Hände weg von Venezuela: Reisebericht von Andrej Hunko (MdB DIE LINKE) im Ewwe longt‘s
Gut besucht war das linke Zentrum Ewwe longt’s in der Neckarstadt am 4. September 2019: Rund 50 Besucher*innen drängten sich in den Raum, um Andrej Hunkos Reisebericht über Venezuela zu lauschen und mitzudiskutieren.
Andrej Hunko reiste im April 2019 als erster deutscher Bundestagsabgeordneter seit Beginn der politischen Krise in das südamerikanische Land. Begonnen hat diese am 23. Januar diesen Jahres, als der Parlamentspräsident Juan Guaidó der konservativen Oppositionspartei Voluntad Popular sich selbst zum Interimspräsidenten ausgerufen hatte. Hintergrund waren innenpolitische Auseinandersetzungen zwischen Staatspräsident Maduro und v.a. rechten Oppositionsparteien, die die letzte Parlamentswahl im Mai 2018 teilweise boykottierten. Maduro wurde 2013 als Nachfolger von Hugo Chávez zum Staatspräsidenten gewählt und 2018 wiedergewählt. Zu jener Wahl waren Wahlbeobachter aus der ganzen Welt nach Venezuela eingeladen, um den korrekten Ablauf der Wahl zu prüfen. Von der LINKEN waren Heike Hänsel und Michel Brandt vor Ort. Sie bestätigten, wie die Wahlbeobachtung insgesamt, einen transparenten und rechtmäßigen Verlauf.
Direkt nach dessen eigener Ernennung wurde Guaidó von USA und deren verbündeten Staaten als rechtmäßiger Staatspräsident anerkannt. Scharfe Wirtschaftssanktionen wurden im Laufe der darauffolgenden Wochen gegen Venezuela verhängt. Auch die deutsche Bundesregierung erkannte Guaidó an, was ein absolutes Novum in der deutschen Politik darstellte: Denn eine vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags erstelltes Gutachten kam zum Schluss, dass die Anerkennung Guaidós nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Somit verstößt Deutschland gegen das Völkerrecht. Entgegen des durch die Presse erzeugten Eindrucks erkennen nur etwa 54 Staaten weltweit Guaidó als Staatspräsidenten an – die meisten Staaten auf der Welt tun dies nicht. Die Begründung der Bundesregierung lautet Hunko zufolge: Im Krankheitsfall des gewählten Staatspräsidenten kann der Interimspräsident, in diesem Fall Guaidó, als rechtmäßiger Präsident anerkannt werden. Maduro ist jedoch nicht krank, so dass diese Begründung unhaltbar ist.
Die Gefahr eines gewaltsamen Regime Changes war und ist Hunko zufolge hoch akut, weshalb er bereits Ende Februar nach Venezuela reisen wollte, um die Lage vor Ort zu eruieren. Etwa eine Stunde nachdem er den hierfür notwendigen und internen Dienstreiseantrag beim Bundestag gestellt hatte, erhielt er einen Anruf von der BILD-Zeitung. Vom Journalisten am Telefon wurde Hunko zur geplanten Reise ausgefragt, u.a., was er denn bei dem Diktator Maduro wolle. Wer aus der Bundestagsverwaltung den Dienstreiseantrag der Presse weitergegeben hatte, ist nicht bekannt.
Krankheitsbedingt verschob Hunko seine elftägige Venezuela-Reise auf April. In Kooperation mit den Botschaften und mit Unterstützung einer seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter vereinbarte er 30 Gesprächstermine mit Personen unterschiedlicher Organisationen. Auch Guaidó und Maduro waren darunter. Das Gespräch mit Guaidó war wenig aufschlussreich. Er forderte immer wieder ein militärisches Eingreifen der USA und noch schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela, wofür er jedoch selbst bei anderen Oppositionellen zunehmend auf Kritik stieß. Verhandlungsangebote mit der Regierung Maduro lehnte Guaidó stets ab mit der Begründung, dass die Regierung so nur Zeit gewinnen wolle. Seiner Auffassung nach müsse sie aber schnellstmöglich gestürzt werden.
Maduro betonte bei ihrer Zusammenkunft, dass seine Regierung stets zum Dialog mit der Opposition und mit Guaidó, sogar mit dem „Teufel“, bereit ist. Verhandlungen mit Guaidó seien aber derzeit sinnlos, wenn diese auf Druck der USA immer wieder abgebrochen würden. Der humanitären Krise in Venezuela sei sich die Regierung bewusst, wolle aber eine militärische Intervention von außen verhindern. Das Treffen mit Maduro nutzte die deutsche Presse, insbesondere Springer, um gegen Hunko zu hetzen.
Hunko erläuterte, dass Venezuela schon seit Langem unter wirtschaftlichen Problemen leidet, was u.a. an der politischen Fokussierung auf Erdöl und dessen gesunkenem Preis liegt. Diese Sanktionen wurden und werden durch die Wirtschaftssanktionen nochmals zunehmend verschärft. Auf Druck der USA wurde das venezolanische Kapital bei ausländischen Banken eingefroren, so dass der Staat darüber nicht verfügen kann. Einer Studie zufolge sind haben die Sanktionen zu 40.000 Toten in Venezuela geführt, obwohl laut Hunko die humanitäre Krise sich kaum im Straßenbild bemerkbar gemacht hat. Letztendlich seien die völkerrechtswidrigen Wirtschaftssanktionen aber Teil einer internationalen Strategie, um das südamerikanische Land zu destabilisieren und einen politischen Umsturz hin zu einer wirtschaftsliberalen Ausrichtung zu ermöglichen. Als erdölreiches Land befindet sich Venezuela im Fokus transnationaler Unternehmen und anderer Staaten, die wirtschaftliche Interessen verfolgen.
Staatspräsident Maduro stützt sich Hunko zufolge nicht auf das Militär, das dennoch hinter ihm steht, sondern auf die arme und weniger wohlhabende Bevölkerung Venezuelas. Gerade deshalb könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen, wenn das Militär sich von Maduro abwenden würde: Denn er hat noch immer eine große Anhängerschaft in der Zivilgesellschaft. Nicht aber, weil diese nicht unbedingt Maduro als Person, sondern die durch ihn immer noch verkörperte Idee des Chavismus unterstützen und sie den Einfluss der rechten und neoliberalen Opposition eindämmen wollen.
Zum Schluss berichtete Hunko über die Lateinamerika-Karibik-Konferenz Ende Mai, zu der Bundesaußenminister Heiko Maas eingeladen hatte; Venezuela wurde jedoch als einziger Staat dieser Region nicht eingeladen. Diese Gelegenheit nutzte die norwegische Regierung, um Maduro und Guaidó zu einem Vermittlungsgespräch nach Oslo einzuladen. Die norwegische Regierung hat somit die Bundesregierung vorgeführt und gleichzeitig die Rolle eines neutralen Vermittlers eingenommen. Guaidó wird nach wie vor durch die Bundesregierung als rechtmäßiger Präsident Venezuelas anerkannt. Mit den Forderungen der LINKEN schloss Hunko seinen umfangreichen Bericht ab, nämlich die Rücknahme der Anerkennung Guaidós, die Unterstützung von Vermittlungsgesprächen, die Auszahlung von den bisher blockierten 5 Millionen Euro humanitäre Hilfsgelder, die Einhaltung des Völkerrechts und die Beendigung der Wirtschaftssanktionen.
Im Anschluss an den Bericht erfolgte eine etwa einstündige Diskussion mit den Teilnehmenden im Ewwe longt’s, in der noch tiefer auf diverse Aspekte Hunkos Reise und der politischen Situation in Venezuela eingegangen wurde. So wurde u.a. von einem Zuhörer die Vermutung geäußert, dass die deutsche Industrie die neoliberale Opposition unterstützen würde, um von Unternehmensprivatisierungen profitieren zu können. Es wurde auch Kritik an der Regierung Maduro geäußert, die viele Fehler gemacht habe und auch Privatisierungen betrieben hätte, so eine andere Zuhörerin. Hunko bestätigte dies und betonte, dass auch aus Sicht der LINKEN die venezolanische Politik Kritikpunkte aufweist; dennoch gelte es, durch westliche wirtschaftliche Interessen getriebene Umsturzversuche gegen eine rechtmäßig demokratisch legitimierte Regierung zu verhindern und somit weitere gewaltsame Versuche der Regime Changes von außen zu unterbinden. Auch wenn über Venezuela in den vergangenen Monaten kaum noch in der deutschen Presse berichtet wird, so hat sich die Situation dort noch lange nicht gebessert – Guaidó ist ein großer Unterstützer des rechtspopulistischen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, welcher bei den Deutschen einen schlechten Ruf hat. Daher würde bewusst nicht mehr wie noch Anfang des Jahres so umfassend über Guaidó berichtet werden, so Hunko.
(Bericht und Fotos: Dennis Ulas)