Geldstrafe gegen Heidelberger Demoanmelder: Ist das noch Rechtsprechung oder nur noch Schikane?
Der Anmelder einer Demonstration wurde vom Amtsgericht Heidelberg zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Vorwurf: Er soll nicht ausreichend auf die Teilnehmenden eingewirkt haben, die Auflagen der Versammlungsbehörde einzuhalten. Wir sprachen mit ihm über die Hintergründe des Verfahrens. (cki)
KIM: Um welche Demo ging es, wie lautete der Vorwurf und wie hat das Gericht geurteilt?
Es ging um die Demo „Winter is coming – Zeit Feuer zu machen“ am 09.10.22 die sich gegen die angekündigten Kürzungen im Sozialbereich aufgrund der diversen Krisen richtete. Mir wurde konkret eine „abweichende Durchführung von Versammlungen“ nach §§25 Nr. 2, 15 VersG vorgeworfen, weil ich die Auflagen nicht ausreichend umgesetzt hätte. Im Strafbefehl standen 60 Tagessätze, die Staatsanwaltschaft hat im Prozess sogar 70 gefordert, das Gericht hat dann auf 40 Tagessätze geurteilt.
KIM: Wie wurden die Vorwürfe im einzelnen von der Staatsanwaltschaft geschildert?
Größtenteils ging es um Vermummung und verknotete Transparente. Dabei haben sie sich insbesondere auf die Aussagen des Einsatzleiters S. und dessen Führungsassistent J. gestützt. Demnach hätte ich mich immer erst nach nachdrücklicher Aufforderung und Drohungen um die Einhaltung der Auflagen gekümmert bzw. sie teilweise gar nicht umgesetzt. Auch die Anzahl der Ordner:innen, hoch gehaltene Transparente und natürlich ein gezündeter Rauchtopf waren Thema.
KIM: Kannst du ein Beispiel nennen?
Die Demo wurde quasi direkt am Startpunkt schon wegen dem Vorwurf der Vermummung gestoppt. Sie konnte erst weiter gehen, als ich mich mit dem Einsatzleiter darauf einigen konnte, dass die Polizei das Filmen einstellt, wenn dafür bei einzelnen Teilnehmenden mehr Gesichtspartien sichtbar werden.
KIM: Von Vermummung stand nichts in den Auflagen, trotzdem wurde dir vorgeworfen, dass das einzelne Teilnehmer*innen gemacht haben?
Schon vor Beginn der Demo hatte ich darüber eine Diskussion mit der Polizei. Interessanterweise ist die Richterin hierauf bezogen der Argumentation meines Anwalts gefolgt: Der hatte darauf hingewiesen, dass Vermummung eine Straftat ist und Anmelder weder die Funktion, noch die Berechtigung haben, Straftaten zu vereiteln. Ich wäre ja auch nicht verantwortlich, wenn es zu Diebstählen auf der Demo gekommen wäre. Verlangt kann von mir nur werden, das einzuhalten, was mir aus Gründen der Sicherheit oder Gefahrenabwehr vom Ordnungsamt ausreichend begründet auferlegt wurde, weshalb sie mein Recht auf Versammlungsfreiheit beschränken. Und was ohnehin verboten ist, muss nicht erwähnt werden und fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Spannend ist außerdem die Corona Politik: Wenn Vermummung verboten ist und eine Mund-Nasen-Abdeckung eine Vermummung darstellt, hätten sämtliche Ordnungsämter in der Coronazeit zu Straftaten aufgerufen bzw. sie verpflichtend gemacht. Daher musste also vorher festgestellt werden, dass eine FFP2 Maske keine Vermummung darstellt. Vermutlich war das auch der Grund, wieso der Absatz zu Vermummung aus den Standard-Auflagen gestrichen wurde. Bei darauf folgenden Versammlungen, die ich angemeldet hatte, wurde dann wieder darauf Bezug genommen und festgestellt, dass Augen und Stirnpartie noch erkennbar sein müssen, damit es keine Vermummung darstellt. Somit waren dort Menschen vermummter als teilweise auf der Winter is coming Demo, aber entsprachen dort voll den Auflagen
Generell würde es eigentlich lohnen, öfters gegen Auflagen zu klagen, weil diese meistens nicht haltbar sind.
Das Gericht hat sich dann aber darauf bezogen, dass ich je 20 Teilnehmenden ein:e Ordner:in hätte stellen müssen und bei 130 Teilnehmenden nach Polizeizählung nur 5 gestellt hatte. Außerdem hätte ich nicht verhindert, dass Transparente so hoch gehalten wurden, dass die Menschen dahinter nur eingeschränkt sichtbar waren. Also Dinge, die von der Polizei nur nebenbei und quasi noch on top zu meinen anderen Vergehen erwähnt wurden. Die Begründung ist noch nicht raus, aber vermutlich ließe sich das leicht kippen. Letztlich ist es ja auch irgendwie einfach albern. Angesichts der absolut gesehen niedrigen Strafe lohnt sich aber leider der Aufwand nicht.
KIM: Wer hat dich beim Prozess unterstützt und wie ist eure Einschätzung im Nachhinein?
Support habe ich von solidarischen Menschen bekommen. Das Urteil ist nun nach einem akzeptierten Strafbefehl schon das zweite, wegen dem ein Anmelder im Nachhinein aufgrund geringfügiger Vergehen verurteilt wurde. Es ist wichtig, dass wir uns davon nicht einschüchtern lassen und weiterhin Prozesse deswegen zu führen. Ansonsten führt es dazu, dass sich viele Menschen nicht mehr trauen werden, Versammlungen anzumelden. Die Polizei versucht offensichtlich die Anmeldung einer Versammlung mit der realen Gefahr einer Strafanzeige zu konnotieren. Wenn eine Verurteilung berufliche oder private Probleme mit sich bringen kann, stellt dieses Verfahren der Polizei einen massiven Angriff auf die Versammlungsfreiheit dar. Denn dann wäre eine kollektive Meinungsäußerung nicht mehr angstfrei möglich. Wir müssen als linke Szene solidarisch dagegen zusammen stehen und Hilfe im Vorfeld und im Nachgang von Versammlungen organisieren. Das passiert ja ohnehin schon, daher glaube ich aktuell noch nicht, dass die Einschüchterungen Früchte tragen.
KIM: Dann gab es da noch einen kuriosen weiteren Vorfall im Gericht. Kannst du berichten, was da passiert ist?
Der Sachbearbeiter des Staatsschutz Herr K. war der erste Zeuge im Prozess. Nach Ende seiner Befragung und während der Befragung des zweiten Zeugens kam er mit weiteren Staatsschutzbeamten wieder in den Gerichtssaal und forderte einen Zuschauer mit Namen auf, mit ihm zu kommen und all sein Zeug mitzunehmen. Da ca ein Dutzend Zuschauer:innen dabei waren, sind natürlich die meisten hinterher und haben mitbekommen, dass der Genosse für eine Wohnungsdurchsuchung abgeholt wurde. Entsprechend war es möglich, bei seiner Wohnung Support zu organisieren. K. vom Staatsschutz wollte dann versuchen, eine unabhängige Zeugin, was ein Anrecht jedes und jeder Betroffenen bei einer Hausdurchsuchung ist, nicht zu zu lassen, weil diese ja vorher mit ihm im Gerichtssaal gesessen hätte. Glücklicherweise kannte die Genossin die Rechtslage und ließ sich nicht vom aggressiven Auftreten K.s verunsichern. Die Androhung einer Fortsetzungsfeststellungsklage ließ den Polizisten schließlich einsehen, dass er mit seiner Rechtsverdrehung nicht durch kommt.
Es gab nicht mal einen schriftlichen Durchsuchungsbefehl sondern nur den Hinweis auf die mündliche Zusage eines Gerichts. Es ging scheinbar um eine Sachbeschädigung und zusätzlich zu technischen Geräten wurden auch Kleidungsstücke mitgenommen. Dabei haben die Polizisten immer wieder versucht ihren rechtlichen Rahmen zu übertreten und bspw. mehrere Orte gleichzeitig zu durchsuchen oder voyeuristisch private Notizbücher zu lesen.
Hier ist offensichtlich, dass die Inszenierung der Polizei deutlich wichtiger war, als das Auffinden von Beweisstücken. Zwar ist im Nachgang bewusst geworden, dass mehrere Beamte im Gericht auffällig die solidarischen Besucher:innen beobachtet hatten, aber der Betroffene war ja niemand, der plötzlich neu erkannt worden wäre, sondern wurde im Gegenteil ja gleich mit Namen angesprochen und hatte außerdem auch schon in anderen Fällen Kontakt mit den Repressionsbehörden.
Sie hätten also auch einfach morgens um 6 vor der Tür stehen können, aber haben lieber einen Weg gewählt, der es ermöglichen kann, dass vor ihrer Ankunft an der Wohnung schon vorbereitete Menschen in der Wohnung sind. Wichtiger war also eindeutig die Einschüchterung und vielleicht auch zu beobachten wer danach mit wem schreibt und spricht. Die Szene hat sehr geschlossen auf die Hausdurchsuchung reagiert. Somit können wir glücklicherweise sagen, dass ihre Rechnung nicht aufgegangen ist.
KIM: Würdest du wieder eine Demo anmelden?
Ich wusste seit der Demo schon, dass ich angezeigt werde und habe auch nach Erhalt des Strafbefehls eine Hand voll weiterer Versammlungen angemeldet. Natürlich werde ich bei Bedarf jeder Zeit auch noch andere Demos anmelden.