausdrücklich fest.
Prominente Vertreter der Polizei Mannheim scheinen das anders zu sehen: Thomas Mohr von der GdP Mannheim, hatte sich in der Öffentlichkeit mehrfach geäußert. In einem Interview kurz nach dem Vorfall im Mai 2022, stärkte er gegenüber dem SWR die Ansicht, Schläge seien zur Eigensicherung notwendig, gerade wenn Personen sich „renitent“ verhielten.
Die Verteidigung fordert, beide Angeklagten freizusprechen.
Die Perspektive der Opfer bleibt im Hintergrund
Auch die Mutter von Ante P. sprach am Donnerstag im Gerichtssaal. Sie wandte sich an das Gericht und erzählte von ihrem Sohn: „Er hat immer gerne gelebt“, sagte sie. Mit Blick zur Verteidigung kritisierte sie, dass Anwälte wie Gutachter*innen in ihren Darstellungen spöttisch über ihren Sohn gesprochen hatten. Dadurch wird Ante für mich noch einmal gequält, sagte sie.
Die Initiative 02.Mai, die sich nach dem Vorfall gegründet hat, fordert unter anderem, Ante P. würdig zu gedenken. Sie will einen Gedenkort von der Stadt. Außerdem soll ein Opferfonds eingerichtet werden. Während die Gewerkschaft der Polizei den Angeklagten finanziell und mit juristischem Beistand helfe und es für Polizisten auch ein psychologisches Betreuungsangebot gibt, bleiben Angehörige von Opfern von Polizeigewalt ohne institutionelle Unterstützung. Sie tragen die Kosten allein.
Sabrina Burger