Mannheimer Kulturausschuss: Wie wär‘s mit einem klaren Ja zur Restitution von Kulturgütern aus ehemaligen Kolonien?
Unter dem Titel „Koloniales Erbe“ bekennen sich die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag dazu, den Dialog mit den Herkunftsgesellschaften zu suchen, deren Kunstschätze, Ritual- und Alltagsgegenstände bei kolonialen Raubzügen unrechtmäßig angeeignet wurden. Nur vage wird formuliert, dass eine „Rückgabe angestrebt“ sei, wo doch Restitution der während der Kolonialzeit des Deutschen Kaiserreiches geraubten Kulturschätze gefordert ist. Restitution bezeichnet im Gegensatz zur Rückgabe, „die Rückerstattung geraubter, unrechtmäßig enteigneter, erpresster oder zwangsverkaufter Kulturgüter an die legitimen Voreigentümer oder deren Rechtsnachfolger.“ (wikipedia)
Laut Internetseite der Reiss-Engelhorn-Museen (REM) beherbergt das Museum Weltkulturen „nahezu 40.000 Exponate aus fünf Kontinenten“.
Ein Teil dieser ethnologischen Sammlung befindet sich in kommunaler Trägerschaft, ein Teil ist in Besitz von Stiftungen.
Ist der Mannheimer Gemeinderat bereit, Restitution aus den städtischen Sammlungen voran zu bringen?
Die im Sommer im Kulturausschuss geäußerten Kommentare lassen Zweifel aufkommen:
- da wurde vermutet, die Kunstschätze aus Benin seien eigentlich „unser Eigentum“ und „rechtmäßig gekauft“ worden
- aus der CDU-Fraktion wurden die Bestände, speziell die Benin-Bronzen zum „kulturellen Weltkulturerbe“ erklärt, das nicht nur dem gehöre: “der sozusagen direkt das Eigentum daran hat..,“.
- man zeigte sich besorgt um das Wohlergehen der Kulturgegenstände aus ehemaligen Kolonien und befürchtete, die Kunstwerke könnten, erst mal zurückgegeben, „verscherbelt und in der Welt verstreut“ werden
Gegen Ende der Debatte stellte der Kulturbürgermeister noch Überlegungen an zu den „Einwirkungsmöglichkeiten“ auf die Herkunftsgesellschaften in Bezug auf die Inobhutnahme der „Objekte“ und wie schon „im Vorfeld soviel Druck aufzubauen“ wäre, dass die Herkunftsländer mit ihren Kulturgütern so umgehen, wie sich das die Herren im Mannheimer Kulturausschuss vorstellen.
Ging es denn rechtmäßig zu, beim ‚Erwerb‘ von Kulturgütern in der Kolonialzeit?
Mannheims ethnologisches Museum kam in der deutschen Kolonialzeit finanziert von Unternehmern wie Carl Reiss, Karl Lanz oder August Röchling zu einem großen Teil seiner Sammlung. In der ‚Deutschen Kolonialgesellschaft‘ und im ‚Mannheimer Altertumsverein‘ organisiert, nutzten die Unternehmer ihre Beziehungen in den überseeischen Ländern, um an Kunst- und Kulturschätze aus den Kolonien zu kommen. Ethnologische Museen entstanden europaweit Hand in Hand mit der gewaltsamen Kolonialisierung von Völkern ‚in Übersee‘. Der enorme Rohstoffbedarf der aufstrebenden Industriestadt Mannheim, z.B. an Kautschuk, an Kokosfrüchten oder Jute sollte gedeckt werden. Die zum ‚Deutschen Schutzgebiet‘ erklärten Gebiete wurden zu diesem Zweck mit brutaler Gewalt enteignet; Siedlungen samt Lebensgrundlage wie Vieh, Pflanzungen oder auch Kanus zum Fischfang zerstört. Sogar mit den Gebeinen der Getöteten konnte man noch Geschäfte machen. In Katalogen wurden sie weltweit angeboten. Exportkaufleute, Militärs und Siedler versuchten die Identität und sozialen Strukturen der unterjochten Gemeinschaften zu zerstören und pressten die Menschen in ein System der Zwangsarbeit. Die Bevölkerung wurde ihrer Kulturgüter, ihrer Alltagsgegenstände, ihrer Bilder-Schriften, ihrer Toten beraubt, um die Sammlungen des ethnologischen Museums zu bereichern. Nebenbei konnte sich das Mannheimer Großbürgertum mit ‚exotischen‘ Exponaten schmücken, die ihre erfolgreichen Unternehmungen repräsentierten. Dies schloss die Zurschaustellung von verschleppten Menschen ein. Bei der Mannheimer Jubiläumsausstellung 1907 mussten im sog. „ Abessinischen Dorf“ circa 80 Menschen aus dem heutigen Äthiopien bzw. Eritrea zur Erbauung der Besucher Tänze und Kämpfe aufführen.
Bernhard Gießibl et al haben die Expeditionstagebücher des Mannheimer Militärs Bumiller analysiert. Bumiller war als Adjutant bei der ob ihrer Grausamkeit gefürchteten Wissmann-Truppe aktiv beteiligt an der Niederschlagung von Aufständen u.a.in Ostafrika. Die Autor*innen kommen zu dem Ergebnis, dass Bumillers Sammlung größtenteils aus Kriegsbeute, ‚erworben‘ bei seinen Kriegszügen durch Brandschatzung, Mord, Erpressung zustande kam.
Die Bumiller-Sammlung wurde der Stadt Mannheim 1920 von seiner Witwe geschenkt. Mit über 1.000 Artefakten, Waffen, Schmuck und Alltagsgegenständen macht sie einen wesentlichen Teil der ‚Ostafrika‘- Sammlungen in den ethnologischen Beständen der REM aus.
Sie wurde also weder rechtmäßig erworben, noch hatte die Stadt Mannheim den Erwerb bezahlt.
Im Falle der Thorbecke-Sammlung war die Beschaffung von Artefakten, kunstvollen Alltags- und rituellen Gegenständen und menschlichen Gebeinen von der Mannheimer Sektion der „Deutschen Kolonialgesellschaft“ in Auftrag gegeben worden. Diese entstand bei den Expeditionen, die der Geograph Franz Thorbecke von 1911 bis 1913 mit seiner Frau Marie Pauline Thorbecke in Kamerun durchführte. Finanziert wurde die Expedition zur Erkundung von Daten zu Klima, Bodenbeschaffenheit und Vegetation u.a. von der Deutschen Kolonial-Gesellschaft mit 20.000 Mark und von der Stadt Mannheim mit 10.000 Mark.
Im Zuge der Errichtung des deutschen Schutzgebiets in Kamerun war 1884 ein Schutzvertrag zwischen Duala-Königen und Vertretern Bismarcks unterzeichnet worden, der Souveränität und Verwaltung der Herrschaftsgebiete der Könige direkt an deutsche Handelsunternehmen übertrug. In Folge kam es immer wieder zu Aufständen der unterdrückten Bevölkerung, die mit grausamer Gewalt nieder geschlagen wurden.
Unter diesen ungleichen Machtverhältnissen betrieb das Ehepaar Thorbecke erfolgreich Tauschhandel. So ergatterten sie z.B. eine perlenbestickte, holzgeschnitzte Maske und weitere Gegenstände für insgesamt 4 Packungen Streichhölzer. Ein Teil der so erworbenen Objekte wurde dem Mannheimer Völkerkundemuseum übergeben, wo sie erst jetzt systematisch erfasst werden.
Kolonialisten „verscherbelten“ und „verstreuten“ demnach die Kunstwerke in Folge der Enteignung, des Raubes, der Ermordung oder unlauterer Geschäfte bei kolonialen Raubzügen.
Heute werden die wertvollen Kunstwerke und Kultobjekte und handwerklich auf höchstem Niveau erstellten Alltagsgegenstände auf dem Weltmarkt zu hohen Preisen gehandelt.
Die in Mannheim gelagerten Kulturgegenstände und menschlichen Gebeine verlieren fern ihrer Herkunft ihre Sinnhaftigkeit. Sie bilden einen Teil der Identität der Menschen, denen sie geraubt oder unter ungleichen Bedingungen genommen wurden.
Viele ehemalige deutsche Kolonialländer fordern seit Jahrzehnten ihr Eigentum zurück. Äthiopien, Ghana, Kamerun , Kongo, Madagaskar, Mali, Tansania und weitere Länder außerhalb Afrikas warten bislang vergeblich auf Restitution.
Mannheim muss sich endlich seiner kolonialen Vergangenheit stellen. Dazu gehört die Anerkennung von begangenem Unrecht und Restitution.
In den „Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ vereinbarten die Kulturminister*innen der Länder und der kommunalen Spitzenverbände u.a.:
→ “ das Bewusstsein für und das Wissen um die Kolonialgeschichte und ihre
Auswirkungen bis in die Gegenwart zu schärfen und zu vermehren.“
→ die umfassende Aufarbeitung der Herkunftsgeschichte der Artefakte und menschlichen Gebeine aus der Kolonialzeit zu erforschen, zu dokumentieren und zu veröffentlichen
→ die „Erwerbungsumstände“ von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten transparent darzustellen
→ Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten proaktiv zurückzuführen
→ die Rückführung in enger Kooperation mit den Herkunftsgesellschaften zu organisieren
Aus den bereits am 3.03.2019 beschlossenen Eckpunkten leiten sich zwingend neue Aufgabenschwerpunkte für Einrichtungen ab, die Raubgut aus der Kolonialzeit bewahren. In der Verantwortung der Stadt liegt es, die REM dabei aktiv zu unterstützen.
In den 2021 folgenden Sitzungen des Kulturausschusses wurde bis auf eine neue Entgeltordnung das Thema REM und Restitution nicht weiter verfolgt.
Das wird Aufgabe in 2022 sein.
(Text: M. Würstlin)
Mehr Infos
unter ‚Kulturgüter‘ auf https://kolonialgeschichtema.com
weitere Quellen:
Afrikas Kampf um seine Kunst, Bénédikte Savoy, 2021
Das Prachtboot, Götz Aly, 2021
Imperiale Weltläufigkeit und ihrer Inszenierungen, Bernhard Gießibl / Katharina Niederau (Hg.) 2021
Protokolle des Kulturausschusses Mannheim 2021: https://buergerinfo.mannheim.de//buergerinfo/si0056.asp?__ksinr=9400
Leitbild Mannheim 2030: https://buergerinfo.mannheim.de/buergerinfo/getfile.asp?id=8166499&type=do