Die Strafkolonie – Inszenierung des Kollektivs RAMPIG
Das Kollektiv Theater Performance Kunst RAMPIG inzenierte Franz Kafkas In der Strafkolonie in einem verlassenen Gebäudekomplex des Mannheimer Hauptfriedhofs. Ein Rückblick.
In der Strafkolonie. Der Titel jagt wohl den meisten Menschen einen Schauer über den Rücken, die mit dem Inhalt dieser Erzählung von Franz Kafka vertraut sind. Die typische kafkaeske Athmosphäre – das Gefühl des Alleinseins, der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, des Absurden, der Grausamkeit – wird hier potenziert und ins Unerträgliche gesteigert. Die Handlung der Erzählung kreist um den Besucher einer Strafkolonie, der einer 12-stündigen Hinrichtung mittels eines Folterapparates beiwohnen soll. In allen Details preist ein Offizier dem Reisenden fasziniert die Funktionsweise, sowie Vorzüge und Effizienz der Tötungsmaschine an. Dem Verurteilten selbst ist sein Schicksal unbekannt, seine “Verfehlung” ereignete sich erst wenige Stunden zuvor. Der Offizier ist ein großer Verfechter des Apparats, ein Fanatiker, ein Gläubiger gar. Der neue Kommandant der Strafkolonie hingegen steht der Maschine gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Der Offizier erhofft sich Unterstützung durch die Autorität des Reisenden, so versucht er diesen für den Apparat zu begeistern. In völliger Hingabe wird der Offizier schließlich zum letzten Opfer des Apparates, der nach dessen Tod in seine Einzelteile verfällt. Der Verurteilte kommt mit dem Leben davon, und der Reisende verlässt fluchtartig die Strafkolonie.
“Ein Akt der Gewalt ist außerordentlich; ein Ausbruch aus der Ordnung und nicht lediglich eine Begleiterscheinung von Handlungsmotiven.” (Die Strafkolonie, RAMPIG)
Zu Kafka’s Strafkolonie finden sich unzählige Interpretationen. Der “eigentümliche Apparat” kann als Synonym für die Grausamkeit der öffentlichen Folter, die Präzision maschineller Tötung und Willkürherrschaft im Allgemeinen verstanden werden. Der neue Kommandant, ebenso wie die finale Zerstörung des Apparats und der Tod seines letzten Anhängers, mag als Anbruch einer “neuen Ordnung”, eines neuen Paradigmas der Ablehnung von Folter, Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung und des Humanismus gedeutet werden. Was jedoch passiert in dieser neuen Ordnung mit der Gewalt? Ist sie das Andere der Ordnung und kann ausgeschlossen werden? Verschwindet sie? Oder wird sie schlicht verlagert, nach außen verschoben, und damit verdrängt und vergessen? Darüber hinaus: für wen gilt diese neue Ordnung und wen schließt sie aus?
Europa ist eine solche Ordnung, in der Wohlstand und Recht herrschen, wo Willkür und Gewalt vermeintlich eingehegt seien. Abseits der europäischen Grenzen jedoch tobt die Gewalt unbarmherzig. Mehr noch, sie selbst erzeugen Gewalt, sind ein Symbol für Gewalt. Zehntausende Menschen sind ertrunken, Unzählige sterben in Lagern jenseits des Mittelmeers oder verkümmern in jenen diesseits. Rassistische Hetze und Verschwörungstheorien gewinnen Wahlen, Rufe nach dem starken Mann (wie könnte es auch anders sein), mit der starken Hand in einem starken Staat werden wieder lauter, Menschen werden angegriffen und bedroht. Global betrachtet: die Ausbeutung von Arbeitskraft, Lebensträumen und Hoffnungen, Lebensräumen und natürlichen Ressoucen sorgen für das gute Leben einiger Menschen in Europa. Andere leben auch hier in Armut und Ausbeutung, werden ausgeschlossen und diskriminiert. Ganz klar: die Gewalt ist allgegenwärtig, wenn man hinschaut, wenn man sehen will. Die europäische Ordnung ist Teil dieser Gewalt, und sie selbst erzeugt und verstetigt die Gewalt.
Doch all das sind nur Wörter, sie haben Grenzen, können so leicht vergessen und verdrängt werden: wo Wörter ständig sich wiederholen, wo Menschen nicht selbst betroffen sind, wo die Möglichkeiten der Zerstreuung so immens sind wie in europäischen Gesellschaften, wo Hilflosigkeit und Überforderung uns handlungsunfähig macht. Darüber hinaus kämpfen wir alle mit unserem Leben, haben unsere Sorgen und Probleme. Zugegeben: first-world-problems – but still, problems.
Das Kollektiv Theater Performance Kunst RAMPIG ermöglichen mit ihrer immersiven Performanceinstallation “Die Strafkolonie” eine körperliche Erfahrung und damit ein Überschreiten der Grenzen der Worte und des Tellerrandes unserer alltäglichen kleinen Welt. Immersiv bedeutet, eine virtuelle Welt erscheint so real, dass die Grenzen zur Realität verschwimmen. In Anlehnung an die zwölfstündige Folter in Kafkas Erzählung inszenieren RAMPIG eine Parallelwelt, welche die Besucher*innen in installativen, performativen und theatralen Sequenzen mitten in zwölf Szenen der Grausamkeit katapultiert. Intention sei es, “mittels der durch Sophie Lichtenbergs szenografisches Gesamtkonzept, sowie der im Kollektiv erarbeiteten Texte und Szenen, aktuelle Strategien von Abschottungspolitik und dem damit einhergehenden Missverhältnis von Schutz der Nation und Schutz menschlichen Lebens zu thematisieren und zu hinterfragen”. So wird das Publikum einerseits Zeuge der Hoffnung von Menschen, die vor Verfolgung, Willkür, Gewalt, Hunger und Elend fliehen, und in Europa glauben ihr Glück, ja ihr Paradies zu finden. Analog zu Kafka’s Vorlage schlüpft das Publikum in die Rolle des Reisenden, des vermeintlich Außenstehenden. Am Ende bleibt Hilflosigkeit ob des Elends der Welt, das nagende Wissen um Kompliz*innenschaft und das Gefühl nicht genug zu tun. Die Künstler*innen agieren sowohl in der Rolle des Verurteilten und damit der Opfer, als auch in der Offiziersrolle, also der Täter*innen. RAMPIG reflektieren in ihrer Darstellung alle Facetten der deutschen Gesellschaft, deren Reaktion auf eigene Ängste, Frustration und Unsicherheit sowohl Wut, aber auch Resignation, vor allem jedoch empathische Abstumpfung ist. Die Szenerie schafft eine atemberaubende Mischung aus Neugier, Angst und dem Drang zu flüchten. RAMPIG vermitteln ohne moralisierend und paternalistisch zu sein ein Gefühl für die Situationen, denen real flüchtende und geflüchtete Menschen ausgesetzt sind. Ausgesetzt dem entgegengebrachten Misstrauen, der emotionalen Verrohung der Gesellschaft und der Diskriminierung auf unterschiedlichen Ebenen.
Die Perfomance Die Strafkolonie des Kollektivs RAMPIG ist eine außerordentliche Glanzleistung, sowohl hinsichtlich der schauspielerischen Darbietung, als auch im Hinblick auf die kreative Inszenierung. Aufgrund des besonderen Formates und der Szenerie lockt diese Performance nicht nur Künstler*innen und Theaterfreund*innen an, sondern auch nicht-klassisches Theaterpublikum, und kann damit breitere Teile der Bevölkerung erreichen. Der nachhaltige Eindruck, den diese Performance zu hinterlassen vermag, sorgt für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit und für die Sensibilisierung im Hinblick auf diese gesellschaftliche Realität.
(nks)