Montagsdemos: „Solidarisch durch die Pandemie“ gegen die „Corona-Paranoia“ von rechts
Aus Anlass einer weiteren Montagsdemo der Querdenker-Szene am 24. Januar 2022 organisierte das Offene Antifaschistische Treffen eine Kundgebung mit dem Motto „Solidarisch durch die Pandemie“. Etwa 100 Menschen kamen am Paradeplatz in Mannheim zusammen. Zeitgleich sammelten sich die Querdenker*innen und Impfgegner*innen am Schloss, um von dort mit einer großen Demonstration durch die Quadrate zu ziehen.
„Freiwillige Entscheidung für ein rücksichtsvolles Miteinander“
Ein Sprecher des Offenen Antifaschistischen Treffens kritisierte in seiner Rede die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als ungeeignet. Sie schützten nicht etwa Menschenleben, sondern „die Profite der Bonzen“. Im Lockdown habe man sein Privatleben eingeschränkt, während in den Fabriken die Arbeiter*innen weiter ran mussten.
Politische Entscheidungen würden im Sinne einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung getroffen. Konzerne bekommen Staatshilfen trotz fetter Gewinne, Angestellte in Gesundheitsberufen würden dagegen immer noch viel zu schlecht bezahlt. Viele Arbeitnehmer*innenrechte habe man so nebenbei weggewischt. „Umso bezeichnender ist es, dass die Corona-Leugner*innen und Impfskeptiker*innen diese offensichtlichen Missstände und Widersprüche nie auch nur im Entferntesten thematisieren. Hier zeigt sich der wirkliche Charakter der Proteste – es wird nicht quer gedacht, sondern systemkonform.“
Auch wenn Corona-Leugner*innen und Impfskeptiker*innen ein großes Ärgernis und ein Gesundheitsrisiko darstellten, dürfe man nicht den Eindruck erwecken, dass deren Protest das Hauptproblem der aktuellen Krise sei.
Man halte sich an Hygienemaßnahmen und Impfempfehlungen nicht weil es die Politik vorschreibe, sondern weil die Wissenschaft Belege für deren Sinnhaftigkeit liefert und man so die Schwächsten der Gesellschaft schützen könne. Der ganze Redebeitrag kann im Anhang dieses Artikels weiter unten nachgelesen werden.
Erstmals angemeldete Montagsdemonstration gegen Corona-Maßnahmen
Währenddessen füllte sich der Schlosshof um 18 Uhr zunehmend mit Menschen. Zur angemeldeten Kundgebung mit anschließender Demonstration hatte die „Offene Gesellschaft Kurpfalz“, ein Ableger innerhalb der Querdenken-Szene aufgerufen. Das Motto der Demo war Solidarität zeigen mit ungeimpften Beschäftigten in der Pflege. Es wurde ein Redebeitrag zum Thema Impflicht gehalten. Die Rednerin stellte sich als Mitarbeiterin eines Gesundheitsamts vor. Anschließend zogen laut Veranstalter bis zu 2000 Personen über den Ring, durch die westlichen Quadraten, über Marktplatz und zurück durch die Breite Straße zum Schloss. Eine auf dem Marktplatz angekündigte Kundgebung fand nicht statt.
Der harte Kern der Querdenker-Szene nahm ebenso teil, wie viele weitere, bunt zusammen gewürfelte Personen, denen die angemeldete Versammlung erstmals Gelegenheit für ein stressfreies Demonstrationserlebnis bot. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Der Veranstalter war mit seinen Durchsagen auf Kooperation bemüht. Im Laufe der Versammlung entledigten sich immer mehr Teilnehmer*innen der bei vielen verhassten Gesichtsmasken.
Im Vorfeld hatte es in der Szene Diskussionen gegeben, ob man sich auf die behördlichen Regeln einlasse oder doch lieber weiter die unangemeldete „Spaziergänge“ veranstalte. Letztlich gab es beides: eine nicht angemeldete Demonstration (der sogenannte „Spaziergang“) in den Planken, so wie auch in den letzten Wochen, und die angemeldete Versammlung am Schloss. Die erste Demo stieß dann zur zweiten hinzu.
Exkurs: Offene Gesellschaft Kurpfalz Veranstalterin der angemeldeten Demonstration am 24.01. und der angekündigten Demonstration am 31.01. ist die Gruppierung „Offene Gesellschaft Kurpfalz“, die bisher Demonstrationen mit Corona-Thema in Heidelberg, Schwetzingen und Rauenberg organisiert hatte. Die Gruppierung sieht sich als Kritikerin der staatlichen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen, beruft sich dabei auf Grundrechte und neoliberale Ideen. Ihre Texte prägt ein intellektueller Duktus, der so gar nicht an rechte Organisationen erinnert. Dennoch mobilisieren sie zu ihren Veranstaltungen vom Neonazi bis zum linksalternativen Jugendlichen eine buntes Sammelsurium an Menschen – ganz im Sinne der Strategie der Neuen Rechten. Die Sprecher der „Offges“ (so die Abkürzung) sagen, bei ihnen dürfe jeder mitlaufen. Daher spielt die „Offges“ den Neuen Rechten den Ball zu, auch wenn sie sich selbst öffentlich von „radikalen“ Positionen distanzieren. Die „Offene Gesellschaft Kurpfalz“ kann als gemäßigter Flügel der Querdenken-Bewegung eingeordnet werden. Sie vermeiden radikale Parolen und bemühen sich um Kooperation mit Versammlungsbehörden und den etablierten Medien. |
Imagewandel – aber die Inhalte bleiben gleich
Gegenwind bekommen die Querdenker*innen – die wegen schlechter Presse übrigens nicht mehr gerne mit diesem Namen auftreten – nur noch wenig. Nach den gewaltsamen Ereignissen Ende letzten Jahren haben sie, ebenso wie die Polizei, ihre Strategie geändert. Die Aktionen werden weichgespült, Parolen harmloser formuliert und Regeln vermehrt eingehalten. Von Polizei und Presse gibt es dafür lobende Worte.
Doch inhaltlich hat sich nichts geändert. Die Menschen laufen weiterhin den wissenschaftsfeindlichen Gurus und Verschwörungsideolog*innen hinterher. Sie verbreiten Gerüchte und Falschinformationen über die Gefahren der Covid-Erkrankung und die Folgen der Impfung. Die Radikalisierung findet nun weniger auf der Straße, aber weiterhin ungebremst in den einschlägigen Telegram-Kanälen statt, auf die staatliche Behörden keinen Einfluss haben.
Man darf sich die Szene der „Spaziergänger*innen“, ehemals „Querdenker*innen“, nicht so vorstellen, dass im Hintergrund AfD- oder NPD-Mitglieder die Strippen ziehen würden. Die Sache ist komplexer.
Die Proteste von Bürger*innen gegen Corona-Maßnahmen sind tatsächlich Bürgerproteste. Die Inszenierung und Lenkung wird aber vielerorts von einer Kerngruppe gesteuert, die nach den Strategien der Neuen Rechten handelt. Die Massen laufen einfachen und anschlussfähigen Parolen hinterher – so wie es schon immer funktioniert hat. Selbst wenn sich vor Ort keine Rechten beteiligen, werden die Aktionen in den einschlägigen Telegram-Gruppen inszeniert, so beispielsweise von den „Freien Sachsen“ oder den „Freien Pfälzern“. Es soll der Eindruck eines homogenen, immer größer werdenden Volksaufstand entstehen. Die Bewegung wird mit rechten Parolen und Inhalten gefüttert.
Von der Angst zum Aufstand
So wird aus der ursprünglichen Angst vor Impfnebenwirkungen eine Angst vor Zwangsimpfung und im nächsten Schritt kommt der Aufwand gegen eine vermeintliche Diktatur. Der Chefideologe der Neuen Rechten Götz Kubitschek hat das so formuliert: Es brauche einen polarisierenden Vorwand, “das Türöffner-Thema”, “und unsere Themen kommen hinterdrein gepoltert“. So funktionierte es mit der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, dann mit den Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte und nun mit Corona und dem Impfen.

NPD Mitglieder voller Begeisterung bei der Demo der “Offenen Gesellschaft Kurpfalz” | Bild: Screenshot Facebook-Seite NPD Mannheim
Eine Webseite, die der „Identitären Bewegung“ zugerechnet wird, kommentiert die aktuellen Corona-Proteste so: „Die nächste kritische Stufe der Massenproteste ist damit erreicht: Unüberschaubarkeit.“
In Mannheim sieht es aktuell nicht so aus, dass organisierte Rechte die Zügel der Montagsdemos fest in den Händen haben, wohl aber mischen sie dort fleißig mit. In vielen Städten, vor allem in Ostdeutschland, ist dies aber längst der Falls. Daher ist auch die Entwicklung in Mannheim alles andere als geklärt. AfD- und NPD-Mitglieder liefen am 24. Januar bei der „Offenen Gesellschaft Kurpfalz“ mit und waren von der großen Demo sehr begeistert.
Unüberschaubarkeit auflösen
Nachdem die Ausschreitungen in Mannheim kurzfristig für überregionale Aufmerksamkeit gesorgt hatten, gibt es Berichterstattung mittlerweile fast nur noch durch den Mannheimer Morgen. Der würdigte in seinem Beitrag die Demo der „Offenen Gesellschaft Kurpfalz“ mit lobenden Worten. „Friedliche Corona-Demo“ hieß es und „Es wirkt fast gemütlich, ja heimelig.“ Der Autor stellte fest: „Polizei und Teilnehmer der Demonstration sind an diesem Abend keine Gegner. Im Gegenteil“
Die Rezeption hat sich völlig geändert. Während vor wenigen Wochen noch erschrocken über Fackelmärsche vor dem Privathaus einer Gesundheitsministerin berichtet wurde, gibt es nun Lob dafür, dass Demonstrationen angemeldet und Masken getragen werden. Die Szene der Querdenker*innen hat es zumindest in Mannheim geschafft, mit einfachen Mitteln ihr Image aufzupolieren. Wer naiv ist und nicht genau hin sieht, fällt darauf rein. Dabei sind es natürlich weiterhin die selben Leute, die montags „spazieren“ gehen.
Was hilft gegen die Strategie der Unüberschaubarkeit? Dem Offenen Antifaschistischen Treffen ist ein inhaltlich stimmiger Gegenpol gelungen: Kritik der staatlichen Corona-Maßnahmen auf Basis eines humanistischen Weltbildes – Wissenschaftlichkeit und Menschenrechte als Grundlage politischer Forderungen. Eine solche Kritik ist glaubwürdiger, als wenn man Querdenker*innen nur dafür kritisiert, dass sie ihre Demos nicht anmelden und „Krawall“ machen. Doch angekommen ist die Botschaft wohl nur bei wenigen.
Die Initiative Uffbasse, die als Gegenaktion Menschenketten am Rathaus organisiert hatte, will zur Aufklärung beitragen und lädt am Donnerstag, 3. Februar zu einer Online-Veranstaltung ein, Motto „Nach rechts schauen!“ ISO Rhein-Neckar lädt zu einer weiteren Diskussionsveranstaltung am Feritagabend ein, Thema: „Wem nützen die ‚Corona-Proteste‛?“ (cki)
Termine
„Wem nützen die ‚Corona-Proteste‛?“
Diskussionsveranstaltung von ISO Rhein-Neckar am Freitag, 28.01.2022
Infos bei Facebook
„Uffbasse – nach rechts schauen!“
Online-Veranstaltung der Initative Uffbasse am Donnerstag, 03.02.2022
über Facebook Live bei den Grünen Mannheim
Rückblick
Bericht zur Montagsdemo am 17.01.2022
Bericht zur Montagsdemo und Gegenaktion am 03.01.2022
Bericht zur Montagsdemo und Gegenaktion am 27.12.2021
Bericht zur Montagsdemo am 20.12.2021
Redebeitrag des Offenen Antifaschistischen Treffen vom 24.01.2022
Heute findet hier in Mannheim eine Demonstration statt – eine Demonstration von Menschen, die ein immer noch tödliches Virus verharmlosen. Menschen, die in ihrem wissenschaftsfeindlichen Wahn die Wirksamkeit von Impfstoffen leugnen. Aber auch Menschen die rassistische, häufig antisemitische Verschwörungsideologien propagieren.
Die Proteste der Corona-Leugner*innen sind keine homogene Bewegung. Nach unserer Einschätzung kann von einer rechten Führerschaft der Proteste in Mannheim nicht die Rede sein. Die Mehrheit bilden esoterische Kleinbürger*innen. Organisierte Rechte treten meist im Hintergrund auf und haben es bislang nicht geschafft, die Bewegung zu vereinnahmen, zumal die bisherige Protestform der sogenannten »Spaziergänge« einen wirklichen politischen Ausdruck erschwerte. Die Gefahr einer Vereinnahmung besteht jedoch weiterhin. Rechtes Gedankengut bleibt gefährlich, auch wenn es von Nicht-Rechten ausgeht.
Wir Antifaschist*innen vom OAT Mannheim haben uns entschlossen, heute aktiv für linke Standpunkte und Analysen einzutreten, statt einem Haufen wissenschaftsfeindlicher Kleinbürger*innen nachzutraben und uns an ihnen abzuarbeiten. Auch wenn Corona-Leugner*innen und Impfskeptiker*innen ein großes Ärgernis und ein Gesundheitsrisiko für uns alle darstellen, dürfen wir an keiner Stelle den Eindruck erwecken, dass deren Protest das Hauptproblem der aktuellen Krise ist.
Das Hauptproblem ist dieser Staat, der mit seiner sogenannten »Pandemiebekämpfung« vor allem eine Sache schützt: nicht etwa Menschenleben, sondern die Profite der Bonzen.
Das haben wir gesehen, als mit Lockdowns so gut wie alle Bereiche unseres Privatlebens stillgelegt wurden aber Farbrikarbeiter*innen weiterhin jeden Morgen in überfüllten Bussen und Bahnen an ihren Arbeitsplatz fahren mussten. Das haben wir auch gesehen als der Daimler-Konzern, der im Jahr 2020 durch Kurzarbeitergeld Einsparungen in Höhe von 700 Millionen Euro machte, Anfang 2021 1,4 Milliarden Euro Dividende an seine Aktionär*innen ausschüttete. Auch Adidas, BMW und VW gingen so vor. Es handelt sich hierbei um staatlich durchgeführte Umverteilung von unten nach oben.
Derweil wurde vor kurzem in Niedersachsen die 60 Stunden Woche für Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur ermöglicht. Historisch erkämpfte Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung werden mal eben kurz weggewischt! Im besten Fall bekommen die Betroffenen dafür dieses Mal sogar etwas länger Applaus im Bundestag.
Es scheint fast so, als wolle dieser Staat uns ständig daran erinnern, dass er nicht in unserem Interesse, sondern in dem, der herrschenden Klasse handelt. Umso bezeichnender ist es, dass die Corona-Leugner*innen und Impfskeptiker*innen diese offensichtlichen Missstände und Widersprüche nie auch nur im Entferntesten thematisieren. Hier zeigt sich der wirkliche Charakter der Proteste – es wird nicht quer gedacht, sondern systemkonform. Die Freiheit, die bei diesen Protesten verteidigt werden soll, war schon immer bloß die Freiheit derer, die es sich leisten konnten. Die Bewegung ist durch und durch bürgerlich und bleibt verbalradikal.
Denn der Beginn der Pandemie war kein plötzlicher Bruch mit dem Bestehend,en sondern ein konsequentes »Weiter-so«, neoliberaler Profitlogik. Daran wird sich auch mit einem Ende der Pandemie nichts ändern – im Gegenteil! Es ist mit weiterem Sozialstaatsabbau und sonstiger arbeiter*innenfeindlicher Politik zu rechnen um den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise weiter anzukurbeln. Doch wir wissen; die Krise heißt nach wie vor Kapitalismus und sie wird nach wie vor auf dem Rücken der arbeitenden Klasse ausgetragen!
Das hat zur Folge, dass immer größere Teile der Bevölkerung von akuter Armut betroffen sind oder von Abstiegsängsten gequält werden. In dieser Entwicklung ist die Hinwendung zu reaktionärem Gedankengut indirekt angelegt. Wenn wir es nicht schaffen diesen Personengruppen glaubhafte Perspektiven zu bieten, dann haben rechte Agitator*innen leichtes Spiel. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, das Bewusstsein der Massen für die Ungerechtigkeiten und Widersprüche dieses menschenverachtenden Wirtschaftssystems zu schärfen um es letztendlich zu überwinden. Das schaffen wir am besten, indem wir an den akuten Problemen der Menschen ansetzen. Ob steigende Mieten, oder Hungerlöhne, diese Probleme müssen wir in politisch-ökonomische Kämpfe übersetzen. Solche Kämpfe sind wichtig. Nicht weil wir uns langfristige Lösungen aus ihnen erhoffen, sondern weil sie uns als Klasse zusammenschweißen und uns als Lehrstück dienen, gegen wen unsere Kritik, unser Protest sich wenden muss. Wir können uns dabei weder auf die im Parlament sitzenden, bürgerlichen Parteien, noch auf rechte Verschwörungspropheten verlassen. Die einen machen Politik für die herrschende Klasse, die anderen bieten uns pseudorevolutionäre Lösungen.
Wir dürfen uns nicht von den einen einspannen lassen um die anderen zu bekämpfen. Gegen den Kapitalismus und gegen Corona-Leugnung – für solidarische Krisenlösungen jenseits dieses Systems!