Mannheimer City: “Netzwerk Eigentümer” – Die städtischen Gärtner laden die Böcke ein
Der Mannheimer Morgen berichtet seit dem Sommer fortlaufend über Entwicklungen in der Geschäftswelt der Mannheimer City: Diverse Schließungen von Geschäften, Umzüge in kleinere Räumlichkeiten mit einem bisher nicht gekannten Ausmaß an Leerständen – man denkt unwillkürlich an die Ludwigshafener City und macht sich Sorgen.
Man könnte nun aus linker Sicht denken: Sei‘s drum, die Geldmacherei im Handel ist nicht unser Thema, um die Tempel der Konsumgesellschaft und den von ihnen ausgehenden „Konsumterror“ ist’s nicht schade.
Aber die City ist für viele 1.000 Menschen der Ort ihres Broterwerbs, ob selbstständig oder abhängig beschäftigt. Sie ist natürlich auch Ort der Versorgung der Bevölkerung mit – zweifellos eher luxuriösen, aber auch ganz normalen – Bedarfsartikeln für ein gutes Leben. Und sie ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Kommune, der sich in der Höhe der Steuereinkünfte der Stadt aus unterschiedlichen Steuerarten ausdrückt. Diese Einkünfte sind für das, was die Kommune den Bewohner*innen der Stadt an wichtigen Leistungen zur Verfügung stellen kann, von erheblicher Bedeutung. Die Kalamitäten jenseits des Rheins zeigen klar, wie es geht, wenn es nicht geht.
Ganz schön viel Geschäftsaufgaben in der City
Die Liste der betroffenen Läden ist tatsächlich lang: Das Spezialschuhgeschäft Perfekta am Friedrichsring geschlossen, ebenso Schuh-Welt in H1, Shoepassion mit einem eher hochpreisigen Qualitätsschuhangebot in der Kunststraße N3 geschlossen. Reno ist in Insolvenz, die Schuhkette Görtz schlingert in erheblichen Schwierigkeiten. Leiser in den Planken leer, Sidestep in O7, Spezialist für Sneaker, ebenfalls geschlossen aufgrund der Entscheidung der US-Mutter Foot-Locker, die ganze Sidestep-Kette zu liquidieren.
Schlemmermeyer, eine Münchner Delikatessen-Kette insolvent, Tschibo-Geschäfte in der City geschlossen. Gegenüber Shoepassion in O3 hat gerade zum 30.11. der Schmuck- und Asiatica-Laden Samsara endgültig aufgehört. Fontanella-Eis, ein altes inhaber-geführters Geschäft in den Planken auch geschlossen.
Die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Und ganz aktuell stellt sich die Frage, was nach der Signa-Pleite des Immobilien-Milliardärs Benko aus dem Kaufhof am Paradeplatz wird, dem einstigen Frequenzbringer in der Innenstadt. Galeria Kaufhof ist gerade in der Bewältigung seiner zweiten Pleite von Ende 2022, wofür nach dem Sanierungsplan Benko 200 Mio. EUR hätte zuschießen sollen.
Und die Gründe?
Ein Grund für die vielen Insolvenzen auch großer Ketten bis hin zu aufgegebenen Inhaber-geführten Läden ist die Angeschlagenheit durch die Corana-Pandemie. Während der erzwungenen Schließungszeiten waren es nicht etwa die Personalkosten, die den Geschäften den Garaus machten. Hier gab es bekanntlich langfristige Kurzarbeitergeld-Lösungen. Es waren die durchlaufenden Mieten, die vielleicht gestundet wurden aber nun zurückgezahlt werden müssen (oder ersatzweise Kredite) – eine Belastung, die das wieder laufende Geschäft nicht tragen konnte. Zwei Monate Mietverzug z.B. bei Samsara – ein Geschäft, das sich aufgrund der der Mietpreissituation in diesem Jahr schon an anderem Standort verkleinert hatte – führten am neuen Standort zur fristlosen Kündigung durch den Hauseigentümer, der dem Vernehmen nach nebenbei auch noch verlauten ließ, ihm gefalle das Angebot sowieso nicht. Das Sexkaufhaus Erdbeermund nebenan gefällt ihm offensichtlich besser.
Eine Ladenbesitzerin berichtete, sie musste aus ihrem langjährigen Standort raus, weil der Hauseigentümer nach der Pandemie die Miete von 2.000 auf 4.000 Euro pro Monat (kalt) erhöhen wollte. Bei Gewerbeimmobilien herrscht absolute „Vertragsfreiheit“ ohne die Einschränkungen der Eigentümerrechte, wie man sie aus dem Mietwohnungsrecht kennt. Der Geschäftsführer von Perfekta lässt in der Presse durchblicken: „Geänderte Eigentümerverhältnisse an seiner Adresse in S 6 sind der hauptsächliche Grund“ für seine Geschäftsaufgabe (MM 20.06.23). Was soll an geänderten Eigentümerverhältnissen so schlimm sein, wenn sie nicht – wie üblich – einhergehen mit teils drastischen Mieterhöhungen?
Wie hoch sind die Ladenmieten?
Einer, der es wissen muss, ist der Regionalmanager Rhein-Neckar bei dem international agierenden Immobilienvermarkter Jones Lang LaSalle (JLL), Konstantinos Krikelis, den der Mannheimer Morgen zum Thema interviewte (MM 07.10.23). Er konstatiert zunächst einen deutlichen Überhang von Ladenflächen. Allein durch die Verkleinerung der Verkaufsflächen bei C&A, Peek und Cloppenburg und Saturn/Mediamarkt und den Wegfall von Galeria-Kaufhof in N7 seien ca. 20.000 m² frei geworden. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage habe jedoch nur eine bedingte Gültigkeit; sehr wichtig bei der Preisbildung sei auch die Lage und die Größe der Ladenfläche (je kleiner, desto höher der m²-Preis.) Auf den Planken wurden vor der Pandemie Preise von 150 bis 180 EUR/m² verlangt und gezahlt. Also beispielsweise in einem 100-m²-Laden satte 15.000 EUR pro Monat kalt. Das geht erst einmal von den erzielten Umsätzen weg, bevor die Einkaufspreise, Personalkosten, Versicherungen etc. gezahlt werden.
Inzwischen sei jedoch eine Kehrtwende festzustellen. In der Toplage zwischen Wasserturm und Strohmarkt liege der Mietpreis „nur“ noch bei 120 Euro. Der Mannheimer Morgen stellt dazu fest, ihm seien trotzdem noch Preise von fast 180 EUR/m² kalt bekannt, die kleinere Ladenbesitzer*innen auch aktuell zu zahlen hätten. Zum Vergleich: In Ludwigshafen, wo es keine Toplagen mehr gebe, liege der Mietpreis bei etwa 25 EUR. Mannheim sei selbst bei einem Rückgang um rund 30% „grundsätzlich teuer“, so Krikelis.
Die maßlosen Mietpreise sind ein leiser aber gnadenloser Gestalter bzw. Verunstalter der Innenstädte. Von knauserigen privaten Eigentümern vom Typ Onkel Dagobert (nur nicht so lustig) bis hin zu den mit ihren maximalistischen Businessplänen operierenden institutionellen Eigentümern wie Versicherungen, Banken sowie diversen Fonds ist nicht zu hoffen, dass sie an einer langfristigen Weiterentwicklung der City denken, indem sie z.B. ihre Gewinnerwartungen herunterschrauben und wieder eine Ladenkultur entstehen lassen, die dem Einerlei der großen Filialisten etwas entgegenstellen und die City attraktiver machen könnten.
Neu: Das „Eigentümer-Netzwerk“ Mannheim Innenstadt von der Stadtverwaltung gegründet
Genau diese (verzweifelte) Hoffnung hat nun aber offenkundig der neue Oberbürgermeister Christian Specht. Ihm sei aufgefallen, dass zwar die Ladenbetreiber ihre Werbegemeinschaft City haben, dass es die Industrie- und Handelskammer gebe, den Handelsverband Nordbaden, und dass mit allen die Stadt innerhalb der Stadtmarketing Mannheim GmbH rede. Auch die Anwohner*innen hätten ihre Bürgervereine und den Bezirksbeirat. Aber es gebe bisher keine Vereinigung und damit keine Gesprächsplattform mit den Immobilieneigentümern der Innenstadt. Also gründete der OB das “Netzwerk Eigentümer”, welches auch schon einmal getagt habe.
Dazu erklärt er: „Die Mannheimer City ist Treffpunkt und Begegnungsort mit hoher Aufenthaltsqualität, hat einen vielfältigen Branchenmix mit breitem Sortiment, ist Bildungs-, Kultur- und Wohnort, vital und lebenswert. Diese Vielfalt wollen wir nachhaltig stärken. Dabei spielen private Eigentümerinnen und Eigentümer gewerblicher Immobilien eine zentrale Rolle. Denn sie haben mit ihren Investitions- und Nutzungsentscheidungen großen Einfluss auf das Handelsangebot und die Attraktivität unserer Innenstadt.“
Und Wirtschaftsbürgermeister Michael Grötsch ergänzt: „Es geht darum, gemeinsam neue Ideen und Lösungsansätze, zum Beispiel zu zukunftsorientierten Nachfolgenutzungen oder Beiträgen zur Imagepflege des Standorts, zu entwickeln.“ (Presseerklärung der Stadt Mannheim vom 21.11.23)
Das Netzwerk hat zu seinem Sprecher den Vertreter der Engelhorn GmbH und Co. KG, Andreas Hilgenstock, gewählt. Es soll nun geprüft werden, ob sich das Netzwerk die Form eines Vereins gibt. Zur Gründungsversammlung des Netzwerkes sind lt. Stadtverwaltung 20 Eigentümer*innen erschienen, „denen die meisten Flächen an den Haupteinkaufsstraßen Planken, Kunststraße, Breite Straße und Fressgasse gehören“. Man kann sich vorstellen, welch große Blöcke diese Eigentümer*innen besitzen, Die größte Eigentümerin dürfte dabei wohl die Familie Engelhorn sein. Es sind noch nicht alle Eigentümer*innen an Bord. Mit Signa (!), der (kurz nach dieser Verlautbarung in die Insolvenz gegangenen) Eigentümerin des Kaufhofgebäudes und mit dem Eigentümer des Thalia-Gebäudes (wo Tahalia demnächst auszieht und sich auf seine Filiale in den Planken beschränkt) sei man im Gespräch. Mit dem Eigentümer von E1 (ehemaliges Hertie-Gebäude) „da beobachte man noch“, so Penelope Wasylyk von der städtischen Wirtschaftsförderung in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Es gehe um die verkehrliche Situation, um bessere Aufhenthaltsqualität, ein „überzeugendes Einkaufserlebnis“ und um verbesserte Klimaresilienz. (MM 21.11.23)
Was die Mieten betrifft, so scheint der noble Grundsatz zu gelten: Über Geld spricht man nicht. Es ist aber ein wesentliches Moment, das darüber entscheidet, welche Läden in der City bleiben können, gehen müssen oder welche dazu kommen.
Die Geschäftsstelle des Netzwerkes / Vereins der Eigentümer*innen soll der Fachbereich Wirtschaftsförderung stellen. Das Netzwerk wurde einschließlich einer von einem externen Institut durchgeführten Befragung der Eigentümer*innen in das Projekt FutuRaum integriert, welches seit 1 ½ Jahren mit einer 3-Mio.-Euro-Förderung seitens des Bundes den Steuerungsprozess für die City leiten soll. Der ehemalige persönliche Referent von Ex-OB Peter Kurz ist von OB Specht mit der Leitung beauftragt. FutuRaum soll den Diskussionsprozess auch mit der Bevölkerung ankurbeln, wozu in der Plankenhofpassage das leerstehende vormalige Geschäft Samsara (Zwischennutzung von Leerständen) und der am Plankenkopf errichtete Container dienen sollen.
Diskussionen am Kern vorbei
Welches Interesse die Eigentümer an einer wirklichen Diskussion über die Probleme der City und deren Lösungsmöglichkeiten haben, wird man ohne viel Optimismus abwarten müssen (wie gesagt: Über Geld = Mieten redet man nicht). Lediglich Engelhorn mit seinem großen aber sensiblen Textilgeschäft könnte vielleicht etwas zur Diskussion beitragen (er ist einer der wenigen Immobilieneigentümer, der selbst auch das Geschäft darinnen führt und hat wohl auch keine Laden-Mieter). Hilgenstock ist in der Stadtgesellschaft sehr umtriebig und nimmt auch an Zusammenkünften des Mannheimer Bündnisses teil.
Die Diskussion der Ladenmieter über ihre Situation ist geprägt von bestimmten Ressentiments, wie es z.B. Fontanella für seinen Rückzug aus den Planken formuliert hat: „Das Publikum hat sich zum Schlechten gewandelt“ und taugt praktisch nicht mehr für edle Geschäfte. In einer Stadt mit bald 60% Einwohner*innen „mit Migrationshintergrund“ und einem Umland mit ebenfalls hohen migrantischen Anteilen ist dies erstens ein abschätziger, um nicht zu sagen rassistischer Befund, der hilflos ist und von großer Trägheit in der Weiterentwicklung des Geschäfts zeugt. Zweitens verschweigt er, dass er z.B. mit zwei großen Eissalons aus türkischer Hand ungewohnte Konkurrenz bekommen hat. Innenstadtentwicklung muss die Entwicklung der Bevölkerung zur Grundlage haben und ihrer Neigungen und Bedürfnisse. Dass der türkisch-/kurdischstämmige Mittelstand inzwischen eine eigene Unternehmerschicht z.B. auf dem Bau- und Immobiliensektor und natürlich besonders im Handel hervorgebracht hat und von seiner Community unterstützt wird, braucht zunächst einfach Realitätssinn.
Ein weiterer Punkt in der nicht zielführenden Diskussion ist die Neigung, Auswirkungen der allgemeinen Krisen, die auch massive wirtschaftliche Krisen hervorgebracht haben, schlicht mit dem „Verkehrsversuch“ zu erklären. Und wenn das eigene Sortiment nicht mehr der Marktlage entspricht, weil z.B. edle Herrenschuhe für feine Herren nicht mehr gefragt sind, weil die feinen Herren inzwischen frech in Sneakers herumlaufen, dann ist auch daran der Verkehrsversuch schuld.
Wenn eine von FutuRaum beauftragte Umfrage unter der Umlandbevölkerung, die nicht oder nur selten nach Mannheim kommt, nach ihren Gründen fragt, dann offenbart das Ergebnis ein weiteres Dilemma, welches nach energischer Inangriffnahme der Innenstadt-Verkehrsberuhigung schreit: Man komme so schlecht nach Mannheim hinein und dort sei zu viel Verkehr und Gestank.
Perverserweise muss man feststellen, dass diese Diskurse, die von CDU, ML und FDP angefeuert werden, dass also die Konservativen, der Mannheimer Geschäftswelt in der City nicht guttun.
Noch eine Lehre kann man aus den Bemühungen der Verwaltung um die City mit FutuRaum interessiert mitnehmen: Man richtet jetzt eine Stelle ein, die die Eigentümer von Immobilien mit Leerständen und geeignete Mieter zusammenführen soll. Offensichtlich notwendig, weil die Makler damit allein nicht zurechtkommen.
Die LI.PAR.Tie. fordert seit Jahren beharrlich eine Stelle (Bürgerbüro), welches z.B. Mobilitätseingeschränkte Menschen mit den Anbietern barrierefreier oder -armer Wohnungen zusammenbringen soll oder welche ein allgemein bekannter und verlässlicher Partner für Wohnhaus-Eigentümer*innen ist, die ihre Immobilie für die oft langjährigen Mieter*innen unschädlich und damit am Markt vorbei verkaufen wollen, z.B. an die GBG.
Und noch etwas: Die Kaufhof-Immobilie ist inzwischen Teil einer Konkursmasse. Diese strategisch wichtige Immobilie muss gesichert werden, damit hier entweder eine neu aufgestellte Galeria Kaufhof, oder – im Falle des Scheiterns – z.B. ein Markt-Haus des mittelständischen, inhabergeführten Handels ohne den Druck vollkommen überzogener Mieten Fuß fassen kann. Hierfür wäre – mit oder ohne kommunalen Vorkaufsrecht – eine öffentlich kontrollierte, am besten kommunale Immobiliengesellschaft der richtige Ankerpunkt, wenn der kommunale Bodenfonds nur das Potenzial für derlei Strukturpolitik hätte. Er hat es gegenwärtig nicht – genauso wenig wie für eine aktive Bodenvorratspolitik und Immobilien-Sicherungspolitik im Bereich der bezahlbaren Wohnungswirtschaft. Beides muss sich ändern. Große Aufgaben für eine linke Stadtentwicklungspolitik.
Thomas Trüper (Bilder: KIM)