Mannheim: Zweite Kundgebung der „Black Lives Matter“ Bewegung mit Demonstration durch die Quadrate [mit Bildergalerie]
Im Schlosshof herrschte eine brutale Hitze, Schatten war knapp und um die improvisierte Bühne versammelten sich hunderte Menschen. Zur zweiten Demo der Bewegung Black Lives Matter in Mannheim kamen weniger Menschen als am 6. Juni, aber noch immer gab die große Zahl junger Menschen, die aufgrund persönlicher Betroffenheit auf die Straße gingen, ein beeindruckendes Bild ab.
Das Organisationsteam um die zwei jungen Frauen Ifrah und Sina hatte die Redebeiträge der Kundgebung auf zehn und die musikalischen Beiträge auf drei begrenzt. Dennoch waren es lange zweieinhalb Stunden auf dem heißen Schlosshof, die von hochemotionalen Reden und einer bewegten Menge gestaltet wurden.
Sich ständig rechtfertigen müssen
Zentrales Thema, das sich durch alle Beiträge zog: Alltagsrassismus. Wie auch schon bei der ersten Kundgebung am 6. Juni berichteten Betroffene von ihren leidvollen Erfahrungen in der Schule, bei der Arbeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in der Familie und bei Polizeikontrollen. „Es regt mich auf, mich für alles rechtfertigen zu müssen“, schrie eine Rednerin in die Menge und erntete Applaus. Viele wussten wohl genau, wovon sie sprach. Immer wieder wurde die Frage erwähnt, die viele zur Verzweiflung treibt: „Woher kommst du? Nein, woher kommst du wirklich?“ Solche scheinbar harmlosen Gespräche im Alltag geben den Menschen mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Haaren immer wieder das Gefühlt, nicht dazu zu gehören.
Ein junger Mann berichtete von einer Polizeikontrolle, die sich er vor kurzem ereignet haben soll. Er sagte, dass passiere ihm dauernd. „Ich habe dem Polizist schon angesehen, dass er mich hasst“ schilderte er ein Gefühl permanenter Unsicherheit im öffentlichen Raum, das viele haben, die ins Raster des „racial profiling“ passen. In einer anderen Rede wurde der Anschlag von Hanau thematisiert, bei dem neun junge Menschen vor Shisha-Bars und die Mutter des Täters erschossen wurden. „Hätte ein Ausländer zehn Menschen getötet, wäre das sofort Terrorismus, aber hier wird einem einem psychisch kranken Mann gesprochen“, so wurde der Umgang mit der Motivation des Täters kritisiert.
„Kann euch nicht verstehen, aber ich kann bei euch stehen“
Eine junge Frau berichtete davon, dass ein alter Mann in der Straßenbahn ihr das Kopftuch herunter gerissen habe. Von seinen Erfahrungen in der Ausbildung erzählte ein Jugendlicher: „N*, geh das Essen holen“, sollen Kollegen zu ihm gesagt haben. Eine 17-jährige Rednerin trug ein Gedicht vor. Bezugnehmend auf ihre weiße Hautfarbe und ihre gesellschaftliche Privilegiertheit sagte sie: „Ich kann euch nicht verstehen, aber ich kann bei euch stehen!“. Dafür bekam sie viel Applaus. Die meisten Redner*innen waren jung, in Deutschland geboren und sehen hier ihre Heimat. „Wir sind die Zukunft“ brachte eine Frau ihre Motivation zu demonstrieren auf den Punkt. Eine andere war da pessimistischer: “Ich kann es mir gerade nicht vorstellen, in dieser Gesellschaft Kinder zur Welt zu bringen.”
„Black Lives Matter“ ist das Stichwort der Bewegung, die von den USA nach Europa, Deutschland und Mannheim übergeschwappt ist. Doch nicht nur die Probleme der black community waren Thema der Veranstaltung. Auch Rassismus und Diskriminierung, die Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität erfahren müssen, waren Thema der Veranstaltung. Die Diversität der Mannheimer Stadtgesellschaft findet sich auch in dieser antirassistischen Bewegung wieder. Das ist eine große Stärke.
Redner*innen der Kundgebung
Die knapp tausend Menschen, die am 27. Juni teilnahmen, trugen meist ein schwarzes Shirt – dazu war von den Veranstalter*innen aufgerufen worden – viele hatten selbst gemalte Schilder mit politischen Statements dabei und die wenigsten waren über 30 Jahre alt. „Black Lives Matter“ ist in Mannheim eine Jugendbewegung von persönlich Betroffenen und ihren Unterstützer*innen aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft.
Die zahlreichen Reden waren nicht nur emotional bewegend. Sie analysierten auch sehr grundlegend den Alltagsrassismus, der tief in der Gesellschaft verankert ist und ständig reproduziert wird. Verglichen mit den sonstigen antirassistischen Veranstaltungen, die von etablierten Parteien und Bündnissen gegen rechts organisiert werden, gab es für nicht-Betroffene tatsächlich Neues zu erfahren – echte Geschichten aus der Wirklichkeit, statt abgedroschene Parolen von Politaktivist*innen, die sich immer wieder das eigene demokratische Selbstverständnis vorhalten.
Nach der langen Kundgebung im überhitzten Schlosshof machten sich die Teilnehmer*innen auf den Weg zum Marsch durch die Innenstadt. Schnell, motiviert, laut und geschlossen zogen sie ohne Unterbrechung durch die Breite Straße, über die Kurpfalzbrücke, zum Alten Messplatz. Auf dem Weg gab es in der Fußgängerzone viel Applaus und Zustimmung von Passant*innen.
Betroffene demonstrierten – ohne Parteien und Organisationen
Das Organisationsteam wollte nicht, dass politischen Parteien und Organisationen auftreten. Sogar Fahnen sollten eingerollt werden, was auch die wenigen Vertreter*innen von Organisationen ohne größere Diskussionen akzeptierten.
Das DIY-Prinzip, also Selbstorganisation und Unabhängigkeit, gehört zum Selbstverständnis der Bewegung. Die Organisator*innen und Redner*innen handeln aus persönlicher Motivation, viele aufgrund eigener Erfahrungen mit selbst erlebter Diskriminierung oder aufgrund solidarischer Verpflichtung ihren Freund*innen gegenüber – in den Reden meist „Brüder und Schwestern“ gennant.
Der große Vorteil der Unabhängigkeit ist, dass sie ihren Standpunkten treu bleiben können und sich vor Vereinnahmung schützen. Dennoch benötigt es politische Parteien und Mehrheiten in Parlamenten, um Reformen anzustoßen und Veränderungen im Staat auf den Weg zu bringen. Gerade beim Thema Polizei ist das der Fall. Berlin zeigt mit dem Antidiskriminierungsgesetz, dass Reformen möglich sind, allerdings gegen viele Widerstände – hier von rechten Parteien und Polizeigewerkschaften – durchgesetzt werden müssen. Insofern sollte sich auch die Mannheimer „Black Lives Matter“ Bewegung langfristig Bündnispartner*innen suchen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen – denn es geht immerhin um ihre Zukunft.
(Text&Bilder: cki)
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