Machtkampf im Fußballstadion: Kann man Solidarität kaufen, wenn man Milliardär ist?
Während ganz Mannheim am Samstag in den Bann des lange ersehnten Derbys gegen den Erzrivalen aus Kaiserslautern gezogen war, ereignete sich knapp 50 Kilometer südöstich beim Heimspiel der TSG Hoffenheim ein Ereignis, das die Fußballkultur in Deutschland nachhaltig verändern könnte. Der offene Machtkampf zwischen dem DFB und der aktiven Fanszene scheint zu eskalieren.
Was war geschehen? Wiederholt kam es bei einem Spiel gegen die TSG Hoffenheim zu Sprüchen und Bannern mit Beleidigungen gegen den SAP-Milliardär Dietmar Hopp, Gesellschafter und gefühlter „Besitzer“ des TSG Hoffenheim. Hopp ist zur Symbolfigur des modernen, profitgesteuerten Fußballs geworden. Sportvereine werden zu Wirtschaftsunternehmen und Fußballspiele zu Kommerzveranstaltungen.
Auf Bannern, die im Gästeblock bei den Bayern-Fans hochgehalten wurden, war zu lesen: „Alles beim Alten: Der DFB bricht sein Wort, Hopp bleibt ein Hurensohn“. Hintergrund ist die erneute Zuspitzung des Streits um Kollektivstrafen. Nach Beleidigungen gegen Hopp bei einem Spiel Dortmund gegen Hoffenheim im Dezember 2019 kam es im Februar diesen Jahres zu einem Sportgerichtsurteil, demnach bei künftigen Auswärtsbegegnungen den Dortmund-Fans der Zutritt zum Hoffenheim-Stadion verboten ist – für die nächsten zwei Jahre! Dies führte zu Solidarisierungseffekten. Kurz nach dem Urteil provozierten Gladbach-Fans gegen DFB und Hopp.
Und nun die Bayern-Fans am Samstag. Der Schiedsrichter ließ die Partie zwei mal unterbrechen – dramatische Szenen im Schneeregen – und die letzten Minuten spielten beide Vereine ein kurioses Nicht-Angriffsspiel, das offenbar als Solidaritätsbekundung für den Hoffenheim-Milliardär gemeint war.
Der 6:0 Sieg der Bayern war Nebensache, doch das Ereignis bestimmte nicht nur die Sportnachrichten des Tages. Auf allen Kanälen wurde über den „Skandal“ von Sinsheim berichtet. Scharfe Verurteilungen der Ultras, Kommentare aus allen Ecken, Solidaritätserklärungen für Dietmar Hopp und schlimme Vergleiche (dazu später mehr).
Streit um die Zukunft des Fußballs
Der Streit ist ein jahrelanger. Zugrunde liegt dem Konflikt die sehr grundsätzliche Frage, wohin der Fußball steuert. Fankultur ist in Deutschland und international in der Gesellschaft fest verankert und hat in den vergangenen 20 Jahren durch die Ultra-Bewegung enormen Aufschub bekommen. Aktive Fans haben sich gut organisiert, junge Menschen haben Ideen und Kreativität in die Kurven gebracht und sich mit spektakulären Aktionen einen festen Stand in der Fußballwelt erarbeitet. Das führte zu einem Selbstbewusstsein der Fangruppen. Die Ultras wissen genau, dass ohne sie auf den Tribünen nicht mehr viel läuft.
Parallel dazu ist in dieser Zeit die Kommerzialisierung des Fußballs immer weiter voran geschritten. Vereine wurden zu Aktiengesellschaften. Immer neue Regeln und Vorgaben, die nur dem Profit zu dienen scheinen, nehmen den Fans die Freiheit. Das alles geht einher mit spürbaren Auswirkungen: Stehplätze verschwinden, Tickets werden teurer, Spiele werden auf Montage verlegt, dazu kommen Kollektivstrafen, Verbote, Überwachung und Kontrolle…
Rund um den DFB scheint eine Parallelgesellschaft entstanden zu sein, die offenbar wenig demokratisch ist – sogar eigene Gerichte hat – und deren oberstes Ziel die Maximierung von Profit zu sein scheint.
Die Dimension des „Hurensohn“-Begriffs
Dietmar Hopp ist zur Symbolfigur dieser Entwicklung geworden. Als Superreicher investierte er viel Geld in den Lieblingsverein aus seiner Kindheit und verhalf ihm damit zum Aufstieg in die erste Liga. So ähnlich lief es auch bei anderen Vereinen und natürlich verdrängten die Clubs der Reichen so manchen Traditionsverein, der keinen wohlhabenden Mäzen hinter sich hatte. Die Proteste der Ultras richten sich seit Jahren gegen diese Entwicklung und Dietmar Hopp wurde zur Symbolfigur.
Wer einmal beim Waldhof in der Ost war (oder inmitten einer beliebigen anderen gut organisierten Fanszene), der weiß, dass die Ausdrucksweise derb ist und sich verbal sehr ausgiebig auf dem Gegner eingeschossen wird. In den meisten Stadien (aber nicht allen) ist der Begriff „Hurensohn“ die Standardbeleidigung und so ziemlich jede und jeder wird damit bezeichnet, der irgendwie zum gegnerischen Team gezählt wird. Das ist nicht schön. Der Begriff „Hurensohn“ ist sexistisch und diffamierend – man sollte ihn nicht verwenden.
Man sollte aber auch nicht übermäßig viel hinein interpretieren, denn ein tieferer Sinn oder eine besondere Intention steckt wohl eher nicht hinter dem Schimpfwort Nr. 1. Vielmehr kommt er hier zur Abgrenzung der eigenen, oft als proletarisch verstandenen Fan(sub)kultur vom Establishment des DFBs und der Vereins-Oberen zum Tragen. Der Inhalt des Banners, der oben erwähnten Aktion der Gladbacher, ist ein Beispiel dafür: „Hurensöhne beleidigen einen Hurensohn und werden von Hurensöhnen bestraft“. (Gemeint ist: BVB Fans beleidigen Dietmar Hopp und werden vom DFB bestraft.)
Mittlerweile ist der „Hurensohn“ zum Symbolbegriff der Auseinandersetzung geworden. Die Gegenseite schießt mit ganz anderen Mitteln zurück. Das Konglomerat aus DFB (mit seinem Geld, seinen Schiedsrichtern und Sportgerichten), Staatsmacht (Polizei) und Finanzelite (Dietmar Hopp, Red Bull und Co.) lassen die Muskeln spielen und wehren sich mit Kollektivstrafen und dem Versuch, die Fanszene zu spalten. Die Medien spielen das Spiel bislang mit. Ob der Plan aufgeht, wird sich zeigen.
Solidarität 1. und 2. Klasse
Nun stellt sich in diesem Konflikt nicht nur die Frage der Verhältnismäßigkeit. Vielmehr gibt es hier ganz offensichtlich eine Schieflage, wo der DFB, aber auch der Staat, mit voller Härte einschreiten und wo weggesehen wird. Das zuständige Polizeipräsidium Mannheim berichtete kurz nach dem Fußballspiel Bayern-Hoffenheim, es habe eine Sonderermittlungsgruppe „Kurve“ mit fachkundigen Beamt*innen eingerichtet, die nun systematisch Videoaufnahmen aus dem Stadion auswerten solle, um Täter*innen gerichtsfest ermitteln zu können. Der Polizeipräsident kommentierte persönlich: „Deswegen gehen wir gezielt gegen Hass auch auf den Stadionrängen vor“. Am nächsten Tag wurde mit einer weiteren Pressemitteilung eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet („Personen, die private Videoaufnahmen mit ihren Handys (…) gefertigt haben, werden gebeten, diese Mitschnitte (…) zur Verfügung zu stellen.“)
Das erinnert eher an einen Banküberfall, als an ein Fußballspiel. Es geht hier aber immer noch um den Straftatbestand der Beleidigung. Schön für Herrn Hopp, könnte man meinen, dass sich um den armen Mann so gekümmert wird. Das Problem ist aber, dass die allermeisten Menschen eine solche Unterstützung nicht bekommen. Wer musste schon einmal zum nächsten Polizeiposten, weil man beleidigt oder bedroht wurde? Welcher Ermittlungseifer war dann zu beobachten?
Doppelmoral
Seit Jahren fordern Faninitiativen den DFB dazu auf, gegen Rassismus und Sexismus im Stadion aktiv zu werden. Opfer müssten besser geschützt werden, aber kaum etwas passierte. Viel zu oft wurde betroffenen Frauen, Schwulen oder Migrant*innen gesagt, jetzt habt euch doch nicht so, das sei halt so, im Fußball. Nun trifft es einen Superreichen und auf einmal geht es?
Ein aktuelles Beispiel, dass DFB und DFL mit zweierlei Maß messen, zeigt sich am Fall der rassistischen Beleidigungen gegen den Berliner Verteidiger Jordan Torunarigha beim Pokalspiel gegen Schalke Anfang Februar. Spielunterbrechung? Von wegen… Es gab auch keine Top-Meldungen in den Medien und keine bewegten Promis, die das Opfer öffentlichkeitswirksam verteidigten, noch nicht einmal eine Stadiondurchsage. Er bekam wohl nur die Solidarität der 2. Klasse – wenn überhaupt.
Sind die Vertreter des Fußball Establishments, die Promis, Vorstände, Präsidenten, DFB- und DFL-Funktionäre überhaupt moralische Instanz, fähig und in der Lage für „fair play“ und allgemeine Gerechtigkeit in der Fußballwelt zu sorgen? Wohl kaum. Ein Kommentar im Tagesspiegel bringt die Doppelmoral im deutschen Fußball auf den Punkt:
„Wenn Rummenigge in diesem Zusammenhang vom “ganz hässlichen Gesicht des Fußballs” spricht, übertreibt er gewaltig. Das ganz hässliche Gesicht des Fußballs zeigt sich dann, wenn Weltmeisterschaften gekauft werden, Arbeiter beim Bau von WM-Stadien sterben oder Funktionäre zig Millionen Steuern hinterziehen. Dass an diesem wunderbaren Sport immer mehr fußballfremde Akteure verdienen wollen und verdienen, gefällt einem kleinen Teil der Branche nicht, es ist meist jener Teil, der mit zugespitzten Botschaften auf sich aufmerksam macht.“
Der Tagesspiegel vom 29.02.2020
Sinsheim ist nicht Hanau!
Am schlimmsten in der medialen Rezeption der Hopp-Beleidigungen sind aber die unpassenden Vergleiche. Die Banner gegen Dietmar Hopp haben nichts mit Rassismus oder der NS-Zeit zu tun. Wir reden hier von einem Mann aus den höchsten gesellschaftlichen Kreisen – mehr Privilegien zu haben geht eigentlich nicht. Auch Vergleiche mit Hass-Kommentaren im Internet sind unpassend. Der Bezug zum Attentat von Hanau ist völlig daneben, leider war davon aber immer wieder in Kommentaren verschiedener Medien zu hören.
Den provozierenden Fußballfans täte eine Versachlichung der Debatte trotzdem gut und vielleicht sollten sie auch mal darüber nachdenken, den „Hurensohn“-Begriff einzumotten und sich eine passendere Provokation zu suchen. Dann werden auch die Spaltungsversuche des DFB ins Leere laufen. Immerhin gibt es ja eine Zukunft zu gewinnen – die Zukunft moderner Fußball- und Fankultur.
(cki)