Erinnerung an vier Lebensgeschichten – Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Errichtung des KZ Mannheim-Sandhofen
Der Verein KZ Gedenkstätte Sandhofen hatte am Sonntag, 29. September anlässlich des 80. Jahrestag der Errichtung des KZ in den Schulhof der Gustav-Wiederkehr-Schule eingeladen. Von 1944 bis 1945 war im Gebäude der Schule ein Außenlager des KZ Natzweiler eingerichtet, in dem Zwangsarbeiter für Daimler Benz untergebracht waren.
1.070 überwiegend polnische Häftlinge waren dort untergebracht, davon viele Aufständische aus dem Warschauer Aufstand 1944. Mindestens 23 von ihnen überlebten die KZ-Haft in Mannheim nicht. Seit 1990 befindet sich in den Kellerräumen der Schule eine Dauerausstellung, um die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten. Insbesondere der Stadtjugendring und der DGB hatten sich in den 80er Jahren für die Einrichtung der Gedenkstätte eingesetzt. Starken Widerstand gab es aus der Sandhofener Bevökerung, vor allem die CDU hatte gegen die Gedenkstätte mobilisiert.
Die Veranstaltung wurde von Schulrektorin Sibille Krappel und einem Schülerchor eröffnet, der sich mit dem Thema Frieden auseinander gesetzt hatte. Für die Lehrer*innen einer Grundschule ist die historische Verantwortung eine Herausforderung. Die Grausamkeiten, die vor 80 Jahren in dem Schulgebäude stattfanden, sind Kindern nur schwer vermittelbar.
Oberbürgermeister Christian Specht war für ein Grußwort gekommen. Die Fraktionen des Gemeinderats – mit Ausnahme der AfD – hatten eine Vertretung geschickt. Die faschistische AfD wäre hier auch fehl am Platz gewesen, angesichts der Verharmlosungen und Relativierungen aus den eigenen Reihen sowie der politischen Kontinuitäten einer Politik der Ausgrenzung und rassistischen Zuschreibungen.
Vertreter*innen der Gedenkstätte, des Stadtjugendrings und der Schule stellten exemplarisch vier Lebenswege von Überlebenden des Konzentrationslagers vor. So gleich die polnischen Zwangsarbeiter in ihren Sträflingskleidungen auf den historischen Bildern auch wirken, so unterschiedlich waren die Menschen und ihre Lebenswege. Zu den Berichten wurden Portraits der Überlebenden aufgestellt. Die Anwesenden konnten sich ein Bild der Menschen machen, die aus der Anonymität der Zahlen und historischen Daten herausgeholt wurden.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Ramo Römer (SJD – Die Falken). Zum Abschluss zogen alle Teilnehmer*innen auf die Vorderseite des Schulgebäudes und legten einen Kranz an der dort angebrachten Gedenktafel nieder. (cki)
Bildergalerie zur Veranstaltung
Vier Lebenswege von Überlebenden
Im folgenden dokumentieren wir die Berichte zu den Lebenswegen der vier Überlebenden des KZ Marian Marchewka, Zbigniew Muszyński, Bolesław Urbański und Jerzy Wojciewski, vorgetragen von Christine Psutka (Verein KZ Gedenkstätte), Theo Argiantzis (THW, Stadtjugendring), Ramo Römer (SJD – Die Falken, Stadtjugendring), Sibille Krappel (Gustav-Wiederkehr-Schule) und Dr. Marco Brenneisen (MARCHIVUM). Nach Kenntnisstand der Gedenkstätte sind Zbigniew Muszyński und Bolesław Urbański (beide 98 Jahre alt) die beiden letzten bekannten, noch lebenden ehemaligen Häftlinge.
Marian Marchewka
Marian Marchewka wurde am 10. März 1927 in Warschau geboren. Er war 17 Jahre alt, als er im September 1944 verhaftet und über das KZ Dachau nach Sandhofen verschleppt wurde, wo er bis zum März 1945 inhaftiert blieb.
In dieser Zeit verschlechterte sich sein Gesundheitszustand drastisch. Die Existenzbedingungen im Lager bedeuteten einen täglichen Überlebenskampf.
Einige Auszüge aus seinen zahlreichen Erinnerungsberichten und Briefen:
„Was uns noch sehr zugesetzt hat, war die Kälte. Wir versuchten uns zu schützen, weil unsere Kleidung doch sehr luftig war. In der Fabrik gab es so starke, dicke Papiersäcke – von Zementsäcken oder so. Einige haben die sich dann organisiert, ich auch. Ziemlich hart waren die, aber hielten warm: Löcher reingemacht für Arme und Kopf und untergezogen auf das Hemd oder die bloße Haut.
Das war natürlich nicht erlaubt… Und dann mussten wir einige Male zum Sonderappell antreten und uns entkleiden. Da war es schon Winter. So ein Appell dauerte manchmal zwei Stunden, die wir strammstehen mussten. Zwei Stunden bewegungslos bei Frost. Derjenige, bei dem etwas gefunden wurde, musste sich vollends ausziehen und bekam Prügel. […] Wer erwischt wurde bei einem solchen Vergehen, der bekam dann 25 Hiebe auf den nackten Hintern.“
„Ich habe mich wiegen können auf einer Waage bei Daimler-Benz, in der Fabrik. Vor der Inhaftierung in Warschau wog ich mit meinen 17 Jahren etwa 64 Kilo, kurz vor Weihnachten 1944 noch 50 Kilo, dann vor der Verlegung nach Vaihingen im März 1945 knapp 40 Kilo. […] Ich hatte in Dachau einen Gürtel behalten dürfen, den ich bis zur Befreiung trug: Damals […] in Vaihingen war der Umfang meines Bauches genauso groß wie der meines Kopfes.“
„Anfang März kam ich aus Mannheim fort. Da gab es auf dem Schulhof in Sandhofen eine gewisse Selektion während des Appells. Einmal die aus dem TBC-Revier [also die an Tuberkulose Erkrankten], die waren schon im Voraus festgelegt, […] ich schätze, über 20. Und dann mussten aus den Reihen alle heraustreten, die geschwollene Füße hatten. […] Wenn sie stark geschwollen waren, waren sie selektiert für Vaihingen. Der Kapo hat 60 bis 70 Häftlinge gezählt mit dieser Krankheit, das war so eine Art Wassersucht. Da war ich mit meinen Füßen dabei.“
Marian Marchewka wurde am 8. März 1945 von Sandhofen in das KZ Vaihingen/Enz überstellt, das als sogenanntes „Krankenlager“ galt, in das alle Natzweiler-Außenlager ihre schwerkranken Häftlinge abschoben. Defacto war es ein Sterbelager.
„Während dieser Fahrt von Mannheim nach Vaihingen sind allein in meinem Waggon schon drei gestorben. Das machte auf uns keinen Eindruck mehr, man war da so abgestumpft… Wir waren froh, dass wir dadurch eine Schlafunterlage hatten, eine ‚Matratze´ oder Kopfkissen. […] Der Transport von Mannheim nach Vaihingen ging drei Tage; wir bekamen in dieser Zeit einmal was zu essen. […] Die meisten von diesem Sandhofer Transport sind dann in Vaihingen gestorben.“
Marian Marchewka erlebte – an Lungentuberkulose erkrankt – die Befreiung des KZ Vaihingen am 7. April 1945 durch die Französische Armee. Anschließend verbrachte er viele Monate zunächst im „Sanitätsdorf“ Neuenbürg (bei Bruchsal) sowie in einer Krankenstation in Vaihingen/Enz, welche von der französischen Hilfsorganisation Mission de Vatican eingerichtet worden war. Bis 1950 wurde er in verschiedenen Kliniken und Sanatorien behandelt.
Herr Marchewka zählte zu den wenigen Überlebenden des KZ Sandhofen, die nicht nach Polen zurückkehrten. Er ließ sich in München nieder, heiratete und gründete eine Familie.
Im Jahr 1985 war er einer der der ersten Überlebenden, die Peter Koppenhöfer bei seinen Recherchen zum KZ Sandhofen ausfindig machen konnte. In zahlreichen Briefen und Interviews legte er Zeugnis ab über seine KZ-Haft in Deutschland. Im Schuljahr 1989/90 interviewten ihn etwa Schüler:innen der Video-AG der Integrierten Gesamtschule Herzogenried (IGMH) für die filmische Dokumentation „Das KZ in der Schule“. Die Erinnerungsberichte von Herrn Marchewka waren für die historische Rekonstruktion der Lagergeschichte von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus hat er Peter Koppenhöfer in den 1990er Jahren mit großem Engagement unterstützt, indem er mehrstündige, auf Tonband eingesprochene, Erinnerungsberichte anderer Überlebender aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzte. Bis zuletzt stand er mit dem Verein KZ-Gedenkstätte Sandhofen e.V. in Kontakt.
Marian Marchewka ist am 14. September 2023 im Alter von 96 Jahren in einem Krankenhaus in Dachau verstorben.
Zbigniew Muszyński
Am 29. Oktober 2018 – also erst vor sechs Jahren – erhielten wir über Facebook eine Nachricht einer Dame, die uns schrieb: „Hi. I am happy to see you on facebook and working on proper memories. I know one of the KZ prisoners, Zbigniew Muszyński. He ist still alive. We live in Perth, Australia. I just finish an article about him.“
Diese Nachricht hat uns sowohl überrascht als auch sehr gefreut. Denn erst wenige Wochen zuvor hatten wir im Zuge neuer Recherchen erfahren, dass dieser ehemalige Häftling das KZ Sandhofen zu den wenigen Menschen gehörte, die im Frühjahr 1945 den sogenannten Todeszug aus Frankfurt nach Bergen-Belsen überlebt haben und dort befreit wurden.
Frau Lilpop, die Bekannte von Herrn Muszyński, sandte uns ihren Bericht zu, den sie auf Basis vieler Gespräche mit ihm verfasst hatte. Unsere Frage, ob er bereit sei, per Videokonferenz mit uns zu sprechen, lehnte er zunächst ab, da ihn zum einen die erneute Beschäftigung mit dem Thema zu sehr belaste, zum anderen hatte er Skepsis, mit Menschen aus Deutschland zu sprechen. Dank Frau Lilpop willigte er kurze Zeit später doch ein und berichtete uns am 10. Dezember 2018 in einer dreieinhalbstündigen Videokonferenz von seinem Leidensweg durch deutsche Konzentrationslager und sein Leben seit Kriegsende. Es war ein sehr bewegendes und ausführliches Gespräch. Und es sollte das einzige Gespräch bleiben, das wir mit Herrn Muszyński führen konnten. Er nahm sich an diesem Tag viel Zeit, um mit uns zu sprechen, stellte aber von Beginn an klar, dass er nun ein allerletztes Mal über diese Zeit sprechen werde. Zitat: „Ich bin jetzt 92 Jahre alt, habe noch alle Zähne im Mund und noch Haare auf dem Kopf. Ich will so lange es geht bei guter Gesundheit bleiben und mich nicht mehr mit Erinnerungen beschäftigen, die mir schaden.“
Selbstverständlich haben wir diesen Wunsch respektiert und sind dankbar, dass Herr Muszyński an diesem Dezembertag 2018 seine Erinnerungen an die traumatischen Erlebnisse mit uns geteilt hat.
Wir geben im Folgenden einen Auszug dessen wieder, was wir durch das Interview sowie den Bericht von Frau Lilpop über ihn erfahren haben.
Zbigniew Muszyński wurde 1926 im ostpolnischen Ort Jaworówka, der heute in der Ukraine liegt, geboren. Während der deutschen Besetzung Polens waren tausende polnischer Partisanen in einem nahegelegenen Wald stationiert. Zbigniew Muszyński unterstützte ab 1941 (als damals 15-Jähriger) die Widerstandskämpfer, indem er als Verbindungsmann fungierte und zwischen der Stadt und den Wäldern Informationen überbrachte. Aber auch, indem er mit einem Pferdekarren Waffen transportierte, versteckt unter Misthaufen. Im Frühling 1944 ging er nach Warschau, arbeitete in einem Warenhaus und schloss sich der Untergrundarmee Armia Krajowa an. Am Warschauer Aufstand beteiligte sich Zbigniew Muszyński zunächst als Späher und Kurier, später bei der Verteidigung des Elektrizitätswerks im Stadtteil Powiśle. Nach fünfwöchigem Kampf gegen die deutschen Besatzer wurde er am 7. September festgenommen und über das Durchgangslager Pruszków in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Ende September kam er in das KZ Sandhofen.
An das Mannheimer KZ-Außenlager hat Herr Muszyński nur wenige Erinnerungen, da seine dreimonatige Inhaftierung in Sandhofen von den späteren Erlebnissen überlagert wurde. Doch erinnert er sich an die Unterbringung in den Klassenräumen, die Arbeit bei Daimler-Benz, die langen Fußmärsche sowie die Brutalität der Wachmannschaften. Einen Vorfall schilderte er sehr genau:
„Als ich eines Tages auf die Toilette ging, fand ich sie voll mit anderen Häftlingen. Sie hatten Zeitungen aus der Fabrik mitgenommen und gingen auf die Toilette, um sie unter ihre Häftlingskleidung zu stecken, weil es so kalt war. Als die SS-Männer die Versammlung auf der Toilette sahen, kamen sie und schlugen uns mit aller Gewalt. Auf der Flucht vor den Schlägen stürzte ich das Treppenhaus in der Schule hinunter und verletzte mich an den Rippen. In der Fabrik erledigte in den folgenden Tagen ein alter deutscher Zivilist, der mich beaufsichtigen sollte, meine Arbeit für mich, da ich mich vor Schmerzen kaum bewegen konnte. Die körperlichen Schmerzen blieben viele Jahre. Der Schmerz darüber, wie Vieh behandelt worden zu sein, hält bis heute an.“
Am 24. Dezember 1944 gehörte er zu jenen knapp 400 Sandhofen-Häftlingen, die in das KZ Buchenwald „überstellt“ wurden. Nur vier Wochen später wurde er nach Frankfurt am Main gebracht, wo er als Häftling des KZ „Katzbach“ Zwangsarbeit in den Adler-Werken leisten musste. „Katzbach“ zählte zu den mörderischsten Außenlagern des KZ-Komplexes Natzweiler: In den sieben Monaten, die das Lager bestand, starb dort fast ein Drittel der insgesamt 1.600 Häftlinge. Im März 1945 wurde das KZ-Außenlager geräumt. Die marschfähigen Gefangenen mussten einen Todesmarsch nach Buchenwald antreten. Die schwachen, verletzten und kranken Häftlinge wurden mit dem Versprechen, sie kämen in ein Sanatorium, in einen Zug gepfercht. Zbigniew Muszyński gehörte zu diesen 400 bis 500 Häftlingen, die in Wirklichkeit in das KZ Bergen-Belsen gebracht wurden. Als der Zug dort nach fünftägiger Fahrt ankam, lebten nur noch etwa 100 Männer. Von diesen starben viele weitere in den folgenden Tagen oder Wochen, da sie in einer dunklen Baracke ohne Betten untergebracht wurden, wo sie auf nassem Boden schlafen mussten, kaum Essen und Trinken und keine medizinische Hilfe erhielten. Nur wenige überlebten. Unter den Toten dieses Transports befanden sich bis zu 80 ehemalige Häftlinge des KZ Sandhofen.
Zbigniew Muszyński vergleicht Bergen-Belsen mit den anderen Konzentrationslagern, in denen er zuvor war:
„Dachau war noch das ‚beste‘ Lager. Es war sauber und die Häftlinge kämpften nicht um Essen. In Buchenwald in der Quarantäne war es ebenfalls sauber und organisiert. In Mannheim und vor allem in Frankfurt war es kalt, es fehlte an Lebensmitteln, man musste hart arbeiten und es gab Läuse. Aber am schlimmsten war Bergen-Belsen, es war ein Todeslager und die Hölle auf Erden.“
Am 15. April 1945 stand Zbigniew Muszyński halbverhungert am Lagertor, als plötzlich eine englische Motorrad-Patrouille vorbeifuhr. Er lief zu einer Gruppe russischer Häftlinge und erzählte ihnen, dass die Engländer angekommen seien. Dann sank er vor Erschöpfung zu Boden und wurde ohnmächtig.
Die britische Armee befreite das KZ Bergen-Belsen. Zbigniew Muszyński wurde zunächst für tot gehalten und auf einen Leichenhaufen geworfen. Zwei befreite Häftlingsfrauen erkannten jedoch, dass er noch lebte und retteten ihn.
Die nächsten Monate verbrachte er in einem Krankenhaus in Bergen sowie in einem DP-Camp in Celle, wo man ihn „Häftling X“ nannte, da er sein Gedächtnis verloren hatte und sich nicht an seinen eigenen Namen erinnern konnte. Erst nach einigen Wochen kehrten seine Erinnerungen zurück.
Nachdem sich sein Gesundheitszustand verbessert hatte, schloss sich Zbigniew Muszyński einer polnischen Einheit bei der US-Armee an, absolvierte Militärkurse und war zeitweise in Mannheim-Käfertal stationiert. Später begann ein naturwissenschaftliches Studium an der Polnischen Technischen Akademie in Esslingen.
1948 emigrierte er nach Australien. Er heiratete, arbeitete als Waldarbeiter, Eisenbahner und schließlich bis zum Ruhestand als Zahntechniker. Daneben züchtete und trainierte er Rennpferde.
Zbigniew Muszyński lebt bis heute in Perth, Australien. Er wurde im letzten Monat 98 Jahre alt.
Bolesław Urbański
Bolesław Urbański wurde am 17. Mai 1926 in Warschau geboren. Er absolvierte gerade eine Ausbildung zum Dreher, als er im September 1944, damals 18 Jahre alt, während der Niederschlagung des Warschauer Aufstands als Zivilist verhaftet und über das KZ Dachau nach Sandhofen verschleppt wurde. Hier war er bis zum 8. März 1945 inhaftiert, ehe er, genauso wie Marian Marchewka, in das „Krankenlager“ Vaihingen/Enz gebracht wurde, wo er, an Typhus erkrankt, die Befreiung erlebte.
Manche von Ihnen werden sich erinnern, dass Herr Urbanski vor ziemlich genau sieben Jahren, im September 2017, im Namen der noch lebenden ehemaligen Häftlinge des KZ Sandhofen bei der Gedenkfeier hier auf dem Schulhof sprach. 2019 sandte er uns einen Redebeitrag per E-Mail zu; und im November 2020 schickte er uns anlässlich des 30-jährigen Bestehens der KZ-Gedenkstätte eine Grußbotschaft, die Sie in unserer Jubiläums-Publikation finden.
Wir möchten ein paar Passagen aus diesen drei Texten wiedergeben:
„Das Außenlager Mannheim-Sandhofen unterschied sich nicht von einem klassischen Konzentrationslager, obwohl es diesem äußerlich nicht ähnelte. […] Die ‚Vernichtung durch Arbeit‘ schritt im Blitztempo voran. Nach zwei Monaten mörderischer Arbeit, Krankheiten und miserabler Lagerbedingungen war der Transport ‚Warschau‘, bestehend aus ausgewählten, gesunden und in relativ gutem körperlichem Zustand befindlichen Gefangenen, für die weitere Arbeit meist ungeeignet. Die Krankenstation im Lager, das sogenannte Revier, war immer überfüllt. Auf Befehl des Kommandanten durften sich nicht mehr als 100 Patienten gleichzeitig in der Krankenstation befinden. Wegen Überschreitung dieser Zahl wurde ein Häftling, der als Sanitäter arbeitete, mit Schlägen bestraft. Der Lagerarzt, ein französischer Häftling, besaß keine Möglichkeiten, die immer schwächer und für Krankheiten anfälligeren Häftlinge zu behandeln. […] Unbehandelte Krankheiten führten zur Arbeitsunfähigkeit, Erkältungen führten zur akuten Lungenentzündung, die Tuberkulose breitete sich aus.“
„Das Lagerleben in Dachau, Mannheim-Sandhofen und Vaihingen/Enz führte mich ins Erwachsenenalter. […] Läuse, Hunger, menschliche Kräfte übersteigernde qualvolle Sklavenarbeit und das Töten waren die Regel. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Ich habe mir gedacht, so muss die Hölle aussehen.“
„Ich wog [bei der Befreiung] 32 Kilo, war nur noch Haut und Knochen. Ich war so geschwächt, dass ich mich nur noch an der Wand entlang bewegen konnte. Man lief wie eine wandelnde Leiche.“
„Ich habe die Hölle auf Erden durchlebt. Etwas, das niemand, der es nicht erlebt hat, verstehen kann. Es ist unmöglich, die Gefühle des Verlustes von Mutter, Vater, Schwester, Bruder oder Großvater, des Verlusts von Heimat und vom Zuhause zu beschreiben.“
„Die Zeit des Nachdenkens ermöglichte es mir, mich der Vergangenheit, dem Zeugnis und der Geschichte, die geschehen ist, zu stellen. Indem ich die Erinnerung an das Vergangene wiederbelebte, was nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, suchte ich nach der Botschaft, die von hier für heute und für die Zukunft ausgehen soll.
Ich […] gratuliere Ihnen, meine Damen und Herren und liebe Freunde, zu Ihrem Beitrag, die Gedenkstätte Sandhofen erschaffen zu haben, sie zu erhalten sowie zu Ihrem ständigen Bemühen, das Wissen über diese tragischen Ereignisse zu vermitteln. […] Ich hoffe, dass Ihre Bemühungen es ermöglichen werden, die ehrenvolle Geschichte dieser Gedenkstätte weiter zu schreiben, damit in ihren Beständen die Andenken und Erinnerungen der Zeitzeugen für die Gegenwart und Zukunft lange erhalten bleiben.
Gute Dinge werden immer dort geboren, wo sich gute Menschen versammeln, wo es Raum für Freundschaften gibt.“
Wir sind sehr glücklich darüber, noch immer mit Bolesław Urbański und seiner Tochter Bozena in Kontakt zu stehen, die nach wie vor in Warschau leben. Herr Urbański ist heute 98 Jahre alt – und zusammen mit Zbigniew Muszyński der letzte Überlebende des KZ Sandhofen.
Jerzy Wojciewski
Jerzy Wojciewski wurde am 29. Oktober 1926 in Warschau geboren. Während des Warschauer Aufstands im August 1944 schloss sich der damals 17-Jährige der polnischen Untergrundarmee an, für die er Waffen und Munition aus einem Depot im Wald in die Stadt schmuggelte. Auf dem Rückweg einer solchen Aktion wurde er festgenommen, verhört, gefoltert und schließlich in das KZ Dachau verschleppt.
An die Ankunft in Dachau erinnerte sich Jerzy Wojciewski 1989 in einem Gespräch:
„Die Kleidung wurde uns abgenommen. Bekommen haben wir […] Nummern statt Namen, Häftlingskleidung, eine Schüssel einen Löffel. Dann hat der Lagerführer gesagt: ‚Jetzt seid ihr keine Menschen mehr, nur noch Nummern, und Nummern kann man jederzeit wegstreichen.
Nach drei Wochen Quarantäne in Dachau kamen Daimler-Benz-Vertreter mit SS-Männern und haben die Jüngsten und Kräftigsten ausgesucht. Ich war damals 17 Jahre alt und wurde auch ausgewählt.“
Von September bis Ende Dezember 1944 war Jerzy Wojciewski im KZ Sandhofen inhaftiert, wo er zunächst Zwangsarbeit bei Daimler-Benz leisten musste, später zusammen mit anderen besonders jungen Häftlingen dem Küchenkommando zugeteilt wurde, in dem er vor allem Kartoffeln schälen musste.
Erstaunlicherweise gelang es Jerzy Wojciewski, all die Monate von der Festnahme bis zur Befreiung heimlich einen winzigen Taschenkalender bei sich zu behalten. In den Kalender, den er in seiner Hose, seinem Strohsack oder bei Kontrollen während der Appelle in seinem Mund versteckte, notierte er fast täglich ein paar Worte über Ereignisse des Tages. Die knappen Einträge lauteten etwa: „Ich schälte den ganzen Tag Kartoffeln. Nachmittags Regen“, „Einer der Kollegen ist geflohen“, „Ich wechsle in eine andere Stube, da ich an Krätze erkrankt bin“, „Ich bekomme von einem Deutschen einen Apfel“ oder „Ich erhalte Prügel, sodass ich nicht schlafen konnte“. An seinem Namenstag notiert er: „Die Kollegen wünschen mir Glück. Ich bekomme einen Hammer an den Kopf.“
Über seine Leidenszeit im KZ Sandhofen hat Jerzy Wojciewski in zahlreichen Briefen, Erinnerungsberichten und Gesprächen Zeugnis abgelegt. Hier ein paar Auszüge:
„Während der Arbeit hat einmal ein deutscher Arbeiter eine halbe Flasche Milch für mich übriggelassen. Denn die deutschen Arbeiter haben bei Schwerarbeit eine Zulage gekriegt. Er hat die Flasche extra stehenlassen mit dem Hinweis: ‚Hier siehst du, das ist für dich.‘ Aber als ich die Flasche genommen habe, hat das ein anderer Arbeiter gesehen und das als Diebstahl gemeldet. Bei der Rückkehr in die Schule bekam ich als Strafe 25 Stockhiebe.“
„Ich wurde einmal vom Koch der SS erwischt, als ich versuchte, eine zweite Portion Suppe zu ergattern. Er hat mir zuerst mit dem großen Schöpflöffel auf den Kopf gehauen; ich habe noch heute eine Narbe davon auf der Stirn. Dann musste ich [abends] zweieinhalb Stunden lang auf dem Appellplatz Froschhüpfen, wobei ich auf der offenen Handfläche eine mit Suppe gefüllte Schüssel halten musste.“
„Ich musste einmal die Stiefel eines SS-Manns putzen. Dem hat es aber nicht gefallen; es war nicht so, wie es sein sollte. Da musste ich die ganze Schuhcreme mit der Zunge ablecken.“
„An meinen 18. Geburtstag kann ich mich nicht erinnern. Daran hat man nicht gedacht, das wichtigste war schlafen und essen.
Manchmal haben wir ganz leise für uns polnische Kirchenlieder gesungen oder Weihnachtslieder. Aber das war nur an Tagen wie sonntags, wenn wir nicht zur Arbeit mussten.“
„Unser aller Traum war es, sich auszuschlafen und satt zu essen. Zwei Wünsche hatten wir: essen und schlafen. Denn wenn wir aus der Fabrik zurückkamen, ist jeder in sein Bett gefallen, auf diese Pritschen, und hat geschlafen wie ein Stein; es sei denn, ein Fliegeralarm hat uns geweckt oder SS-Männer, die gerade mal die blödsinnige Idee hatten, in unsere Stuben einzufallen. Damm hieß es: ALLE ANTRETEN!“
Am 23. Dezember 1944 wurde Jerzy Wojciewski zusammen mit 199 anderen Häftlingen aus Mannheim in das KZ Unterriexingen überstellt, wo er für ein Untertage-Verlagerungsprojekt von Daimler-Benz schwere Steinbrucharbeiten verrichten musste. Dort zog er sich ein Nierenleiden zu, von dem er sich sein ganzes Leben nicht erholte.
Im Februar 1945 wurde er in das sog. „Krankenlager“ KZ Vaihingen gebracht, wo er als Leichenträger dem „Totenkommando“ zugeteilt wurde. Nach kurzer Zeit erkrankte er an Typhus und erlebte die Befreiung durch die Französische Armee in einem abgetrennten Bereich des Lagers, in dem die sterbenden Häftlinge weitgehend sich selbst überlassen worden waren. Doch Jerzy Wojciewski überlebte.
„Ich wog damals 32 Kilo. Wir haben über uns selbst gelacht: der Tanz eines Skeletts auf dem Blechdach, bei jedem Schritt klappert es.“
Jerzy Wojciewski kehrte nach dem Krieg nach Warschau zurück, absolvierte eine Ausbildung und gründete eine Familie.
Seit 1989 war er auf Einladung der KZ-Gedenkstätten Sandhofen und Vaihingen/Enz viele Male zu Besuch in Baden-Württemberg, berichtete vor Schulklassen und im Rahmen deutsch-polnischer Begegnungen über seine Erlebnisse und war mit der KZ-Gedenkstätte Sandhofen bis zuletzt freundschaftlich verbunden.
Jerzy Wojciewski starb im März dieses Jahres im Alter von 97 Jahren in Warschau.