Cop Culture – Vorsicht vorm Reiter!

Polizeipferde, hier zum Zweck der Auflösung einer verbotenen Querdenker-Veranstaltung am Alten Messplatz | KIM-Archivbild 2020

Tierquälerei gehört in der Ausbildung von Polizeipferden zum Alltag. Über ein besonderes Mittel staatlicher Repression und die dahinter stehende Kultur der Gewalt.

In Mannheim stehen zwei Polizisten der lokalen Reiterstaffel „wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz“ vor Gericht. Am Donnerstag, dem 7. Dezember 2023, hatte die Hauptverhandlung mit der Verlesung der Anklage begonnen, musste dann aber wegen Erkrankung einer Sachverständigen vertagt werden. Die Anklage bezieht sich auf fünf Taten zwischen Winter 2019 und Ende 2021.

Während des „Einsatztrainings“ der Pferde sollen die Beamten die Taten unabhängig voneinander an zwei Dienstpferden begangen haben. In der Anklage ist mehrfach die Rede von einer “gefühllosen und fremdes Leiden missachtenden Gesinnung”. Es geht um „mit großer Kraft und Reichweite ausgeführte Schläge“ mit einer Gerte oder der flachen Hand, die dem Pferd „erhebliche Schmerzen“ zufügten, um einen einem Tier umgehängten sogenannten Klappersack, der ihm ein “erhebliches Leiden” verursachte und um Pfefferpaste, mit der ein Futtertrog eingerieben wurde, um einem Pferd eine „Verhaltensauffälligkeit“ abzugewöhnen. Die Spuren der Misshandlung waren zum Teil lange sichtbatr, die Tiere gerieten in Panik, eines konnt erst nach mehreren Tagen beruhigt werden

Wer die Anzeige stellte, ist nicht bekannt, verlautet wurde lediglich, dass es eine Beschwerde gab. Aber die Umstände lassen vermuten, dass diese Beschwerde aus den Reihen der Polizei selbst kam, dass irgendwann eine Kollegin oder ein Kollege die tierquälerischen Handlungen nicht mehr mit ansehen wollte oder konnte.

Kein Disziplinarverfahren

Zur Verhandlung kam es, weil beide Beamte Einspruch gegen erlassene Strafbefehle eingelegt hatten. Beide äußerten sich vor Gericht bislang nicht zur Sache. Sie sind nach Mitteilung des Polizeipräsidiums noch bei der Mannheimer Reiterstaffel beschäftigt, es wurde auch kein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet. Dies solle erst „nach Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abschließend geprüft“ werden. Eine aus zwei Gründen suspekte Entscheidung: Erstens ist ja mit dem Erlass eines Strafbefehls die strafrechtliche Ermittlung zunächst abgeschlossen. Und zweitens sind die beiden Pferde so weiterhin der Gefahr von Misshandlungen ausgesetzt.

Die vorgeworfenen Taten verstoßen gegen Paragraph 17 des Tierschutzgesetzes, welcher lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“

Aus der im vergangenen Jahr abgeschlossenen Studie „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ ergibt sich, dass nicht einmal jeder tausendste Fall illegaler Polizeigewalt eine Verurteilung vor Gericht nach sich zieht. Diese Schätzung bezieht sich auf Zahlen aus dem Jahr 2021, in dem es bei 2.790 einschlägigen Verfahren in lediglich 27 Fällen zu einer Verurteilung kam. Nur etwa 14 Prozent der Fälle werden aber überhaupt angezeigt, und nur bei 2 Prozent der angezeigten Fälle wird Anklage erhoben. Es gibt absolut keinen Grund, anzunehmen, dass die Verhältnisse anders liegen, wenn Polizeigewalt sich statt gegen Menschen gegen Tiere richtet.

Im Westflügel des Mannheimer Schlosses, in dem die Verhandlung stattfand, ist auch die juristische Fakultät der Universität Mannheim untergebracht. Dort macht seit vielen Jahren Prof. Jens Bülte aufmerksam auf die „faktische Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“. Das Stichwort „Agrarkriminalität“ vermag mancherlei Assoziationen zu wecken, Jens Bülte aber geht es vor allem um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Er stellt fest: „Eine ernsthafte Bekämpfung gravierender, systematischer, institutionalisierter und strafbarer Verletzungen des Tierschutzrechts, der organisierten Agrarkriminalität, findet noch nicht statt. (…) Wer eine Tierquälerei begeht, wird bestraft, wer sie tausendfach begeht, bleibt straflos und kann sogar mit staatlicher Subventionierung rechnen.“

Wenn also sowohl polizeiliche Gesetzesverstöße als auch Tierquälerei in aller Regel ohne rechtliche Folgen bleiben, wäre es erstaunlich, wenn die beiden Mannheimer Polizisten verurteilt würden. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, würden die zugrundeliegenden Probleme weiterhin bestehen:

– Die Ausbildung, das Einsatztraining und der Einsatz von Polizeipferden sind mit dem Tierwohl völlig unvereinbar.

– Reiterstaffeln sind historisch und kulturell Ausdruck eines reaktionären und repressiven, obrigkeitsstaatlichen Polizeiverständnisses. Sie führen zudem im Ernstfall eher zur Eskalation als zur Vermeidung von Gewalt.

– Die „Cop Culture“, die Alltagskultur „handarbeitender“ Polizisten ist geprägt von einem kriegerischen, auf Dominanz und Durchsetzung ausgerichteten Selbstbild. Dies begünstigt Gewaltaffinität und die Tendenz, dass legales und legitimes Verhalten nicht als deckungsgleich betrachtet werden und stellt somit eine weitere Gefahr für das Wohl sogenannter Dienstpferde (und -hunde) dar.

– Auch falls künftig mehr auf das Wohlergehen von Polizeipferden geachtet werden sollte, würde die „Agrarkriminalität“, die millionenfache extreme Tierquälerei in der Massentierhaltung weiterhin bestehen bleiben.

Reiterstaffel der Polizei am Rande der Mahnwache nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 | KIM-Archivbild 2023

Reiterstaffel am Rande einer Mahnwache nach den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 | KIM-Archivbild

Grundlage der Ausbildung

Pferde sind Fluchttiere. Es ist ihnen angeboren, bereits bei schwachen Reizen die Flucht zu ergreifen, sei es ein ungewohntes Rascheln, eine schwer einzuordnende Bewegung oder ein unbekanntes Geräusch. Derlei Reize führen bei einem Pferd unmittelbar zu einer enormen Stressreaktion mit Adrenalinausschüttung, die in kürzester Zeit den gesamten Bewegungsapparat, das Herz-Kreislauf- und das Atmungssystem auf Höchstleistung einstellt und das Tier dazu befähigt, die Fluchtreaktion auszuführen. Die Stressreaktion muss so massiv und abrupt erfolgen, weil in der Natur ein einziges „Versagen“ den Tod bedeuten kann.

Die Ausbildung dieser sehr sensiblen Tiere hat nur ein Ziel: Sie sollen ihre natürlichen Fluchtreflexe unterdrücken und sich statt dessen dem Willen des 80 Kilo schweren Primaten unterordnen, der sich – was ebenfalls ihrer Natur und ihrer Art widerspricht – auf ihren Rücken gesetzt hat. Das „Training“ führt nur dann zum Ziel, wenn das Tier einerseits lernt, Vertrauen zu einem Menschen zu entwickeln, und wenn andererseits die Intensität der angstauslösenden Reize, denen das Tier ausgeliefert wird, systematisch gesteigert wird. Zu diesem Zweck imitieren Polizisten das Verhalten von Fußballfans bzw. Demonstranten, sie schwenken Fahnen, brüllen, schlagen, trommeln, legen Feuer und setzen sogar Pyrotechnik ein. Die Polizisten geben selbst zu: „Die Böller sind für die Tiere am schlimmsten.“ Sobald das Pferd seinem natürlichen Verhalten folgend zurückweicht, wird Zwang eingesetzt in Form von Schlägen mit der Gerte oder der flachen Hand. In offiziellen Darstellungen wird seitens der Polizei stets behauptet, die Ausbildung erfolge konsequent gewaltlos, gegenüber den Medien aber legen sich die Polizisten weniger Hemmungen auf und berichten offen, dass sie die Tiere schlagen, damit sie gehorchen. Dass die Tiere systematisch Lärm, Feuer, Böllern und anderen angstauslösenden und potentiell traumatisierenden Reizen ausgesetzt werden, wird offensichtlich weder von der Polizei noch von den Medien überhaupt als Gewalt angesehen. Physiologische Messungen zeigen aber: Auch wenn die Tiere äußerlich ruhig sind, ist ihre Angst ungemindert, der Spiegel der Stresshormone und die Herzschlagfrequenz sind entsprechend hoch. Auch körpersprachlich kommt dies zum Ausdruck, etwa in angelegten Ohren, geweiteten Augen oder hochgezogenen Lefzen. Der Polizei ist dies nicht unbekannt. So sagte der Leiter der Stuttgarter Reiterstaffel zur Stuttgarter Zeitung: „Innerlich sind die Pferde schweißgebadet, aber sie dürfen sich das niemals anmerken lassen.“

Repression hoch zu Ross

In den deutschsprachigen Ländern sind Reiterstaffeln Auslaufmodelle, deren Wert sich darauf zu beschränken scheint, als obrigkeitsstaatliches Prestigesymbol zu fungieren. Außerdem sind Reiterstaffeln teuer: Anschaffung, Unterbringung, Futter, ärztliche Betreuung und Transporte kosten viel Geld, vor allem aber schlagen Personalkosten ins Kontor. Bevor sie einsetzbar sind, müssen die sogenannten Remonten ein bis zwei Jahre lang täglich „trainiert“ werden und auch bei älteren Pferden findet jede Woche ein „Einsatztraining“ statt, bei dem nicht nur die Reiterinnen – inzwischen sind es überwiegend Frauen – beschäftigt sind, sondern auch Gruppen von Beamten, die als „Demonstranten“ oder „Fußballfans“ Krawalle vorspielen.

In Deutschland gibt es neben einer Reiterstaffel der Bundespolizei mit 25 Pferden nur noch in sieben Bundesländern berittene Polizei: In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Sachsen. In Bayern werden seit dem ersten Söder-Aiwanger-Kabinett 2018 gemäß dem Koalitionsvertrag die Reiterstaffeln ausgebaut, von damals 35 auf derzeit 68 „Dienstpferde“. Geplant sind 100.

Wo die Pferde nicht nur zum Repräsentieren eingesetzt werden, kann es schnell sehr gefährlich für Mensch und Tier werden. Bei Protesten gegen den Castor-Transport im November 2011 im Wendland wurden mindestens ein Dutzend Demonstranten von Pferden überritten. Wie durch ein Wunder gab es keine Toten. Extrem gefährlich ist es, wenn mit Pferden durch eine Menschenmenge hindurchgeritten wird. Hierzu liegen Dutzende Berichte von schweren Verletzungen vor.

Alternative zu Pferden: Motorräder begleiten eine Demonstration | KIM-Archivbild

„Cop Culture“

Rafael Behr schob fünfzehn Jahre lang in Frankfurt Dienst als Polizist, bevor er damit begann, Soziologie zu studieren. Heute ist er Professor für Kriminologie und Soziologie an der Akademie der Polizei in Hamburg und einer der bekanntesten deutschen Kriminologen und Polizeiwissenschaftler. Besonders bekannt wurde er durch den von ihm aus dem US-amerikanischen entnommenen Begriff der „Cop Culture“. Er beruft sich dabei auch auf den von der feministischen Pädagogin, Psychologin und Rechtsextremismusforscherin Birgit Rommelspacher entwickelten Begriff der Dominanzkultur. Behr konstatiert eine „Renaissance aggressiver Maskulinität in der Polizei“, wobei er zwischen Polizeikultur und Polizistenkultur unterscheidet. Beide Kulturkonzepte beinhalten bestimmte, jeweils unterschiedlich gewichtete Tugenden wie Disziplin, Teamgeist, Toleranz, Loyalität usw. Sie implizieren auch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wann und in welchem Ausmaß Gewalt angewendet werden darf oder muss.

Polizeikultur ist ein Bündel von handlungsleitenden, aber eher abstrakten Wertvorstellungen, das in der Ausbildung gelehrt und für die intensiv betriebene PR und andere Formen der Außendarstellung verwendet wird. Sie orientiert sich strikt an der Legalität. Nach der Polizeischule begegnet der junge Polizist oder die junge Polizistin jedoch in der Regel der Aufforderung: „Jetzt vergiss mal alles, was du in der Ausbildung gelernt hast!“ Nach dem Erlernen der offiziellen und eher abstrakten Polizeikultur beginnt die Ausbildung in der eher informellen und konkreten Polizistenkultur, die Rafael Behr auch „Cop Culture“ nennt. Sie legitimiert sich aus einem sogenannten Alltagswissen oder Erfahrungswissen, das das sogenannte Bücherwissen der Ausbildung als weltfremd und wenig praxistauglich abwertet. Die „Cop Culture“ hält auch bestimmte Praktiken für legitim, die am Rande oder außerhalb der Legalität stehen. Fast immer sind es Männer, die hier auch illegales Verhalten für angebracht halten. Bei polizeilichen Gewaltexzessen und Machtmissbräuchen geht es immer auch um Männlichkeitsnormen. In der „Cop Culture“ geben diese vor, dass es in alltäglichen Einsatzsituationen um Sieg oder Niederlage geht, das ‚polizeiliche Gegenüber‘ wird zum Gegner, dem gegenüber unbedingt Dominanz aufrechtzuerhalten und Überlegenheit zu demonstrieren ist, eventuell auch mithilfe von Demütigungen.

Diese Polizistenkultur wird intensiv und kontinuierlich sowohl durch das Kollegium als auch durch Vorgesetzte an die jungen Polizistinnen und Polizisten herangetragen. Es ist so gut wie unmöglich, sich diesem Einfluss zu entziehen oder gar entgegenzustellen. Klassische sozialpsychologische Studien können uns ein Verständnis dafür vermitteln, wie weitgehend unter diesen Bedingungen sowohl das Verhalten als auch die Einstellungen bestimmt werden.

Das sehr bekannt gewordene Milgram-Experiment von 1961 beispielsweise bestand darin, dass ein „Lehrer“ nach Anweisungen eines „Versuchsleiters“ einem „Schüler“ bei einem Fehler in schwierigen Rechenaufgaben Stromschläge versetzen sollte, deren Intensität nach jedem weiteren Fehler um 15 Volt gesteigert wurde. Die Stromschläge erfolgten nicht real, sowohl der „Versuchsleiter“ als auch der „Schüler“ waren Schauspieler, der die vermeintlichen Stromschläge verabreichende „Lehrer“ war ohne es zu wissen die eigentliche Versuchsperson. Getestet werden sollte der Gehorsam gegenüber den Anweisungen einer Autorität, hier des „Versuchsleiters“. In dem Versuch wie auch in Dutzenden Wiederholungen und Variationen folgten erschreckende 95 Prozent der „Lehrer“ den Anweisungen und dem Drängen des „Versuchsleiters“ und steigerten die vermeintliche Stromstärke bis auf 450 Volt; obwohl die „Schüler“ darum bettelten, abzubrechen, stärkste Schmerzen und äußerste Qual äußerten und schon bevor die 450 Volt erreicht wurden, überhaupt keine Lebenszeichen mehr zeigten.

Viele andere Untersuchungen liefern unabweisliche wissenschaftliche Belege dafür, dass und in welchem Ausmaß obrigkeitliche Macht dazu neigt, sich zu verfestigen, zu verselbständigen und zu brutalisieren. Sie belegen eindringlich, wie unabdingbar es ist, staatliche Gewalt zu kontrollieren und einzugrenzen und potentielle Opfer zu schützen.

„Cop Culture“ breitet sich jedoch aus und verfestigt sich in Deutschland durch die seit einigen Jahren bestehende Tendenz, von der Polizei eine größere Härte zu verlangen. Schon 2018 veröffentlichte Spiegel Online ein internes Strategiepapier der nordrhein-westfälischen Polizei, in dem u.a. ein “robusteres Auftreten” der Polizei gefordert wurde. In den 1980er und 1990er Jahren war die Devise gewesen: “Kommunikation, solange irgendwie möglich!” Sie wird nach und nach ersetzt durch die Devise: “Einschreiten so konsequent wie möglich!”

Wenn nötig eben auch mit Pferden.

Aus der Tageszeitung junge Welt, Ausgabe vom 23.01.24, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion, gekürzt
von Michael Kohler