„Gegen Mietsteigerungen und Verdrängung durch Investoren“ – Kundgebung des Offenen Stadtteiltreffens Neckarstadt (OST) am 21. August auf dem Neumarkt
Ca. 100 vorwiegend junge Menschen beteiligten sich an der Kundgebung gegen den „Ausverkauf der Neckarstadt“ und gegen Gentrifizierung. Im Mittelpunkt der offiziellen Reden stand die scharfe Kritik an der Zusammenarbeit der Stadt Mannheim mit dem Investor Hildebrandt&Hees sowie an den Projekten, die aus dem Dunstkreis von H&H und dem Grünen Stadtrat und Musiker Markus Sprengler propagiert werden und ihren Niederschlag in der Projekt-Skizze „Westwind“ fanden.
Ursula Jochim von FairMieten prangerte bereits feststellbare Mieterhöhungen in H&H-Wohnhäusern und in Folge dessen auch Verdrängungen an. Sie rief zur Gegenwehr in solchen Fällen auf. Unter dem Beifall der Anwesenden verwies sie auf die gelungene kollektive Übernahme des zum Verkauf anstehenden Mietshauses Waldhofstraße 8 durch die bisherigen Mieter*innen. Dies sei ein positives Beispiel praktischen Widerstandes.
Für den Vorstand des Mietervereins sprach Karlheinz Paskuda. Er setzte sich vor allem mit dem Begriff der „Aufwertung“ des Stadtteils auseinander, wie er von der Verwaltung und der MWSP im Mundes geführt werde. Diese Aufwertung führe direkt in die Gentrifizierung. „Entweder, dies wird ganz gezielt betrieben oder die Verantwortlichen begreifen das nicht. Ich vermute inzwischen Ersteres“. Paskuda kritisierte, dass die Stadt Mannheim in der Neckarstand keine Milieuschutzsattzung erlässt und plädierte dafür, dass die Stadt mehr Grundstücke kauft als bisher. Gegen Ende seiner Rede schlug er vor, das Berliner Genossenschaftsmodell in Mannheim zu übernehmen: die Stadt kauft Häuser und verkauft diese zu reduziertem Preis an Genossenschaften weiter. „In Berlin würde man sich kaputtlachen, wenn man erführe, dass in Mannheim die Stadt mit Investoren zusammenarbeitet.“ Paskukda „würdigte“ außerdem die Aktivitäten von Nikolas Löbel MdB als Investor für teures Studierenden-Wohnen und für airb&b-Wohnungen.
Emre Uysal von ver.di kritisierte die Zusammenarbeit zwischen Stadt und H&H ebenfalls heftig. So könne man auch keine sozialen Probleme lösen. – Ein geplanter Redebeitrag von DIDF kam nicht zu Stande.
Nach diesen Beiträgen wurde das Offene Mikrofon geöffnet. Stadtrat Thoms Trüper von der LINKEN / Fraktion LI.PAR.Tie. stellte einige Betrachtungen zu der komplexen Lage in der Neckarstadt an, die s.E. im Kampf gegen die Gentrifizierung beachtet werden müssten (der Beitrag wird unten dokumentiert). Karlheinz Paskuda und ein weiterer Redner kritisierten diese Äußerungen teilweise. Thomas Trüper schlussfolgerte daraus ohne Mikrofon, es bestünde offensichtlich Diskussionbedarf, den man bei anderer Gelegenheit im Sinne der gemeinsamen Interessen fortsetzen sollte.
Zahlreiche Transparente machten die Kritikpunkte und Forderungen der Veranstalter*innen deutlich, darunter kurz und bündig: „Pöbel gegen Löbel“.
tht
Statement von Stadtrat Thomas Trüper (LINKE) am „offenen Mikrofon“
Gemeinsame Ziele
Liebe Freundinnen und Freunde,
Ich danke den Organisator*innen, dass ich hier am „Offenen Mikrofon“ ein paar Gedanken zum Thema der Kundgebung beisteuern darf. Als Fraktionsvorsitzender der LI.PAR.Tie. bin ich ein Vertreter „DER Politik“, die von einigen Vorredner*innen heftig gegeißelt wurde. Es gibt aber m.E. nicht „DIE Politik“, sondern nur – in unserem Sinn –gute oder (leider sehr viel) schlechte Politik, und einiges dazwischen.
Wir sind hierhergekommen, weil wir uns Sorge machen über Mieterhöhungen durch Eigentümerwechsel und Sanierungen in der Neckarstadt, und weil wir v.a. in Neckarstadt-West einen Stadtteil haben wollen, der lebenswert ist. Wir machen uns auch nicht nur Sorgen, sondern wir protestieren und kämpfen gegen Gentrifizierung. Und ohne Mobilisierung so wie heute geht das nicht.
Fehler vermeiden, den Status Quo 2018 nicht schönreden
Dabei sollten wir Fehler und politische Kurzschlüsse vermeiden. Und wir dürfen nichts schön reden.
Ein Kurzschluss begegnet einem im Mobilisierungstext für heute: „2018 hat der Gemeinderat der Stadt Mannheim große Teile der Neckarstadt-West zum Sanierungsgebiet erklärt. Das ist Teil der „Lokalen Stadterneuerung“ (LOS), einem Projekt der Stadt Mannheim. Seitdem kauft insbesondere die Immobilienfirma Hildebrandt & Hees massiv Häuser in der Neckarstadt-West auf.“
Diese Textpassage suggeriert, dass der Erlass der Sanierungssatzung die negative Entwicklung erst ins Rollen gebracht habe. Häuser aufkaufen – das machen schlaue Investor*innenaber jedoch grundsätzlich gerne dort, wo die Immobilien runtergekommen und deshalb billig sind. Investoren entmieten, sanieren und ziehen dadurch Neubewohner*innen an, die zahlungskräftiger als ihre Vorgänger*innen sind. Die erste Gruppe, die dabei auftaucht, sind meistens Studierende, die für einzelne WG-Zimmer in Summe mehr als Normalmieter*innen für eine ganze Wohnung zahlen und damit aber trotzdem billiger fahren als in Appartements. Gerne werden dann auch Kunstschaffende animiert, in den Stadtteil zu kommen, vielleicht sogar zu bezahlbaren Mieten. Wenn dieser Prozess nicht gebremst und gesteuert wird, folgen Luxusmodernisierungen, das Wohngebiet kippt in die andere Richtung.
Die Sanierungssatzung nach Baugesetzbuch, wie sie 2018 für den Kern Neckarstadt-West beschlossen wurde, ist nicht Auslöser oder Beschleunger solcher Prozesse, sondern im Gegenteil: Sie reagiert auf eine lange Abwärtsentwicklung und bietet Instrumente, um gegenzuwirken. Eine solche Satzung stört die Haifisch-Investoren; denn die Kommune hat grundsätzlich ein Vorkaufsrecht in den Sanierungsgebieten und kann daraus Verhandlungsmasse gegenüber Investoren generieren, die sie sonst überhaupt nicht hätte. Davon lebet teilweise die viel geschmähte LOS (Lokale Stadterneuerung Neckarstadt West).
Hildebrandt & Hees sind zweifellos die bekanntesten Investoren mit Immobilienankäufen in der Neckarstadt-West im mittleren zweistelligen Bereich. Und genau mit denen kooperiert die Stadt bzw. Dezernat IV im Rahmen von Sanierungsvereinbarungen?! Speziell hiergegen wendet sich ja schwerpunktmäßig diese Kundgebung.
Eigentums-Tatsachen
Die Lage ist aber m.E. wesentlich ernster, als von den Vorredner*innen dargestellt, insbesondere, wenn wir die Vorgeschichte und die Eigentumsverhältnisse betrachten.
Die Neckarstadt-West insgesamt hat 10.100 Wohneinheiten (WE). Der GBG gehören davon 1.700 WE. 1.050 davon wiederum liegen in den drei bereits abgeschlossenen Sanierungsgebieten Erlenhof, Rainweiden- und Untermühlaustraße. Dort wurde jeweils von Einzelöfen auf Fernwärme umgestellt und die Häuser wurden energetisch isoliert. Außerdem wurden Bäder / Duschen eingebaut oder saniert. In der Untermühlaustraße beispielsweise betrug die Kaltmiete vor der Sanierung 4,90 Euro/m² (98 Cent unter Mietspiegel); nach der Sanierung für die Bestandsmieter*innen max. 5,75 Euro/m² (1,40 Euro unter Mietspiegel). Für Mieter*innen mit B-Schein (Sozialwohnung) betrug der m²-Preis nach Sanierung 4,36 Euro. So weit, so gut.
Im jetzigen Sanierungsgebiet, das den gesamten Rest der Neckarstadt-West südlich Zeppelinstraße abdeckt, hat die GBG gerade einmal 20% der Grundstücke mit 650 Wohneinheiten. Also sind in der Neckarstadt von den insgesamt 10.100 WE 8.400 in privater Hand. Ein kleiner Anteil bei zwei Baugenossenschaften und Vonovia, der Rest ist kleinteiliges Privateigentum. Ein Dorado für Miethai-Investoren! Tatsächlich wurden auch schon vor 2018 über 30 Grundstücke bzw. Häuser von Privatinvestoren- und Immobilienfirmen gekauft, von Mai bis Dezember 2017 allein schon sieben. Wenn man also gegen den „Ausverkauf der Neckarstadt“ ist, muss man sich klar sein, wer hier an wen ausverkauft, und welche Mittel dagegen in Stellung gebracht werden können.
Es brennt auch über zu befürchtende Mietsteigerungen hinaus
Es gibt ein weiteres Problem: 85-90% der teilweise über 100 Jahre alten Wohnhäuser sind sanierungsbedürftig. Wir dürfen nicht Samstag bis Donnerstag für die Erhaltung des Status Quo in der Neckarstadt eintreten, und Freitags “for future” auf die Straße gehen.
Auch sozial betrachtet ist der Status Quo das Ergebnis einer Fehlentwicklung, die uns ohne das Eingreifen der Stadt mit anderen Parolen auf die Straße getrieben hätte: „Die Neckarstadt-West darf nicht weiter verkommen – keine >Ghetto-Bildung<!“ Der Stadtteil hat einen wahren Exodus von Bewohner*innen hinter sich, die alle auch nicht super reich waren. Wenn wir über Gentrifizierung klagen, dürfen wir auch die stattgefundene Entmischung nicht außer Betracht lassen; Neckarstadt-West ist der Mannheimer Stadtteil mit der höchsten Fluktuation und sie ist eine Hauptankunftsgebiet für die EU-Binnenmigration.Etwa 20% der Bewohner*innen ziehen jährlich zu, 500 weniger ziehen jährlich weg.
Es ist ein Haufen Gewerbe, Geschäfte und Kneipen verloren gegangen, zuletzt z.B. die beliebte Konditorei Wissenbach. Viele Handels- und Gewerbeflächen stehen leer; der Rest zeigt kein vielfältiges Angebot. Wenn “man” sich in der Neckarstadt mal gemütlich hinhocken will, dann wird man ganzjährig zwischen Café Mohrenköpfle, Café Klokke (tagsüber) und abends Café Rost pendeln können. Seit einiger Zeit ist das Bäckerei-Café Grimminger hier am Neumarkt dazugekommen. Die GBG hatte das Eckhaus erworben und bei der Vermietung steuernd eingegriffen.
Auch die Bildungschancen und die Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind in der Neckarstadt West eindeutig schlechter als in anderen Stadtteilen. Ein Dauerbrenner im Empfinden sehr vieler Bewohner*innen ist auch die Verschmutzung.
Was tun?
Was also tun, um Missstände abzubauen, ohne am Ende einen von Privatinvestoren durchgestylten Stadtteil zu haben mit unbezahlbaren Wohnungen und hippen Szene-Lokalen?
Ein entscheidender Hebel ist das kommunale Vorkaufsrecht, welches die profitgetriebene einseitige Umgestaltung des Stadtteils verhindern kann – oder könnte. Die Frage ist: Wie viel kann die Kommune hier leisten?
Mit dieser Frage ist zunächst die GBG angesprochen. Sie hat bereits eine Vielzahl von Problemimmobilien bzw. strategisch wichtigen Grundstücken im Stadtteil erworben und wird dies sicher auch weiterhin tun. Aber das Budget hierfür ist natürlich begrenzt. Die Höhe des Budgets ist eine politische Frage, die der Gemeinderat im Rahmen der Haushaltsgestaltung zu entscheiden hat. Die LI.PAR.Tie. hat hierzu sowohl in der Diskussion über den Nachtragshaushalt wie auch über den Bodenfonds deutlich Stellung bezogen.
In diesem Zusammenhang ist der Gedanke aufgreifenswert, den Karlheinz Paskuda als Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Mietervereins Mannheim in seinem Redebeitrag äußerte (allerdings, wie er hervorhob, nicht in Absprache mit dem Vorstand): In Berlin erwerbe die Kommune Wohnhäuser z.B. für 2,5 Mio. Euro und verkaufe diese weiter für z.B. 2 Mio. Euro an eine zu gründende oder bereits existierende Genossenschaft. Damit könne die Genossenschaft den Kauf vollständig (ohne zusätzliches Eigenkapital) über Banken finanzieren. Dies ist auch für Mannheim ernsthaft zu überprüfen. Findet sich eine Bank, die eine Immobilie zu 80% finanziert, einschließlich erforderlicher Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen? Alternativ wäre aber auch überlegenswert, ob die Kommune die erworbene Immobilie an eine Genossenschaft zu einem sehr günstigen Zins als Erbbaurecht übergibt. Das belastet den Kommunalhaushalt jedoch ungleich mehr. Die Revitalisierung der Erbpacht für soziale Zwecke wie auch Gründungshilfen für Genossenschaften finden sich im Übrigen seit Jahren in den Anträgen der LI.PAR.Tie. bzw. zuvor der LINKEN.
Es gibt also sehr viel zu diskutieren, wenn es mit der Neckarstadt-West aufwärts und für die Mieter*innen nicht abwärts gehen soll. Es geht sowohl um grundsätzliche Fragen wie die eben angeschnittenen, als auch um sehr konkrete Fragen der Wohnumfeld- und Infrastrukturgestaltung. Hier ist ein wirklich breite Schichten bzw. Communities des Stadtteils erreichender Beteiligungsprozess erforderlich.
(Das Statement wurde nachträglich verschriftlicht und (zuletzt am 27.08.) überarbeitet. Quelle u.a.: Vorbereitende Untersuchungen nach § 141 BauGB zur städtebaulichen Erneuerung des Gebietes „Neckarstadt-West“ in Mannheim. ABSCHLUSSBERICHT Fassung vom 12.06.2018)