Versammlungsrecht: Stadt Mannheim stand als Beklagte vor Gericht und unterliegt

Im April 2017 hätte eine angemeldete Demonstration in Mannheim stattfinden sollen. Diese wurde von der Verwaltung per Verbotsverfügung untersagt. Die Anmelderin der Demonstration reichte daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein (AZ 1 K 9981/17). Diese wurde am 27.05.19 öffentlich verhandelt. Vertreter der Stadt und des Polizeipräsidiums Mannheim gaben am Verhandlungstag kein gutes Bild ab. Im am 29.05.19 mündlich verkündeten Urteil stellt das Gericht fest, dass die Stadt Mannheim rechtswidrig gehandelt hatte.

 

Rückblende

Für den 08.04.17 hatte ein Bündnis eine Demonstration in Mannheim mit dem Titel „Staatsterrorismus stoppen! Weg mit dem Verbot der PKK!“ angemeldet. Dieses Bündnis bestand aus der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) organisiert in der Interventionistischen Linke (iL), Linksjugend Mannheim, der  Interventionistischen Linke Rhein-Neckar (iL Rhein-Neckar) und Ciwanên Azad Rhein-Neckar. In einer Pressemitteilung der AIHD wurde am 22.05.19 mit Bezug auf den anstehenden Gerichtsprozess in Karlsruhe vermeldet:

„Nachdem die beiden ursprünglich angesetzten Verhandlungstermine verschoben wurden, verhandelt das Verwaltungsgericht Karlsruhe nun am 27. Mai 2019 über die Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots, das die Stadt Mannheim im April 2017 verhängt hatte.

Zum Hintergrund:
Für den 10. April 2017 hatte ein Bündnis kurdischer und kurdistansolidarischer Gruppen aus der Rhein-Neckar-Region in Mannheim eine Demonstration unter dem Titel „Staatsterrorismus stoppen! Weg mit
dem Verbot der PKK!“ angemeldet. Der Protest sollte sich gegen die Verfolgung von oppositionellen und kurdischen Gruppen in der Türkei und gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der BRD richten, in deren Zentrum das 1993 verhängte Verbot der PKK steht. Der Zug sollte die Forderungen nach einem Ende der Repressalien in der Mannheimer Innenstadt sichtbar machen. Nachdem mit dem Ordnungsamt der Stadt Mannheim in einem ersten Kooperationsgespräch geringfügige Routenänderungen aufgrund von Baustellen abgesprochen worden waren, vollzog die Behörde wenige Tage vor der Demonstration plötzlich eine 180-Grad-Wende und verbot die Demonstration komplett.
Zur Begründung wurden ausschließlich Gemeinplätze bemüht, darunter ein angeblich angestiegenes „Aktions- und Aggressionsniveau der gewaltbereiten Linksextremisten“ sowie ein pauschal unterstelltes „bei den jungen Kurden vorhandenes Gewaltpotenzial“. Als Belege führte die Stadt Mannheim mehrere kurdische Versammlungen an, bei denen es – häufig provoziert durch türkische Rechte – zu Konflikten gekommen sein sollte. Außerdem verwies die Ordnungsbehörde auf das wenige Tage zuvor
verschärfte Verbot praktisch aller Kennzeichen kurdischer Organisationen, darunter auch zahlreicher völlig legal arbeitender Vereine; man erwarte Verstöße gegen diese neue Regelung. Da angesichts der brutalen Verfolgungen in der Türkei nach dem „Putschversuch“ im Sommer 2016 die Emotionalisierung bei diesem Thema besonders hoch sei, könne eine Demonstration dazu nicht stattfinden.
Die einzigen Punkte, die die Stadt Mannheim mit direktem Bezug auf die angemeldete Demonstration vorbrachte, waren ein Facebook-Post im Vorfeld, das ein Foto von vermummten Teilnehmern einer
1.-Mai-Demonstration in Istanbul zeigte, sowie ein Mobilisierungs-Video, in dem verbotene Symbole und Graffiti zu sehen waren.  Eine konkrete Gefahr durch die angemeldete Demonstration zeigte die
Versammlungsbehörde nicht auf. Die pauschalen Unterstellungen von denkbaren Straftaten und die inkriminierten Facebook-Veröffentlichungen sind als Begründung für die Aufhebung eines zentralen Grundrechts wie der Versammlungsfreiheit absolut untauglich. Das will die Anmelderin mit
ihrer Klage gerichtlich festgestellt wissen.
Die Verhandlung findet am Montag, 27. Mai 2019 um 11.30 Uhr im
Sitzungssaal 1 des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Nördliche
Hildapromenade 1, Erdgeschoss) statt.“

Anmerkung der Redaktion: Tatsächlich angemeldet war die Demo für den 08. April 2017.
KIM hatte berichtet https://kommunalinfo-mannheim.de/2017/04/04/wir-sind-nicht-unbedingt-geschockt-weil-wir-von-der-doppelmoral-wissen-interview-mit-der-kurdischen-jugend-ciwanen-azad/

Der Gerichtsprozess beginnt mit einem Paukenschlag 

Drei Berufsrichter, unter dem Vorsitz von Herrn Vogel, und zwei ehrenamtliche Richter bot das Verwaltungsgericht am Verhandlungstag auf. Für die Beklagte fanden sich Frau Aumüller (Stadt Mannheim; Fachbereich Sicherheit und Ordnung) und Polizeidirektor B. Bühler (Polizeipräsidium Mannheim) ein. Die Anmelderin und somit Klägerin, Silke Makowski, mit Rechtsbeistand RA Heiming waren ebenso vor Gericht vertreten. Die Verhandlung wurde von Zuschauern begleitet.

Gleich zu Beginn stellte Frau Aumüller den Antrag die Klage abzuweisen. Der Vorsitzende stellte dieses Ansinnen zurück und wollte zuerst in die Beweisaufnahme eintreten.

Kooperationsgespräche und Verbotsverfügung 

Im Vorfeld der für den 08.04.17 angemeldeten Demonstration fand am 21.03. ein erstes Kooperationsgespräch statt. Was als übliche Praxis betrachtet werden kann. Laut den Einlassungen der Prozessbeteiligten vor Gericht, verlief dieses zielorientiert und zeigte Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten, was z.B. die Demo-Route anging. Es war davon auszugehen, dass die Veranstaltung unter Auflagen stattfinden kann.

Total überraschend für die Anmelderin kam eine Einladung zu einem zweiten Kooperationsgespräch am 31.03.17, welches eher unüblich ist.

Dort wurde der Anmelderin klar gemacht, dass eine Demo unter keinen Umständen genehmigt werden wird. Maximal eine stationäre Kundgebung in Mannheim – unter strengen Auflagen – und mit starkem Polizeiaufgebot (inklusive Wasserwerfer). Die beklagte Partei im Prozess widersprach dieser Darstellung und berief sich auf die Verbotsverfügung (liegt dieser Redaktion vor).

Der Vorsitzende stellte fest, dass man an dieser Stelle nicht weiterkommen würde, da Aussage gegen Aussage stehen würde, und stieg tiefer in die Beweisaufnahme ein.

Die Motivation der Behörden die Veranstaltung zu untersagen wurde infrage gestellt / Welche Rolle spielten dabei Erkenntnisse von Verfassungs- und Staatsschutzbehörden? 

Die Richter des Verwaltungsgerichts wollten wissen, ab welchem Zeitpunkt bestimmte Verdachtsmomente bestanden, die Veranstaltung zu verbieten und ob es hierfür schriftliche Belege gäbe, die sich nicht in der Gerichtsakte befinden. Zudem wurde gefragt, ob es bei der Anmelderin Zweifel gibt, als Versammlungsleiterin zu fungieren.

Die erste Frage des Vorsitzenden, ob der Stadt Mannheim der damals neue Erlass des Bundesinnenministerium (erweitertes Verbot bzgl., Zeigen pro-kurdischer Symbole/Vereinsgesetz) bekannt gewesen sei, konnte Frau Aumüller nicht beantworten. RA Heiming sagte, dass dieser Erlass Thema des ersten Kooperationsgesprächs war und entsprechende Unterlagen verteilt wurden.

Polizeidirektor B. Bühler führte an, dass ein Mobilisierungsvideo, illegal geklebte Plakate und Graffitis zusammen mit Erkenntnissen der Verfassungs- und Staatsschutzbehörden das Verbot gerechtfertigt haben.

Die Rechtfertigung der beklagten Partei fußte auf der Annahme, die öffentliche Ordnung und die Unversehrtheit für Leib und Leben, unbedingt gesichert wissen zu wollen. „Provokationen den Demoteilnehmern“ gegenüber wollte man Vorhalt gebieten, gewaltbereite Linksautonome wollte man nicht sehen in Mannheim.

Das Gericht wollte wissen, ob Bühler schriftliche Belege für die Einschätzungen seitens Verfassungsschutz/Staatsschutz vorlegen könne. Dies wurde von ihm verneint. „Wurde nur mündlich übermittelt“ (sinngemäß).

Nachgefragt wurde seitens des Gerichts auch, ob die beklagte Partei Protokolle über die Kooperationsgespräche gefertigt hat. Dies konnte nur für das erste Gespräch am 21.03.17 bestätigt werden. Was das zweite Gespräch angeht, wurde vermeldet, dass es eine behördeninterne E-Mail-Korrespondenz gibt, die allerdings datiert ist, knapp 6 Monate nach der Verbotsverfügung. Ein Protokoll, wie beim ersten Gespräch, würde nicht existieren.

In puncto der Anmelderin wollte das Gericht wissen, ob es Bedenken gäbe was die Qualifikation angeht. Die beklagte Partei, sagte dass es keine Gründe gab und gibt Frau Makowski nicht als geeignete Anmelderin oder Versammlungsleiterin anzuerkennen.

Das Gericht wollte auch von der beklagten Partei wissen, welche Erkenntnisse zum Gefahrenpotenzial zählen, um die Verbotsverfügung zu begründen:

Angeführt wurde von Frau Aumüller, dass die Mannheimer Innenstadt überwiegend von Migranten mit türkisch-nationalem Gedankengut bewohnt wird. Der Vorsitzende fasste nach und fragte, wie sich dies begründen lies? Aumüller (sinngemäß) „Rund um den Marktplatz gibt viele türkische Lokale und Geschäfte“

Herr Bühler sagte, dass Erkenntnisse der Verfassungs- und Staatsschutzbehörden einen Beitrag geliefert hätten. Ursprünglich waren diese Behörden davon ausgegangen, dass etwa 150 „bekannte Linksautonome“ mit einer latenten Gewaltbereitschaft an der Demo teilnehmen könnten. Eine weitere Analyse hätte ergeben, dass der Personenkreis auf 100 Personen eingeschränkt werden kann. Exemplarisch wurde im Prozess das Facebook-Nutzerprofil eines Ali H. (Identität der Redaktion bekannt) bemüht. Dieser habe den Aufruf zur Demo mit persönlichen Kommentaren gespickt in seinem Facebook-Profil geteilt.

Erst auf Nachfrage des Gerichts reichte die Stadt Mannheim, vor dem Prozesstag, eine Liste nach, die das Gefahrenpotenzial für die Demo am 08.04.17 aus Sicht der Behörden beschreibt:

(Beispiele)

  • 2012: Kurdisches Kulturfestival in Mannheim -> Verwaltungsgericht sagte bei der Verhandlung, dass eine Kulturveranstaltung auf einer Liegenschaft der Stadt Mannheim (Maimarktgelände) sich schlecht eignet, was das Datum und die Art der Veranstaltung angeht
  • 2015: Demo des Bündnisses „Mannheim gegen Rechts“ (gegen PEGIDA im Rhein-Neckar-Raum) -> Gericht stellte infrage, ob der Vergleich im Kontext mit der Klage steht
  • Diverse weitere pro-kurdische Demonstrationen im Rhein-Neckar-Raum ab 2016 (z.B, Solidemos für Rojava, Afrin und Marsch nach Strassburg) -> Gericht konnte spontan keinen Bezug zur angemeldeten Demo (08.04.17) herstellen

Mobi-Video: Polizeidirektor sieht Gespenster 

Vor Gericht wurde ein seinerzeit, vor der geplanten Demonstration, verbreitetes Mobilisierungsvideo mehrfach abgespielt. Dies erfolgte im Rahmen der Beweisaufnahme.

Bühler glaubte in dem Video-Clip einen (gewaltbereiten) Schattenboxer zu sehen und jugendliche, kurdische AktivisitInnen, die den „Wolfsgruß“ zeigen. Plus weiterer strafrelevanter Tatbestände.

Richtig ist, dass in diesem Clip verbotene Symbole gemäß aktueller Rechtsprechung (in einem geschlossenen Raum) durch die Veröffentlichung 2017 gezeigt wurden (z.B. das Konterfei von Abdullah Öcalan).

Der Vorsitzende stellte fest; dass es untypisch ist, dass kurdische Aktivisten den „Wolfsgruß“ zeigen, da dieser allgemein der rechtsextremen Gruppierung der „Grauen Wölfe“ zuzurechnen sei.

Das vermeintliche „Schattenboxen“ im Video wurde vor Gericht aufgeklärt: „Eine Hand trägt Kleister auf“ (um danach ein Plakat anzubringen).

Das Gericht fragte B. Bühler, ob gegen den Urheber des Video Ermittlungen erfolgten und ob Textpassagen in die deutsche Sprache übersetzt worden seien.

Bühler (sinngemäß): „Ermittlungen seien damals eingeleitet worden. Resultate würde er nicht kennen. Und es wurden, seines Wissens nach, keine Übersetzungsversuche unternommen“.

RA Heiming, als Vertreter der Klägerin, sagte hierzu (sinngemäß): „Zuerst wurde in deutscher Sprache musikalisch vorgetragen „Hoch lebe die internationale Solidarität“ und des Weiteren in kurdischer Sprache eine Sympathiebekundung für Abdullah Öcalan.“

Gericht zieht ein Fazit und kündigt Urteil an 

Das Gericht wies den Antrag der Stadt Mannheim auf Abweisung der Klage zurück. Begründet hat dies der vorsitzende Richter Vogel mit der fundamentalen Bedeutung des Artikel 8 im Grundgesetz (Versammlungsfreiheit): Nicht schlüssig seien dem Gericht die Beweggründe für die Verbotsverfügung. Diverse Gerichtsurteile bzgl. Artikel 8 GG würden existieren, die teilweise eine weite Auslegung und Interpretation in der Rechtsprechung aufweisen. Das Gericht wird sich mit der Urteilsfindung intensiv beschäftigen.

Ein mündliches Urteil wurde für den 29.05.19 angekündigt.

Das Urteil und seine Auswirkungen

Am 29.05.19 sprach das Gericht das mündliche Urteil und stellt darin fest, dass die Stadt Mannheim mit der Verbotsverfügung rechtswidrig gehandelt hatte. Die Stadt Mannheim muss zudem die Kosten des Verfahrens tragen. Die schriftliche Begründung des Urteils wurde für Juni 2019 avisiert.

Als Konsequenz wird wohl davon auszugehen sein, dass die Stadt Mannheim (Fachbereich Sicherheit und Ordnung) und die zuständigen Stellen im Polizeipräsidium Mannheim künftig bei gleich oder ähnlich gelagerten Fällen gesetzeskonform im Sinne des Grundgesetzes entscheiden werden.

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)