Lechleiter-Gedenken: „Widerstand und die Bedeutung für heute“
Das diesjährige Gedenken an die Frauen und Männer des antifaschistischen Widerstandes der Lechleiter-Gruppe stand unter dem Eindruck des Erstarkens der politischen Rechten in Deutschland. Vor knapp 100 Teilnehmer*innen hielt der Mannheimer Landtagsabgeordnete der SPD, Stefan Fulst-Blei, die Hauptrede. Jan Aguntius von der IG Metall-Jugend sprach im Namen der Gewerkschaften ein Grußwort, ebenso Axel vom Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) Mannheim. Beide Redner hielten vor allem das Vermächtnis der Lechleiter-Gruppe des gemeinsamen Widerstandes, jenseits ideologischer und parteiischer Grenzen, hervor.
„Wir sollten uns die Lechleiter-Gruppe zum Vorbild und Auftrag zugleich nehmen. Unsere Unterschiede beiseite legen um als Antifaschistinnen und Antifaschisten zusammen zu arbeiten. Wenn uns das gelingt, und das wird es, dann können wir alles schaffen!“ (Aguntius)
„Die Lehren aus der Geschichte zu ziehen heißt also für uns als Antifaschist*innen verschiedener politischer Spektren gemeinsam aktiv zu werden. Das Offene Antifaschistische Treffen möchte dafür in Mannheim eine Plattform bieten, begrüßt darüber hinaus natürlich jede produktive Zusammenarbeit!“ (Axel)
Michael Csaszkóczy sang zur Gitarre antifaschistische und Freiheitslieder. Eine kurze, aber sehr beeindruckenden Rede hielt die 89-jährige Karla Spagerer, deren Eltern und Großeltern mit der Familie Lechleiter, befreundet waren. Für die damals 13-Jährige waren es unvergessene und schreckliche Momente, als sie auf einer Litfaßsäule auf dem Waldhof von der Hinrichtung von Georg Lechleiter und seinen GenossInnen durch das Fallbeil erfuhr.
(Text: scr | Bilder: cki)
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Stefan Fulst-Blei, die einige bemerkenswerte Überlegungen zum Widerstand gegen Rechts beinhaltet
Am 26. Februar 1942 wurden Georg Lechleiter, Jakob Faulhaber, Max Winterhalter, die Familie, Philipp Brunnemers, Daniel Seizinger, Rudolf Maus, Eugen Sigrist, Alfred und Käthe Seitz verhaftet und am 15. Mai 1942 durch den 2. Senat des Volksgerichtshofs in Mannheim zum Tode verurteilt. Am Morgen des 15. September 1942 wurden sie in Stuttgart durch das Fallbeil enthauptet. Drei der Hauptangeklagten (Hans Heck, Fritz Grund und Willi Probst) wurden bereits während der Haft zu Tode gefoltert, 19 der 32 verhafteten Mitglieder der Lechleiter-Gruppe wurden hingerichtet; die Übrigen wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt.
In seinem Abschiedsbrief an seine Frau und seinen Sohn schrieb Georg Lechleiter u.a.:
„Nun heißt es Abschied nehmen für immer….der Gedanke an den nahen Tod schreckt mich nicht….Das höchste Ziel eines Menschen besteht darin, wirklich für andere zu leben, sich aufzuopfern. Dir, liebe Anny, und Dir, lieber Bub, ein letzter Gruß und Händedruck.“
„Widerstand und die Bedeutung für heute“ – diesen Auftrag hat mir Fritz Reidenbach für die Rede für heute mitgegeben.
Der Zufall wollte es, dass ich mir die Vorbereitung für die heutige Gedenkrede auf Ende August und damit unmittelbar nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz gelegt hatte. Der Blick auf den Kalender an diesen Morgen wollte es, dass mir bewusst wurde, dass es sich noch dazu um den Todestag meines Vaters handelte. Er war ein Opfer der Nazidiktatur: der Krieg der Nazis hatte ihn seine Heimat Schlesien und seinen Vater gekostet, das undemokratische System in der DDR hatten ihn zur Flucht und Aufgabe seiner Familie bewogen.
Was würde er sagen zu den Bildern aus Chemnitz: Hetzjagd, Hitlergruß, Gewalt? Was habe ich als sein Sohn, der heute lebt und Verantwortung für die Geschehnisse in dieser Zeit trägt zu tun? So wie jede Frau und jeder Mann der heute in unserer demokratischen Gesellschaft lebt. So wie jede/r Ältere, der oder die seine Eltern kritisch gefragt hat, warum sie die Diktaturen nicht verhindern konnten. So wie jede/r Junge, die oder der kritische Fragen aufwirft, wenn er oder sie Ungerechtigkeiten wahrnimmt. Wo liegt die Verantwortung? Bei uns liegt die Verantwortung!
Chemnitz hat einmal mehr gezeigt, dass die von der AfD propagierte Verrohung der Sprache zu einer Verrohung der Straße geführt hat. Die AfD ist die Manifestierung des inneren, asozialen Schweinehundes unserer Gesellschaft in Wählerstimmen und Parlamentssitzen. Die Menschen erwarten von ihr keine Konzepte. Das macht es so schwer, sie inhaltlich zu bekämpfen. Die blaubraune Seite der Macht ist nicht stärker, aber sie ist schneller und verführerischer. Hierzu nutzt sie auch soziale Medien, die schnell und verführerisch sind. Das Denken erleichtert sie durch einfache Botschaften. Triumphiert das banale Böse über das Reflektierte, Differenzierte? Die Vibrationen der Diktatur haben die sozialen Netzwerke bereits lange erreicht. Diejenigen, die behaupten, für die Meinungsfreiheit einzustehen, sind oft auch diejenigen, die menschenfreundliche Meinungen in ihren digitalen Blasen mit einem Bann belegen.
Was tun? Was tun in Mannheim? Wie muss Widerstand heute aussehen?
Die politische Linke und andere demokratische Kräfte in Mannheim sind lange aufgestanden gegen Versammlungen von Nazis, NPD und AfD.
Wir machen dies mit Blick auf Rechtspopulisten aus verschiedenen Gründen nicht mehr. Damit ist es in der Presse ruhiger geworden, der Saal im Schützenhaus ist aber weiterhin voll besetzt mit bis zu 400 Leuten. Unerträgliche menschenfeindliche Aussagen werden dort getätigt. Die Straße schweigt, die Straße ist hilflos.
Und trotzdem: in Mannheim gehört die Straße nicht den Rechten. Dies wollen wir am 3. Oktober auch machtvoll unter Beweis stellen. Dieser Tag muss ein deutliches Signal werden. Aber danach muss es weiter gehen!
Was wäre denkbar?
Vielleicht brauchen wir andere reale und digitale Formate, die nicht auf ihre menschenfeindliche spießbürgerliche Selbst-und Opferinszenierung einzahlen.
Wie könnten diese anderen Formate aussehen?
Kann eine Antwort in Form einer Mahnwache gelingen? Brauchen wir den Protest der stillen Bilder? Bilder, die die Brüder im Geiste darstellen: Trump, Putin, Orban, Kuczynski, Weidel, Gauland, Meuthen?
Bilder, die Folgen ihrer Politik darstellen: ignorieren des Klimawandels und Dürreschäden, Kriege, Unterdrückung der Pressefreiheit, Eingriffe in die Gewaltenteilung und Schwächen der Justiz, Verrohung der Sprache, die zu Gewalt führt?
Brauchen wir eine Lichterkette mit Kerzen und Handys als Mahnwache um die nächste AfD-Groß-Veranstaltung? Diesen Montag zu kurzfristig, aber sie kommen wieder.
Wenn die Rechten in der Lage sind innerhalb, kürzester Zeit bundesweit für Chemnitz zu mobilisieren, warum sind die politische Linke und andere demokratischen Kräfte noch nicht einmal in Mannheim in der Lage, sich digital wirksam zu vernetzen und zu mobilisieren?
Und warum kommen wir wenn überhaupt dann, wenn die Rechten vorlegen? Warum reagieren wir immer nur? Warum gestalten wir nicht unabhängig von ihnen kommunikativen Widerstand? Wie wäre es z.B. mit einem „Markt gegen Rechts“ oder „Faktenmarkt“ mit dem wir Aufklärung betreiben und Fake-News bekämpfen?
Wie wäre es mit einer gemeinsamen Aktion in den sozialen Netzwerken, ohne dass wir der Versuchung erliegen, bevorzugt dann doch uns gegenseitig anzugreifen?
Ich selbst bin seit zwei Jahren zusammen mit der SPD-Stadträtin Heidrun Kämper mit einer Reihe mit dem Titel „Wölfe im Schafspelz – Rechtspopulismus in Baden-Württemberg“ unterwegs durch die Stadtteile Mannheims. Warum ein solches Format nicht einmal in der Öffentlichkeit, etwa auf dem Marktplatz veranstalten?
Ich weiß nicht, ob meine Überlegungen schlüssig sind und ob die Vorschläge gut sind. Ich weiß nur, dass ich es unerträglich finde, dass rechtspopuläre Hetze in Mannheim und anderswo unwidersprochen einen menschenfeindlichen Hexensabbat nach dem nächsten feiert. Mit Hass, Intoleranz und permanentem Raubbau an menschlicher Solidarität.
Das ist nicht das Bild eines Deutschlands oder von Mannheim, das viele von uns akzeptieren werden. Das ist nicht unsere Heimat, in der wir leben wollen. Und es ist unsere Heimat, die wir nicht aufgeben werden. Wir haben ein anderes Bild im Kopf und als Auftrag im Herzen. Diese Heimat ist demokratisch, menschenfreundlich und global ethisch engagiert. Für dieses Ziel lohnt es sich zu kämpfen. Für dieses Ziel müssen wir den Rechten Widerstand leisten.
Mit Georg Lechleiter verbindet mich, dass er Landtagsabgeordneter war und dass er im Kampf gegen die Nazis die politische Linke vereinigen wollte: Sozialdemokraten, Kommunisten, Parteilose. Er hatte einen Mut, den ich bewundere, weil ich nicht weiß, ob ich ihn damals gehabt hätte. Ihm und den anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe gebührt meine Achtung und Erinnerung. Eine Erinnerung, die wir wachhalten müssen. Eine Erinnerung, die brandaktuell ist.
Wir haben die Verantwortung, die Erinnerung an die Lechleiter-Widerstandsgruppe sowie die anderen Antifaschistinnen und Antifaschisten wach zu halten und wir haben die Aufgabe, gegen Holocaust-Leugner und Antisemiten, gegen Nazi-Aufmärsche, gegen Rassisten, gegen Gewalt und die politischen Wegbereiter durch die Rechtspopulisten aufzutreten. Das erfordert heute nicht mehr das Leben, aber Zivilcourage und die Bereitschaft hin- und nicht wegzuschauen.
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