Mannheimer Querdenker-Szene: „Wir holen uns die Stadt zurück“
Am Montag, 17. Januar 2022 fand ein weiterer sogenannter „Montagsspaziergang“ der Querdenker-Szene statt. Nachdem es in den vorigen Wochen massive Auseinandersetzungen, Festnahmen und Gegendemos gegeben hatte, fand die Montagsdemonstration diesmal weitgehend ungestört statt. Hunderte Querdenker*innen zogen durch die Innenstadt. Die Polizei beobachtete die Lage und hielt sich zurück.
Eine Gegenveranstaltung gab es diesmal nicht. Nachdem drei Wochen lang Menschenketten ums Rathaus mit dem Motto „Uffbasse“ stattgefunden hatten, wollten die Veranstalter*innen mit Blick auf die Omikron-Welle eine Pause einlegen.
Zur inhaltlichen Ausrichtung der Montagsdemonstrationen, der Querdenker-Bewegung und dem Telegram-Netzwerk „Freie Pfälzer“ wurde in den vergangen Beiträgen bereits einiges geschrieben (siehe Beitrag vom 3. Januar | Beitrag vom 27. Dezember | Beitrag vom 22. Dezember). In diesem Beitrag soll es um die Strategien der Veranstalter*innen und um den polizeilichen Umgang damit gehen.
Wie sind die Montagsdemonstrantionen organisiert?
Erstmals gab es am 17. Januar eine angemeldete Kundgebung auf dem Toulonplatz. Die „Offene Gesellschaft Kurpfalz“, die als Teil der Querdenken-Szene angesehen werden kann, hatte hier eine Veranstaltung angemeldet, an der laut Polizei etwa 150 Personen teilnahmen.
Während die Kundgebung selbst für die Szene eher nebensächlich gewesen sein dürfte, konnte sie als erster Treffpunkt für weitere Absprachen zum Spaziergang genutzt werden. Ab 18:30 Uhr sammelten sich immer mehr Kleingruppen im Bereich der Fußgängerzonen Breite Straße und Planken. Diese zogen in einer immer größer anwachsenden Gruppe aufgelockert umher. Es entstand eine immer länger werdende Schlange, die auf und ab durch die Fußgängerzone zog und der sich nach und nach mehr Leute anschlossen.
Das Wissen um einen konkreten Treffpunkt mit Ort und Uhrzeit war also gar nicht nötig, um an der Montagsdemonstration teilzunehmen. Es reichte aus, zwischen 18 und 19 Uhr in die Fußgängerzone zu kommen. Früher oder später traf man dann auf die entsprechenden Leute.
Ein einzelnes Polizeifahrzeug fuhr anfangs mit der Gruppe mit, ohne einzugreifen. Der Gruppe gelang es immer wieder, dieses abzuschütteln, indem sie zum Beispiel durch eine Fußgängerpassage zur Kunststraße wechselte. Kurz vor 19 Uhr fuhr eine Einheit BFE-Polizist*innen in die Planken (BFE = Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit; Sondereinheit für Demonstrationen). Als die Polizist*innen aus den Fahrzeugen sprangen und ihre Helme aufzogen, verteilten sich die „Montagsspaziergänger*innen“ in Kleingruppen.
Die Polizei an der Nase herum führen
Der Polizei fiel es offenbar schwer, zu unterscheiden, wer der verbotenen Demonstration angehörte und wer unbeteiligte Passant*innen waren. So kam es im Bereich Paradeplatz nur zu einer Handvoll Personalienkontrollen, obwohl die Demonstration da bereits auf ca. 200 Personen angewachsen war. Die Polizei sperrte zudem die kompletten Planken und den Straßenbahnverkehr, was für hämisches Gelächter bei den Querdenker*innen sorgte, aber keine Auswirkungen auf deren Demonstration hatte.
Diese hatten sich bereits wieder am anderen Ende der Planken gesammelt und zogen kreuz und quer durch die Stadt, zunächst durch die Quadrate, dann über den Ring. Die Polizei begleitete den Spaziergang unternahm aber offensichtlich nichts, um die Demonstration aufzulösen.
Es geht bei den „Montagsspaziergängen“ nicht um das Vermitteln von Inhalten oder um das Aufklären der Bevölkerung. Das macht die Szene in den Sozialen Medien, bei Telegram, Youtube, Facebook etc. Vorrangiger Zweck der wöchentlichen Zusammenkunft ist das soziale Event, das Kennenlernen und das bewusste sich-hinweg-setzen über die Regeln des Staates. Es geht um Selbstermächtigung, Gemeinschaftsgefühl und Abgrenzung von denen, die hinter den Corona-Maßnahmen stehen oder sie unterstützen.
Kein zufälliges Zusammenkommen
Die „Montagsspaziergänge“ sind keinesfalls eine beliebige Zusammenkunft. Es gibt eine feste Organisationsstruktur, die dahinter steht. Die „Lenker“ – diesen Begriff verwendet die Polizei – gehen voraus, geben die Strecke vor und motivieren mit lauten „Auf geht‘s“ und „Los jetzt“ Rufen die Teilnehmer*innen. Sie blockieren den Verkehr, so dass alle Demonstrierenden im Pulk zusammen laufen können. In Kontakt mit den „Lenkern“ standen am Montag auch Fahrradfahrer*innen, die umliegende Straßen erkundeten.
Die „Lenker“ sorgten dafür, dass es keine Zusammenstöße mit der Polizei gab. Anfangs wurde die Strecke so gewählt, dass es möglichst wenige Begegnungen mit der Polizei gab. Bei Kontakt wurde sich zerstreut und die Polizei verlor den Überblick. Später, als die Menschenmenge auf mehrere hundert angewachsen war, war diese Zurückhaltung nicht mehr nötig.
Hygienemaßnahmen gab es natürlich nicht. Masken trug fast niemand, Schals wurden höchstens vor das Gesicht gebunden, um sich der Erkennung durch die Polizei zu entziehen. Dennoch teilt die Polizei in ihrer Pressemitteilung mit, drei der „Lenker“ als Veranstalter erkannt zu haben, gegen die nun ein Verfahren wegen „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ eingeleitet werde.
Undurchsichtige Strategie der Polizei
Der polizeiliche Umgang mit den Demonstrationen ist von außen wenig durchsichtig. Aus rechtlicher Sicht besteht eigentlich die Aufgabe, die von der Stadt verbotene Demonstration zu unterbinden. Dies geschah auch in den Wochen zuvor, als durch die Gegendemonstration, an der sich viele bekannte Vertreter*innen aus Politik, Kultur und Verwaltung beteiligten, eine Öffentlichkeit geschaffen war.
Am 17. Januar gab es nun keine Gegenveranstaltung mehr, die überregionale Presse war nicht mehr in der Stadt und der Mannheimer Morgen berichtete im kleineren Rahmen. War dies nun für die Polizei der Anlass, die eigene Taktik zu wechseln und die Montagsdemo wieder laufen zu lassen?
Zumindest war vergleichsweise wenig Polizei zu sehen und die eingesetzten Beamt*innen hielten sich zurück. In der Pressemitteilung der Polizei wird gleich in der Überschrift betont, dass die Teilnehmer*innen der Montagsdemonstrationen „friedlich unterwegs“ waren. Im Text der Polizeimeldung wird dann sogar der Jargon übernommen, dass die Demonstrant*innen durch die Stadt „spazierten“. Hier hat sich auch sprachlich etwas verändert.
Allerdings muss man zur Beurteilung auch die Gesamtsituation in der Region betrachten. Das Polizeipräsidium Mannheim ist für einen großen Bereich zuständig, von Mannheim über Heidelberg, Schwetzingen bis nach Sinsheim. Laut Polizeimeldung gab es im Zuständigkeitsbereich Rhein-Neckar insgesamt 17 Montagsdemonstrationen mit 3800 Teilnehmer*innen.
Auch in den Wochen davor gab es ähnlich viele Veranstaltungen und man muss feststellen, dass Mannheim die einzige Stadt war, wo die Polizei mit Gewalt Montagsdemonstrationen verhindert hatte. Überall sonst durften sie laufen, auch wenn sie formal illegal waren. So könnte es nun sein, dass sich die Situation in Mannheim an den Status Quo in der Region anpasst.
Übrigens passen sich auch die Querdenker*innen an. Für den nächsten Montag, 24. Januar 2022 kündigt die Querdenker-Szene zum ersten mal eine offiziell bei der Stadt angemeldete Demonstration an. Veranstalter soll wieder die „Offene Gesellschaft Kurpfalz“ sein, das Thema das übliche (gegen Corona-Maßnahmen, für Grundrechte etc). Mit Bannern, Schildern, Megafonen und Trommeln wollen sich die Querdenker*innen um 18 Uhr am Marktplatz treffen, durch die Straßen ziehen und sich „die Residenzstadt zurück holen“. Spannend wird sein, mit welchen Auflagen die Stadt Mannheim darauf reagieren wird. (cki)