Bewegung DiEM25 kandidiert zu den Europawahlen – Interview mit dem “Spontaneous Collective” Mannheim
Bei einem der öffentlichen Treffen von DiEM25 im Café Filsbach, bei dem sich aus Mannheim und Umgebung ein Kreis von sechs Personen traf, führte das Kommunalinfo ein erstes Gespräch. Die hier dokumentierten Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet. Die Fragen für das Kommunalinfo stellte Roland Schuster.
KIM: Die Bewegung DiEM25 ist von dem ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis ins Leben gegründet worden. Wer steht noch dahinter?
DiEM25: Zunächst die Mitglieder*innen, deren Zahl seit der Gründung von DiEM25 vor drei Jahren auf inzwischen etwa 100.000 angewachsen ist und von denen viele in lokalen Gruppen organisiert sind. Dazu kommen eine Vielzahl von Expert*innen, die DiEM25 in einem Beratergremium, dem Advisory Panel, zur Verfügung stehen. Das sind, um nur ein paar Namen zu nennen, der Ökonom James K. Galbraith, der Soziologe Richard Sennet, die Philosophen Srécko Horvart und Slavoy Zizek sowie die kanadische Publizistin Naomi Klein. Weitere Mitglieder sind z.B. die Musiker Jean-Michel Jarre und Brian Eno.
KIM: DiEM25 kandidiert nun zu den EU-Wahlen. Ist DIEM25 nun doch eher eine Partei?
DiEM25: Nein. DiEM25 ist in erster Linie eine paneuropäische Bewegung, eine Beteiligung an Wahlen halten wir uns aber grundsätzlich offen, wenn dies unseren Zielen dient. So haben die Mitglieder in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit beschlossen an den Europawahlen in diesem Jahr teilzunehmen. Entsprechend unserer gesamteuropäischen Perspektive wollten wir mit einer einzigen Liste in ganz Europa antreten. Das lässt aber das Wahlrecht nicht zu. Deshalb haben wir in Deutschland die „Sonstige Politische Vereinigung“ (SPV) „DEMOKRATIE IN EUROPA – DiEM25“ gegründet. Eine SPV ist ein juristisches Konstrukt, das auch NichtParteien die Teilnahme an Wahlen erlaubt. Unsere Spitzenkandidat*innen in Deutschland sind Yanis Varoufakis und Dani Platsch. In anderen Ländern haben wir uns mit bestehenden Organisationen für die Europawahl zusammengeschlossen – in Frankreich etwa mit Generation.s mit dem ehemaligen sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Francoise Hamon. Die Wahlorganisationen der einzelnen Länder haben sich im EUROPEAN SPRING zusammengeschlossen und werden mit einem gemeinsamen Wahlprogramm antreten.
KIM: Wie ist eure Bewegung DiEM25 in Europa, Deutschland und in Mannheim bzw. RheinNeckar-Region organisiert?
DiEM25: Oberstes Gremium ist das 12-köpfige Coordinating Collective (CC), das alle Aktivitäten von DiEM25 koordiniert. Ihm zur Seite steht das schon erwähnte Advisory Panel. In den einzelnen Ländern gibt National Collectives (NC), die europaweit mit den anderen NC 2 zusammenarbeiten und die die Arbeit der lokalen Gruppen in ihren Ländern koordinieren. Wichtig ist der Punkt, dass diese Gremien, entsprechend unseren Prinzipien von partizipativer Demokratie, in all-member-votes gewählt werden. Solche Mitgliederentscheidungen finden regelmäßig und online statt. Entsprechend partizipativ ist auch unsere inhaltlich-programmatische Arbeit – die Entwicklung einer progressiven Agenda für Europa – organisiert. Die Arbeit von DiEM25 wird lokal und regional von Gruppen, den DSC – DiEM25 Spontaneous Collectives – unterstützt. In Deutschland gibt es inzwischen 32 DSC. In Mannheim hat sich eine solche Gruppe Anfang des Jahres gegründet. Interessierte laden wir zur Mitarbeit ein.
KIM: Ihr strebt für die EU einen Verfassungskongress an? Was soll anders werden?
DiEM25: Es ist das übergeordnete Ziel von DiEM25, die EU zu demokratisieren. Deshalb werben wir für eine verfassungsgebende Versammlung, die bis zum Jahr 2025 – daher kommt auch die Jahreszahl in unserem Namen – eine demokratische Verfassung für Europa ausarbeitet. Die Mitglieder dieser Versammlung sollen nach unseren Vorstellungen über transnationale Listen gewählt werden und über die künftige europäische Verfassung entscheiden. Nach unseren Vorstellungen wird die auszuarbeitende Verfassung ein Parlament für Europa vorsehen, das weitergehende Rechte besitzt als das derzeitige EU-Parlament – Stichwort „Initiativ-Recht“ für Gesetze. Allerdings soll mit einem solchen neuen Parlament nicht eine weitere Zentralisierung der Macht in Europa verbunden sein. Vielmehr soll nach unseren Vorstellungen in der neuen Europa-Verfassung auch institutionell geregelt werden, wie die Kompetenzen mit den nationalen Parlamenten, Regionalvertretungen und Kommunalparlamenten geteilt werden.
KIM: Ihr fordert eine Koordination von Geld-, Steuer- und Sozialpolitik innerhalb der EU? Wie soll die Koordination inhaltlich aussehen?
DiEM25: Die Geld-, Steuer- und Sozialpolitik soll nach unseren Vorstellungen von den Zentralbanken, den nationalen Regierungen und den europäischen Kommissionen koordiniert werden. An konkreten Vorschlägen zur Gestaltung dieser Koordinierungsprozesse wird von uns zurzeit gearbeitet. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass in vielen europäischen Institutionen das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, das oft Entscheidungen verhindert. Ziel dieser Koordinationen ist es ganz allgemein, die Auswirkungen von Maßnahmen europaweit zu optimieren. Dies ist auf den unterschiedlichsten Politikfeldern sinnvoll – von der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut bis hin zum Problem der Staatschulden in vielen Ländern. Konkret halten wir eine solche Koordination auch für notwendig, wenn ein umfassendes grünes Investitionsprogramm, wie wir es fordern, umgesetzt werden soll.
KIM: Steht das nicht im Widerspruch zu euer geforderten dezentralen Machtverteilung?
DiEM25: Nein, weil die angesprochenen Koordinierungsprozesse keine weitere Zentralisierung der Macht in Brüssel bewirken sollen – sie dienen dem Ziel, die Wirkungen von politischen Programmen europaweit zu optimieren. Die hohe Machtkonzentration auf europäischer Ebene sehen wir allerdings. Sie ist auch ein Grund, warum wir uns – wir haben darüber gesprochen – für eine umfassende Demokratisierung und Dezentralisierung im Rahmen einer europäischen Verfassung einsetzen.
KIM: Wie ist euer Verhältnis zu anderen Parteien und zu zivilgesellschaftlichen Organisation wie z.B. Gewerkschaften?
DiEM25: DiEM25 arbeitet mit vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen zusammen. Gewerkschaften sind dabei wichtige Ansprechpartner für DiEM25, wenn es um die Rechte von Arbeitnehmer*innen geht. In diesem Sinne suchen wir als DSC Mannheim das Gespräch und die Zusammenarbeit mit entsprechenden Organisationen vor Ort. Wir sind auch offen für eine Zusammenarbeit mit Parteien, sofern dies dem Ziel eines nachhaltigen sozialökologischen Politikwechsels in Europa und der Demokratisierung der EU dient. Auch können Mitglieder von Parteien Mitglied von DiEM25 sein, Parteimitglieder sind bei uns auch aktiv. Hier nur 3 Beispiele: DiEM25 unterstützt die internationale Bewegung SEEBRÜCKE, die sich für sichere Fluchtwege einsetzt, wir haben den Aufruf zu „Unteilbar“ mitunterzeichnet und – ein ganz anderes Beispiel – zu den Gründungsmitgliedern unserer Vereinigung DEMOKRATIE IN EUROPA, mit der wir bei der Europawahl antreten werden, zählen auch Mitglieder von Parteien.
KIM: Warum jetzt noch eine Partei? Es gibt doch schon andere linke Parteien, die sich auch auf europäischer Ebene organisatorisch zusammengeschlossen haben? Warum also noch eine Partei? Führt das nicht zur politischen Zersplitterung?
DiEM25: Wie schon gesagt – DiEM25 ist keine Partei und soll es auch nicht werden. Die Gründung von DiEM25 vor 3 Jahren war eine Konsequenz aus den Lehren der griechischen Finanzkrise. Es war die Lehre, dass eine paneuropäische Bewegung notwendig ist, um die weitere Durchsetzung der neo-liberalen Agenda in Europa zu verhindern und um zu verhindern, dass die Interessen der einzelnen Länder weiter gegeneinander ausgespielt werden. Weiter wurde die Notwendigkeit gesehen, eine gesamteuropäische Agenda zu entwickeln, um in Europa einen nachhaltigen sozial-ökologischen Politikwechsel herbeizuführen und um Europa zu demokratisieren. Die Entwicklung dieser progressiven Agenda ist ein Schwerpunkt der Arbeit DiEM25.
KIM: Bündelung der Kräfte ist doch erforderlich?
DiEM25: Ja, deshalb arbeiten bei DiEM25 auch Linke, Grüne und Liberale an der Entwicklung dieser progressiven Agenda mit. In diesem Sinne trägt DiEM25 nicht nur zur Bündelung der Kräfte bei, sondern auch zu einer programmatischen Weiterentwicklung mit gesamteuropäischer Perspektive. In dem Zusammenhang auch: Die Demokratisierung Europas kann kein ausschließlich „linkes“ Projekt sein, sondern nur ein Gemeinsames aller fortschrittlichen Demokraten.
KIM: Ihr beschreibt für die EU einen Zeitplan? Ist dieser Zeitplan nicht abhängig davon, wie sich andere politischen Kräfte positionieren?
DiEM25: Ja, wir haben uns für unsere Ziele einen Zeitrahmen gegeben. So wollen wir sofort Transparenz in den Entscheidungsfindungsprozessen der EU, etwa durch öffentliche Sitzungen des EU-Rates und der Eurogruppe. Wir wollen kurzfristig die ökonomischen und ökologischen Probleme und Krisen im Rahmen der bestehenden Institutionen und EU Verträge lösen. Langfristig soll dies innerhalb einer neu verfassten EU geschehen – darüber ist oben schon gesprochen worden. Die Frage von KIM zielt darauf, wie flexibel wir in zeitlicher Hinsicht sind: Natürlich können wir sowohl Ziele als auch zeitlichen Horizont jederzeit anpassen – die Frage ist jedoch hypothetisch, weil konkrete Anlässe dafür nicht erkennbar sind.
KIM: Was sind eure Erwartungen für die Europawahlen, auch was die eigene Organisation angeht?
DiEM25: Wir wollen, dass der EUROPEAN SPRING mit vielen Abgeordneten im künftigen EP vertreten sein wird. Wir, als Mannheimer Gruppe von DiEM25, werden uns dafür einsetzen, dass Yanis Varoufakis und Dani Platsch, die unsere Wahlliste in Deutschland anführen, gewählt werden. Von einer Vertretung im Europaparlament erwarten wir, dass sie für unseren European New Deal initiativ wird und Bündnispartner dafür im Europaparlament sucht.