MVV: Beißen und gebissen werden im liberalisierten Energie-Haifischbecken
Mitte März diesen Jahres verkündete die EnBW, sie werde eine 6,28 Prozent-Beteiligung an der MVV Energie AG von der Engie SA (vormals GDF Suez) übernehmen, außerbörslich. Über den Preis sei Stillschweigen vereinbart worden. Die EnBW stocke damit ihren bisherigen Anteil von 22,48 Prozent auf 28,76 Prozent auf. Damit erreiche sie eine „qualifizierte Minderheit“, sprich eine Sperrminorität. Das Bundeskartellamt und ausländische Kartellbehörden müssten allerdings noch ihre Zustimmung erteilen.
Das Bundeskartellamt will nun bis November prüfen, ob es hier wettbewerbliche Bedenken gebe. Befasst damit ist die 4. Beschlussabteilung, die für die Entsorgungswirtschaft zuständig ist. Man prüft also insbesondere auf dem Müllverbrennungs-Markt.
Die EnBW gehört zu den Großen Vier der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik. Sie ist eine Konkurrentin der MVV Energie AG und nach Umsatz und Beschäftigten etwa vier- bis fünfmal so groß wie MVV. Sie ist zu 93,5% im Eigentum des Zweckverbandes Oberschwäbischer Elektrizitätswerke und des Landes Baden-Württemberg, also eigentlich öffentlich. EnBW muss sich nach der Schließung von drei seiner einst fünf Atomkraftwerke erheblich umorientieren.
Spätes Erwachen bei den vier Gemeinderats-Fraktionen
SPD, CDU, Grüne und Mannheimer Liste erklären nun fast genau ein halbes Jahr nach der Übernahme-Ankündigung von EnBW:
„Die Entscheidung der EnBW zur Aufstockung ihrer Anteile an der MVV ist kein rein unternehmerisches Handeln. Wie ein nahezu zu 100 % in öffentlicher Hand befindliches Unternehmen energiepolitisch agiert, ist stets auch eine politische Frage, zu der sich die Landesregierung verhalten muss, schließlich sitzt sie im Aufsichtsrat der EnBW nicht am Katzentisch.
Die mehrfach von EnBW erklärte Absicht, die Beteiligung an MVV als reine Finanzbeteiligung ohne strategisches Interesse zu betrachten reicht nicht aus. Zusagen, von weiteren Anteilskäufen abzusehen, gab es bereits in der Vergangenheit, die nicht eingehalten wurden. Eine erneute Beteuerung reicht deshalb nicht. Ein angeblich angestrebter Verkauf der aufgestockten Beteiligung ist außerdem kein zulässiges Argument, denn als Käufer eines so großen Anteils kommen nur aggressive Finanzinvestoren in Frage, die kein Interesse daran haben, an der Seite der Stadt Mannheim die Entwicklung der MVV Energie als unabhängiges Unternehmen der Energiewende weiter positiv zu begleiten. Der weitere Anteilskauf der EnBW muss aufgegeben werden.“
Der Ministerpräsident verkündet, er sehe kein Problem und er mische sich nicht in das operative Geschäft (Geldanlage) der EnBW ein.
Die MVV – bitterer Zucker für die Stadt Mannheim
Der Transfer wird sich kaum aufhalten lassen. Notfalls schaltet EnBW wie schon in der Vergangenheit Zwischenhändler ein. Wenn die Fraktionen nun fürchten, ihnen bzw. der Stadt Mannheim entgleite die Kontrolle über die MVV, so ist dies schon seit dem Zeitpunkt im Gange, als die MVV 1999 an die Börse gebracht wurde. Als börsennotiertes Unternehmen mit renditeorientierten Miteigentümern kann die Stadt ihr ehemaliges Stadtwerk nicht einfach wie einen Eigenbetrieb steuern. Und die Stadtväter und –mütter Mannheims verzichteten gerne darauf. Denn als die Stadtwerke unter Roland Hartung (CDU) als Aktiengesellschaft in die liberalisierte Energiemark-Haifischsee startete, durfte man bei entsprechend aggressiver Investitions- bzw. Aufkaufpolitik ordentliche Dividenden erwarten. Und in der Tat hat die MVV-Beteiligung der Stadt mit einer haudünnen Mehrheit von 50,1% in den letzten 10 Jahren eine Summe von ca. 300 Mio. Euro eingespielt. Diese waren hoch willkommen, um den Anteil der Stadt am regionalen Nahverkehrsdefizit auszugleichen. Sie kamen – kannibalistisch – teils aus aufgekauften anderen Stadtwerken.
Bei diesem Spaß hängt die Mehrheit der Stadt an der MVV schon lange am seidenen Faden, seitdem nämlich ihr Anteil im Wege des Verkaufs von Tafelsilber auf 50,1% runtergefahren wurde. Die Stadt muss nun notgedrungen jede Kapitalerhöhung der MVV ebenfalls mindestens mit 50,1% mitgehen, sonst ist die einstige Mehrheit nur noch eine „qualifizierte Minderheit“. Ob dafür immer das notwendige Geld vorhanden wäre, ist mehr als fraglich. Oder eben – wie jetzt eingetreten – es droht die Gefahr der Zusammenballung einer qualifizierten Minderheit, von der man ahnt, EnBW könne ihren Einfluss im eigenen Interessen ausüben, nicht zum Wohle der einstigen Mannheimer Stadtwerke. Wer im Haifischbecken schwimmt und frisst, läuft eben Gefahr, über kurz oder lang selbst angefressen zu werden. Wenn die Stadt Mannheim als Mehrheitseignerin auf Nummer Sicher gehen wollte, müsste sie das jetzt auf Wanderschaft gegangene Aktienpakete mit einem Börsenwert von derzeit ca. 94 Mio. Euro selbst zu kaufen versuchen. Das ist auch in Zeiten von ungeplanten Haushaltsüberschüssen zehn Nummern zu groß und zudem spekulativ.
Vielleicht sollten die vier Fraktionen ihre Empörung in schöpferische Energie umwandeln und überlegen, wie Mannheim seine Energie- und Wasserversorgung einschließlich der Müllverbrennung Schritt für Schritt in ein Stadtwerk rückverwandelt, um diese Teile der Daseinsvorsorge wieder in die unmittelbare Kontrolle und Gestaltungsfähigkeit zu bekommen. Stadtwerke sind schon lange wieder chic!
(Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE)