Jungbuschvereinbarung: Soziales Krisenmanagement der Marke SPD
Im Januar 2019 sorgte ein Facebook-Beitrag der Mannheimer SPD-Politikerin Isabel Cadematori für einiges Erstaunen bei unabhängigen Beobachter*innen der städtischen Wohnpolitik. Cadematori stellte in diesem Beitrag das erste Mal die sogenannte Monitoring-Gruppe Jungbusch der Öffentlichkeit vor.
Sie schrieb:
„Morgens halb zehn im Jungbusch. Rundgang mit dem Quartiermanagement, Verwaltung, Anwohnern, Kreativen, Gastronomen, Hauseigentümern uvm
Bei -5 Grad geht es um das Thema Verkehr in der Fußgängerzone, Gestaltung des Spielplatzes und des Sackträgerplatzes. Wir sind hart im nehmen wenn es um die Gestaltung eines lebenswerten Jungbuschs geht“
Im Kommentarbereich des Beitrags regte sich schnell Unmut über den halböffentlichen Charakter der Gruppe. Obwohl mit Cadematori und Petar Drakul Vertreter*innen der Stadtpolitik maßgeblich an der Gruppe beteiligt waren, aber auch Einwohner*innen unter den Anwesenden waren, regte sich die Frage, wie die Gruppe sich zusammensetzt, welche Legitimitätsansprüche sie stellt, und welche Agenda sie verfolgt. Die Frage stellte sich umso dringender, als sich unter der kleinen Schar von Personen, die das beigefügte Foto zeigte, auch Marcel Hauptenbuchner befand. Hauptenbuchner ist Geschäftsführer der Mannheimer Immobilienfirma Hildebrandt&Hees, deren Aktivitäten im Laufe der letzten drei Jahre maßgeblich verantwortlich für die Zuspitzung der sozialen Konflikte im Jungbusch waren ( KIM Artikel) .
Ein weiteres Foto zeigte zudem Cadematori selbst, die sich durch ein Selfie persönlich eng mit der Monitoring-Gruppe und ihren Aktivitäten identifizierte, deren Ziel es, einem weiteren Statement zufolge ist, für „ein besseres Zusammenleben“ im Stadtteil einzutreten.
Cadematori war während der aktivistischen Interventionen der Gruppe Wem gehört die Stadt? im Laufe des Jahres 2017 bereits als Vertreterin der SPD in Erscheinung getreten, wobei sie stets bemüht war, die sozialen Forderungen in der Gruppe im Hinblick auf die Interessen der Stadt und Immobilieneigentümer zu relativieren. Ein Anliegen, das nun in die Konzeption ihrer eigenen Gruppe eingegangen zu sein scheint.
Es zeichnet sich das Profil einer jungen Politikerin ab, die mit Kenntnis der Mechanismen von Social Media und einem feinen Gespür für Selbstvermarktung, die Debatte um den Jungbusch als willkommene Plattform sieht, sich im Hinblick auf die Kommunalwahlen am 26. Mai als Expertin für Wohnkonflikte im Jungbusch ins Gespräch zu bringen. Vor allem scheint aber die Vermittlung zwischen Profitinteressen von Akteuren aus der Immobilien- und Kreativ-Wirtschaft, und den Einwohner*innen der boomenden Viertel Jungbusch und Neckarstadt zu ihren Kernkompetenzen zu gehören.
Am 07. Mai schließlich, lancierte die von Cadematori moderierte Monitoring-Gruppe über den Mannheimer Morgen die sogenannte „Jungbusch-Vereinbarung “Jungbusch-Vereinbarung” . Eine liste vager Punkte, in welcher sich Vermieter*innen, Kreative, Gastronom*innen und Einwohner*innne, auf freiwilliger Basis zu einem Set von Regeln bekennen. Unterstützer*innen stehen im Vorfeld noch nicht fest, sondern sollen in den kommenden Monaten durch Gespräche gewonnen werden. Einige Punkte betreffen eine Art von Stadtteil-Etikette, die man einführen will, nachdem Einwohner*innen in den letzten Monaten, aufgrund von immer weiter eskalierender Lautstärke, und der aus dem Nachtleben resultierenden Verwahrlosung des Straßenbildes, protestierten. Die Monitoring-Gruppe möchte, dass nicht mehr so viel Leergut auf dem Bürgersteig herumsteht, und dass – so wörtlich – „nicht in Hauseingänge gepinkelt wird“. Bei diesen Anliegen kann man der Gruppe nur bestes Gelingen wünschen!
Die inhaltlichen Kernpunkte der Vereinbarung jedoch, versuchen sich in der Quadratur des Kreises. Die – aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Status – entgegengesetzten Interessen von Einwohner*innen, soll nicht nur mit jenen von Gastronom*innen in ein harmonisches Verhältnis gebracht werden, nein, sogar Vermieter*innen – allen voran der explizit zur Monitoring-Gruppe eingeladene Geschäftsführer von Hildebrandt&Hees – sollen zugunsten von Altmieter*innen freiwillig davon absehen, mit Einkommensstarken Neumieter*innen Profite zu erwirtschaften. Könnte dieser Punkt noch, mit sehr viel gutem Willen, als Frucht einer naiven Auffassung von Mietverhältnissen in boomenden Großstadtquartieren angesehen werden, so macht ein leicht zu übersehender Satz am Anfang Vereinbarung schnell deutlich, worin die eigentlichen sozialen Interessen der Monitoring-Gruppe bestehen. So schließt der erste und umfangreichste Punkt der Vereinbarung, welcher die Eigentumsfrage der Immobilien im Stadtteil zum Thema hat, mit der unscheinbaren Bemerkung:
„Bei Mietkonflikten werden zunächst keine Anwälte, sondern das Quartiermanagement angerufen. Mieterinnen und Mieter werden durch vermittelnde Angebote unterstützt – wir sprechen bei Konflikten miteinander.“
Es ist schwer in einer solchen Positionierung keinen Wink mit den Zaunpfahl an Organisationen wie den Mannheimer Mieterverein zu sehen, welcher Mieter*innen, die in Konflikt mit Hauseigentümer*innen stehen, seit Jahren kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung stellt. Gerade im Jungbusch, wo die Betroffenen von Hildebrandt&Hees‘ aggressiven Interventionen auf dem Immobilienmarkt oftmals ausländischer Herkunft sind, und somit bereits in sprachlicher Hinsicht offensichtlich im Nachteil gegenüber den Eigentümern, ist dieser Punkt ein deutliches Zeichen: Entpolitisierung der sozialen Frage im Jungbusch zugunsten einer Rhetorik der Harmonie, welche sich bereits jetzt Zuungunsten der im Jungbusch vertretenen Minderheiten auswirkt.
Man wird an dieser Stelle noch einmal daran erinnern dürfen, dass die aktuelle Situation im Jungbusch die Folge einer seit der Mitte der Nullerjahre durchgeführten Stadtentwicklungsstrategie der SPD-Regierung Mannheims darstellt. Stadtentwicklung wurde hier, wie eine zu diesem Thema entstandene Masterarbeit im Fach Stadtplanung es auf den Punkt brachte1, unmittelbar auf dem Wege der Gentrifizierung betrieben. Die SPD als Partei stand in der Geschichte der Bundesrepublik schon oft für die Scheinbeseitigung sozialer Konflikte zugunsten wirtschaftlicher Eliten. Cadematori folgt also der ureigenen Logik ihrer Partei, wenn sie die Effekte früherer Phasen der SPD-Politik und der daraus resultierenden sozialen Spannungen, auf der Basis einer fadenscheinigen „Vereinbarung“ unter den Teppich kehren will.
Das Bild von der Monitoring-Gruppe Jungbusch und ihrer Funktion als einer Art Potemkinschen Dorfes der Stadtregierung, wird von einem anekdotischen Vorfall abgerundet: Mitarbeiter des Kulturzenturms Kulturbrücken Jungbusch, welches seit Jahren ehrenamtlich Beratungsarbeit unter den Minderheiten im Jungbusch leistet, waren in der Monitoring-Gruppe explizit nicht erwünscht. Als Begründung wurde angegeben, dass keine Vertreter*innen von Institutionen in der Gruppe vorgesehen seien. Was der Stadtteilmanager Michael Scheuermann oder Figuren wie Hauptenbuchner und Sahra Hähnle, die als Vertreterin der „Kreativszene“ an der Monitoringgruppe teilnimmt, neben einer handverlesenen Schar von „Einwohner*innen in der Gruppe zu suchen haben, wenn doch Institutionen nicht erwünscht sind, wurde nicht erläutert. Die Vorstellung, dass jemand abseits von städtisch kontrollierten Kanälen, den Unmut der von Verdrängung bedrohten Einwohner*innen organisieren könnte, scheint den Verantwortlichen zuwider.
Isabel Cadematoris Gesicht prangt seit April nicht mehr nur auf Facebook, sondern im Vorfeld der Kommunalwahl auch an jeder Straßenecke der Stadt. Als career move innerhalb der kränkelnden SPD hat sich das Projekt Monitoring-Gruppe für sie auf jeden Fall gelohnt.
1Heil, Volker: Stadterneuerung durch Gentrifizierung: Identifikation und Steuerungsmöglichkeiten. Das Beispiel Mannheim-Jungbusch, Stuttgart 2013
Autor: Patrick Kokoszynski