Eskalation beim Jobcenter – Anklagepunkt: Widerstand gegen die Staatsgewalt und Hausfriedensbruch
Verhandlung beim Amtsgericht Mannheim mit vielen Fragezeichen
Am 25. Juni fand von 10.00 bis 16.30 Uhr mit einer 1,5 stündigen Mittagspause der Prozess gegen Ufuk T. vor dem Amtsgericht statt. Angeklagt war Ufuk T. wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit Körperverletzung und Hausfriedensbruch.
Als Zeugen wurden insgesamt sechs Polizeibeamte, die am Einsatz betreilgt waren, die Ehefrau des Beklagten und die 20jährige Tochter vernommen. Trotz Publikumverkehrs und anwesender Reingungsfrauen zum Zeitpunkt der Vorfälle waren weder aus diesem Kreis noch aus dem Kreis des Jobcenters Zeugen geladen.
Der Richter Fritz vernahm den Beklagten und forderte ihn auf, Stellung zu nehmen zu der Feststellung des Staatsanwaltes, er habe auf die Aufforderung durch die Security und des Personals an der Empfangstheke, das Jobcenter zu verlassen, nicht reagiert. Es ergab sich folgendes Bild:
Ufuk T. war erst nach 16 Uhr im Jobcenter erschienen. Zu dieser Zeit waren Kunden zu den Beratungen durchaus noch vorgelassen worden. Er trug sein Anliegen an der Eingangspforte vor, dass er sich in einer existenziellen Notlage befinde, da er seit fast einem Monat trotz Bescheid kein Geld vom Jobcenter bekommen habe. Miete und Verpflegung seien somit nicht mehr gesichert gewesen. Ufuk T. bat eindringlich um Hilfe.
Ufuk T. wurde vom Tresen des Jobcenters aus gesagt, dass die zuständige Sachbarbeterin gegangen sei und es keine Vertretung gebe, er solle am Montag – 4 Tage später- zur offenen Sprechstunde wieder kommen. Er wurde aufgefordert, zu gehen. Dieser Aufforderung folgte er nicht und verlangte eine SachbearbeiterIn zu sprechen. Er wollte so lange bleiben, bis er Hilfe erhält. Daraufhin verständigten die Mitarbeiter*innen des Jobcenters die Polizei, die Ufuk T. samt Familie des Jobcenters verweisen sollten. Auch die sodann zunächst zu zweit erschienen Polizeibeamten konnten Ufuk T. nicht zum Verlassen des Jobcenters bewegen, obwohl ein Platzverweis und nachfolgend ein Hausverbot ausgesprochen wurden. Sodann wurde er von den Polzeibeamten und einem Security-Mitarbeiter zwangsweise nach draußen geführt. Der Beklagte versuchte sich diesem Zugriff zu entziehen. Die Auseinandersetzung, die zunächst als Rangelei begann, eskalierte. Der Angeklagte wurde zu Boden gebracht. Der Beklagte, der sehr krank war (OP am Unterleib), hatte zu seinem Schutz die Arme vor dem Unterleib verschränkt. Einer der Polizeibeamten brachte ihn in Bauchlage, ohne dass Ufuk T. sich dagegen zur Wehr setzen konnte, setzte sich auf den Beklagten, um seine Hände auf dem Rücken fixieren zu können. Ufuk T. hielt aber weiterhin seine Hände schützend vor den Bauch.
Während des ganzen Vorgangs rief der Beklagte sinngemäß: „Ich habe Schmerzen, sie sollten damit aufhören“. Keine Reaktion von Seiten der Polizisten, sie forderten vielmehr Verstärkung an, so dass schlussendlich sechs Polizisten da waren. Mittels Schlagstock hebelte einer der Polizisten die Arme auf den Rücken, die anderen hielten ihn fest, setzten sich auf sein Beine, drückten seine Nase nach oben. Aus dem Polizeibericht: „Mit leichten Schlägen auf die Rippen wurde Atemnot erzeugt, damit der Wille des Angeklagten gebrochen wird“. Der Angeklagte war nach dem Vorfall beim Arzt, der ihm schwere Hämatome bescheinigte, Beweisfotos lagen vor.
Merkwürdig nur: bis zur oben beschriebenen Eskalation fand ein mindestens 20 minütiges Gespräch „in vernünftiger Atmosphäre ohne Aggressivität von Seiten des Angeklagten“ (laut Polizeibericht und gestriger Aussage eines Polizisten) zwischen dem Beklagten und den Beamten statt.
Weitere Aussage eines Polizisten: während der „Rangelei“ sei nicht zu erkennen gewesen, dass der Angeklagte gezielt nach Polizisten geschlagen hätte.
Während der Verhandlung versuchte der Beklagte immer wieder deutlich zu machen, dass er zu keinem Zeitpunkt aggressiv war und niemanden verletzen wollte und dies auch nicht getan habe. Wobei der Richter und der Staatsanwalt ihm häufig ins Wort fielen, dass er nur Fragen zu beantworten habe und Fragen stellen könnte, ohne Erklärungen zur Sache abzugeben. Dies geschah in einem lautstarken Ton, mit der Androhung ihn von seinem eigenen Prozess auszuschließen und ihn einer Ordnungsstrafe zu unterziehen. Nach den Vernehmungen sämtlicher beim Vorfall anwesender Polizisten, deren Aussagen teilweise Differenzen aufwiesen, wurden die Ehefrau und die Tochter als Zeuginnen vernommen. Die Ehefrau, die nicht sehr gut Deutsch spricht, konnte ihre Beobachtungen nicht detailliert wiedergeben, beteuerte aber immer wieder, sie lüge nicht. Die Tochter, die zwar gut deutsch spricht, war aber durch die juristisch formulierten Fragestellungen des Staatsanwalts teilweise überfordert. Sie konnte jedoch bestätigen, dass ihr Vater vor Schmerzen geschrien habe, dass er auf dem Weg zum Revier seine Medikamente verlangt hätte, diese ihm aber verwehrt wurden.
Im Anschluss hatte die Verteidigung Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Der Beklagte habe keine Gewalt angewendet, sich in einer Notlage befunden (keine Essensvorräte mehr). Im Haushalt lebe eine weitere Tochter, die hochschwanger sei. Der Verteidiger sagte, dass das Urteil durch den ergangenen Strafbefehl schon im Raum stehe, der Beklagte aber seiner Ansicht nach freizusprechen sei.
“Das Jobcenter steht hier nicht vor Gericht”
Gleich zu Beginn seines Schlussplädoyers stellte Staatsanwalt Dr. Hager klar: “Die Arbeitsagentur steht nicht vor Gericht”. Was nicht sein darf, kann nicht sein, ist offensichtlich seine Devise. Schuld an der Eskalation sei allein der Angeklagte gewesen. Der Frau und der Tochter des Angeklagten unterstellte er, als Zeugen die Unwahrheit gesagt zu haben.
Der Staatsanwalt forderte als Strafmaß in seinem Plädoyer 7 Monate auf 2 Jahre Bewährung, begründete das mit „Fehlverhalten“ des Beklagten und stellte klar, dass die Polizeibeamten mit ihren Gewaltmaßnahmen bis „zur Ausschöpfung der Schmerzobergrenzen gehen durften, um den Willen des Angeklagten zu brechen“.
170 Tagessätze
Das Gericht mit Richter Fritz machte sich offensichtlich die Argumentation von Staatsanwalt Dr. Hager vollständig zueigen. Das Urteil lautete auf 170 Tagessätze à 15 Euro. In seinem Plädoyer hatte der Staatsanwalt bereits erwähnt, dass er ursprünglich diese Tagessätze fordern wollte, aber im Hinblick auf die vermutliche Zahlungsunfähigkeit des Angeklagten habe er die 7 Monate auf Bewährung gefordert. Mit dem Urteilsspruch ging das Gericht nochmals erheblich über der ursprünglichen Geldstrafe des Strafbefehls, nämlich 120 Tagessätze à 10 Euro. Weiter muss der Beklagte die Gerichts- und Anwaltskosten tragen.
Geprägt war der Prozess nicht nur durch das meist rüde und lautstarke Verhalten des Richters dem Angeklagten, sondern auch dem Publikum gegenüber. Schon bei leisem Reden oder Getuschel im Publikum wurde durch Androhung von Ordnungsstrafen und Saalverweisen reagiert. Mit dem Zusatz: „das wird nicht billig!“Offene Fragen
Wichtige offene Fragen verbleiben nach Meinung von Matz Müllerschön, Sozialarbeiter und Schuldnerberater. Zur Beantwortung dieser Fragen konnte das Gericht leider in keiner Weise beitragen.Wenn der Staatsanwalt Dr. Hager sagt “das Jobcenter steht nicht vor Gericht”, so halte ich ihm entgegen, mit einer gesetzeskonformen Bearbeitung beim Jobcenter in Mannheim hätte es den brutalen Polizeieinsatz mit den nicht nachvollziehbaren Folgen nicht gegeben. Das Jobcenter hätte aus meiner Sicht die Verpflichtung gehabt, Ufuk T. anzuhören, da es bereits vom Jobcenter Mannheim einen vorläufigen Becheid gab, und es hätte auch handeln müssen. In solch einem Fall durch einen Vorschuss, der später mit der Leistung verrechnet wird. Ein solcher Automat stand zum Zeitpunkt auch im Vorraum des Jobcenters (mit Kamera), warum er heute nicht mehr da steht, wurde im Prozess nicht beleuchtet.
Unklar im Prozess war auch, wer und ob es überhaupt ein Hausverbot von Seiten des Jobcenters gegeben hat. Wer hat das Recht, ein Hausverbot auszusprechen. Selbst bei den Aussagen der Polizei blieb dies offen und konnte kein Namen genannt werden, wer für das Hausverbot steht.
Deutliche Aussage der Polizei war: Bis zum Zugriff der Polizei um einen Platzverweis durchzusetzen (da bezog sich die Polizei auf ein Hausverbot) blieb alles auf einer normalen Gesprächsebene ohne irgend eine Gewalt. Ufuk war “uneinsichtig zu gehen” und beharrte auf sein Recht einen Sachbearbeiter zu sprechen. Ein Security-Mann des Jobcenters gab als Begründung, die Polizei zu rufen an, Ufuk T. habe nicht gehen wollen und „wir schließen um 18.00 Uhr“. Ufuk ist aber vor 17.00 Uhr gekommen.?!?Ebenso war nicht klar, warum die Polizei Ufuk T. in einem öffentlichen Gebäude, während der Sprechstunden, ohne dass er den Ablauf störte, einen Platzverweis aussprechen darf? Hier steht der Vorwurf im Raum, dass dadurch die zwei Polizeibeamten einseitig dem Jobcenter halfen, ihren gesetzmäßigen Arbeiten gegenüber Hilfesuchenden nicht nachzukommen. Die Polizei konnte im Zeugenstand nicht sagen, mit wem sie vom Jobcenter gesprochen hat. Eindeutig war, dass sie vor dem Einsatz mit einem Security-Mann gesprochen hat, der nicht Beschäftigter des JC ist.
Richter und Staatsanwalt interessierte auch nicht, ob es dazu eine Kameraaufzeichnung gab. Es gab von keiner autorisierten Person eine klare Stellungnahme im Prozess, obwohl ein Aushang davor “warnte”.Alle Anträge des Rechtsanwaltes wurden vom Gericht abgelehnt, unter anderem, Zeugen vom Jobcenter und Publikum zu laden, u.a. eine Putzfrau im Jobcente, die auf einem Video sagte, sie wolle nicht aussagen, weil sie sonst den Job verliere –Auch die Vorladung eines Verantwortlichen des Jobcenters zu der Frage, warum ein Hausverbot ausgesprochen wurde, lehnte das Gericht ab.. Während des Prozesses konnte kein Polizist sagen, wer von der Polizei zum Schluss versuchte, Zeugen zu befragen. Hier zeigte sich auch eine deutliche Einseitigkeit.
Unterschiedliche Sichtweise gab es auch über das Verhalten eines Security-Manns vom Jobcenter. Die Polizei bestritt nicht, dass der Securitymann bei der Festnahme beteiligt war, keiner wollte allerdings gesehen haben dass dieser den Konflikt ins Rollen brachte.So jedenfalls sahen es die zwei Zeuginnen, Frau und Tochter, sowie der Angeklagte. Anstatt dieser Sache im Prozess nachzugehen beschuldigte Staatanwalt Dr. Hager die Zeuginnen einer bewussten Falschaussage.Es ist in diesem einseitigen Prozess viel offen geblieben und für den Beobachter des Prozesses sah es so aus, dass die Staatsanwaltschaft und der Richter diese dunklen Flecken nicht beleuchten wollten, ja Richter Fritz sogar alles abblockte, wenn der Rechtsanwalt entsprechende Anträge formulierte.
Es wurde von der Polizei vorgetragen, dass eine “Schliessung” mit Gewalt durchgesetzt werden dürfe. Und weil Ufuk T. seine Hände nicht freiwillig zum Schließen auf dem Rücken herausrückte, waren wohl 5 Personen auf seinem Rücken, bzw. an ihm beschäftigt, – mit Schlagstock und Hebelwirkung – mit Stößen in die Rippen, damit er Atemnot bekommt und loslässt, oder einem sogenannten “Nasengriff”. Für einen der Polizisten, der dies alles präzise vortrug, war sehr verständlich, dass dies wehtue. Nur komisch, dass alle PolizistenInnen nicht gehört haben wollen, dass Ufuk T. als Betroffener schrie, sie sollen aufhören, es tut weh, er will gehen. Die ärtzlichen Bilder von Ufuk T., die Verletzungen im Rippen- und Armbereich mit tief blauen Flecken belegen, werden in der Verhandlung kaum beachtet und nicht bewertet. Die Staatsanwaltschaft sprach stattdessen von “Verhältnismäßigkeit.” Ufuk T. kam in Polizeigewahrsam.
Die Familie brachte noch Tabletten beim Polizeirevier vorbei. Die Polizei wollte sie ihm geben. Doch als er nachts mit nur einem Schuh zu Hause völlig fertig ankam, hat er diese nach seiner Aussage nie erhalten.Aus meiner Sicht muss die Öffentlichkeit die dunklen Flecken des Jobcenters weiter ausleuchten, aber es braucht auch Aufklärung, warum die Polizei offensichtlich mit keinem Offiziellen des Jobcenters gesprochen hat und warum es zu solch einer brutalen Gewaltanwendung gekommen ist.
Ufuk T. und seine Familie brauchen Solidarität.
Matz Müllerschön
Sozialarbeiter und Schuldnerberater
Prozessbeobachtung und Bericht: Gerd Millgramm – Redaktion: Roland Schuster