Stadtentwicklung Neckarstadt-West | Wie agiert die Stadt Mannheim?

Eine kritische Antwort auf den Artikel „Gentrifizierung: kreatives Netzwerken in der Image City“ 

Im Kommunalinfo online und in der Printausgabe vom 06.09.2018 setzt sich der Autor Patrick Kokoszynski kritisch mit der Politik der Stadt Mannheim bzgl. der Entwicklung des Stadtteils Neckarstadt-West auseinander.

Die Kritik lässt sich auf folgende Thesen herunterbrechen: In der Neckarstadt-West findet ein Prozess der Gentrifizierung statt, d.h. Austausch der alteingesessenen Bevölkerung durch  gut betuchte neue Bevölkerungsschichten. Immobilieninvestoren kaufen alte Häuser mit bisher niedrigen Mieten auf, sanieren die Häuser, um die Wohnungen dann teuer weiterzuvermieten oder in Eigentumswohnungen umzuwandeln.  Der Prozess der Gentrifizierung wird nach seiner Lesart von der Stadt unterstützt. Das Etablieren einer „Kreativwirtschaft“ spiele hierbei eine entscheidende Rolle. Die Stadt handle aus einem Guss und stelle ihr Handeln als alternativlos dar.

Insbesondere bezieht sich der Autor hierbei auf den Stadtentwicklungsberater Konrad Hummel , den er zweimal zitiert, aber auch auf Oberbürgermeister Peter Kurz.

Neckarstadt = Jungbusch?
Das eine Zitat bezieht sich auf den Stadtteil Jungbusch, wobei hier die Popakademie, sog. Startup-Unternehmen und Kreativwirtschaft tatsächlich stark in die bisherige wirtschaftliche und soziale Infrastruktur eingegriffen haben. Das hat positive, aber auch negative Folgen, die in ihrer Vehemenz von der Verwaltung und Politik unterschätzt worden sind. Mit dem Aufkauf von Problemimmobilien durch die Stadt und die GBG  reagiert die Stadt, allerdings viel zu wenig und zu zögerlich. Mit den Investoren soll das Gespräch für freiwillige Vereinbarungen gesucht werden

Ob das viel bringt, sind zu recht Zweifel angebracht.

Verbesserung des Umfelds umstritten
In der Neckarstadt-West allerdings handelt es sich bei der sog. Kreativwirtschaft im Unterschied zum Jungbusch um kleine Fische. Alternative Cafés, Kulturkioske, Kleinläden wie der Vintageladen  sind wirtschaftlich betrachtet eher Kleinstunternehmen. Zusammen mit dem mit öffentlichen Geldern umgebauten Volksbad können sie tatsächlich eine Bereicherung sein und den Trend zu leerstehenden Ladengeschäften, Wettbüros oder Spielhallen mit angeschlossener Kneipe wie er in der Mittelstraße zu besichtigen ist, aufhalten. Warum das schlecht sein soll, darauf bleibt der Autor eine Antwort schuldig.

Die Unterbringung des Mannheimer Stadtarchivs im ehemaligen Ochsenpferchbunker ist ein Leuchtpunkt für die Neckarstadt-West, aber mit der öffentlichen Dauerausstellung zur NS-Geschichte u.a. auch ein Meilenstein für die Gesamtstadt. Für den Autor aber ist das MARCHIVUM nur „ein neuer Spot zu einer Keimzelle allgemeiner Aufwertung der Kreativbranche“. Das scheint mir doch schon eine sehr einseitige Wahrnehmung zu sein.

Ähnlich scheint es mir bei der sehr ausführlichen Befassung mit dem Projekt „Haltestelle Fortschritt“ zu sein. Wie der Autor richtig feststellt, gab es bei der angesprochenen Podiumsdiskussion ein Podium für den Geschäftsführer des Immobilienverwalters Hildebrandt & Hees. Wenn der Autor deswegen die Veranstalter kritisiert, so sollte er aber doch auch erwähnen, dass auch gentrifizierungskritische ExpertInnen auf dem Podium saßen und interessante Inputs gegeben haben. Aber was offensichtlich nicht sein kann, das darf auch nicht sein. Oder warum erwähnt der Autor nicht, dass zur Belebung dieses Teils am Alten Messplatz, kostenlos Spiel- und Sportgeräte ausgegeben. Das mag man alles für zu wenig halten, aber einfach nicht der Rede wert?

Gänzlich unerwähnt: Die geplante Sanierung der Neckarstadt-West
Am 24 Juli dieses Jahres hat der Gemeinderat der Stadt Mannheim beschlossen, den Großteil der Neckarstadt-West zu einem Sanierungsgebiet zu erklären. Die Dauer ist bis 31.12.2032 angelegt. Eine Beschlussfassung zu einem Sanierungsgebiet setzt bestimmte Bedingungen voraus, die aber offensichtlich gegeben sind. Der öffentliche Raum weist große Mängel aus und die Baustruktur der Gebäude ist zu 85 bis 90% sanierungsbedürftig.

Die Erklärung zum Sanierungsgebiet hat weitreichende Konsequenzen.

Die wichtigsten seine genannt:

  • Öffentlicher Raum wie der zentrale Platz Neumarkt, die Neckarwiese und die Mittelstraße sollen durch gestalterische Maßnahmen etc. aufgewertet werden.
  • Die Sanierungen von sanierungsbedürftigen Häusern sind im Sanierungsgebiet steuerlich begünstigt und könnten ebenfalls durch Gelder vom Bund/Land gefördert werden.
  • Die Stadt hat bei allen Hausverkäufen, die dem Ziel der Sanierung widersprechen ein Vorkufsrecht.

 Nach groben Schätzungen der von der Stadt beauftragten „Regioplan“ könnten die Sanierungsmaßnahmen eine Höhe von 17,3 Mio. € haben; 7,8Mio. könnten demnach von Bund/Land  beantragt werden.

Auch vieles anderes bleibt im besagten Artikel des Autors unerwähnt wie z.B. der Ausbau der Ganztagesgrundschulen. Oder viele andere von der Stadt unterstütze Dinge wie der Ausbau der Schulsozialarbeit, 1qm Bildung, Leseladen mit Lesepaten. (Nachträgliche Klarstellung vom 26.10.2018: der Leseladen wird nicht von der Stadt Mannheim betrieben sondern von „ikubiz Interkulturelles Bildungszentrum Mannheim gGmbH“ – Roland Schuster) Nun kann man m.E. zurecht sagen, dass Dieses oder Jenes unzureichend ist oder getan werden müsse. Aber so zu tun, als ob gar nichts gemacht wird, geht doch an der Wirklichkeit vorbei.

Ich widerspreche dem Autor ganz klar, wenn er sagt, dass von der Stadt Mannheim „Kreativwirtschaft statt Sozialpolitik“ bzw. „Sozialpolitik auf dem Umweg der Gentrifzierung“ betrieben wird.

Die Gefahr der Gentrifizierung ist real
In diesem Punkt hat der Autor Recht. Auch in der Neckarstadt-West sind die Gefahren der Gentrifizierung gegeben und immer mehr spürbar. Ja, das ist ja das scheinbar Widersinnige: Jede Aufwertung und jede Sanierung, so positiv diese auch sein möge, führt zu einer Steigerung des Immobilienwerts und damit zu Steigerung der Boden- und Mietpreise.

Ursächlich Schuld daran sind aber nicht diese oder jene Sanierungsmaßnahme sondern die herrschenden Eigentumsverhältnisse und der real existierende Kapitalismus. Und der Umstand, dass  Boden und Wohnen immer mehr zu einem lohnenden Spekulationsgegenstand geworden sind

Es wäre in der Tat notwendig, eine Debatte darüber zu führen, inwieweit Bund, Land oder die Kommune in den Wohnungs- und Bodenmarkt regulierend eingreifen sollen und können.

Kommunalpolitik – alternativlos?
Die Kommune kann in vielen Dingen nur begrenzt was tun. Aber manches kann sie doch machen. Das erwähnte Vorkaufsrecht, sollte die Stadt offensiv im Sinne des Erhalts preisgünstigen Wohnraums wahrnehmen. In der Regel überlässt die Stadt diesen Part der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG. Aber die scheint hierbei eine viel zu abwartende Rolle einzunehmen.

Die vom Autor wahrgenommene „Logik der Alternativlosigkeit“ städtischer Entwicklungspolitik gibt es nicht. Sie ist im Gegenteil im Gemeinderat heiß umstritten. Ob die Stadt in das wohnungspolitische Marktgeschehen eingreift oder nicht, das ist ein großer Streitpunkt im Gemeinderat, und steht auf des Messers Schneide. Das haben wir bei der Beschlussfassung des 12-Punkte-Wohnungsbauprogramm mit dem Kernpunkt einer Quote von 30% bezahlbaren Wohnraums gesehen und das wird man dann auch bei der Auseinandersetzung um die Wahrnehmung des Vorkaufsrechts der Stadt sehen.

Das wird dann in die eine oder andere Richtung und je nach politischen Kräfteverhältnissen gehen – alternativlos ist da gar nix.

Resümierend will ich am Schluss feststellen:
Dem Autor ist zuzustimmen, dass natürlich eine Auseinandersetzung um Wohnungspolitik, preiswerte Wohnungen und Stadteilentwicklung notwendig ist. Und da muss sehr viel mehr getan werden, als bisher getan worden ist. Die Politik der Stadt Mannheim ausschließlich über den Punkt Kreativwirtschaft festzumachen, greift aber viel zu kurz und geht letztlich daneben.

Und noch was Persönliches:
Der vom Autor heftig angegangene Konrad Hummel ist sehr engagiert und ehrenamtlich tätig beim Aufbau von Sozialstrukuren von Unten in der Neckarstadt-West wie dem Jugend-, Kultur- und Sportverein mit vielen ehrenamtlichen Aktiven von Schülern, Eltern oder z.B. Leuten, die einfach was für die Neckarstadt und das Gemeinwesen machen wollen.

Roland Schuster

Bezirksbeirat Neckarstadt-West DIE LINKE