Auf den Spuren Mannheimer Revolutionäre: Eine Würdigung der Novemberrevolution 1918 im Cinema Quadrat
“Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr.” Mit diesen Worten soll Karl Liebknecht, Wortführer des Spartakusbund, auf einem Lastwagen stehend, am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen haben.
Diese Worte fanden auch in der 600 Kilometer entfernten Arbeiterstadt Mannheim ihren Wiederhall. Doch hier wie dort, im fernen Berlin, war es eine andere Organisation, die sich im Laufe der revolutionären Kämpfe 1918/1919 durchsetzen sollte: die SPD. Deren Staatssekretär in Berlin Philipp Scheidemann wollte den Linken zuvor kommen und rief daher ebenfalls am 9. November – so ist es überliefert – beim Mittagessen „zwischen Suppe und Nachspeise“ die Republik vom Balkon des Reichstagsgebäudes aus.
Im Rahmen einer Kultur- und Gedenkveranstaltung im Cinema Quadrat wurden die revolutionären Aufstände der damaligen Zeit gewürdigt. Sie hatten den Ersten Weltkrieg beendet und die Monarchie abgeschafft. Sie läuteten eine neue Zeit der parlamentarischen Demokratie ein – die vorerst aber nur für 15 Jahre bestehen sollte.
Mannheim in der Novemberrevolution 1918
Auf vielfältige Weise erfuhren die Besucher*innen im bis auf den letzten Platz besetzten Cinema Quadrat eine Würdigung der revolutionären, teils fast vergessenen Kämpfe. Wolfgang Alles, Sprecher des Aktionsbündnisses “Wir zahlen nicht für eure Krise”, begrüßte und moderierte die von IG Metall Mannheim, IG BCE Weinheim und Attac Mannheim unterstützte Veranstaltung.
Mia Lindemann, Gewerkschafterin und Historikerin, referierte zu den revolutionären Aufständen in Mannheim. Mehr noch, als an anderen Orten, war die Arbeiterstadt auch damals schon von der SPD geprägt. Zwar hatte die Partei einen schweren Stand, da sie anfangs die Kriegsbegeisterung mitgetragen und Kriegskredite gewährt hatte. Sogar der bekannte SPD-Politiker Ludwig Frank hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und war bereits im September 1914 in den ersten Kriegsmonaten in Lothringen gefallen. Doch 1917, als die Stimmung bereits gekippt war, organisierte die SPD wieder Friedensdemos und die feste Verankerung in der Arbeiterbewegung gewährte der Partei weiter großen Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen.
Zwar gründeten sich auch in Mannheim die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USP) und später die Kommunistische Partei, doch Mitgliederzahl und Einfluss der Linken blieben anfangs überschaubar. Weit größere Bedeutung hatten die Streiks, an denen sich Anfang 1918 in der Industriestadt bis zu 15 000 Menschen beteiligt haben sollen. Im Herbst soll es dann massiv in den Betrieben rumort haben, angefeuert durch die Berichte aus anderen Städten im Deutschen Reich, wo es zu ersten revolutionären Aufständen kam – allen voran meuterten die “roten Matrosen” aus Kiel. Es tauchten in Mannheimer Straßenbahnen die ersten Flugblätter mit den Aufrufen “Bildet Arbeiter- und Soldatenräte!” auf.
Am 9. November war es soweit und auch in Mannheim wurde ein erster Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Die Post, der Bahnhof und das Rathaus wurden besetzt. Alles sei aber “ruhig und friedlich” geblieben, berichtete die “Volksstimme” am nächsten Tag. Die Polizei kooperierte. Am 10. November wurde in Karlsruhe die Bildung einer “provisorischen Volksregierung Baden” bekannt gegeben.
Der Arbeiter- und Soldatenrat in Mannheim wurde in der Bevölkerung weitgehend akzeptiert und sah seine Aufgabe vornehmlich in der Schaffung von Ordnung und Ruhe. Eine “Volkswehr”, bestehend aus “ausgesuchten Genossen”, wurde der Mannheimer Polizei angegliedert. Konflikte gab es dennoch bei Lebensmittelverteilungen und Enteignungen – hier hatten vor allem die Funktionäre der SPD andere Vorstellungen, als die Arbeiter und Soldaten in den Räten.
Der Rat zeigte sich aber bald sehr offen und so kam es, dass schnell auch Vertreter aus anderen gesellschaftlichen Schichten darin Sitze fanden. Vor allem die SPD gewann an Einfluss. Sie konnte die Deutungshoheit darüber gewinnen, dass die Räte nur ein Provisorium auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie waren. Mit den Wahlen zur Nationalversammlung endete das revolutionäre Projekt der Räte nach wenigen Monaten. Revolutionäre Kräfte waren bei den Wahlen die Verlierer. Die Meldungen vom “Spartakusaufstand” in Berlin sorgten in Mannheim gar für eine Massendemonstration von 50 000 Menschen, die sich gegen weitere revolutionäre Entwicklungen wendeten – mobilisiert hatte dazu die SPD.
Verschmelzung von Wort, Musik und Film
Einen geschichtlichen Abriss der historischen Ereignisse versuchte auch der Film “Matrosen in Berlin” (DDR, 1978). Der DEFA-Dokumentarfilm zeigte neben Originalaufnahmen der revolutionären Kämpfe in Berlin auch eine eindeutige Feindschaft gegenüber der SPD, die als Marionette des Militarismus und des Kapitals dargestellt wurde – eine durchschaubare propagandistische Verzerrung, die dennoch ihren wahren Kern hat. Dem Spartakusbund, aus dem später die KPD und damit der ideologische Bezugpunkt der DDR wurde, kam im Film eine überhöhte Bedeutung zu, die nicht der Realität entsprach. Die spontane, unorganisierte Rebellion der Matrosen, Soldaten und Arbeiter*innen und die Gründung der Räte von unten passte wohl nicht ins politische Bild der sozialistischen DDR-Staatsdoktrin. Es sollte offenbar vermittelt werden, dass der Grund für das Scheitern der Novemberrevolution die fehlende Massenorganisation der Arbeiter und Soldaten war.
Wolfgang Alles, der den Film anmoderierte, sprach eben diese Problematik an, was eine gute Vorbereitung für all jene war, die sich mit den Propagandastrategien der DDR noch nicht auseinandergesetzt hatten.
Als Vertreter der Gewerkschaften sprach Klaus Stein, 1. Bevollmächtigter der IG Metall ein Grußwort. In weiteren Programmpunkten laß die Schauspielerin Bettina Franke erst aus den Forderungen der Arbeiter- und Soldatenräte, sowie einen Text von Kurt Tucholsky und später den letzten Zeitungsartikel der Revolutionärin Rosa Luxemburg aus der “Roten Fahne” vom 14. Januar 1919, einem Tag vor ihrer Ermordung. Er endet mit den berühmten Worten “Ich war, ich bin, ich werde sein”.
Die Musiker Joachim Romeis (Geige) und Bernd Köhler (Gesang und Gitarre) von der Band ewo² umrahmten die Veranstaltung musikalisch – experimentell, beeindruckend und dem revolutionären Anlass angemessen. Sie spielten Stücke von Erich Mühsam, Wladimir Majakowski und Erich Weinert. Akustische und elektronische Instrumente schafften in der dunklen Kino-Atmosphäre eine Mischung aus Bedrückung und Aufbruch – analog zu Erfolg und Scheitern der revolutionären Kräfte, denen die Lieder gewidmet waren.
Als letztes Stück spielten die beiden Musiker das jiddische “s’brennt”, um an ein weiteres, wichtiges Ereignis an einem 9. November zu erinnern. Auf den Tag genau 20 Jahre nach der Novemberrevolution sah sich die Konterrevolution in ihrer brutalsten Form, dem Nationalsozialismus, so stark in der Bevölkerung verankert, dass sie mit den organisierten Pogromen die systematische Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevolkerung in aller Öffentlichkeit begannen. Das dunkelste Kapitel im Deutschland des 20. Jahrhundert steuerte auf seinen Höhepunkt zu.
(Text & Bilder: cki)