„Bundesweit einmalige Großübung“ in Mannheim für den Fall eines Biowaffen-Angriffs (mit Video und Bildergalerie)
Wie andere Medien auch berichten wir über die am 26.09.19 statt gefundene Großübung. Des Weiteren gehen wir der Frage nach, warum die Großübung in Mannheim stattgefunden hat, ebenso der Frage nach dem größeren Zusammenhang, in der diese Großübung zu sehen ist und welche Ziele der „spiritus rector“, der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), hierbei verfolgt. Über diese Fragestellungen wurde in diesem Kontext bisher nicht von anderen Medien berichtet.
„Behörden in Baden-Württemberg üben für den Fall eines bioterroristischen Anschlags“
In der Pressmitteilung vom 26. September 2019 schildert das Landeskriminalamt Baden-Württemberg folgendes Szenario:
„Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg ermitteln Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen der Abteilung Staatsschutz gegen eine islamistische Zelle im Großraum Mannheim. Es ist Eile geboten. Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmen zeitgleich die beiden Wohnungen der im Fokus stehenden verdächtigen Personen. In einer Wohnung entdecken sie einen leblosen Körper und stellen sofort fest, dass sie sich mitten in einem improvisierten Labor befinden. Die Verdächtigen experimentieren offensichtlich mit biologischen Kampfstoffen. Zudem stellen die Spezialkräfte eine funktionstüchtige Sprengstoffweste und Waffen fest.“
Bei dem Szenario wurde fiktiv unterstellt, dass in diesem Labor das hoch giftige, toxische Rizin hergestellt wird, um einen tödlichen Anschlag auf tausende von Menschen durchzuführen.
Der Innenminister und die Vertreter des LKA betonten mehrfach , dass es keine konkreten Gefahrenhinweise gäbe. Jedoch müsse man sich trotzdem auf solche Szenarien vorbereiten, da in Köln-Chorweiler im Juni 2018 genau eine solche islamistische Zelle ausgehoben worden ist, bevor sie ihre geplanten Bio-Anschläge umsetzen konnte. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter findet gerade beim Oberlandesgericht Düsseldorf statt. „Wir wollen niemanden Angst machen, aber wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein“, so der Präsident des baden-württembergischen LKA, Ralf Michelfelder.
In Mannheim wurden für die Großübung, mit der Bezeichnung „BAO Salus“ unter Führung des LKA rund 150 Personen eingesetzt. Diese kamen vom LKA, von Polizei, Staatsanwaltschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Landesgesundheitsamt, Gesundheitsamt Mannheim und von den Rettungsdiensten. Ebenso war aus Berlin eine Beratergruppe des Robert-Koch-Instituts für biologische Einsatzlagen vor Ort. Dem Polizeipräsidium Mannheim und dem Krisenstab der Stadt Mannheim oblag die Gesamteinsatzleitung. Allerdings, so der Eindruck, ist das eher eine Formalie gewesen. Die Federführung vor Ort hatte eindeutig das LKA und der Innenminister. Das Hauptziel der Großübung war die „reibungslose Kooperation verschiedener Behörden und eine enge und gute Zusammenarbeit mit den Spezialisten vor Ort“.
Warum Mannheim als Standort dieser Großübung?
Von Strobl wurde gesagt, dass sich Mannheim mit dem Konversionsgelände des Benjamin Franklin Areals für eine solche „bundesweit einmalige Großübung“ besonders eignen würde. BM Frau Dr. Freundlieb (SPD) ergänzte „wir (die Stadt Mannheim; Anm. d. Red.) freuen uns als Standort ausgewählt worden zu sein“. Die Frage, weshalb ein Gelände in Nähe von Wohngebieten und mit dem Columbus-Areal ein Ort an dem Geflüchtete untergebracht sind ausgewählt wurde, blieb unbeantwortet. Auf genaueres Fragen hin ist jedoch ein anderer Grund für die Standortwahl zu erkennen gewesen. Die Feuerwehr Mannheim ist bundesweit einer von nur acht Standorten und einziger Standort in Baden-Württemberg, der mit einer ATF-Kompetenz (Analytische Task Force) ausgestattet ist. Die Feuerwehr Mannheim stellt hierzu auf ihrer Webseite fest:
„Aufgabe der ATF ist die Aufklärung von Schadensereignissen, bei denen mit der Freisetzung von radioaktiven Stoffen, biologischen Agenzien oder gefährlichen Chemikalien gerechnet werden muss. Von Seiten der Feuerwehr Mannheim wird das Einsatzpersonal und der Basisteil der technischen Ausrüstung gestellt, auf den das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hochmoderne Analysentechnik aufsetzt.“
- T. Strobl, S. Kollmar und U. Freundlieb
Innenminister Strobl räumte ein, dass diese Übung nur sehr schwer in dieser Form in einer anderen Stadt hätte durchgeführt werden können. Weshalb die Mannheimer Feuerwehr mit dieser Kompetenz ausgestattet ist, darüber kann man nur spekulieren. Vermutlich ist es die Nähe Mannheims zu chemischen, biologischen und nuklearen Großanlagen.
In welchen größeren Zusammenhang ist die Mannheimer Großübung einzuordnen?
„Unsere Sicherheitsarchitektur steht heute vor ganz neuen Herausforderungen: Der internationale Terrorismus stellt nach wie vor eine abstrakte Bedrohungslage dar. Die Digitalisierung öffnet Einfallstore für Cyberkriminalität. Darüber hinaus können wir nach wie vor Opfer klassischer Großschadenslagen durch Gasmangel, Stromausfall oder Unwetter werden. Darauf müssen wir unsere Sicherheitspolitik einstellen und fokussieren“, sagte Innenminister Thomas Strobl. „Das Land Baden-Württemberg tut dies mit zahlreichen Großübungen von Polizei und Bevölkerungsschutz, vernetzt über viele Ministerien und nachgeordnete Behörden hinweg. Allein 2019 findet eine Vielzahl verschiedenster größerer Übungen statt, mit denen wir unsere Strukturen zur Bewältigung besonderer Schadenslagen einem Belastungstest unterziehen. Sie sind damit ein fester Bestandteil der Arbeit von Feuerwehr, Rettungsdienst, Bevölkerungsschutz und Polizei – und ganz wichtige Grundlage zur bestmöglichen Aufstellung des Landes in diesem Bereich.“
Video – Pressetermin: Behörden in Baden-Württemberg üben in Mannheim für den Fall eines bioterroristischen Anschlags. IM Thomas Strobl spricht zu MedienvertreterInnen
Die Arbeit von Strobl wird vom Ministerpräsidenten anscheinend unterstützt:
„Vorsorge zu treffen ist in vielen Bereichen unerlässlich, so auch im Katastrophenschutz. Es ist uns wichtig, dass wir auf den Ernstfall so gut wie möglich vorbereitet sind, auch wenn wir inständig hoffen, dass er nicht eintritt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) im Anschluss an eine kürzlich stattgefundene Sitzung des Ministerrats.
Wie die Landespresse berichtet will Innenminister Strobl noch in diesem Jahr ein sogenanntes präventives Sicherheitskonzept für diese Gefahrenlagen einbringen. Für diese Ziel will er „lokale Sicherheits-konferenzen“ regelmäßig durchführen. Großübungen wie in Mannheim dienen diesem Ziel.
Welche konkreten Ziele verfolgt Innenminister Strobl?
Im Oktober dieses Jahrs wird eine noch größere Übung als in Mannheim stattfinden. Am Bundeswehr-Standort Stetten am Kalten Markt wird es eine Großübung mit 2000 Einsatzkräften geben
Die Übung läuft als Terrorismus-Abwehr-Übung BWTEX. Das Besondere hierbei ist, dass der Einsatz der Bundeswehr mit Beteiligung von Feuerwehr, Rettungsdiensten, Bevölkerungsschutz, und Polizei erprobt wird.
Dem Ziel, die Bundeswehr grundsätzlich auch im „Inneren“ einzusetzen, will Innenminister Strobl näherkommen. Dieses Ziel hat der Innenminister auch gegenüber der Presse in Mannheim geäußert. Da er weiß, dass der Einsatz der Bundeswehr politisch umstritten ist und auch die Verfassungskonformität angezweifelt wird, hat er gleich schon mal angekündigt: „Natürlich im Rahmen des Grundgesetzes.“
Ein weiteres Thema von Strobl ist der freiwillige Polizeidienst. Laut Koalitionsvertrag soll dieser auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Die CDU fordert, dass die Polizei-Freiwilligen nicht nur uniformiert, sondern auch bewaffnet werden. Noch scheint dies ein Streitpunkt innerhalb der Koalition zu sein.
Unter Berücksichtigung all dieser Fakten kann man zu der Feststellung kommen: Großübungen wie in Mannheim und in Stetten am Kalten Markt sollen zum weiteren Ausbau des Sicherheitsstaates genutzt werden. Sie führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern tragen zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Konkretes Ziel der Oppositionskräfte in gewählten Parlamenten und von zivilgesellschaftlichen Bündnissen sollte sein, den generellen Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Einführung eines bewaffneten Polizeifreiwilligendienstes mit demokratischen Mitteln zu verhindern.
(Bericht: Roland Schuster / Fotos und Video: Christian Ratz)
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