Mannheim-Turley: 10 Jahre bezahlbarer Wohnraum beim Projekt 13 Hektar Freiheit
Das Wohnprojekt 13 Hektar Freiheit feiert im Juli 2024 zehnjähriges Bestehen. Das Motto: 10 Jahre bezahlbarer Wohnraum. Das ist im Konversionsgebiet Turley, einem ehemaligen Kasernengelände in der Neckarstadt-Ost, keine Selbstverständlichkeit. Kaltmieten über 15 Euro pro Quadratmeter sind hier bei Neuvermietungen üblich. Was macht das Wohnprojekt anders, als die profithungrigen Immobilenunternehmen? Wir sprachen mit Paul, der bei 13 Hektar Freiheit zur Miete wohnt. (cki)
KIM: Ihr feiert 10 Jahre bezahlbaren Wohnraum. Herzlichen Glückwunsch dazu! Wie sieht es aktuell bei euch aus? Wie viele Leute wohnen im Haus? Sind alle Wohnungen voll? Was kostet die Miete?
Paul: Ja, alle Wohnungen bei uns sind voll – wir sind ein sehr lebendiges Haus! Wir sind derzeit 48 Erwachsene und 28 Kinder, insgesamt also 76 Leute. Die Kaltmiete beträgt 7,60E pro Quadratmeter.
KIM: Bezahlbaren Wohnraum zur Miete realisiert ihr über das Modell des Mietshäuser Syndikats. Kannst du für jemanden, der noch nie davon gehört hat, das Konzept kurz erklären?
Paul: Das Mietshäuser Syndikats (MHS) ist ein Verbund aus 191 Hausprojekten und 26 Projektinitiativen. 3 Hausprojekte befinden sich auf Turley. Die selbstorganisierten Häuser im MHS sind dem Spekulationsmarkt langfristig entzogen um sozial erträgliche Mieten zu erhalten. Die Bewohner*innen der Hausprojekte sind rechtlich Mieter*innen und zugleich als Haus-Vereinsmitglied auch Vermieter*innen in Selbstverwaltung. Jedes Hausprojekt hat eine Haus-GmbH als Hausbesitzerin. Die Haus-GmbH widerum hat zwei Gesellschafterinnen: den Haus-Verein mit allen Bewohnerinnen als Hausverwalterin und die Mietshäuser Syndikat GmbH, welche durch das Vetorecht den Hausverkauf verhindern kann.
KIM: Ihr schreibt euch einen demokratischen Entscheidungsfindungsprozess auf die Fahne und auch Kinder dürfen mitreden. Wie sieht bei euch das Zusammenleben aus und wie kommt ihr zu euren Entscheidungen?
Paul: Alle zwei Wochen findet unser Plenum statt, bei dem die Gemeinschaft zusammenkommt, um ihre Meinungen auszutauschen und zu erörtern, was zu tun ist, wie es getan werden kann und wer es tun wird. Wir haben auch eine Reihe von kleinen Arbeitsgruppen, die an spezifischen Themen arbeiten und sich außerhalb des Standardplenums treffen, aber dem Plenum über die Entwicklungen Bericht erstatten und alles, was sie tun, zur Genehmigung vorlegen. Wir arbeiten nach dem Konsensmodell, was natürlich manchmal eine Herausforderung sein kann, wenn es viele unterschiedliche Meinungen gibt, aber wir finden immer einen Weg!
Vor Kurzem haben wir auch ein Kinderplenum ins Leben gerufen, um den Kindern ein Forum zu bieten, in dem sie ihre Meinung sagen können. Das ist eine wirklich positive Entwicklung und eine großartige Möglichkeit, Kinder in den Entscheidungsfindungsprozess einzubeziehen und ihnen dabei zu helfen, zu lernen, wie man Meinungen teilt und zusammenarbeitet. Für das Jubiläumsfest haben sie beim letzten Kinderplenum viele tolle Aktionen geplant.
KIM: Wenn wir 10 Jahre zurückblicken, gab es damals noch kein Mietshäuser Syndikat in Mannheim. Wie habt ihr es geschafft, an das Haus zu kommen und was waren die Herausforderungen in dieser Zeit?
Paul: Ja,in Mannheim gab es keine MHS Projekte und wir mussten viel Arbeit leisten, um die Stadtverwaltung zu überzeugen. Die Verantwortlichen der Stadt fanden das einerseits spannend und wussten, dass ein selbstverwaltetes Wohnprojekt ein gutes Aushängeschild sein kann, waren aber auch skeptisch, ob uns das gelingt. Gegen diese Skepsis mussten wir uns beweisen. Wir mussten deutlich machen, dass wir nicht wie ein Großinvestor funktionieren und unsere Prozesse Zeit brauchen. Wir mussten zudem deutlich machen, dass wir die Kaufsumme nicht sofort beisammen haben, sondern das Sammeln von Direktkrediten Zeit braucht. Wir haben viele Gespräche mit Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung geführt, um unser Vorhaben umsetzen zu können. Schließlich konnten wir beweisen, dass unser Modell funktioniert und haben so zusammen mit den anderen beiden Wohnprojekten das Turley Gelände als erste bewohnt. Unsere Miete ist stabil, wir haben keinen Leerstand und wir gestalten das Quartier mit.
Ein Meilenstein war natürlich die Unterzeichnung des Kaufvertrages 2014 und dann der Einzug 2016.
KIM: Wurdet ihr bei eurem Vorhaben von der Stadt unterstützt?
Paul: Ich würde nicht sagen, dass das Projekt in der Anfangsphase viel unterstützt wurde, wie ich auch schon zu der vorherigen Frage beschrieben habe. Wir mussten viel Energie investieren, um die Stadt von unserem Vorhaben zu überzeugen, denn es gab große Skepsis. Bereits Jahre bevor die Konversionsflächen frei wurden, gab es eine Gruppe, die politisch gearbeitet hat, damit die Flächen nicht ausschließlich an Investor*innen mit der höchsten Gewinnspanne verkauft werden. Die ursprüngliche Idee war dann, die kompletten 13ha mit zu entwickeln und viele kleine Projekte dort entstehen zu lassen – die nötige Unterstützung, um dieses Ziel zu verwirklichen, wurde offensichtlich nicht erreicht, und wir haben nur ein Gebäude erhalten. Wenn hier nicht jahrelang Druck und Verhandlungen aufrechterhalten worden wären, hätte es sein können, dass wir nicht einmal dieses eine Gebäude bekommen hätten.
Ich denke, es ist auch wichtig zu betonen, dass es Menschen in diesem Haus gibt, die positive Erfahrungen mit der Unterstützung durch die Stadt gemacht haben, vor allem in den vergangenen Jahren, z.B. mit der Organisation von Veranstaltungen hier auf dem Turleyplatz. Ich sehe das als ein Zeichen dafür, dass wir ihre anfängliche Skepsis überwunden haben. Ich hoffe, dass wir auch in Zukunft ein positives Verhältnis zu ihnen haben werden.
KIM: Wenn man zu dieser Zeit recherchiert, stößt man schnell auf den Namen Tom Bock. Der Vorzeigeinvestor wurde immer wieder von der städtischen Gesellschaft MWSP präsentiert und hat damals die meisten Bestandsgebäude in eurer Nachbarschaft gekauft. Wie hat sich das Tom-Bock-Investment um euch herum entwickelt?
Paul: Ich denke, es ist unumstritten wenn ich sage, dass Tom Bock sich nicht positiv für dieses Gebiet ausgewirkt hat, und ich bin mir sicher, dass MWSP auch nicht glücklich darüber ist, dass sie sich bei der Entwicklung des Gebiets auf sein Unternehmen eingelassen haben. Es gibt hier immer noch leere Gebäude, darunter die alte Reithalle und ein Gebäude, das soweit ich weiss, zu einem Hotel ausgebaut werden sollte, wobei Tom Bock seine Versprechen nicht eingehalten hat. Es gibt auch ein Gebiet, auf dem jetzt Wohnungen gebaut werden, das er gekauft hat und auf dem er sitzen blieb, ohne etwas damit anzufangen, und das er dann für einen riesigen Profit weiterverkauft hat. Davon hat niemand außer Tom Bock profitiert. Ich denke, dass dies ein gutes Beispiel dafür ist, warum es besser ist, Projekte wie das unsere und das unserer Nachbarn, SWK und Umbau, zu unterstützen, die erfolgreich bezahlbaren Wohnraum in der Gemeinde geschaffen haben, als die Gebäude an Investoren zu verkaufen, die letztlich nur Profit machen wollen und sich nicht um das Gebiet kümmern.
KIM: In den 10 Jahren eurer Geschichte hat sich sicherlich viel getan. Was waren die Meilensteine eures Wohnprojekts? Mit welchen Herausforderungen wart ihr konfrontiert?
Paul: Wie bereits beschrieben, war es nicht einfach, ein Gebäude zu bekommen. Der Hauskauf stellt einen sehr wichtigen Meilenstein dar, hinter dem viel harte Arbeit von vielen Leuten steckt. Die Beschaffung des Geldes für den Kauf und die Renovierung des Gebäudes waren natürlich auch eine große Sache. Dann die Arbeiten selbst und das Erreichen eines Stadiums, in dem alle einziehen können – das war natürlich ein großer Tag.
Eine der größten Herausforderungen war es, zu lernen, wie man mit Meinungsverschiedenheiten umgeht und wie man schwierige Entscheidungen im Konsensverfahren treffen kann. Ich denke, dass wir in dieser Hinsicht Krisen durchgemacht haben, aber wir sind jetzt als Gemeinschaft in einer sehr guten Position.
Was die Entwicklung des Gebäudes selbst angeht, so haben wir gerade die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Dach abgeschlossen, was eine sehr coole Entwicklung ist. Als nächstes steht der Bau einer Rampe an, um das Gebäude besser zugänglich zu machen. Diese zu finanzieren wird eine weitere Herausforderung für uns sein!
KIM: In eurer direkten Nachbarschaft gibt es auch noch zwei weitere Wohnprojekte des Mietshäuser Syndikats. Ansonsten sieht man jenseits des Turley Platzes viele Neubauten und noch einige Baustellen. Wie lebt es sich in eurer Nachbarschaft?
Paul: Wir stellen schon drei kleine “Inseln” dar, weil wir durch die Arbeit an und in unseren Häusern natürlich sehr eingebunden sind und viel Zeit zuhause mit Projekten zu tun haben. Selbst für Treffen zwischen den Projekten fehlt oft die Zeit. Dennoch versuchen wir über Veranstaltungen wie Konzerte, unsere Feste, den Turleyflohmarkt und neuerdings eine monatlich stattfindende Küfa auch mit Menschen in unserem unmittelbaren Wohnumfeld in Kontakt zu treten. Der seit zwei Jahren stehende Containerspielplatz auf dem Turleyplatz bietet auch Möglichkeiten des Zusammenkommens. Es wäre toll, wenn die Stadt diesen noch ausbauen könnte!! Wir hoffen auch auf die baldige Fertigstellung des ehemaligen “Casinos” als Begegnungsort.
KIM: Steigende Mieten und Wohnraumknappheit ist weiterhin ein großes gesellschaftliches Thema. Die Regierung hat darauf bisher keine wirkungsvollen Antworten gefunden. Denkst du, euer Konzept kann ein Modell für die gesamte Gesellschaft sein?
Paul: Ja, aber ich denke, es würde ein viel größeres Engagement und Unterstützung seitens der Regierung erfordern. Wenn man den Wohnungsbau als Ware betrachtet, die für Spekulationen und Profitstreben ausgebeutet wird, dann sind die Probleme, die wir mit bezahlbarem Wohnraum haben, unvermeidlich und werden sich wahrscheinlich nicht verbessern. Ein Modell wie das unsere, das den Profit als Motiv aus der Gleichung herausnimmt und den Wohnungsbau in die Hände der Gemeinden und Menschen legt, ist genau das, was wir brauchen. Der Durchschnittsbürger hat ein Interesse daran, dass der Wohnraum erschwinglich ist. Bauträger, Vermieter und dergleichen tun dies nicht. Im Moment liegt das Gleichgewicht der Macht bei der zuletzt genannten Gruppe. Das muss sich zugunsten der Ersten verschieben, wenn wir die Probleme mit den steigenden Mieten und Wohnungspreisen in den Griff bekommen wollen.
KIM: Schauen wir zuletzt noch auf euer Jubiläum. Ihr feiert eine große Party am 20. Juli. Was ist geplant?
Paul: Im Vordergrund steht das Zusammenkommen und das Gemeinsam- Feiern. Dazu gibt es natürlich Musik verschiedener Genres: vom nahegelegenen LFG kommt die Schülerband “The FLyG’s”, DJ Andreza und Samt Frottee werden mit brasilianischen Beats einheizen und gegen Abend kommen zwei Bands der Mannheimer Popakademie: MARY und Kabinett. Wie schon genannt, haben unsere Kinder sich ein extra Kinderprogramm ausgedacht: Kinderschminken, Henna-Tattoos und ein paar Überraschungen warten auf die Kleinen. Der Verein Free-Walking-Tours Mannheim e.V. bietet Führungen über das Turleygelände an. Da wir den sozialen Charakter, den wir in unserem Haus leben, auch nach außen tragen wollen, werden Speisen und Getränke auf Spendenbasis angeboten. Jede*r soll – unabhängig von seiner finanziellen Situation – satt und zufrieden mit uns feiern können!