Diskussion um Ausgangssperre: „Solidarität statt Autorität!“

Im April hat man es geschafft, die Plätze ganz ohne Ausgangssperre leer zu bekommen. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Pandemie verläuft steiler, die Krankenhäuser werden voller, die Solidarität hat nachgelassen.
Seit Freitagabend gilt in Mannheim eine Ausgangssperre – jede Nacht von 21 bis 5 Uhr. Mittlerweile haben weitere Kommunen nachgezogen und es wird kontrovers über die Maßnahme diskutiert. Befürwortung und Gegnerschaft lässt sich nicht an den klassischen politischen links-rechts-Zugehörigkeiten festmachen. Das Thema ist komplex und vielschichtig.
Zunächst ist eine Ausgangssperre ein besonders repressives Instrument, das üblicherweise Anwendung in autoritären Staaten findet, zur Unterdrückung der Bevölkerung und zum Erhalt der Macht der Herrschenden. Nun ist in der Pandemie einiges anders und die Ausgangssperre hat in diesem Fall vielmehr den Sinn, gesellschaftlicher Solidarität durch staatlichen Zwang nachzuhelfen. Der Regierung diktatorische Züge zu unterstellen geht am Problem vorbei, denn es geht nicht um politische Ziele, sondern allein um die Senkung von Infektionszahlen. Und da ist man in Mannheim ziemlich ratlos.
Für die „Uneinsichtigen“, die sich nach 21 Uhr nicht an die Kontaktbeschränkungen halten, gibt es nun das Ausgangsverbot, Polizeikontrollen und Bußgelder, alle anderen Bürger*innen trifft es ebenso.
Oberbürgermeister Peter Kurz nennt private Treffen „stärkste Infektionstreiber“, genaue Zahlen nennt er zuletzt aber nicht. Diese gab es im Oktober und November, beispielsweise in der Diskussion um Urlaubsrückkehrer*innen. Mittlerweile werden die Informationen aus dem Rathaus spärlicher. Klar ist, die Ausgangssperre wird wirken, die Frage ist nur, wie viel. Das führt zur nächsten Frage: Ist die Ausgangssperre ein verhältnismäßiges Mittel? Denn Grundrechte werden zwar massiv eingeschränkt, aber einen Erfolg kann niemand garantieren.
„Die Interessen des Kapitals nicht über die Leben von Menschen stellen“
Die DIDF-Jugend findet die Maßnahme, angesichts dessen, dass der Arbeitsalltag ganz normal weitergeht, zumindest „fragwürdig“. Das soziale Leben werde heruntergeschraubt, aber die Kontakte in den Schulen, Büros und Fabriken gehen weiter. Erst wenn dahingehend Maßnahmen ergriffen würden, könne das Problem gelöst werden.
„Diese Maßnahme kritisieren wir entschieden“ teilt die Interventionistische Link Rhein-Neckar in einer Erklärung zur Ausgangssperre mit. „Während der kapitalistische Normalzustand in den Schulen und Betrieben, notdürftig ergänzt mit Masken- und Abstandsregeln, um jeden Preis aufrecht erhalten wird, soll ein Leben außerhalb der Arbeitszeiten nicht mehr stattfinden. Während sich Menschen allmorgendlich in teils überfüllte Bahnen quetschen müssen, wird ihnen abends die letzte Möglichkeit zu – verantwortungsvollem – sozialen Kontakt genommen.“
Anstatt Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und der Ausbreitung des Viruses anzugehen, werde die Schuld ins Private abgewälzt. Die iL fordert, dass bei der Bekämpfung des Viruses die Interessen des Kapitals nicht über die Leben von Menschen gestellt werden und dass anstatt auf autoritäres Durchgreifen auf Solidarität gesetzt werde. Eine Verschlechterung ihrer Situation sieht die iL auch für Betroffene von häuslicher Gewalt und wohnungslose Menschen, die sich nach 21 Uhr nicht einfach in ihre eigenen vier Wände zurück ziehen können.
„Zu kurz gedacht“ findet die Linksjugend Mannheim und fürchtet auch polizeiliche Willkür. Denn die Umsetzung der Ausgangssperre liegt in der Hand der Polizei. Ob man einen legitimen Grund hat, nach 21 Uhr das Haus zu verlassen, entscheiden zunächst einmal die Polizist*innen auf der Straße nach eigenem Ermessen. Nach den Erfahrungen mit Racial Profiling und den zahllosen „Einzelfällen“ rassistischer Vorkommnisse der letzten Monate muss man hier durchaus besorgt sein.
Die Prioritäten bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung stünden im falschen Verhältnis. “Es ist uns unbegreiflich, warum weiterführende Schulen nicht auf Wechselunterricht oder digitale Plattformen umsteigen, die Schüler*innen ohne ausreichenden Schutz wie Luftfilter weiterhin im Präsenzunterricht aufeinander sitzen müssen, aber es so erhebliche Grundrechtseinschnitte gibt”, erklärt Selin Gören von der Linksjugend Mannheim.
Geteilte Meinungen bei den Parteien
Bei den politischen Parteien gehen die Meinungen auseinander. Wenn man sich die Verbreitung von Stellungnahmen und eine Umfrage des Mannheimer Morgen ansieht, ergibt das ein gemischtes Bild. Grüne und SPD stellen sich hinter die Ausgangssperre und stärken ihrem Bürgermeister bzw ihrer Landesregierung erwartungsgemäß den Rücken. Die Mannheimer CDU schießt dagegen: „Ich halte wenig bis gar nichts von der nächtlichen Ausgangssperre“ schreibt Nikolas Löbel. Seine Fraktion prescht mit einem Maßnahmenkatalog in die Öffentlichkeit, von denen manche Forderungen, wie kostenlose Taxis für Risikogruppen oder Schnelltests für die ganze Bevölkerung als populistische Stimmungsmache abgetan werden können – welche Stadt hätte das nicht gerne auch?
Gegen die Ausgangssperre positionieren sich auch Mannheimer Liste und AfD. Robert Schmidt (AfD), der im Trump-Stil von der „Wuhan-Seuche“ spricht, erklärt dazu: „Ich kann jeden verstehen, der kritisch querdenkt“. Etwas mehr Zeit zum diskutieren brauchen dagegen wohl die FDP und Die Linke, die sich mit Stellungnahmen bisher zurück gehalten haben. (cki)