Darf das Alter eines Gewaltopfers die politische Reaktion bestimmen?
Die vergangene Woche hat den Bundestagswahlkampf ordentlich durchgerüttelt. Der Umgang mit dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg wirft grundsätzliche Fragen auf.
CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz hat versucht, vor allem Grüne und SPD mit den Stimmen der AfD zu erpressen und hat damit gezeigt, dass er sich durchaus mit Faschisten einlassen und sein eigenes Wort brechen würde, wenn es seiner Macht dienen könnte. Auslöser dafür war der tödliche Angriff auf zwei Menschen in Aschaffenburg in der vorangegangenen Woche.
In einigen Analysen wurde das überstürzte Vorgehen von Merz unter anderem damit begründet, dass ihn die Tötung eines Kindes als Großvater von sieben Enkeln sehr getroffen habe. Er selbst hat seine Initiative mit der eigenen Vaterschaft und dem Verständnis für alle Eltern angereichert. So nachvollziehbar die emotionale Betroffenheit nach einer solchen Tat ist, übrigens auch für Menschen, die keine Kinder haben, ist Kritik an einem Aktionismus notwendig, der sich hauptsächlich daran orientiert: Stellen wir uns einmal vor, es wäre kein zweijähriger, sondern ein 22-jähriger Mensch getötet worden, der sich vielleicht selbst noch für Geflüchtete oder im Klimaschutz engagiert. Ob das zu einer ähnlich weitreichenden Reaktion bei Merz geführt hätte?
Im Grunde darf es aber keine Rolle spielen, ob ein Kind oder ein Greis Opfer einer Gewalttat wird. Hinweise auf das Alter des Opfers oder die eigene (Groß-) Vaterschaft deuten darauf hin, dass genau dies hier geschehen ist. Die starke Betonung der Gefühle, die von vielen als Ausdruck von Empathie angesehen werden, ist jedoch problematisch. Eine Unterscheidung nach dem Alter ist mit der universellen und individuellen Menschenwürde nicht vereinbar.
Zu Recht wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass weder unzählige Femizide (im Schnitt wird jeden dritten Tag eine Frau ermordet) noch Angriffe von Rechten -ob Halle, Hanau oder Walter Lübcke – zu einer “Wende” oder dem Ausrufen eines Notstandes geführt haben. Auch Alan Kurdi war nur zwei Jahre alt, als sein Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angespült und zum Symbol der Unmenschlichkeit des europäischen Grenzregimes wurde.
Die vermeintliche Empathie gegenüber dem Schicksal von Kindern reicht anscheinend auch nicht aus, Kindern eine nachhaltige Grundsicherung oder ihren Eltern eine existenzsichernde Sozialhilfe zukommen zu lassen. Politik darf nicht dermaßen von Affekten geleitet sein, wie es letzte Woche geschehen ist. Von Menschen in politischer Verantwortung muss zu erwarten sein, dass sie auch bei solchen Angriffen nicht den ersten Reflexen folgen, so menschlich nachvollziehbar sie sein mögen.
Sich dabei auf eine Stimmung in der Bevölkerung zu berufen, die man selbst mit zu verantworten hat, ist kurzsichtig und rückgratlos. Damit lässt sich zwar wunderbar Symbolpolitik begründen, denn nichts anderes war der Fünf-Punkte-Antrag der CDU. Die alltäglichen Probleme der Menschen oder die bestehenden Herausforderungen für die Gesellschaft, auch die durch Migration, lassen sich damit nicht lösen. Statt symbolpolitischer Schnellschüsse bräuchte es unter anderem eine systematische Gewaltprävention und bessere Hilfen bei psychischen Erkrankungen. Diese erfordern zwar mehr Zeit und Ressourcen als markige Ankündigungen, versprechen aber langfristig deutlich mehr Erfolg und sind deshalb ehrlicher.
Wer aus Angst davor, dass das Wasser braun wird, das Kind mit dem Bade ausschüttet, macht sich selbst schmutzig. Wenn Friedrich Merz in der kommenden Woche in Mannheim-Feudenheim auftritt, wird sich zeigen, ob die Verantwortlichen zu einer sachlicheren Debatte zurückkehrt sind oder weiter auf emotionalisierende Zuspitzung setzen wollen, die am Ende den Faschisten in die Hände spielt. So wie in vielen deutschen Städten in den vergangenen Tagen zehntausende Menschen auf die Straße gingen, wird es auch am 06.02. gegen 13 Uhr Proteste in Feudenheim geben.
Text: DeBe