Rückblick des JUZ zum Schließungsantrag: 45 Jahre JUZ – 45 Jahre extrem demokratisch!
Der vorliegende Text ist eine stark gekürzte Version einer Reflexion auf die JUZ-Schließungsversuche der CDU-Gemeinderatsfraktion Mannheim im Dezember 2017. Sie umfasst eine Chronologie, eine Einschätzung zur politischen Lage und einen Dokumentationsteil. Passend zum ‚G20-Jubiläum‘ wird diese Broschüre publiziert, online ist sie demnächst unter juz-mannheim.de abrufbar.
Das Jugendzentrum in Selbstverwaltung Friedrich Dürr (JUZ) in Mannheim feierte in diesem Jahr seinen 45. Geburtstag. Als im Jahr 1972 eine große Anzahl Jugendlicher durch die Schließung des letzten innerstädtischen Jugendhauses auf der Straße landeten und sie nicht mehr länger der Willkür „der Stadtbürokratie“ ausgeliefert sein wollten, wurde von ihnen selbst jene in der Grundstruktur noch heute gültige Konzeption der Selbstverwaltung des JUZ (mit Vollversammlung und Trägerverein) erarbeitet, die eine Bevormundung durch „Stadtherren“ und Erwachsene bestmöglich ausschließen sollte. Als Widerstand gegen zahlreiche Kriminalisierungsversuche durch Schutzpolizei, Ordnungsamt, Stadtverwaltungen (inklusive des Jugendamts) und die Lokalpostille kam es in der ersten Jahreshälfte 1973 zu seiner Gründung. In diesen 45 Jahren hat sich das JUZ sukzessiv als politisches wie soziokulturelles Zentrum etabliert. Von der Stadt Mannheim das vielfältige Engagement im JUZ wird inzwischen anerkannt, indem es seit Jahren Träger der Jugendförderung ist und sie dem JUZ das Gebäude mietfrei überlässt sowie einen regelmäßigen Zuschuss, von dem unter anderem 1,5 Personalstellen finanziert werden, zur Verfügung stellt.
Diese stadtpolitische Anerkennung stand im Dezember 2017 ganz plötzlich massiv auf der Kippe. Die CDU Gemeinderatsfraktion reichte zwei Anträge in die Etatberatungen des Doppelhaushalts 2018/19 ein, die dem JUZ die Zuschüsse streichen und die mietfreie Überlassung des Gebäudes aufkündigen sollten. Damit versuchten der Vorsitzende Claudius Kranz und seine Fraktion die verschobenen Verhältnisse im Gemeinderat, die durch den Übertritt eines Stadtrates von den GRÜNEN zur CDU zustande kamen, und die politisch nach rechts verschobene gesellschaftliche Debatte unter explizitem Bezug auf den G20-Gipfel in Hamburg auszunutzen, um das JUZ im städtischen Diskurs zu diskreditieren und in seiner jetzigen Form zu schließen. Sie kalkulierte ganz offensichtlich mit den Stimmen von Rechtsaußen, also dem NPD-Stadtrat Christian Hehl, einem mehrfach verurteilten Neonazi-Schläger, und der BÜRGERFRAKTION (früher AfD/ALFA), was den Verlust jeglicher Berührungsängste offenbart.
In der gegenwärtigen postfordistischen Formation des Kapitalismus verschärft sich die gesellschaftliche Ausschließung erneut auf verschiedenen Ebenen. Dies zeigt sich auch in Mannheim, denn die Versuche, das JUZ schließen zu lassen, sind Teil dieser bundesweiten Tendenzen und sagen mehr über diejenigen aus, die die Anträge verfasst haben, als über uns: In historischer Perspektive wie aktuell bestehen Tendenzen zu autoritärem Denken, die in repressive Lösungen und den Versuch, nicht Gewolltes auszuschließen, münden.
Dies zeigt sich in den Anträgen in der Berufung auf das Konstrukt ,Linksextremismus‘, der Instrumentalisierung der Ereignisse um G20 in Hamburg im Kontext erstarkender Sicherheitsdiskurse. Indem unter anderem auf Papiere des Inlandsgeheimdienstes, dem „Verfassungsschutz“, verwiesen wird, nehmen die Anträge den Extremismusansatz zur Grundlage ihrer Argumentation und diffamieren damit das JUZ als ,linksextrem‘. Dabei ist dieser ‚Ansatz‛ auf mehreren Ebenen höchst problematisch: Die Annahme von „Extremismus“ als Phänomen am Rand der Gesellschaft ist, abgesehen von einigen Wissenschaftlern, die häufig selbst wenig Distanz zu rechten Haltungen und Politiken aufweisen, in seriöser Forschung widerlegt und wird als ordnungspolitisches Herrschaftsinstrument benutzt. Doch nicht nur solch zweifelhafte Denkmodelle wie der Extremismusansatz wurden als Argumentationsschemata gegen das JUZ eingesetzt. Um gegen das JUZ vorzugehen, wurden in den Anträgen explizit die Ereignisse rund um den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg zum Anlass genommen, ohne dabei konkrete Zusammenhänge zum JUZ benennen zu können. Wenn die Mannheimer CDU schon auf externe Ereignisse wie die G20-Proteste referiert, dann fragen wir uns, ob denn die Hamburger, wie die vielen anderen dort zum Einsatz gekommenen, Polizeigruppen in irgendeinem Verfassungsschutzbericht auftauchen werden, da sie als staatliche Institutionen jede Menge offene Rechtsbrüche begangen haben, die die Grundfeste ihres vielbeschworenen Verständnisses von Demokratie angreifen. Stattdessen beklagt die Mannheimer CDU in einem der Anträge, dass das JUZ sich „zu keinem Zeitpunkt von der Gewalt in Hamburg distanziert oder Worte des Bedauerns für die verletzten Polizeibeamten, geschädigten Gewerbetreibenden, Besitzer angezündeter Autos usw. gefunden“ hat. Fernab der Frage, was es bringen soll, wenn sich irgendein Jugendzentrum in Baden-Württemberg von irgendwelchen fernen Ereignissen distanzieren soll, mit denen es in keinem Verhältnis steht, fragen wir uns zuletzt: Wer stoppt endlich diese Chaoten und ihre Rädelsführer*innen in Polizei und Politik? Oder, wie das Offene Antifaschistische Treffen in ihrer #JUZbleibt-Stellungnahme formuliert hat: „Wann hat sich die CDU jemals von Hetzer*innen wie Erika Steinbach oder von den rassistischen Äußerungen ihrer Schwesterpartei der CSU distanziert“? Stattdessen wurden einer ihrer größten Hetzer (‚Obergrenze‘; Grenzschließung, Orbàn-Fan) nun ‚Innen- und Heimatminister‘ und die Koryphäen des Ausnahmezustands, Hartmut Dudde und Olaf Scholz, nun Leiter der Hamburger Schutzpolizei und sogar Vize-Kanzler der BRD. Es liegt die Vermutung nahe, dass die ganze Angelegenheit nicht der Wahrheit oder der Information der Bürger*innen dient, sondern einzig ihrer Desinformation aus politischem Kalkül zu deren Verunsicherung – und das, indem politische Gegner*innen denunziert und zu Staatsfeind*innen obersten Ranges erklärt werden. Die Inszenierung des G20-Diskurses, die durch die CDU, aber mindestens auch von Teilen aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien überhaupt erst geschaffen wird, dient dazu, Gegendiskurse zu verdrängen, politische Gegner zu diskreditieren und dadurch gesellschaftliche Widersprüche und Ausschließungsprozesse zu verdecken: Der Haushaltsüberschuss des deutschen Staates von rund 37 Milliarden Euro zum Ende des Jahres 2017, welcher u.a. nur mit Hilfe von Exportüberschüssen sowie einer rigiden Austeritätspolitik nach innen wie außen zustande kommen konnte, wird mit der deutschen Dominanz in Europa auch 2018 weiter anhalten. Demgegenüber finden sich auf der anderen Seite soziale und finanzielle Notlagen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und soziale Ausschließung, die mit gesellschaftlichem und institutionellem Rassismus zusammenkommen. Sie sind kein ‘Unfall’, persönliche Schuld oder unintendierter Nebeneffekt von Wirtschaftspolitik, sondern Resultat und Teil des Prozesses, der den ‚Standort Deutschland‘ respektive ‚Standort Mannheim‘ weltweit konkurrenzfähig halten soll. Der G20-Gipfel dient dabei als ordnungspolitischer Lösungsversuch für die Armutsprobleme auf der Welt, er scheitert jedoch schon daran, dass die viel stärker von Armut betroffenen Länder gar nicht an der Erarbeitung der Lösung beteiligt werden.
Diese gesellschaftlichen Widersprüche schüren systematisch Ängste, häufig gepaart mit Ressentiments und dem Wunsch nach autoritärem Durchgreifen. Diese Angst ist nicht nur Paranoia, sondern Ausdruck teils real erlebter oder im nahen Umfeld erfahrbarer Deklassierung und Prekarisierung weiter Bevölkerungsteile. Dennoch trägt sie deutlich irrationale Züge und ist dabei auf das Falsche gerichtet: Auf das, was tatsächlich oder wahrgenommen ‚fremd‘ ist oder eine scheinbare Ordnung durcheinanderbringt. Der G20-Diskurs, Modelle wie der ‚Extremismusansatz‛ und Angstpolitiken mit dem Schüren rassistischer Ressentiments haben also einiges miteinander zu tun. Es spricht den hunderten Opfern rechter und rassistischer Gewalt Hohn, wenn nun, wie in der ‘Berliner Erklärung der Innenminister der CDU und CSU‘ formuliert, „gegen den Linksextremismus mit gleicher Entschiedenheit wie gegen Rechtsextreme vorgegangen werden“ soll. Denn Betroffene rechter Gewalt sind häufig auch diejenigen, die durch Ausschließung, Marginalisierung oder verschiedenste Formen von strukturellen Gewaltverhältnissen an den Rand gedrängt oder sogar ermordet werden, diejenigen, die Ziel der autoritären Politik sind. Das ist die Gewalt, die von denjenigen, die ernsthaft an ‚Linksextremismus‘ glauben, vorangetrieben und durch wirtschaftliche Not sowie chauvinistische Ressentiments aller Art befördert wird. Wir befinden uns in einer Zeit, in der ein neonazistisches Terrornetz, das von mindestens 40 V-Leuten des Verfassungsschutzes umgeben war und je nach Schätzung mindestens 150 Unterstützer*innen hat, sich selbst enttarnen muss. In der seit 1990 um die 200 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen sind. Es gibt tägliche An- und Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, auf politische Gegner*innen, nicht nur ‚Antifas‘, sondern auch nicht selten Leute aus anderen zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen oder Bürgermeister*innen in Kleinstädten. Dass 500 offene Haftbefehle und regelmäßige Funde schwerer Waffen bei Neonazis und Reichsbürger*innen nicht dazu führen, dass diejenigen, auf die diese Waffen gerichtet sind – nämlich migrantische Menschen, People of Color, Obdachlose, LGBTIQ, Jüd*innen, antifaschistisch oder antirassistisch Engagierte, gesellschaftlichen Rückhalt bekommen, sondern diskriminiert, kriminalisiert, eingesperrt oder abgeschoben werden, ist der eigentliche Skandal.
Ersichtlich wird die irrationale Angst und die tief verankerte Sehnsucht nach Ordnung in Mannheim am Ende November 2017 erneut veröffentlichten ‚Sicherheitsbarometer‘: „Die Kriminalitätsfurcht ist in Mannheim, wie in vielen anderen deutschen Städten auch, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“. Unter anderem die Kriminalstatistik, die im Mai 2018 vorgestellt wurde, lassen solche Schlüsse eigentlich nicht zu – auch bei aller Kritik, die an ihnen geäußert werden muss. Dennoch wird diese Angst immer wieder mit parteiübergreifendem Law-and-Order-Getöse sowie durch den Ausbau der Sicherheitstechnik und -architektur (respektive Personal) geschürt. Auch in Mannheim gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Der Kommunale Ordnungsdienst, der bereits über polizeiliche Befugnisse verfügt, wurde 2017 durch die Gründung eines „Besonderen Ordnungsdienstes“ erweitert. Mitarbeiter*innen des Kommunalen Ordnungsdienstes tragen seit einiger Zeit polizeiähnliche Uniformen und haben Fahrzeuge mit der Aufschrift ‘Polizeibehörde’. Neben z.B. Verkehrsüberwachung sind sie auch für „Gefahrenabwehr“ zuständig und sollen das sogenannte subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger*innen verbessern. Dies ist nicht nur Symbolpolitik, sondern konkret gegen Menschen gerichtet, die als ‚gefährlich‘ klassifiziert werden und damit ein Mittel soziale Ausschließung durchzusetzen. Die Polizeistreifen am Fluss Neckar, die seit ca. zwei Jahren permanent Kontrollen von Menschen, die nicht nach weißen Deutschen aussehen, durchführen, sind nur ein Beispiel davon. Das Image des vielfältigen Mannheims ist angesichts des sozialen Ausschlusses inklusive des Rassismus in der Stadt eine Farce. Gruppen, die nicht in dieses Image passen, wird mit kommunaler Ordnungspolitik und repressiver Pädagogik begegnet. Es wurde ein ,Hilferuf‘ des OB Peter Kurz (SPD), in der Presse als ,Brandbrief‘ bezeichnet, an den Innenminister Baden-Württembergs, Thomas Strobl (CDU), aufgesetzt, um das vermeintliche Problem, die ‘kriminellen’ Minderjährigen mit Fluchtgeschichte, ordnungspolitisch mit der Forderung nach geschlossenen Unterbringungen zu ‚lösen‘. Dabei handelte es sich lediglich um 15 vermeintliche „jugendliche Straftäter aus Nordafrika“, die, glaubt man der Regionalpostille, von der Bevölkerung sogleich als „Staatsversagen“ wahrgenommen wurden. Genau diese autoritäre Politik ist die Strategie, um mit den selbst geschaffenen gesellschaftlichen Widersprüchen umzugehen. Dabei geraten, in Mannheim wie anderswo, diejenigen in den Fokus, die auch sonst als ‚kriminell‘, ‚gefährlich‘ oder auch nur ‚anders‘ gelten. Am liebsten kein Alkohol und keine ‚Asozialen‘ und am liebsten auch keine lärmenden Jugendlichen oder keine Jugendhäuser mehr in Innenstadtnähe. Wer die „Unwirtlichkeit der Städte“ (A. Mitscherlich) in gleichem Maße befördert wie Militarisierung und soziale Ausschließung, benötigt wahrlich keine Debatte mehr darum, wie die Städte fernab des Konsumzwangs wieder lebenswerter werden.
In solch Fahrwasser kann schon mal ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zum „Anlaufpunkt des gewaltorientierten linksextremistischen Treibens“ stilisiert werden, dem schnellstens die Förderung entzogen werden müsse. Die CDU versuchte auf diesem Wege ihr Kürzungsvorhaben im sozialen Bereich, das sie quasi durch die Hintertür vornahm, zu verschleiern, indem sie einem widerspenstigen Jugendzentrum die öffentliche Förderung entziehen wollte.
Die Rechte profitiert von der gegenwärtigen Stimmungsmache. Die Forderung aus verschiedenen Teilen des Mannheimer Gemeinderats im Nachgang der Haushaltsverhandlungen im Dezember 2017, sich vom ‚Extremismus‘ zu distanzieren, steht exemplarisch einerseits dafür, dass die Verwendung solcher Floskeln sowie ihre Instrumentalisierung Früchte trägt. Andererseits bedeutet es für uns im JUZ ganz konkret, dass im Zuge dieses falschen Demokratieverständnisses zugleich auch die langfristige Weiterförderung alles andere als garantiert ist. Nicht erst seit dem Einzug der AFD in die Parlamente sehen sich zivilgesellschaftliche Projekte im gesamten Bundesgebiet, die sich gegen Diskriminierungen aller Art wenden, mit dem Versuch der Disziplinierung unter Androhung des Entzugs ihrer Förderung konfrontiert. Mit den immer gleichen Mitteln (kleine Anfragen, Anträge etc.) wird hierbei – vorwiegend seitens der AfD, wie hier am CDU-Antrag jedoch ersichtlich, auch anderer (national)konservativer Parteien – versucht, Feindbilder und Schreckensszenarien aufzubauen, politische Gegner*innen existentiell zu bedrohen und dabei zugleich vorwiegend im sozialen, kulturellen und erinnerungspolitischen Bereich Kürzungen vorzunehmen. In populistischen Eiszeiten kommt dies gut an.
(Die Aktiven des Jugendzentrums in Selbstverwaltung Friedrich Dürr in Mannheim)
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