Covid-19: Zwischenbilanz im Gemeinderat
Auf der Sitzung des Mannheimer Gemeinderats vom 26.5.20 wurde eine Zwischenbilanz des Pandemieverlaufs in der Quadratestadt gezogen, und zwar im wörtlichen wirtschaftlichen Sinn, worauf gleich zurückgekommen wird.
Bis jetzt mit „blauem Auge“ davongekommen …
Zuvor jedoch berichtete der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Peter Schäfer, wieder über die Entwicklung der Zahlen der durch Test nachgewiesenen Infektionen, der Zahl der Genesenen, der daraus resultierenden Zahl der aktuell Erkrankten, von denen jedoch nur ein kleinerer Teil wirklich Symptome zeigte, und die Zahl der „an oder mit“ SARS-Cov-2 Verstorbenen. Man kann festhalten: Die „worst-case“ (schlimmster Fall) Befürchtungen aus der Anfangszeit traten in keiner Beziehung ein: Weder entwickelte sich die Zahl der Infektionen exponentiell (mit zunehmender Geschwindigkeit), sondern zunächst kontinuierlich ansteigend und sich dann seit der zweiten April-Woche stark abflachend. In dieser Zeit erreichte die Zahl der „aktuell Infizierten“ mit ca. 200 ihren Höhepunkt; die Zahl der in Mannheimer Krankenhäuser stationär Behandelten erreichte gleichzeitig ihren Höchststand mit ca. 70 Personen.
Jetzt beträgt Stand 26. Mai die Zahl der aktuell Erkrankten 10, die der Verstorbenen ebenfalls 10. Dieser Abflachungstrend hält nun schon seit Anfang Mai an. Er bildet – eine Inkubationszeit von ca. 14 Tagen unterstellt – das Infektionsgeschehen von letztes Drittel April ab. Hervorzuheben ist, dass seit Ende März die Zahl der Testungen dokumentiert wird. Sie stieg von anfangs ca. 1.100 auf jetzt über 2.200 pro Woche an. Die Zahl der Infizierten „klebt“ also nicht an der Zahl der Testungen.
Wie ist diese Zahlenentwicklung zu bewerten? Hat sich hier jemand mit seinen einstigen Prognosen entschieden geirrt? Oder ist diese Entwicklung der entschiedenen Anwendung des Lock-down und der großen Disziplin von ca. 80% der Bevölkerung samt dem Erfolg der medizinischen Maßnahmen zu danken? Die Wahrheit wird bei einem Sowohl-als-auch liegen: Etwas Irrtum und sehr viel Erfolg. Der Begriff Irrtum ist jedoch unangebracht, da die große Mehrheit der Wissenschaft immer auf die „Neuartigkeit“ des Virus hingewiesen hat und auf die nur tastend zunehmende Kenntnis.
Die „Corona-Leugner*innen“ sehen sich ihrerseits bestätigt: Sie haben schon immer „gewusst“, dass das Virus total harmlos sei, wenn es überhaupt existiere. (Aber es wurde ja nach Überzeugung Vieler von ihnen von “dunklen Mächten” gezielt unter die Menschheit gebracht.) Wer allerdings in einer solchen Situation alles schon vorher weiß, dokumentiert nur, dass er in Hoffnung und Verdrängung gar nichts weiß. Da fechten auch ganz andere Erfahrungen anderer Länder nicht an, und auch nicht die Lehren historischer Pandemien wie z.B. die in vier Wellen verlaufene sog. Spanische Grippe von 1918 bis 1920. Ohne den Erfolg der getroffenen Maßnahmen würden die „Querdenker*innen“ und „Corona-Rebell*innen“ wahrscheinlich schon längst Galgen durch die Straßen schleppen, an denen die Puppen des Berliner „Mörder-Kabinetts“ baumelten.
… aber auch mit riesigen Schäden innerhalb kurzer Zeit
Die durch die immer noch weltweite Präsenz des „neuartigen“ SARS-Cov-2 erzwungenen Maßnahmen haben jedoch schon heute feststellbar riesige Schäden verursacht: von in Dauerkrise befindlichen Familien mit Kindern über großes Leid in stationären Einrichtungen, nicht behandelte sonstige Erkrankungen, Hungereinkommen z.B. aus Kurzarbeitsgeld auf Basis von Niedriglöhnen, Arbeitsplatzverlusten, bereits erfolgten oder bevorstehenden Insolvenzen besonders bei Klein- und Kleinst- / Einzelunternehmen. Die bisher aufgespannten „Schutzschirme“ reichen nicht.
Kommunalfinanzen (nicht nur) Mannheim in Not
Inzwischen hat die Stadt Mannheim die Covid-19-bedingten Abweichungen vom Haushaltsplan zusammengetragen: Mindereinnahmen und Mehrausgaben in Höhe von 200 Mio. Euro für das laufende Jahr:
Zu den einzelnen Posten:
I. Viele Unternehmen haben Stundung bzw. Rückzahlung von Gewerbesteuervorauszahlungen beantragt, weil die Gewinne eingebrochen sind. Ausbleibende Vergnügungs- und Wettbüro-Steuern sind demgegenüber vergleichsweise geringgewichtig.
II. Die Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich des Landes werden zurückgehen, weil der „Topf“ aus 23% der Einkommensteuer- und Umsatzsteueranteile des Landes besteht, welche ebenfalls natürlich zurückgehen wie auch die kommunalen Anteile an diesen „Gemeinschaftssteuern“: Zusammen minus 44 Mio. EUR.
III. Demgegenüber gibt es bis jetzt zugesagte Unterstützungszahlungen des Landes von 6,3 Mio. EUR für entfallende Einnahmen aus dem ÖPNV. Dieser wurde auch in der Hochphase des Lock-down mit 60% der Leistung und Großfahrzeugen betrieben, obwohl deutlich weniger Menschen den ÖPNV nutz(t)en. Es soll(te) für die Distanzierung der Passagier*innen in den Fahrzeugen genug Platz vorgehalten werden.
IV. Mindererträge der Dienststellen: Von geringeren Parkgebühren über Einnahmenausfälle der Bäder, Pachtausfall des Maimarktes, von Kita-Gebühren etc.
V: Corona-Soforthilfen der Stadt Mannheim z.B. für den Kulturbereich, für Gaststätten, Einzelhandel etc.: Hier sind die Anträge noch n Arbeit, da sie durchweg unzureichend ausgefüllt wurden. Daher bislang „Null“, absehbar aber unter 1 Mio. EUR.
VI: Mehraufwendungen der Dienststellen: Vor allem soziale Hilfen, Mehrausgaben im Kinder-und Jugendbereich, Sachaufwand für Arbeits- und Gesundheitsschutz etc.
VII: Der covid-19-bedingte Verlustausgleich für das städtische Klinikum ist der dickste Posten: 50 Mio EUR für 2020 und absehbar 30 Mio. EUR für 2021. Der Verlust resultiert einerseits aus der Ausrüstung und Bereithaltung von dann doch kaum genutzten Kapazitäten für Covid-19-Patient*innen und dadurch bedingte Absetzung aller OPs und Behandlungen, die nicht akut erforderlich waren. Inzwischen stellt das Klinikum wieder schrittweise auf Normalbetrieb um.
Die Grundlagen dieser Gesamt-Verlustaufstellung sind im Moment alles andere als sicher. Unklar ist noch, wie viel der Bund zum Verlustausgleich für Krankenhäuser zahlt. Hier wird seitens der Kommunen dringend eine gesetzliche Nachbesserung gefordert. Auch die Zuschüsse des Landes sind noch nicht klar. Ebenso unsicher ist die Herunterbrechung der Steuerschätzung des Bundes auf die Ebene der Kommunen. Es gibt auf Bundesebene Pläne, die Gewerbesteuerausfälle der Kommunen teilweise abzufedern. Hierfür wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich.
Nachtragshaushalt fällig – Klinikum nicht gefährdet
Der Gemeinderat nahm die Haushaltsabweichungen erst einmal nur zur Kenntnis. Die 200 Mio. EUR wären grundsätzlich mit der Liquiditätsreserve der Stadt nach einigen „fetten“ Steuerjahren abdeckbar, ohne die gesetzliche Mindestreserve zu unterschreiten. Damit wäre aber die Finanzierung der geplanten Investitionen nicht mehr gegeben.
Die Verwaltung kündigte wegen der Höhe der Abweichungen einen in diesem Fall erforderlichen Nachtragshaushalt an. Dieser soll in zwei Stufen erfolgen: Noch im Sommer eine haushaltstechnische Umstellung, damit die Stadt aktionsfähig bleibt. Im Spätjahr, nach der erforderlichen Klärung und Präzisierung der Zuschüsse und der Steuerschätzung ist eine zweite Stufe angekündigt, in der es dann möglicherweise um Eingriffe in einzelne Investitionsplanungen und Leistungen der Stadt geht, in der also politische Entscheidungen zu fällen sind. Eine Kreditaufnahme ist zunächst nicht geplant. Es ist allerdings höchste Aufmerksam geboten, dass nicht an falschen Stellen eingegriffen wird und die Lasten falsch und sozialwidrig verteilt werden.
Das Wichtigste ist zunächst, dass der Gemeinderat in seiner Sitzung der Verwaltung die Genehmigung erteilt hat, die Covid-19-Verluste des Klinikums auszugleichen, sofern der Bund nicht oder zu wenig zahlt. Diese Erklärung war für das Personal und für die auf ein funktionsfähiges Klinikum der Maximalversorgung angewiesene Bevölkerung dringend erforderlich.
(Thomas Trüper)