Muss er weg, darf er hängen bleiben oder soll er ins Museum? Kontroverse Diskussion um den “Sarotti Mohr” [update: Die Figur bleibt, wird aber verändert]
Für die einen ist die Sache völlig klar: der “Sarotti Mohr”, Logo einer Leuchtreklame im Capitol, ist ein eindeutig rassistisches Motiv und gehört daher abgehängt. Andere würden sich damit ihrer Kindheitserinnerungen beraubt fühlen und wollen ihn auf jeden Fall hängen lassen. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Dienstag, 19. Februar 2019 gingen die Meinungen auseinander und führten zu einer heftigen, emotionalen Debatte. Eine Entscheidung über das Schicksal der jahrzehntealten Leuchtreklame soll in Kürze fallen.
update vom 27.02.2019
Die Capitol Stiftung teilte inzwischen ihren Beschluss mit, die Sarotti Werbeanlage bleibe im Capitol erhalten, die Figur werde weiterhin gezeigt, ihre Haltung würde aber verändert. “Sie soll zum Symbol für unseren Wunsch werden, mit unseren Gästen dauerhaft im Gespräch zu bleiben. Eine Irritation des Betrachters ist hier gewünscht und beabsichtigt, diese soll den Dialog anregen.” Wie genau die veränderte Haltung aussehen wird, sei noch nicht entschieden und werde in den nächsten Wochen mit einem Kreativteam erarbeitet. Zudem soll zu Beginn eines jeden Jahres gemeinsam mit weiteren Akteuren und Initiativen zu den Aktionstagen “Kein Platz für Rassismus”. Dieser Vorgehensweise sollen die Mitglieder des Beratergremiums, außer Frau Ruhan Karakul, zugestimmt haben. (In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise geschrieben, alle Mitglieder hätten zugestimmt.)
Veranstaltungsreihe soll Diskussion versachlichen
Die Veranstaltung „Die Sache mit dem Sarotti Mohr“ war Teil einer Reihe mit dem Titel “Kein Platz für Rassismus”, die das Capitol in Folge der im Oktober entfachten Diskussion um eine Leuchtreklame über einer Bar organisiert. Damals wurde die rassistische Darstellung des “Sarotti Mohren” bei der Veranstaltung “Monnemer of Colour” thematisiert. Der Verein “Mannheim sagt Ja!” hatte diese organisiert und thematisierte alltäglichen Rassismus, dem Menschen in Mannheim aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion ausgesetzt sind.
Aus der Veranstaltung heraus kam die Forderung, die Sarotti-Reklame abzuhängen. Eine Unterschriftensammlung wurde noch bei der Veranstaltung gestartet. In den folgenden Tagen und Wochen löste dies eine emotionale Debatte aus, die auf der Facebook-Seite des Capitols (über 700 Kommentare) und in den lokalen Medien ausgetragen wurde. Dabei wurden auch rassistische Stereotype verharmlost, geleugnet oder gar verschärft.
Die Diskussionsveranstaltung am 19. Februar sollte nun Sachlichkeit in die Debatte bringen und zu einer guten Lösung beitragen, “denn wir wolle einen guten Kompromiss finden, den alle Beteiligten mittragen können”, betonte Capitol-Geschäftsführer Thorsten Riehle im Gespräch mit dem KIM. Eine Entscheidung soll schon bald durch die Capitol Stiftung als Verantwortliche getroffen werden.
“Der Grafiker war kein Rassist”
Die Veranstaltung war mit rund 100 Besucher*innen im „Casino“ des Capitols gut besucht. Der Ablauf war in mehrere Teile untergliedert. Zunächst gab es Input, später Diskussion. Gerhard Fontagnier, Stadtrat der Grünen und über den Verein “Mannheim sagt Ja” mit dem Thema verbunden, moderierte.
Als erster Referent betrat Prof. Dr. Ulrich Nieß, Leiter des Mannheimer Stadtarchivs MARCHIVUM die kleine Bühne und präsentierte in seinem Vortrag zunächst den Grafiker Julius Gipkens, der 1922 das Logo entwickelte, das später als „Sarotti Mohr“ Berühmtheit erlangte. Nieß schilderte das künstlichere Schaffen des Grafikers als modern und seiner Zeit voraus. Er berichtete von Stationen einer schwierigen Karriere. Gipkens, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, erlebte selbst Diskriminierung und Verfolgung und sah zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland keine Perspektive mehr. Er emigrierte mit seiner Frau, mit der er zwar geschieden war, aber über die gemeinsamen Kinder verbunden blieb, 1938 in die USA. Aus der persönlichen Verfolgungsgeschichte interpretierte Nieß die Einschätzung, dass Gipkens kein Rassist gewesen sei.
Diese Einschätzung birgt jedoch die Gefahr einer Verharmlosung des „Sarotti Mohrs“ als rassistisches Symbol. Der Kontext einer kolonialen Gesellschaft, die rassistische Vorurteile in der Gesellschaft verankert – sichtbar und unsichtbar – wird damit ausgeblendet. Es ist eine Fehleinschätzung, dass nur die politische Rechte – zu der Gipkens offensichtlich nicht gehörte – in ihrem Handeln von Rassismus geprägt sei. Vorurteile und Stereotype prägen die gesamte Gesellschaft, damals wie heute, so dass auch ein Grafiker, der selbst Opfer von Antisemitismus war, von solchen gesellschaftlichen Dynamiken nicht unberührt bleiben muss.
Noch problematischer wurde es im zweiten Teil des Vortrags von Prof. Dr. Nieß. Er befasste sich mit dem Begriff des „Mohren“ und zitierte zunächst aus sprachwissenschaftlicher Perspektive eine Einschätzung, die dem Begriff aufgrund seiner Wortherkunft und Bedeutung eine eindeutig abwertende Intention bescheinigte. Daher sei er ersatzlos zu streichen.
Allerdings ging Nieß nach diesem kurzen wissenschaftlichen Ausflug auf die umgangssprachliche und alltägliche Bedeutung in der Kolonialgesellschaft ein. Er fand ein lokales Beispiel eines Mannheimers mit dunkler Hautfarbe („nachweislich der erste bekannte Afroamerikaner in Mannheim“) der um die Jahrhundertwende in Mannheim lebte. Sein Sohn soll in Ludwigshafen die Gaststätte „Drei Mohren“ eröffnet haben. Die inhaltliche Bezugnahme würde auf die christliche Geschichte der Heiligen Drei Könige zurück gehen. Nieß kam zu der Einschätzung, dass der Begriff des Mohren deshalb auch eine positive Bedeutung habe. Einige weitere Beispiele brachte er aus dem religiösen Kontext, um seine These zu stützen.
„Rassismus ist ein gesellschaftliches Herrschaftsinstrument“
Der zweite Referent Dr. Halua Pinto de Magalhaes widersprach seinem Vorredner entschieden. Eine positive Deutung des Begriffs entspräche nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit dieser Zeit.
Der Schweizer, der seit kurzem aus beruflichen Gründen in Heidelberg lebt, betonte, dass er eher zufällig in die Veranstaltung gestolpert sei und zur eigentlichen Auseinandersetzung um die Leuchtreklame im Mannheimer Capitol wenig sagen könne. Er wollte gemeinsam mit seiner Co-Referentin Dr. Onur Suzan Nobrega zum Thema „Kolonialismus, institutioneller Rassismus und die Rolle von Kulturinstitutionen“ sprechen. Seine Kollegin sei krankheitsbedingt leider kurzfristig ausgefallen. So kam es, dass der Schweizer etwas holprig begann, in seinen weiteren Ausführungen aber umso klarer die Probleme postkolonialer europäischer Gesellschaften darstellen konnte.
In Bern hatte er sich mit der kolonialen Vergangenheit der Schweiz beschäftigt, war Mitglied des Stadtparlaments und hatte im Rahmen des „Berner Rassismusstammtisch“ Diskussionen geführt. Er berichtete von aktuellen antirassistischen Kämpfen, die zur Zeit überall in Europa geführt würden: In Lissabon gegen Polizeigewalt, in Berlin mit Straßenumbenennungen, in den Niederlanden über Kritik am sogenannten „Blackfacing“ und eben hier in Mannheimer über die Auseinandersetzung mit dem „Sarotti Mohren“. Rassismus sei und bleibe ein gesellschaftliches Herrschaftsinstrument, war Halua Pinto de Magalhaes zentrale These. „Die aktuelle Auseinandersetzung ist ein Erbe der kolonialen Vergangenheit Europas.“ Aktuelle Diskussionen könnten nicht ohne den historischen Bezug zur Kolonialgeschichte der jeweiligen Nation betrachtet werden. „Der Kolonialismus war ein Projekt der europäischen Eliten“, es sei um die Ausbeutung des afrikanischen und südamerikanischen Kontinents gegangen. Daran gebe es nichts zu beschönigen.
Die Figur des „Sarotti Mohren“ bezeichnete er als eindeutig rassistisch. Die stereotyp dargestellten roten Lippen, die pechschwarze Haut, die Rolle des Dieners und die comichafte, verniedlichende Darstellung führten zu einer Entmenschlichung. Mit dieser Einschätzung widersprach er der Deutung seines Vorredners. Nieß hatte die Darstellung der Figur als möglicherweise niedlich interpretiert und damit die Option einer positiven Deutung ins Spiel gebracht.
Positive Kindheitserinnerungen versus verletzende Diskriminierungserfahrungen
Dritte Referentin des Abends war Tina Koch vom Antidiskriminierungsbüro Mannheim e.V. (adb). Sie stellte die Arbeit des erst 2018 gestarteten Projekt vor, dass sich in freier Trägerschaft und damit unabhängig von der Stadtverwaltung befindet. Finanziert wird die Arbeit über öffentliche Gelder. Die Antidiskriminierungsberatungsstelle im Aufbau will Menschen dabei unterstützen, sich gegen erlebte Diskriminierung zu behaupten. Es gehe nicht nur um „eins zu eins Diskriminierung“, also den konkreten Einzelfall, sondern auch um gesellschaftliche Strukturen, die Diskriminierung begünstigten. Ein solcher Fall ist die Diskussion um den „Sarotti Mohr“.
Das adb ist Teil des Runden Tischs, den das Capitol Ende 2018 als Gremium gegründet hat, um sich zum weiteren Umgang mit der Sarotti-Werbung beraten zu lassen. Unter anderem entstand aus dem Runden Tisch die Veranstaltungsreihe „Kein Platz für Rassismus“.
Tina Koch berichtete noch einmal von wesentlichen Punkten der Diskussion Ende 2018. Über 700 Reaktionen in den sozialen Medien seien registriert worden, darunter verschiedenste Meinungen, auch rassistische Kommentare. Immer wieder sei das Thema Denkmalschutz genannt worden, was faktisch jedoch keinerlei Relevanz für den weiteren Umgang mit der Leuchtreklame hätte. Sehr emotional werde es beim Thema (Kindheits-)Erinnerungen von älteren Menschen. Es sei auch häufig die Forderung geäußert worden, dass rassistische Logo müsse weg. Doch die große Mehrzahl der Kommentare wurde offenbar von Menschen geäußert, die nicht selbst von Rassismus betroffen waren.
Der Runde Tisch hatte mögliche Umgangsweisen zur weiteren Diskussion aufgelistet:
- Die Sarotti-Leuchtreklame könnte hängen bleiben und mit einer Infotafel ergänzt werden
- Das alte, rassistische Sarotti-Logo könnte durch das aktuelle ausgetauscht werden
- Die Werbung könnte kreativ verändert werden
- Die Leuchtreklame könnte abgehängt und an einem anderen Ort aufgestellt werden, z.B. in einem Museum
- Alles bleibt, wie es ist
Unverständnis auf beiden Seiten
Mit einem Verweis darauf, dass eine Entscheidung noch nicht getroffen sei, wurde die Diskussionsrunde unter Beteiligung des Publikums eröffnet.
Kritik musste Stadtarchivleiter Ulrich Nieß für seine thematische Schwerpunktsetzung und die Einschätzung zum Begriff des Mohren einstecken. Viele im Publikum äußerten die klare Forderung, die Leuchtreklame müsse abgehängt werden. Manche konnten es nicht verstehen, warum darüber überhaupt diskutiert werden. „Die Sache ist doch völlig eindeutig“.
Es gab aber auch klare Meinungen, alles so zu belassen, wie es ist. Auch ein Mann, der selbst von Diskriminierungserfahrungen aufgrund seiner Hautfarbe berichtete, vertrat diese Position. Er verbinde mit der Sarotti-Werbung ein positives Gefühl, den wunderbaren Geschmack der Schokolade.
Ein anderer zog den schwierigen Vergleich zum Antisemitismus: „Wenn es sich um eine antisemitische Karikatur eines jüdischen Menschen handeln würde, wäre die Entscheidung wohl schon längst gefallen.“ Von den Befürwortern der Leuchtreklame hörte man immer wieder, man solle „die Kirche im Dorf lassen“. Emotionen und Gefühle bestimmten deren Beiträge. Eine Frau fragte sichtlich wütend in Richtung einer Vertreterin des „hängen lassen“: „Warum sollte es mich interessieren, was die Menschen von rassistischen Symbolen halten, die selbst gar nicht von Rassismus betroffen sind?“ Immer wieder war Moderator Gerhard Fontagnier gefordert, die Diskussion in sachliche Bahnen zu lenken. Dennoch blieb es bis zum Ende eine spannende Diskussion, gerade weil sie kontrovers war.
Will man wirklich alle Meinungen zusammen bringen?
Im anschließenden Pressegespräch betonte Thorten Riehle noch einmal, dass noch keine Entscheidung getroffen sei und für diese ein Konsens mit allen Beteiligten gesucht werde. Er wolle sich nicht der lauten Mehrheit beugen, sondern die verschiedenen Positionen zusammen bringen. Letztlich müsse die Stiftung entschieden, die das Hausrecht im Capitol inne habe.
Wie die Meinungen zusammen gebracht werden könnten, das scheint auch Riehle noch nicht ganz klar zu sein. Problematisch wird eine solche Debatte, da auch die Verharmlosung von Rassismus Legitimation bekommt und als eine Meinung von vielen gilt. Dabei muss bedacht werden, dass an diesem Abend zwar die Rassismus-Kritiker*innen in der Mehrheit waren. Der Großteil der Verfasser*innen der vielen Hundert Facebook Beiträge, Leserbriefe und Kommentare in den Lokalmedien sprach sich aber für Nostalgie und persönliche Emotionen und für das „hängen lassen“ aus – und leistete genau damit der Verharmlosung Vorschub. Eine Entscheidung soll dennoch bald getroffen werden. Es bleibt also spannend.
(Text & Bilder: cki)
Siehe auch:
Sarotti-Mohr: Muss er nun weg? Darf er so hängenbleiben? Worum geht es?