Wohnungspolitischer Diskurs (3) : Bezahlbare Wohnungen müssen gesichert und vermehrt werden – sozial und ökologisch nachhaltig!

Anonymer Aushang am ehemaligen Kiosk Schafweide. Neben dem SWR-Gebäude dort (kleiner Schlenker gegen die Öffentlich-Rechtlichen) ist natürlich auch die Wohnbebauung gemeint. Dieser urbane Konflikt zwischen Bauen und Freiräumen ist auch im Gemeinderat zwischen Grün-Rot-Rot auszutragen. (Bild: KIM)
Es knistert ein bisschen im Gebälk der grün-rot-roten Mehrheit im Mannheimer Gemeinderat, insbesondere, wenn es um die Wohnungspolitik geht. Davon zeugen der Beitrag von Isabel Cademartori, (stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD in Mannheim, Stadträtin und – nicht zu vergessen – Direktkandidatin der SPD zur Bundestagswahl) und die Entgegnung des offensichtlich ambitionierten Grünen Bezirksbeirates aus dem Lindenhof, Patric Liebscher. Möglicherweise liegt es daran, dass ein bisschen Wahlkampf ist. Und nicht etwa nur für den Bundestag, sondern auch schon für die 2023 anstehende OB-Wahl, worauf schon heute Partic Liebscher hinweist.
Aber man darf das Knirschen nicht banalisieren. Es geht auch um viele sachliche Probleme der wirklich komplexen Wohnungspolitik, die es allerdings verdienen würden, in Ruhe und sachlich und lösungsorientiert erörtert zu werden. Nachdem nun eine SPD- und eine Grünen- Stimme beim Kommunalinfo eingegangen sind, soll eine Stimme aus der LINKEN nicht fehlen.
Isabel Cademartori beschwert sich in ihrem Beitrag über eine grüne Blockadepolitik gegenüber jedem Wohnungsneubau-Projekt außerhalb der Konversionsflächen. Tatsächlich halten diese grünen Vorbehalte gegen das „Zubetonieren“ schon ziemlich lange an, nur wurden solche Neubauprojekte bisher nicht zum Scheitern gebracht durch Enthaltungen oder durch Gegenstimmen nur dann, wenn z.B. das konservative Lager mehrheitlich zustimmte. Oft gab es ja auch als Kompromiss Verbesserungen der ökologischen Standards Es ging um das Wie statt um das Ob.
- Bauen oder nicht? Richtig bauen!
Der Grundvorwurf von Isabel Cademartori, die Grünen redeten viel über preisgünstiges Wohnen, aber wo dann als eine Voraussetzung dafür gebaut werden solle, seien sie dagegen – dieser Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Hier liegt ein urbaner Grundkonflikt: Es wird kein einziges Bauprojekt in Mannheim geben, welches das Mikroklima verbessert und zu weniger Bodenversiegelung als ohne das Bauen führt. Im Gegenteil müsste man – bei Absolutsetzung stadtklimatischer Grundsätze – sogar noch möglichst viele Gebäude rückbauen – nur so kann mehr Luft in die sommerlich glühende City fließen. Ein Grundkonflikt, der nur durch höchste Anstrengungen in puncto ökologisches Bauen entschärft werden kann. Und hier ist noch viel Luft nach oben. Hier ist vor allem ein großer Bedarf, die Erkenntnisse und Erfahrungen von – oft widerspenstigen, aber kreativen – Pionierprojekten aufzugreifen und umzusetzen. Beispielsweise Holz(hybrid)bau, Fassadengrün, Vermeidung motorisierter Individualmobilität, dezentrale Energieerzeugung etc.pp. Viele solcher Techniken müssen am Ende nicht zu teureren Warmmieten führen. Hier wäre der Innovationsdurst z.B. auch einer GBG durchaus steigerungsfähig Richtung Pilotin und Pionierin. Bevor man sich in diesem Themenbereich Pauschalsentenzen und –urteile um die Ohren haut, wäre fachlicher Diskurs und Öffnung für Innovation wichtig im gemeinsamen Bestreben: Preisgünstig UND ökologisch.
Den urbanen Grundkonflikt zu umschiffen, indem man dem „konservativen Mantra: Bauen, bauen, bauen“ ein Mantra: „Nicht bauen, nicht bauen, nicht bauen“ entgegensetzt, ansonsten Vergangenheitsschelte betreibt, schafft dagegen keinen dringend benötigten zusätzlichen leistbaren Wohnraum herbei.
- 12-Punkteprogramm ein wichtiger Paradigmenwechsel. Ausbauen!
Es stimmt, dass die Stadtspitze mit Unterstützung der SPD (und ohne Widerstand der Grünen) bis 2017 fast ausschließlich die Voraussetzungen für Wohnungsbau durch Privatinvestoren zu profitlichen Marktpreisen geschaffen hat. Dann aber wurde durch die damals hauchdünne rot-grün-rote Mehrheit das 12-Punkte-Programm verabschiedet mit Themen wie 30%-Sozialquote, Förderung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten, Reform der Erbausatzung, Konzeptvergabe nach sozialen und ökologischen sowie städtebaulichen Gesichtspunkten. Es kam für Turley und große Teile von Franklin und diverse kleinere Bauprojekte zu spät. Aber es gilt vollinhaltlich für Spinelli und Hammonds. Und selbst auf Turley und Franklin (Sullivan) gilt es nach Änderungen von Bebauungsplänen und bringt so auch dort noch ein paar ursprünglich nicht geplante leistbare Wohneinheiten.
Angesichts des bisherigen Missverhältnisse zwischen leistbaren und teuren Wohnungen, angesichts des Auslaufens von Sozialbindungen im geförderten Wohnungsbau und angesichts des gewachsenen Anteils schlechter Löhne und niedriger Altersrenten muss die Quote auf mindestens 50% erhöht werden. Davon hört man aus der SPD-Fraktion, von den Grünen noch nichts. Ein Antrag der LI.PAR.Tie.-Fraktaion, das gezogene Vorkaufsrecht an einem Bauplatz in Neuhermsheim für ca. 20 Wohneinheiten ausschließlich für Sozialwohnungen zu nutzen (die Stadt darf das im Innenverhältnis) fand keine Unterstützung.
Was durch eine einfache Sozialquote nicht erreicht wird, ist die Herstellung von leistbaren Wohneinheiten mit möglichst unbefristeter Belegungs- und Preisbindungsdauer. Diese lässt sich nur herbeiführen, wenn gemeinwohlorientierte Non-Profit-Bauträgerschaften in großem Maße und vorzugsweise Zugriff auf die immer knapper werdenden Wohnungsbaugrundstücke erhalten, also eine in ihrer Strategie auf diesen Sektor verpflichtete GBG, Genossenschaften, Mietshäusersyndikate. Dazu braucht es für die weniger werdenden Grundstücke einen höheren kommunalen Eigentumsanteil.
Mit dem grün-rot-rot durchgesetzten Bodenfonds ist dieses Thema in Angriff genommen – allerdings stehen wir hier erst sehr am Anfang. Um deutlich weiter zu kommen, bedarf es einer stabilen nicht-konservativen Mehrheit, also derzeit grün-rot-rot, die bereit ist, mehr kommunales Kapital zur Verfügung zu stellen eine noch viel zu wenig diskutierte Notwendigkeit.
Da auch gemeinwohlorientierte Bauträger nicht zaubern und die explodierenden Grundstücks- und Baupreise nicht einfach wegstecken können, steigt der sowieso grundlegende Bedarf an öffentlicher Förderung. Die kommunale Finanzpolitik darf sich dem nicht weiter verschließen. Natürlich braucht sie hierfür auch mehr Bundes- und Landesförderung.
- Preisgünstige Bestandswohnungen sichern!
In der Tat lässt sich die Wohnraummisere nicht nur durch Neubauten lösen. Bezahlbare Bestandswohnungen müssen bezahlbar bleiben und trotzdem in ihrem Gebrauchswert erhalten, modernisiert und energetisch saniert werden.
Auch hier kommt es wieder auf eine möglichst große regulierende Kraft öffentlicher und gemeinwohlorientierter Eigentümerschaft an sowie auf drastische Marktregulierung: Mietpreisbremse, Deckelung, Umwandlungs- und Zweckentfremdungsverbote für Mietwohnungen.
Hier liegen große Aufgaben vor dem neu zu wählenden Bundestag mit einer umfassenden Mietrechtsreform, die auch die Entlastung von Mieter*innen bei notwendigen Modernisierungsmaßnahmen und Schutz vor Luxussanierungen beinhalten. Wenn jetzt schon Wahlkampffieber herrscht, wäre es natürlich wichtig, die verbindlichen Absichten der Parteien zu dieser Thematik zu erfahren.
(Anmerkung zu P. Liebscher: Mannheim verfehlte 2015 die von der grün-roten Landesregierung festgelegten Kriterien für die Mietpreisbremse nur in einem Punkt äußerst knapp: Der Wohnungsversorgungsgrad hätte unter 100% liegen müssen, lag aber nach Auffassung der grün-roten Landesregierung bei 100,35%. Die Regierung ließ sich auch nach – von der LINKEN beantragten – Rückfrage des OB damals nicht von dieser Bewertung abbringen. Die Entscheidung fiel nicht – wie von Liebscher behauptet – in Mannheim.)
Die von Patric Liebscher und den Grünen geforderten Milieuschutzsatzungen müssen sorgsam diskutiert werden: Wo und wie greifen sie, in welchem Verhältnis stehen sie zu Sanierungssatzungen, welche Erfahrungen gibt es aus andern Städten. Hier bestehen offensichtlich viele Unklarheiten. Das zeigt sich beispielsweise an Liebschers Argumentation mit den beiden Oberverwaltungsgerichtsurteilen aus Hamburg und Berlin-Brandenburg: Hier ging es um die Anfechtungsversuche einzelner Investoren, die sich in ihren Eigentumsrechten beschnitten sahen. Die zitierten Erhaltungs- / Milieuschutzsatzungen folgten auf langjährige Sanierungssatzungen. Die Frage, ob jetzt z.B. in der Neckarstadt-West eine Erhaltungsatzung angestrebt werden soll, ist keine juristische, sondern ein politische. Dieser Stadtteil hat in den letzten 10 oder mehr Jahren an mittelständischer Bewohnerschaft erheblich eingebüßt, er ist ein typischer „Ankunfts-Stadtteil“ mit hoher Fluktuation und viel Armut, aber reich an „Vielfalt an Nationen, sozialen Milieus und Lebensstilen“ (2. LOS-Bericht). Es gibt große Defizite in der sozialen- und Bildungsinfrastruktur, die inzwischen massiv von Stadt und MWSP angegangen werden. Und es gibt ein Klima-Entwicklungsprogramm.
- Summa summarum: Grün-rot-rot müssen sich zusammenraufen!
Um die Mietwohnungsmisere in Mannheim zu bekämpfen, braucht es vor Ort die Umsetzung und Ausweitung der aufgelegten Programme. Niemand anderes als Grüne, SPD und LI.PAR.Tie. kann und wird das durchsetzen. Die CDU möchte gern auf allen zur Verfügung stehenden Flächen Einfamilienhäuschen bauen, die ML stellt sich gegen Sozialquoten und die FDP möchte die Mietpreisentwicklung frei laufen lassen und durch Wohngeld abfedern. Hauptsache, die Investoren machen ihren Reibach.
Es führt also kein Weg dran vorbei: Grün-rot-rot muss den eingeschlagenen Weg weitergehen und Differenzen versuchen sachlich zu überwinden bzw. tragbare Kompromisse finden. Die Gründung eines “Wohnungspolitischen Forum” in Mannheim kann da hilfreich sein.
Thomas Trüper, Altstadtrat DIE LINKE