7 bittere Erkenntnisse aus dem „2. Mai Marktplatz Prozess“
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, denn die Nebenklage hat nach dem enttäuschenden Urteil im „2. Mai Marktplatz Prozess“ Revision eingelegt. Sie will das Urteil vom Bundesgerichtshof prüfen lassen.
Am 1. März 2024 wurde einer der beiden Polizisten wegen einfacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Angeklagt war er wegen Körperverletzung mit Todesfolge, worauf eine Haftstrafe gedroht hätte. Sein wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagter Kollege wurde freigesprochen.
Während die Nebenklage Revision beantragt hat, startete der Polizeigewerkschafter Thomas Mohr eine Spendenkampagne, um Geld für den wegen Körperverletzung verurteilten Kollegen zu sammeln. Für den 15. März ruft die „Initiative 2. Mai“ zur Kundgebung gegen Polizeigewalt auf (17 Uhr Marktplatz).
Der Hauptprozess um den tödlichen Polizeieinsatz ist beendet. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung geht weiter. Zeit für eine Zwischenbilanz, um einige bittere Erkenntnisse festzuhalten.
- Juristische Aufarbeitung kann keine Wahrheit versprechen
Obwohl die Beweislage so gut wie selten war, konnte das Gericht in der entscheidenden Frage – der Todesursache – keine Wahrheit verkünden. Viele Zeug*innen, umfangreiches Videomaterial und eine Aussage des Angeklagten zeichneten ein klares Bild des Geschehens. Es ist unstrittig, dass die zwei Polizisten den flüchtenden Ante P. mit Pfefferspray und Faustschlägen verletzten und dann so lange auf den Boden drückten, bis er tot war.
Keine Klarheit lieferten die medizinischen Gutachten zur Todesursache. Das Gutachten der Staatsanwaltschaft wurde von einem zweiten Gutachten der Verteidigung angezweifelt, so dass der Richter die Frage der Todesursache ungeklärt lies. Das kam dem Angeklagten zu Gute. Seine Unschuld am Tod von Ante P. ist zwar nicht bewiesen, seine Schuld aber genauso wenig. „Im Zweifel für den Angeklagten“ hieß es am Ende der Beweisaufnahme. - Täter-Opfer-Umkehr ist eine gute Prozessstrategie
Ein Mensch ist gestorben und deshalb standen die zwei Angeklagten vor Gericht. Immer wieder haben Verteidigung (im Gerichtssaal) und Polizeigewerkschaft (in der Öffentlichkeit) die beiden Angeklagten aber als Opfer dargestellt. Sie hätten sich gegen den gewalttätigen Ante P. verteidigen müssen (der eigentlich versuchte aus der Situation zu fliehen), sie hätten sich gegen eine aggressive Menschenmenge verteidigen müssen (die lautstark forderte, dass die Gewalttat endet) und später seien die Polizisten Betroffene dienstrechtlicher Maßnahmen und Opfer von Beleidigungen gewesen. Aus der subjektiven Perspektive der Angeklagten mag das so sein. Verteidigung und Polizeigewerkschaft haben diese Opferrolle aber so vehement vertreten, dass sie auch im „objektiven“ Urteil des Gerichts Berücksichtigung fand und zugunsten der Angeklagten angeführt wurde.
Der eigentliche Anlass, nämlich der Tod von Ante P., geriet im Laufe der Prozesstage zunehmend in den Hintergrund. Zurecht kritisierte die Familie des Getöteten, dass es mehr um die Probleme der Angeklagten ging, als um das Leid der Angehörigen. - Menschen mit psychischen Erkrankungen werden diskriminiert
Im Prozess ging es auch um die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes gegen Ante P. und die Frage, ob es rechtlich zulässig war, den psychisch kranken Mann gegen seinen Willen ins ZI (eine Psychiatrische Einrichtung) zu bringen.
Der Richter bejahte das in seinem Urteil und begründete es mit Sicherheitsbedenken. Als Beweise wurden einerseits die Diagnose von Ante P. aufgeführt (paranoide Schizophrenie), weiter ein von Zeugen beobachteter Vorfall, demnach Ante P. über die Straße gelaufen sei, ohne auf den Verkehr zu achten. Letztlich sei aber die Entscheidung des Arztes ausschlaggebend gewesen, der die Polizei um eine „Rückführung“ in die Klinik gebeten hatte.
Bemerkenswert ist, dass keinerlei Gewalt, Drohung oder in sonstiger Weise aggressives Verhalten erforderlich war, um in Ante P. ein Sicherheitsproblem zu sehen. Der Richters schloss sich dieser Einschätzung an und erklärte die gewaltsame Verbringung in die Psychiatrie für gerechtfertigt. Psychisch kranke Menschen müssen schlussfolgern, dass ihnen Gewalt droht, auch wenn sie selbst gar nicht gewalttätig sind. - PolG und PsychKHG hebeln Grundrechte aus
Geht man noch einen Schritt weiter, muss man feststellen, dass das Polizeigesetz (PolG) und das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) verfassungsmäßig garantierte Grundrechte aushebeln. Der freie Wille über den persönlichen Aufenthaltsort, über die eigene medizinische Behandlung, über die Wahl eines Arztes – all das sollte eigentlich besonders geschützt sein. Die zwangsweise Unterbringung in einer Psychiatrie darf nicht ohne weiteres angeordnet werden. Hier ist ein rechtsstaatliches Verfahren vor Gericht erforderlich.
Doch nicht so bei „Gefahr im Verzug“. Davon spricht man, „wenn ein regulärer Verfahrensweg ausnahmsweise nicht eingehalten werden kann, weil andernfalls eine effektive Gefahrenabwehr nicht möglich wäre“. Das war die Rechtsgrundlage des Polizeieinsatzes und mit anderen Worten heißt das: Die Polizisten durften selbst Richter spielen – zumindest für einen Tag. Spätestens am Tag darauf, muss die Rechtmäßigkeit von einem Gericht überprüft werden (laut Grundgesetz Artikel 104). Doch da war Ante P. bereits tot.
- Polizist*innen sind privilegiert
Im krassen Gegensatz zur Bevormundung psychisch kranker Menschen steht der Vertrauensvorschuss, den Polizist*innen bei der Justiz genießen. Auch in diesem Verfahren wurde Gewalt von der Justiz abgesegnet. Ausdrücklich erwähnte der Richter, dass „nur die vier Schläge“ gegen den am Boden liegenden Ante P. nicht gerechtfertigt gewesen seien. Die Eskalation der Lage wurde vom Gericht als legitimer Polizeieinsatz angesehen. Auch in der Frage der Todesursache hat der Richter mindestens ein Auge zugedrückt. Man hätte auch ein weiteres Gutachten zur finalen Klärung beauftragen können. Er beließ es aber beim Zweifel – zugunsten des Polizisten.
Man muss zwangsläufig an die Gründlichkeit der Aufklärung in anderen Fälle denken, wenn Menschen zu Tode kommen. Würde eine Erzieherin so einfach „im Zweifel für die Angeklagte“ davon kommen, wenn ein Kind in ihrem Verantwortungsbereich gestorben wäre? Oder ein Fahrer bei einem Verkehrsunfall mit Todesfolge? Die Nebenklage will das mit der Revision überprüfen lassen. „Wir werden sehen, was ein anderes Gericht dazu sagt“, resümierte Rechtsanwalt Engin Şanlı das Urteil. - Die GdP ist eine loyale Interessenvertretung
Was für Autofahrer*innen der ADAC ist und für linke Aktivist*innen die Rote Hilfe, das ist für Polizeibeamt*innen die GdP. Die juristische Arbeit der Verteidigung wurde von der Polizeigewerkschaft durch emotionale Unterstützung, finanzielle Rechtshilfe und politische Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Das Gesicht der GdP, der Bezirksgruppenvorsitzende und Personalrat Thomas Mohr, hat die Prozesstage im Landgericht beobachtet und war faktisch Pressesprecher der Verteidigung.
Von Beginn an positionierte er sich stark für die Unschuldsvermutung. Auch nach „bewiesener Schuld“, also nach dem Urteilsspruch wegen Körperverletzung, blieb Mohr solidarisch an der Seite des Verurteilten. Während des gesamten Prozesses kritisierte Mohr immer wieder die öffentliche „Vorverurteilung“ der Polizist*innen. Dass Mohr bei anderen Themen mit öffentlichen Vorverurteilungen weniger Probleme hat, wenn er zum Beispiel „Silvester Chaoten“ als „respektlose junge Männer mit Migrationshintergrund“ bezeichnet, ist kein Widerspruch, sondern logische Folge der Arbeit einer parteiischen Interessenvertretung.
Bei seinen Äußerungen holte Mohr zu einigen Angriffen aus, was seiner Reputation in der Belegschaften der Polizeibehörden sicher gut getan hat: Er griff den Arzt von Ante P. scharf an, ebenso die Gerichtsmedizinerin der Staatsanwaltschaft und natürlich Teile der Öffentlichkeit, die sich kritisch über den Polizeieinsatz geäußert hatten. Deutliche Kritik äußerte er auch gegenüber seinen Vorgesetzten, konkret dem Polizeipräsidenten, dem er ebenfalls Vorverurteilung vorwarf.
Die GdP dürfte sich damit auch im Konkurrenzkampf mit der DpolG gut positioniert und ihr Profil als absolut loyale Interessenvertretung geschärft haben. Getoppt wird das ganze von eine Spendenkampagne für den Straftäter. Um zu verhindern, dass der verurteilte Polizist seine Geldstrafe und die Gerichtskosten selbst zahlen muss, hat Thomas Mohr eine Spendenkampagne ins Leben gerufen und sammelt über die Plattform „Betterplace“ 10.000 Euro für Unterstützungszahlungen.
Das alles ist natürlich völlig legitim für eine Polizeigewerkschaft. Man sollte nur nicht den Fehler machen, die GdP als objektive Instanz oder neutralen Ansprechpartner in Sicherheitsfragen anzusehen. Es ging nie um Fehlerkultur, Reflexion und die Frage, wie man es hätte besser machen können. Es ging immer um Schadensbegrenzung, nicht mehr und nicht weniger. Und da unterschiedet sich die GdP von manch anderer Gewerkschaft.
- Recht ist nicht immer Gerechtigkeit
Die Mutter des Getöteten Ante P. berichtete in ihrem Schlusswort, dass es für sie sehr schwer war, den Prozess zu verfolgen. Bei schlimmen Details zum Tod ihres Sohnes hätten die Angeklagten gelächelt. Es hätte unwürdige Vergleiche gegeben, ihr Sohn sei dabei „ein weiteres mal gequält worden und gestorben“. Sie habe bisher immer Vertrauen in die Behörden, die Polizei und das Gericht gehabt. Am Ende wurde die Familie schwer enttäuscht. Die Schwester zeigte sich erschüttert und voller Angst nach dem Urteil. Menschlichkeit hat im Gerichtssaal nichts verloren, stellte eine Prozessbeobachterin nach der Urteilsverkündung fest.
(cki)