AfD-Landtagskandidat als Zeremonienmeister der Bundeswehr beim Abschied der Pflegeheim-Sodat*innen. Zivilschutz-Korps statt Bundeswehr!
„Wir wollten Sie nicht einfach so aus dem Dienst entlassen, sondern eine würdige Verabschiedung“ sagte der AfD-Oberstleutnant d.R Heinrich Koch in seiner Funktion als Leiter des Kreisverbindungskommandos Mannheim und organisierte – wenn schon keinen Zapfenstreich, so doch – ein Zeremoniell zu abendlicher Stunde bei Fackelschein, eine kleine Wacht am Rhein. Koch war zu diesem Zeitpunkt Landtagskandidat der AfD in Mannheim-Süd. 2019 stand er bei der Gemeinderatswahl in Mannheim auf Platz 11 der Liste der AfD. (So viel zum Thema Rechtsradikale in der Bundeswehr.)
Peter Ragge vom Mannheimer Morgen berichtet: „‘Stillgestanden!‘, ‚Augen rechts!‘, Augen geradeaus!‘ schallten die Kommandos der Kontingentführerin im Range eines Hauptfeldwebels über das Rheinufer, wo Fahnen von Deutschland, Baden-Württemberg, Mannheim und Bayern wehten. Sie meldete den Abschied von 44 Männern und Frauen mit dem Edelweiß an der Bergmütze, die seit Februar in den Alten- und Pflegeheimen Besucher, Bewohner und Mitarbeiter auf das Coronavirus testeten.“ (MM 9.3.21).
Für die Stadt erschienen zum militärischen Mummenschanz nicht der OB (er ließ 44 Dankesschreiben übergeben), nicht Gesundheitsdezernent Grunert, sondern Erster Bürgermeister Specht, in dessen Ressort Sicherheit und Zivilmilitärische Zusammenarbeit gehören. Er hat auch eine unüberhörbare Affinität zum uniformierten Einsatz der Soldat*innen im Mannheimer Zivilleben: „Mannheim hat ja seit Jahren keine Bundeswehreinheiten mehr, da sind Sie im Stadtgebiet schon aufgefallen.“ (MM)
Und das war ja aus Sicht der Bundeswehr auch Sinn des Einsatzes. Es musste wie bundesweit auf jeden Fall ein „Amtshilfe“-Einsatz im „Feldanzug“ sein. Akzeptanzpflege für Soldat*innen, die man sonst im Fernsehen nur im nicht sehr beliebten Afghanistan- oder Afrika-Einsatz in ihrem Camoufage-Drillich sieht. Die Aufnahme in den Heimen sei sehr positiv gewesen. „Manche ältere Leute seien überrascht gewesen, plötzlich Militäruniformen in den Heimen zu sehen,“ berichteten lt. MM die bayerischen Gebirgsjäger*innen. Das mag sicher für manche Hochbetagte, die den letzten Weltkrieg überlebt hatten, ein besonderes déjà-vu gewesen sein. Oberstleutnant d.R. Koch wies im Übrigen darauf hin, dass es für die Gebirgsjäger*innen dann gleich weiter nach Afghanistan und Mali gehe.
Wenn inzwischen viel und zu Recht über den Missbrauch der Pandemie für ganz andere Interessen gesprochen wird, so ist in diesem Bundeswehr-Amtshilfeeinsatz und besonders in seiner Ausgestaltung ein wesentlicher Punkt getroffen: Akzeptanzpflege für’s Militär als Freund und Helfer. Warum tragen Soldatinnen und Soldaten im Innendienst des Verteidigungsministeriums den Dienstanzug und im zivilen Einsatz in Altenheimen und Kommunalverwaltungen den Feldanzug? Warum werden sie nicht überhaupt in Zivil losgeschickt? Die Zentralvorschrift A1-2630/0-9804 „Anzugordnung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“ lässt sogar beide Möglichkeiten offen.
Zivilschutz-Korps statt Bundeswehr!
Wenn es um das spannungsreiche Verhältnis zwischen Grundrechten und Pandemiebekämpfungsmaßnahmen geht, dann geht es eben auch um das Thema des Militäreinsatzes im Inneren. Hier stellt sich die Frage: Warum unterhält die Bundesrepublik kein Stehendes Zivilschutz-Korps? Dazu findet sich bei Wikipedia folgende aufschlussreiche Erklärung:
„Das Zivilschutzkorps (ZSK) war eine geplante hauptamtliche Zivilschutzorganisation in der Bundesrepublik Deutschland, deren Einrichtung mit der Verabschiedung des „Gesetzes über das Zivilschutzkorps“ vom 12. August 1965 vorgesehen war. Aufgrund von haushaltspolitischen Beschränkungen wurde das Gesetz jedoch durch das im Dezember des gleichen Jahres beschlossene Haushaltssicherungsgesetz zunächst zeitlich befristet suspendiert. Durch das zwei Jahre später am 21. Dezember 1967 verabschiedete Finanzänderungsgesetz wurde die Befristung ausgesetzt, Bemühungen um eine Aufhebung der Suspendierung scheiterten in den folgenden Jahren aufgrund von finanziellen Erwägungen. Dadurch kam es bei der Umsetzung des Zivilschutzkorpsgesetzes lediglich zur Einrichtung von Aufstellungsstäben, die eigentlichen Einheiten des ZSK bestanden hingegen zu keinem Zeitpunkt. Durch die Neuordnung der Zuständigkeiten und Strukturen im Bereich des Zivilschutzes, die sich aus dem 1968 beschlossenen „Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes“ (Anm.d.V.: also durch die Notstandsgesetze) ergab, entfiel die Einrichtung des Zivilschutzkorps endgültig.“
Hamburg rief anlässlich der Sturmflutkatastrophe 1962 unter Helmut Schmidt letztlich illegal nach der Bundeswehr, um der Katastrophe Herr zu werden. Aus dieser juristischen Notlage leitete sich die Reform des Art. 35 GG ab, die seit den Notstandsgesetzen lautet: „[2] Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.“ (Art. 35 Abs. 2, Satz 2). Vorher war der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausdrücklich verboten – ein guter Grundsatz.
Wer da meint, das THW sei doch ein Stehendes Zivilschutzcorps, irrt. Ständig besteht das THW nur aus einer ministeriellen (Innenministerium) und den regionalen Führungsstrukturen. Die helfenden Hände werden jeweils als Ehrenamtliche (wie bei der Freiwilligen Feuerwehr) gerufen. Die Zahl der Einsatzkräfte beträgt ca. 63.000 Frauen und Männer.
Im Zivileinsatz der Bundeswehr sind in Verbindung mit Covid-19 ca. 30.000 Soldat*innen im Einsatz. Sie wurden von 331 der insgesamt über 400 Stadt- und Landkreise angefordert, also fast fächendeckend – was diesem Einsatz einen bisher einzigartigen Charakter verleiht. In den ganzen Diskussionen über notwendige Konsequenzen dieser wahrscheinlich leider nicht letzten Pandemie wird das Thema Zivilschutz im nicht-militärischen Kontext neu anzugehen sein: Wir brauchen einen wirklich zivilen Zivilschutz. Die dadurch entlastete Bundeswehr könnte durchaus entsprechend schrumpfen (Finanzierungsvorschlag). Allein schon die Klimawandel-Folgen geben genug Anlass für derartige Überlegungen.
Die SPD sollte ihre in der 1. Großen Koalition getroffene Entscheidung für die Notstandgesetze überprüfen. CDU und AfD sind hierfür sicherlich nicht zu begeistern. Ein ordentlicher Staat, der sich international nicht die Butter vom Brot stehlen lassen möchte wohl aber umgekehrt, braucht eben eine ordentliche und akzeptierte Bundeswehr.
Deswegen hat der einstige Mannheimer Bundestagsabgeordnete Löbel (man erinnert sich) auf linke Kritik an den Uniformen im zivilen Einsatz der Bundeswehr gleich ein passendes sharepic in Umlauf gesetzt. Löbel stürzte leider nur aufgrund seiner Selbstbedienungsmentalität, nicht aufgrund seiner reaktionären Ansichten.
Thomas Trüper