Von optimistisch bis angespannt: So gehen Beschäftigte in den Mannheimer Krankenhäusern mit der Corona-Krise um
Wann genau der Höhepunkt der Corona-Krise bei uns kommen wird, weiß niemand so genau. Aber alle haben Respekt vor den kommenden Wochen. Die Nachrichten aus Italien, Spanien und dem nahen Elsass lassen ahnen, mit welchen Problemen auch Mannheimer Krankenhäuser konfrontiert werden. Zum Höhepunkt der Krise könnten die erforderlichen Intensivplätze auch bei uns knapp werden.
Was macht eine solche Situation mit den Menschen, die täglich in den Krankenhäusern arbeiten? Kommunalinfo hat mit einigen Beschäftigten aus den Mannheimer Kliniken gesprochen und durchaus unterschiedliche Reaktionen bekommen.
Nicht zu persönlich an sich ran lassen
„Triage“ ist das Wort, das vielen Ärzt*innen und Pfleger*innen Angst macht. In der Fachwelt spricht man davon, wenn entschieden werden muss, welche Patient*innen an die knappen Beatmungsgeräte angeschlossen werden und welche nicht, da deren Überlebenschancen als zu gering eingestuft werden.
Thomas* hat Bekannte, die als Ärzte im Elsass, in Italien und in den USA arbeiten. Von ihnen hört er Berichte, die ihm Sorgen machen. „Triage ist eigentlich auch bei uns Alltag, vor allem im notärztlichen Bereich.“ Normalerweise habe man es aber mit alten Menschen mit geringer Lebenserwartung zu tun. Bei Corona sei alles anders. In Italien müssten Menschen sterben, die eigentlich Chancen hätten – wenn es ausreichend medizinische Ressourcen gäbe.
„Die Mannheimer Kliniken treffen gerade gemeinsame Absprachen, wie in solchen Fällen vorgegangen wird“ berichtet Thomas. Es soll nach zu erwartender Lebensqualität und Dauer entschieden werden und immer zu zweit, so dass kein Arzt die Verantwortung alleine tragen müsse.
Thomas ist Arzt an einem Mannheimer Krankenhaus und möchte wie die meisten Personen in diesem Artikel anonym bleiben. „Es herrscht große Unsicherheit. In den Kliniken wird viel umgebaut. Aber eigentlich ist gerade alles sehr ruhig, eben die Ruhe vor dem Sturm.“
Das liege daran, dass praktisch alles, was zur Zeit nicht unbedingt erforderlich sei, abgesagt wurde. Das bestätigt auch Lisa*. Sie ist Medizinstudentin und macht ihr Praktisches Jahr in einem Mannheimer Krankenhaus. Ihre Station wurde zur Hälfte geschlossen, um Kapazitäten frei zu halten. Daher sei es gerade eher ruhig. Es gäbe vergleichsweise wenig zu tun.
Angst habe sie eigentlich keine. Auch die meisten Kolleg*innen seien eher locker drauf und teilweise würden noch Späße gemacht. Das lasse aber nach. Sie bleibt optimistisch: „Ich kann es mir nicht vorstellen, dass auf einmal alles überfüllt sein wird“.
Sparpolitik und Privatisierung im Gesundheitswesen
Probleme sieht Lisa dagegen in Folge der jahrelangen Privatisierungspolitik. Während auf ihrer Station alle nicht dringenden OPs abgesagt wurden, gäbe es andere Krankenhäuser, die munter weiter operierten, um die finanziellen Ausfälle klein zu halten. Etwas zynisch sieht das Thomas: „Auf einmal soll bei uns die Wirtschaftlichkeit überhaupt kein Thema mehr sein? Es ist faszinierend, welche Veränderungen auf einmal in kurzer Zeit möglich sind, die sonst kaum denkbar waren.“
Auch Sidney sieht die Gesundheitspolitik der letzten Jahre kritisch: „Das System hinkt hinterher“. Pflege sei zu schlecht bezahlt, es mangle an Fachpersonal. „Man kann nicht einfach Fachpersonal für Intensivstationen aus dem Boden stampfen“. Sidney kümmert sich als Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) am Universitätsklinikum um die Interessen der jungen Beschäftigten. Auch sie sagt zu Beginn des Gesprächs, dass sie keine Details aus dem Klinikbetrieb nach außen tragen darf. Es sei ihr aber wichtig, allgemein über die Situation der Beschäftigten zu berichten.
„Krisenfälle, zum Beispiel Katastrophenschutz, ist durchaus Inhalt der Ausbildung. Man sieht sich Videos dazu an.“ Auf das, was nun komme, könne man sich aber nicht vorbereiten. Auch sie berichtet, dass es zur Zeit sehr ruhig sei. „Das Krankenhaus ist so menschenleer wie möglich, man muss aber das Personal zusammen halten.“
Es gebe viele Beschäftigte, die sich als Freiwillige für die Herausforderungen der Corona-Krise gemeldet hätten. Mit Crashkursen könne man versuchen, die Leute fit zu machen. Eine mehrjährige Ausbildung sei damit aber nicht zu ersetzen. Sorgen mache ihr die permanente Arbeitsbelastung in der Pflege. Dazu käme, dass viele Service- und Reinigungskräfte in eine Gesellschaft ausgegliedert wurden, was neue Probleme mit sich bringe.
„Ich konnte in den letzten Jahren niemandem in Deutschland guten Gewissens raten, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen“, meint Thomas. Die Bezahlung und die gesellschaftliche Anerkennung sei einfach nicht angemessen, andere Länder seien da besser aufgestellt. „In Deutschland leisten wir uns den riesigen Zuschussbetrieb Bundeswehr, aber für das Gesundheitssystem soll kein Geld da sein?“ Thomas sieht als größte Gefahr in der Corona-Krise den Ausfall von Personal. „Wir haben zwar viele Intensivbetten. Wenn aber kein Personal da ist, hilft uns das nichts.“
Wie steht es um die Sicherheit der Krankenhausmitarbeiter*innen?
Von diesem Problem berichten auch seine Bekannten im Ausland. Die meisten Neuansteckungen gebe es innerhalb der Krankenhäuser und trotz Schutzmaßnahmen eben auch beim Personal. „Wenn der Stress zunimmt, sinkt die Aufmerksamkeit“, erklärt Thomas. Manchmal fühle er sich wie in einer Parallelwelt. „Draußen achten im Supermarkt alle auf den Mindestabstand und hier in der Klinik sitzen bei der Besprechung alle eng zusammen. Oft kann man auch gar keine Distanz zum Patienten halten.“ Doch es tue sich etwas. „Dauerhafter Mund-/Nasenschutz“ im Dienst wird offenbar noch diskutiert, setze sich aber nach und nach an allen Kliniken durch.
Schutzausrüstung gäbe es – soweit er es einschätzen könne – ausreichend. Doch Berichte über Diebstähle aus Kliniken machten ihm Sorgen. „Die genauen Orte der Lagerbestände werden mittlerweile selbst vor Teilen des Personals geheim gehalten.“
Er sieht das Gesundheitssystem im internationalen Vergleich. Es sei natürlich so, dass es durch die Sparpolitik in Deutschland vermeidbare Probleme gebe, doch im weltweiten Vergleich stehe Deutschland in der Corona-Krise sehr gut da und er denke nicht, dass es so dramatisch, wie in Italien oder Spanien wird. Nachträglich könnte das als Erfolg der deutschen Gesundheitspolitik interpretiert werden, was zur Folge hätte, dass sich auch in Zukunft nichts ändert. „Die Menschen vergessen schnell“, meint er.
Vielmehr machten ihm politische Diskussionen um Überwachung und Grundrechtsabbau Angst. Corona-Apps, die persönliche Daten sammeln und an den Staat weiterleiten, sieht er kritisch. Was im Moment alles durch die Parlamente gepeitscht werde, sei heftig und für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einmalig.
Privatleben und Solidarität
Immer wieder hören wir, dass man den Job nicht zu nah an sich ran lassen sollte. Abgrenzung scheint eine wichtige Strategie zu sein, wenn man in einem Krankenhaus arbeitet. Lisas optimistische Grundhaltung wird ihr womöglich dabei helfen. Für Thomas ist der fachliche Austausch wichtig.
Doch ganz schafft er es nicht, das Thema aus seinem Privatleben heraus zu halten. In der Familie habe man verschiedene Szenarien durchgespielt. „Wir haben sogar überlegt, ob es besser ist, wenn ich für die Zeit der Krise ausziehe.“
Auf die Frage, was sie von den 18-Uhr-Klatsch-Aktionen halten, bekommen wir unterschiedliche Antworten. Zum Hintergrund: Viele Menschen stellen sich am Abend auf Balkone und an offene Fenster und bedanken sich mit lautem Klatschen symbolisch bei den Menschen, die im Gesundheitssystem und in anderen, sogenannten „systemrelevanten“ Bereichen arbeiten.
„Mir ist es wurscht, wenn jemand um 18 Uhr klatscht“, meint Lisa, „aber manche werden sich darüber freuen“. Es sei eine Möglichkeit, das Gefühl zu haben, irgendetwas beitragen zu können.
Thomas lacht: „Meine Nachbarn haben auch für mich geklatscht.“ Er finde es gut, aber es bringe eher denen etwas, die klatschen. Und Anerkennung sei natürlich immer wichtig.
Sidney sieht das Klatschen kritischer. „Klatschen hilft nichts“, es spiegle das wieder, was manche unter Solidarität verstehen. „Es ist eine nette Geste, aber es gibt effektvollere Gesten.“ Die Leute sollten lieber Gewerkschaftsmitglied werden, das bringe mehr.
Kommt der „Sturm“ im Mai?
Wann die viel zitierte Ruhe vor dem Sturm vorbei ist, wann der Sturm tatsächlich los bricht, das weiß niemand so genau. „Vor zwei Wochen habe ich gesagt: Ende März geht es los. Damit lag ich falsch, wie ich jetzt weiß“, berichtet Thomas. Mittlerweile rechnet er mit einer Zuspitzung im Mai.
„Es kann lokal sehr unterschiedlich sein.“ Schon jetzt gebe es angespannte Situationen in Münchner und Stuttgarter Kliniken, hätten ihm Kollegen berichtet. „Kritisch wird es, wenn ältere Menschen in größerer Zahl infiziert sind, wenn sich der Virus in Alten- und Pflegeheimen oder über Pflegedienste verbreitet.“ Dann könne es auch in Mannheim ganz schnell gehen, dass die Krankenhäuser an die Belastungsgrenzen kommen.
(cki)
* Hinweis: Alle mit Sternchen markierten Namen wurden von der Redaktion geändert. Die Beschäftigten möchten anonym bleiben. In einigen Bereichen wurde es konkret untersagt, mit der Presse zu sprechen.