Mannheimer Vater-Sohn-Duo wegen gewerbsmäßigem Betrug zu Haftstrafen verurteilt – Kfz-Zulassungsbehörde Rhein-Neckar involviert
Am 21.12.18 wurde vor dem Amtsgericht Mannheim das Hauptverfahren gegen zwei Automobilhändler u.a. wegen des Verstosses gegen das Bundesdatenschutzgesetz verhandelt. Den Angeklagten wurde zur Last gelegt über einen längeren Zeitraum einen schwunghaften, bandenmäßig organisierten Handel mit Kfz-Kurzzeitkennzeichen betrieben zu haben. Hierbei sollen sie u.a. unbefugter Weise personenbezogene Daten rechtswidrig verarbeitet haben. In diesem Prozess nicht näher beleuchtet wurde, welche Rollen ein in Walldorf ansässiger, bundesweit agierender Dienstleister für Kfz-Kennzeichen und -Dokumente und die Kfz-Zulassungsbehörde in Wiesloch in diesem mutmaßlich bandenmäßig betriebenen Strafverfahren spielten bzw. noch spielen werden. Es ergingen moderate Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. (Aktenzeichen: 2 Ls 629 Js 697/16)
Ermittlungen liefen seit Ende 2014
In einer Pressemitteilung des Amtsgericht Mannheim vom 11.12.18 war zu lesen:
„Den Angeklagten, ein 63-jähriger Mann und dessen 27-jähriger Sohn, wird unbefugte Verarbeitung von personenbezogenen Daten vorgeworfen. Die beiden Angeklagten, die in Mannheim als Autohändler tätig sind, sollen im Zeitraum von November 2012 bis April 2014 zusammen mit weiteren, gesondert verfolgten Personen, u.a. auch mit Verantwortlichen der Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises in Wiesloch, einen schwunghaften Handel mit Kfz-Kurzzeitkennzeichen betrieben zu haben. Dabei ging es ihnen darum, durch den Verkauf von solchen Kennzeichen an Personen, die nicht in die jeweiligen Fahrzeugpapiere der Kennzeichen eingetragen waren, erhebliche Gewinne zu erzielen. Die Angeklagten sollen bei der zuständigen Behörde Anträge unter Angabe von Personalien von Personen, die hiervon weder etwas wussten, noch damit einverstanden waren gestellt haben. Dabei sollen sie als Teil eines bundesweiten Systems agiert haben, welches mit Kurzeitkennzeichen handelte. Die von den Angeklagten bei Antragstellung angegeben Personalien seien in den Fahrzeugregistern u.a. zu Zwecken der Auskunft über Halter gespeichert worden. Die bei der Behörde angegeben Personalien seien dabei mehrmals zur Antragstellung verwendet worden sein, in einem Fall 197-mal. Strafantrag wurde von mehreren geschädigten Personen sowie dem Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg gestellt.“
Bereits im November und Dezember 2014 berichteten verschiedene Redaktionen über den Gesamtkomplex. Die Schlagzeilen damals lauteten bspw. „Bestechung in der Wieslocher Zulassungsstelle? (Rhein-Neckar Zeitung)“, „Korruption in Kfz-Zulassungsstelle? (Mannheimer Morgen)“ oder „Kennzeichen HD-04 / Eine Behörde in Baden-Württemberg machte mit der Vergabe von Kurzzulassungen Kasse – und leistete damit Straftaten Vorschub. (Der Spiegel)“. (Quellennachweise sind am Ende dieses Artikels zu finden)
Der mutmaßlich bandenmäßig organisierte Betrug soll Erlöse von mindestens € 2,6 Mio. erbracht haben.
Kommissar Zufall am Werk
Verschiedenen Behörden bundesweit fiel bereits seit 2013 auf, dass bei diversen Delikten Fahrzeuge mit einem z.B. HD (Heidelberg) Kfz-Kurzzeit-Kennzeichen involviert waren. Ebenso auffällig war, dass die vergleichsweise kleine Zulassungsbehörde Rhein-Neckar überdurchschnittlich viele dieser auf 5 Tage beschränkte Kurzzeit-Kennzeichen ausgegeben hatte. Recherchen polizeilicher Ermittlungsbehörden förderten zutage, dass die angeblichen Halter der Kraftfahrzeuge, die bei unterschiedlichen Delikten (z.B. bei Tankstellenbetrug und Parkverstössen) auffällig geworden waren, keine Kenntnis darüber hatten, dass auf ihre Namen ein Kennzeichen beantragt worden war. Beispielhaft erwähnt wurde ein vermeintlicher Kfz-Halter aus Ludwigshafen/Rhein, der auf Anfrage der Ermittler zu Protokoll gab, dieses Fahrzeug niemals angemeldet zu haben.
Wie ein Zeuge einer Ermittlungsbehörde heute vor Gericht aussagte, handelte es sich wohl um ein auf Dauer angelegtes System mit vielzähligen Beteiligten.
Geschädigte Personen und der Datenschutzbeauftragte in Baden-Württemberg hatten Strafanzeigen gestellt.
Kriminalforensik und Fragen: Wie funktionierte das kriminelle System? – Aus welchem Grund vereinbarten Gericht und Verteidigung einen strafmildernden „Deal“ im Vorfeld?
Die weitestgehend geständigen Angeklagten sagten aus, dass sämtliche Vorwürfe aus der Anklageverlesung durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft Mannheim zutreffend sind. Sie waren während der Beweisaufnahme derart redefreudig, dass die beiden Strafverteidiger eine Verhandlungspause beantragten, um sich mit ihren Mandanten zu besprechen.
Das Vater-Sohn-Duo sagte aus, dass sie von dem in Walldorf ansässigen Dienstleister für Kfz-Kennzeichen- und Dokumente (Name der Redaktion bekannt) kontaktiert worden wären, mit dem Angebot Kurzzeitkennzeichen bei der Behörde in Wiesloch zu beantragen und um diese dann im Anschluss weiter zu veräußern. Daraufhin wurde die bisherige Gewerbeanmeldung „An- und Verkauf von Fahrzeugen“ erweitert um „Vermittlung von Kfz-Kennzeichen“. Die Kosten für die online zu beantragenden Kfz-Kennzeichen lagen im Bereich von € 50 – 60,-; zu zahlen an den „Dienstleister“. Der Dienstleister soll bei der Zulassungsbehörde, früheren Medienberichten zufolge, einen wegen seines hohen Bestellvolumens spannenden Rabatt erhalten haben: € 5,10 versus regulär € 10,20 pro Kennzeichen. Weiter veräussert sollen die Kennzeichen worden sein zu einem Preis von rd. € 130,- . Für die Beantragung der Kennzeichen wurden mehrheitlich Daten von Personen verwendet, die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland haben. Entsprechend komplex und zeitaufwendig gestalteten sich die Ermittlungsarbeiten. Zur Online-Beantragung eingereicht wurden per E-Mail durch die Angeklagten Dokumente im „PDF-Format“ als Dateianlage. In über 1000 Fällen wurde so verfahren. Zur Identität der vermeintlichen Nutzer der Kennzeichen wurden Passkopien benutzt. Woher diese stammten konnte am Prozesstag nicht festgestellt werden.
Während einer Durchsuchung der Ermittlungsbehörden bei den angeklagten Autohändlern in Mannheim wurden verschiedene Aservate und Beweismittel gesichert. U.a. wurden kriminaltechnisch, forensisch untersucht ein PC, eine externe Festplatte und Smartphones. Diese forensischen Untersuchungen brachten zutage, dass bspw. Dateien mit Windows-Word und Acrobat (PDF) und einem Grafikprogramm bearbeitet und manipuliert wurden. Verbindungsdaten per E-Mail mit den Beschuldigten im Gesamtkomplex konnten von den Ermittlern ebenso gesichert werden, wie verschiedene Datenverkehre über Smartphones.
Eine Verstrickung der Kfz-Zulassungsbehörde Wiesloch in den Komplex wurde deutlich durch die Zeugenvernehmung und die Verlesung einer umfangreichen Aktennotiz eines weiteren polizeilichen Ermittlers durch den vorsitzenden Richter Dr. Reichhardt. Hiermit wurde bekannt, dass bis dato gegen mehr als zwei Dutzend Beschäftigte der Zulassungsbehörde Rhein-Neckar gerichtsbewährte Strafbefehle ergangen sein sollen.
Am Prozesstag wurde bekannt, dass vorab zwischen Gericht und Verteidigung ein „Deal“ vereinbart worden war. Der vorsitzende Richter verlas die Vereinbarung, die an Konditionen geknüpft ist. „Die Beklagten müssen sich geständig zeigen und ein Schuldbewußtsein erkennbar machen.“ Aus welchem Grund eine solche Vereinbarung, die zum Ziel hatte strafmildernd zu wirken, überhaupt bei der bekannten Beweislage gemacht wurde, wurde vor Gericht nicht erläutert und erschließt sich dem Beobachter auch in keiner Weise.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung – Hand in Hand
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft Mannheim forderte in seinem Plädoyer, nach vielfältigen Abwägungen, für die Angeklagten jeweils Haftstrafen von 1 Jahr und 6 Monaten, welche auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden sollen. Zudem sollen den Beklagten Auflagen erteilt werden. Die Verteidiger der Beklagten und ihre Mandanten schließen sich diesem Antrag ohne Widerspruch an.
Im Namen des Volkes: moderates Urteil – Gericht hat Zeit gespart
Der vorsitzende Richter Dr. Reichhardt sprach ein Urteil aus, welches sich am unteren Ende der Möglichkeiten bei der Strafzumessung befindet. Zugunsten der Angeklagten werteten der Vorsitzende und die Schöffen in ihrem Urteil, dass die Beklagten sich geständig zeigten und damit die Verhandlungszeit vor Gericht erheblich reduziert hätten. Obschon diese in ihren Aussagen gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gewisse Mängel erkennen liesen, was das Schuldbewußtsein und die Schuldanerkennung angingen. Bei der Strafzumessung berücksichtigt wurde auch, dass die Ermittlungen sehr viel Zeit beansprucht haben.
Es ergingen folgende Urteile:
Vater und Sohn wurden jeweils zu 1 Jahr und 6 Monaten Haft wegen gemeinschaftlichem, gewerbsmäßigem Betrug verurteilt. Diese Haftstrafen sind auf 2 Jahre auf Bewährung ausgesetzt.
Der Senior (63 Jahre), der mit über einer halben Million Euro verschuldet ist, erhielt zudem zur Auflage 160 Stunden soziale Arbeit abzuleisten.
Der Junior (27 Jahre) und bereits wegen anderer Delikte vorbestraft, soll nach Entscheidung des Gerichts als Auflage € 4.000.- an eine gemeinnützige Einrichtung in Mannheim bezahlen (Name der Redaktion bekannt).
Die Verfahrenskosten haben die beiden Angeklagten zu tragen.
Rechtsmittel können gegen das Urteil eingelegt werden; damit ist das Urteil derzeit nicht rechtskräftig.
Quellennachweise zur zitierten Berichterstattung 2014:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130754207.html
(Bericht und Fotos: Christian Ratz)